Mittwoch, 27. Juli 2011

Zwischenruf: Der blanke Sommer

Darum sag' ich ja auch immer, man soll sich tunlichst von Fernsehern fernhalten, denn es führt unweigerlich ins Verderben, wenn man die Höllenmaschinen einschaltet. Naja, jedenfalls stehen die Chancen für Schrecken und Chaos ziemlich gut. Wobei das natürlich wie alles eine Frage der Einstellung ist. Wer Freude daran hat zu beobachten, wie Frauen in großer seelischer Not ausgebeutet werden, um auf möglichst billige Art und Weise Sendezeit zu füllen, für den gibt es offenbar bereits schon seit 4 Staffeln eine echte Alternative zu Bauer sucht Frau ; ): Extrem Schön bei RTL2, dienstags um 22:10.

Ich hatte ja mal wieder keine Ahnung, was alles möglich ist, bis mir jemand davon erzählte. Und das hier ist beileibe kein Fernsehtipp. Es ist mehr eine Art Erfahrungsbericht. Immerhin kann man sich mit dem Thema Selbsthass und Körperbild kaum drastischer auseinandersetzen, als den Körper in einer nicht unblutigen Monsteroperation unter Einsatz seiner Gesundheit bzw. seines Lebens und von Kameras festgehalten umformen zu lassen. Ich erinnere mich, wie beeindruckt ich von der Radikalität der Operations-Inszenierungen der Künstlerin Orlan war, deren Erhöhungen über den Augen nach wie vor ein Symbol für die Konflikte und Möglichkeiten der Selbstgestaltung sind. Eine ihrer Feststellungen war, dass die Haut in der man steckt, ohnehin nie zum dem passt, was man gerade sein will.



Die Möglichkeiten, sein Körperbild selbst zu bestimmen, sind heute scheinbar beinahe unendlich. Ich kann mit meiner Erscheinung machen, was ich will - vorausgesetzt ich habe einen freien Willen. Warum gehen eigentlich nicht mehr Leute zum Chirurgen, um sich Spock-Ohren machen zu lassen? Oder um auszusehen, wie ihre Großmutter, die sie sehr bewundert haben - und die eine richtig große, stolze Adlernase hatte? Naja, weil man das eben nicht macht. Alle würden denken, man spinnt! Der Chirurg würde den Eingriff ablehnen! Und in die Bewerbung zur Teilnahme an "Extrem schön" sollte man das auch nicht schreiben. Wir sind nicht frei. Wir bekommen dauernd gesagt, was "extrem schön" ist. Und den Kandidatinnen wird offenbar gleich "ein neues Leben" mitgeliefert - implantiert, wenn man so will.

Was man zunächst sieht, sind geschundene Körper. Dass es schorfig und anstrengend werden würde, hatte ich vermutet. Ich sehe Nicole dabei zu, wie sie sich windet und "vor Schmerzen kaum atmen kann", während die Musik mit grotesker Theatralik immer weiter anschwillt. Und mir geht aus irgendeinem Grund die biblische Drohung "unter Schmerzen sollst du (...) gebären"* durch den Kopf. Dann schwant mir Übles: Hier wird jemand für seine Hässlichkeit bestraft und gleichzeitig errettet. Aber kein Zuschauer soll auf die Idee kommen, eine Errettung sei so einfach zu haben.
*(Ich sehe gerade, Orlan verwendet die Bibelstelle in ihren Ausführungen auch - vermutlich war sie mir deshalb so präsent. Auf jeden Fall bezeichnet Orlan sie als das, was sie auch ist - als lächerlich.)

Während Nicoles Ehemann dafür ist, die Sache abzubrechen, macht Nicole tapfer weiter und verdient und erleidet sich so am Ende eine neue Nasenspitze, einen Po, der mit Fett aus ihrer eigenen Taille aufgepolstert wurde, ein neues Kinn, gestraffte Augenlider, Silikonkissen in der Brust, einen gestraften Bauch sowie - man höre und staune "weibliche" Zähne. Überhaupt ist jetzt endlich alles an ihr weiblich, weiblich, weiblich! Man fragt sich, was die mehrfache Mutter vorher war - eine gigantische Arbeiterameise vom Planeten Zuberon?

Nicole hat vor, von nun an durch das Leben zu tanzen. Man wünscht es ihr. Und trotzdem wünscht man sich viel mehr, man hätte das alles lieber nicht miterlebt. Man wünscht sich, Nicole hätte sich selbst einfach mal die Haare gewaschen und sich einen neuen Zahnarzt gesucht. Und hätte dann gesagt "ihr könnt mich alle mal". Und man hätte sich niemals in ihre Wiedergeburt im Operationssaal hineingezappt. Man versteht den Selbsthass und die Selbstzweifel der Kandidatinnen so erschreckend gut - und fühlt gleichzeitig, dass es höchste Zeit ist für einen Aufstand der Hässlichen...nur selber anführen möchte man ihn lieber auch nicht...

Mein neues Lieblingswort ist übrigens "Fettverteilungsstörung".

Und wo ich nun schon auf Krawall gebürstet bin: Sollte jemand gerade die Bunte letzter Woche zur Hand haben?...Ja?...Ist es nicht fabelhaft, wie unverkrampft die Redaktion die Begriffe "Schlankheitswahn" und "lustvoll" miteinander verknüpft? Die in sonnengelben Lettern gestellte Frage "Macht dünn glücklich?" kann man damit wohl getrost als beantwortet betrachten. Klar, Hungern ist die pure Freude. Fast so schön, wie sich lustvoll die Haare auszureißen. Oder sich lustvoll vor einen Zug zu werfen. Die Chefredakteurin Riekel gibt in ihrem "Bild der Woche" dann noch zu bedenken, dass Dünnsein das "Ticket in die Society" sei. Ebenfalls bemerkenswert - der kleine Beitrag über Frauen-Fußball auf Seite 71. Alice Schwarzer erklärt im Kasten links: "Am besten, eine Fußballerin erregt Aufsehen mit dem Ball - und nicht mit dem Busen." Und rechts kürt die Bunte dann die "fünf attraktivsten Spielerinnen". Mit Verlaub - im Sommerloch kann es doch immer noch ein wenig schwärzer werden, als man denkt.

Und das Abendessen steinreich:


Ja doch, ich mache weiterhin Diät...Mal sehen, in was für Gesellschaft ich da noch gerate.

NH

Dienstag, 5. Juli 2011

Musikantenknochen

Erst dachte ich ja, meine Schuhe knarren. Und dann dachte ich, es sei das Ächzen der Stufen unter mir, als ich mich leise schnaubend am Geländer ins obere Stockwerk zog. Dann wurde mir schlagartig klar, dass da eine Tonspur zu viel war. Es ist ein kleines, fieses Geräusch, das genau zu dem leichten Schabegefühl in den Knien passt. Dass meine Knie es offensichtlich über lange Zeiträume nicht leicht hatten, war mir natürlich klar. Dass sie inzwischen ein Lied davon singen können, war es nicht.



Die Idee, sich endlich als dicke Dame zu akzeptieren und kurzerhand eine zu bleiben, hat mir, wie bereits gesagt, sehr gefallen. Nur meinen Gelenken gefällt sie nicht. Und ohne die geht es irgendwann nicht mehr weiter.

Dafür habe ich mir zum Diät-Neustart allerdings das GRÖSSTE Motivationskleid ALLER bisherigen Motivationskleider* ausgesucht – Größe 42. Pink statt Gelb. Und eben auch nicht extra angefertigt, sondern von der Stange. Aber für das ultimative Wunschkleid in XXL ist nun keine Zeit (und auch keine Motivation) mehr da. Es wird also ernst. Was ich in den letzten Wochen angedacht und ausprobiert und unterbrochen habe, muss nun möglichst schnell klappen: Eine vegane, vorrangig rohe, fettarme Diät. Und vielleicht gönne ich mir für die Haut ein paar – jetzt hätte ich fast „Stromstöße“ gesagt ; ) – Ultraschallbehandlungen. Außerdem: Hanteln schwingen. In die Pedale treten. Und womöglich endlich einmal im Morgenrot, noch vor dem ersten wackeren Rentner, ins Schwimmbad gehen. Habe ich etwas vergessen? Ach ja: Die Waage bleibt weiter im Schrank. Vorher-Nachher-Fotos gibt es NACHHER, weil der Druck ohnehin schon groß genug ist.

Überhaupt: Das gute alte Diät-Tagebuch. Ein bisschen fühlt es sich so an, als ob seine Zeit wirklich vorbei ist. Körperpolitik ist interessant. Fragen nach dem Körper-Image und warum so viele von uns in ihren eigenen Körpern einfach keine Heimat finden – das alles ist interessant. Kalorien und Sit-ups sind es nicht schlicht nicht mehr. Jede von uns weiß alles über Energiebilanzen und Turnübungen. Mal ehrlich – von uns hätte es doch keine ernsthaft überrascht, dass eine Milchschnitte mehr Kalorien hat, als ein Stück Sahnetorte. Wir wissen, dass die Werbung lügt. Ganz besonders wenn es um „sportliche“, „nicht belastende“ Schokoriegel geht. Uns kann man nichts vormachen. Nach jahrzehntelangem Training in Sachen Ernährungskontrolle/Ernährungszwanghaftigkeit lesen wir sozusagen automatisch die Nährwertangaben auf der Rückseite jeder Packung, bevor wir sie kaufen. Hat uns nicht wirklich dünn gemacht. Aber verwundert sind wir nicht – offenbar anders als die Verbraucherschützer von Foodwatch, die Ferrero für den großen Milchschnittenbetrug unlängst den Goldenen Windbeutel verliehen haben. Ha – Amateure! ; ) Was für ein naiver und weltfremder Denkfehler anzunehmen, dass Menschen sich „gesund“ ( was immer das ist) ernähren würden, wenn sie nur wüssten, wie das geht. Wir wissen es längst. Zumindest wissen wir alles Mögliche. Aber es gibt unendlich viele Gründe, trotzdem in eine Milchschnitte zu beißen.

Krieg und Frieden rund um den Körper. Normen, Schönheit, Hässichkeit, Selbstwahrnehmung und Selbstwert, Diskriminierung…All das interessiert mich mittlerweile viel mehr, seit klar ist, dass ich mich nicht mehr vorranging aus ästhetischen Gründen in eine neue Diätschlacht stürze. Und darüber werde ich in Zukunft weiter schreiben.

Was ich immer vorhatte und dann doch nie umgesetzt habe, war ein Diät-Vlog. Das heißt aber nicht, dass ich nicht in den letzten Jahren immer mal wieder Anläufe genommen und es im Zuge dieser zu einem erstaunlich umfangreichen Archiv mehr oder weniger drolliger Filmdokumente über den Kampf gegen die eigene Unlust gebracht hätte (sogar einschießlich einer neueren Liegestütze-Sequenz aus drei verschiedenen Perspektiven). Jetzt, wo es 2011 ist und ich eben mein erstes Video im Internet hochgeladen habe, überlege ich, die „Highlights“ zusammenzuschneiden. Sozusagen als Abgesang… ; )

P.S.: Sollte sich jemand von euch kreativ mit dem Thema Essstörung, Fett-Akzeptanz, Körperimage, etc. auseinandersetzen, oder interessante KünstlerInnen kennen, die zu diesem Thema arbeiten, würde ich mich sehr freuen, von euch zu hören.** Ich selbst plane auch ein kleines visuelles Project. Der Anfang dazu war es ja, sich in voller farbbeschmierter Pracht auf Leinwände zu pressen.

*Das muss sein - ist Tradition!

**office(at)nicola-hinz.com

NH