Samstag, 14. Mai 2011

Körper sind politisch!

"Fat Bottomed Girls" von Kim Selling:

"SKINS" Open Mic: Kim Selling from Champ Ensminger on Vimeo.


NH

Eat rice!


So, nun kommt die große Frage: Kann man auch dann noch Fett-Akzeptanz-Aktivistin sein, wenn man dünn ist? Oder ist das, als würde man als Tierschützerin Pelz tragen?

Denn, Kinners, so großartig ich die gerade erst entdeckte Möglichkeit finde, endlich eine stolze dicke Dame zu werden – meine Gesundheit macht mir nun doch in der Tat einen fetten Strich durch die Rechnung. Undefinierte Verdauungsprobleme, Brustkrebsverdacht, polyzystische (ups, Spuckeregen!) Eierstöcke, die offenbar aussehen wie Gewürzgurken, eine Gebärmutter, die in einer nie abebbenden Flut von Östrogen macht was sie will, ächzende Knie, geschwollene Füße und ein Blutzuckerspiegel, der unweigerlich eines schönen Tages zum Angriff blasen wird, wenn ich ihn lasse.

Das Ausmaß der Misere war nicht spürbar. Ich dachte eigentlich, ich wäre halbwegs gesund. Und dann ging ich zum Arzt. Das war vor anderthalb Jahren. Und seitdem bin ich tausend Tode gestorben. Hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Man könnte sich natürlich einfach dafür entscheiden, zukünftig wieder einen weiten Bogen um jede Arztpraxis zu machen. Theoretisch. Aber wer erst einmal im Panikkarussell sitzt, der steigt da so leicht auch nicht mehr aus. Schon gar nicht bei voller Fahrt. Wenn einem Heerscharen von medizinischem Personal im Team mit Medien und Fachliteratur nahelegen, dass man „das alles unbedingt abklären muss“, damit man sich im Falle eines Supergaus (soll für gewöhnlich heißen Krebs) nur ja nicht um die Möglichkeit einer Heilung bringt, dann springt man nicht mehr ab. Ehrlich, wer soll so viel Mut und Seelenstärke aufbringen?

Panik ist natürlich das Stichwort. Dicke Damen und Herren werden damit ja ohnehin gern übergossen – wie aus Kübeln. Mit Tabascosauce, damit es auch schön brennt. Wir wissen es ja bereits – wir sind alle des Todes (Krebs, Herzversagen, Narkoserisiken, Nierenversagen, Lungenembolien, usw.) – und besonders dicke Damen mittleren und höheren Alters laufen sozusagen stündlich Gefahr vom im Fettgewebe selbstproduzierten Östrogen über die Wupper befördert zu werden. Oder zumindest ordentlich Federn und Eierstöcke zu lassen – so wie ich gestern.

Das Problem ist und bleibt: Nicht Genaues weiß man nicht. Und auf dem Schlachtfeld der wissenschaftlichen Studien wird richtig Dicken wenig Hoffnung gemacht, dass ihr Gewicht nicht doch irgendwann zu Schwierigkeiten führen könnte. Selbst Udo Pollmer, die Stimme der Anti-Diät-Vernunft, legt sich bei einem BMI über 40 lieber nicht fest, und redet stattdessen sehr viel davon, dass ein paar Kilo mehr auf den Rippen besonders bei Senioren eher positiv zu bewerten sind. Was bitte genau sind „ein paar Kilo mehr“? Mein Verdacht ist: Auf die meisten von uns hier trifft weder das eine noch das andere zu. Als Errungenschaft gegen den Diätwahn galt vor zwei Jahren das Ergebnis einer kanadischen Studie (BMI and Mortality: Results From a National Longitudinal Study of Canadian Adults) das besagt, dass man mit einem BMI von 25 bis 29 die längste Lebenserwartung hat. Wobei alles über 25 weiterhin schon als übergewichtig gilt. Eine echte Revolution sähe anders aus. Eine echte Beruhigung auch.

Richard Klein, amerikanischer Literaturprofessor und Autor eines frühen Fett-Akzeptanz-Werkes (Eat Fat, 1996) stellte im Postskriptum seines Buches fest, dass „wenn Fett in medizinischer Hinsicht gefährlich wird und Abnehmen zu einer Frage von Leben und Tod, (…) nur noch eine Entziehungskur“ hilft. Zu diesem Schluss kam er trotz seiner Verehrung für dicke Schönheit, als seine Mutter im Schlaf beinahe an ihrem Übergewicht erstickte, weil es in bestimmten Lagen ihre Lunge zusammendrückte. Was er zu ihr ab da sagte, war:

„Eat rice.“

Kurzum: Ich hätte gern Frieden mit meinem dicken Körper geschlossen. Aber die Entscheidung kam just in einem Augenblick, in dem mein Körper mir, womöglich gerade weil er dick ist, scheinbar keinen Frieden mehr gönnen will. Ich mag keine Lebensangst. Ich mag keine Schmerzen. Ich mag keine Wartezimmer. Ich mag keine Krankenhäuser. Ich will in Zukunft möglichst wenig mit ihnen zu tun haben.

Um auf meine Frage eingangs selbst zu antworten: Die amerikanische Organisation NAAFA (National Association to Advance Fat Acceptance), die bereits seit 1969 gegen die Diskriminierung dicker Menschen kämpft, definiert ihre Ziele so: Unser Ziel ist es, eine Gesellschaft zu erschaffen, in der Menschen aller Körpermaße in allen Lebensbereichen Akzeptanz, Würde und Gleichheit erfahren.

Ich denke, das müsste eigentlich jeder unterschreiben können. Auch jeder, der nicht dick ist.

Nun werde ich also doch wieder dünn. Weil es für mich nicht anders geht. Ich habe vorsorglich den Abdruck meines dicken Körpers auf ein weiteres halbes Dutzend Leinwände gepresst...schließlich ist es nun der Plan, solche Bilder bald nicht mehr produzieren zu können.

Wenn die Fäden sich aufgelöst haben, filme ich dann meine ersten Push-ups - was für eine Freude. ; ) NH