Freitag, 30. Dezember 2011

Wie im Himmel

(© Gahan Wilson - Danke Barbara! : ))

Ich könnte wetten, dass meine Therapeutin sich das irgendwie anders gedacht hatte, als sie mir vorschlug, mich einmal am Tag vor den Spiegel zu stellen und zu mir zu sagen "Du bist liebenswert, so wie du bist". Ich weiß ja dann immer nicht recht, was ich tun soll – den Spiegel zerschlagen, oder mich kaputt lachen. Mein Verhältnis zu mir selbst ist halt – na sagen wir mal – komplex. Bemerkenswerterweise soll ich natürlich gar nicht so bleiben, wie ich bin. Sonst wäre ich ja schließlich nicht ihre Patientin. Veränderung ist der Kern ihres Geschäfts – ohne Veränderung schlägt man in der Therapie irgendwann im Niemandsland auf. Wozu also jetzt noch der ganze Aufwand mit dem alten Ich?

ODER ABER: Man hört auf, sich zu entschuldigen.

Auf der Reise zu mir selbst, so stellt sich nun heraus, bin ich einmal im Kreis gelaufen, und wer macht mir die Tür auf: Eine alte Jungfer mit mieser Laune und Doppelkinn – und Menschenskind, war ich vielleicht froh, sie zu sehen! Je stärker die Bemühungen, sich von ihr zu entfernen, desto größer der Widerstand. Jetzt weiß ich auch warum – hätte man mich im Zuge all des therapeutischen Aufwands dazu bewegen wollen, mir einen Arm amputieren zu lassen, wäre das vermutlich auf ähnliche Weise gescheitert. Ich hätte ihn einfach nicht hergegeben. Und ich gebe sie auch nicht her. Sie ist Teil meiner Show. Und – egal wie weit man die Definition vielleicht auch ausdehnen muss – ich bin ein Showgirl, sonst wäre ich schließlich überhaupt nicht hier.

Ich will mich selbst nicht liebenswert finden. Die bloße Vorstellung fühlt sich einfach nur an, wie eine zu enge Unterhose. Ich fänd es zwar echt magisch, wenn ein bestimmter Herr endlich zu eben jener Einsicht gelangen könnte (Yes, YOU! Call me!), aber im Gegensatz zu allem was die Folklore des positiven Denkens uns lehren will, ist es weder notwendig noch ausschlaggebend, dass man sich selbst liebt, um geliebt zu werden. Das weiß jeder, der den Lauf der Welt ein paar Jahrzehnte beobachtet hat. Aber wo war ich…ach ja – also, ich persönlich würde auch nicht meinen eigenen "Like Button" drücken (aber ich bedanke mich vielmals bei den beiden, die es getan haben : )). Ich will viel lieber denken können, was ich will (auch über mich selbst) – und sei es noch so garstig. Denn das ist es, was ich bin. Und ganz nebenbei habe ich das Gefühl, dieses Blog wird davon noch richtig profitieren.

Und selbstverständlich halte ich weite Teile des Lebens für eine schiere Zumutung: Von der Steuererklärung über das Fernsehprogramm und die neue Brigitte Diät bis hin zum Tod – ABER ich entschuldige mich nicht mehr dafür. NIE MEHR! Ich habe es vermutlich schon einmal gesagt, ich sage es gern immer wieder: Was für eine Einstellung sollte man denn zu Wasserrohrbrüchen und Bankenskandalen bitteschön auch sonst haben?

Ach, und wo es nun schon seit Oktober als Merkwürdigkeit auf meinem Schreibtisch liegt: Was für eine Einstellung ist eigentlich die richtige, wenn man von einer dumpfbackigen, im Ursumpf der 50er festgekeilten Autorin namens Danijela Pilic beim bloßen Blättern in einer Frauenzeitschrift auf folgende Art und Weise angepöbelt wird: "Kennt jeder: Frauen, die allein sind (…) Die Verbitterte: Sie hasst Männer, und, wo wir schon dabei sind, auch Kinder, weil sie wahrscheinlich nie welche haben wird. Dafür liebt sie ihre sieben Katzen abgöttisch (…) Nachts weint sie in ihre Kissen und hat Angst davor, tagelang nicht entdeckt zu werden, wenn sie sterben sollte." Das Bild zu diesem Artikel ist übrigens eine Vogelscheuche. Damit hier kein Missverständnis entsteht – die Chefredaktion des Magazins Myself hat ihr gestattet, über uns alle (und insbesondere über all ihre Leserinnen, die obendrein auch noch was dafür bezahlt haben) herzuziehen, egal ob mit Familienanhang oder tatsächlich alleinstehend, weil sie schlicht unterstellt, dass es eine richtige und eine falsche Art des Frauenlebens gibt und die "falsche" mit der muffigen Lustigkeit einer Schülerzeitung diffamiert. Oder um mal ein themennahes Beispiel zu verwenden: Sie ist ungefähr so nervig wie eine von diesen verbiesterten Ex-Dicken, die sich gerade zum Rothorn Run angemeldet haben, und sich vorher noch kurz in eine Talk-Show setzen, um dort zu behaupten, dass es schier ein Ding der Unmöglichkeit sei, als dicker Mensch ein halbwegs zufriedenes Leben zu führen. Man kann über trutschige Modestrecken ohne Models und die nächste abwegige "Diätenwende" auf dem Cover ja sagen, was man will (und das werde ich auch noch), aber das wäre der Brigitte vermutlich nicht passiert.

Wahrscheinlich könnte man sich den Mist des Lebens vorübergehend schöntrinken. Schöndenken – wer weiß. Mein Grundsatz ist ja immer, so Einiges für möglich zu halten und möglichst wenig zu glauben. Wenn mich zum Beispiel in Hamburgs City ein verdächtig übereifriger Passant wild und wichtig mit den Armen fuchtelnd anhält und mir vorschreiben will "Sie müssen zurück, da geht es nicht weiter!", kann es durchaus vorkommen, dass ich erst einmal…tja, nun…weiterfahre. Ich mache mir halt gern selbst ein Bild. Glauben kann ein feines Lebenskonzept sein. Wie Optimismus. Oder wie Karma. Bis sie ausscheren, wie ein überlanger Schwertransport auf einer richtig engen Dorfkreuzung. Guten Menschen passieren schlimme Dinge. Am Ende gibt es doch Erdbeben der Stärke 8,9 im Nordosten Japans. Obwohl man geglaubt hat, dass das nicht möglich ist. Und eines Tages stellt sich womöglich heraus, dass der liebe Gott in Wahrheit eine "Crazy Cat Lady" ist – so eine, wie die, vor der die Frau Pilic so große Angst hat. Und die natürlich schon längst ihren festen Platz in der Ahnengallerie der Popkultur-Archetypen hat. Sie ist ein bisschen die Hexe des 21. Jahrhunderts, die neue wilde Frau.

Und wo wir gerade beim Thema waren: Eine Vorgängerin meiner jetzigen Therapeutin hatte mir mal als Hausaufgabe aufgegeben, meinen persönlichen Misthaufen zu zeichnen. Was ich prompt vergaß, woraufhin sie mir eine Standpauke hielt, und ich die Arbeit mit ihr abbrach. Aber vielleicht hole ich das jetzt doch noch nach – und male den höchsten und schönsten Haufen persönlichen Mists, den je eine Therapiepatientin gemalt hat – oder je malen wird. Und es erfüllt mich schon jetzt mit tiefer Zufriedenheit, mir vorzustellen, wie weit man von der Spitze meines Misthaufens wohl sehen könnte.

Kurz vor Weihnachten warf ich also tatsächlich einen Blick in den Spiegel. Und fand just meine innere Crazy Cat Lady – zum ersten Mal (hat ja auch nur zwei bis drei Jahrzehnte gedauert). Und ich beschloss, endlich die zu werden, die ich ohnehin bin. Und mich nicht mehr zu entschuldigen. Das wäre mein erster Vorsatz fürs neue Jahr. Mein zweiter ist, endlich und endgültig auf eine vegane Ernährung umzusteigen. Drittens hoffe ich, mehr zu schreiben. Viertens muss ich mich noch immer entscheiden, ob und – wenn überhaupt – wie viel ich abnehmen will (ja, die Frage steht nun doch wieder im Raum). Fünftens plane ich, im Sommer ins Tierheim zu gehen und wieder zwei Notfellchen zu adoptieren. Außerdem soll möglichst bald mein kleines Kunstprojekt zum Thema Körperimage und Schönheitsideal (The Ugly Girl Project) in Schwung kommen. Und ein kurzer Aufsatz zu Sinn, Aussage und Absicht ist bereits in Arbeit. Wenn jemand von euch sich auch kreativ mit dem Kampf um Selbstwert und gegen die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers befasst, würde ich es mir wirklich sehr freuen, etwas darüber zu erfahren.

Na, ihr Lieben – dann rutscht mal schön!

Ich hoffe, wir sehen uns im Neuen Jahr wieder…also, im Prinzip…gleich. : )

NH