Sonntag, 4. November 2012

When in London: Maison Bertaux



Rückblick September: Ach, und ich war ja in London. Und ich habe noch gar nichts darüber geschrieben. Nun, dieses hier ist auch eigentlich kein Reiseblog. Aber erstens: Ist ja mein Blog, kann ich hier schließlich machen, was ich will. Und zweitens reist man ja auch immer ein wenig zu sich selbst, wenn man unterwegs ist. Natürlich lernt man an einigen Orten mehr über sich als an anderen. Drittens geht es hier um Essen, das es eigentlich verdient, ohne wabernde Schuldgefühle gegessen zu werden. Ein englisches Sprichwort behauptet ja, man könne seinen Kuchen nicht behalten und ihn obendrein essen. Darum ist es natürlich clever, dahin zu gehen, wo der Nachschub an Kuchen nicht abreißt. Und überhaupt: Wo könnte die Revolution gegen den Diät-Terror* besser geübt werden, als in einem Haus voller kunstvoller Cupcakes, Tartes und Torten? Vive la revolution!

 
Michele Wade und eine ihrer Mitarbeiterinnen
Maison Bertaux wurde 1871 gegründet – das macht es zur ältesten Konditorei Londons. Ihre jetzige  Besitzerin, Michele Wade, begann mit 14 Jahren, dort als Girl Saturday (Wochenendaushilfe) zu arbeiten und kaufte den Betrieb 1988.
 
2007 startete ihre Schwester, die Schauspielerin Tania Wade, ihre Karriere als Galleristin und Kunsthändlerin (hooliganartdealer.com) – u.a. mit der ersten und ausverkauften Ausstellung der Arbeiten des Künstlers und Comedians Noel Fielding, den sie bis heute exklusiv vertritt, und nutzt seitdem die Räume des Maison Bertaux als außergewöhnliche Ausstellungskulisse. Ich selbst bin von der Kunst zum Kuchen gekommen, als ich zu einer Ausstellungseröffnung  eingeladen wurde, und so die Konditorei zum ersten Mal sah.
 
Arbeiten von Maria Rosa Kramer

Lithographie und Wandtext von Noel Fielding
Zwei recht unterschiedliche Frauen betreiben zwei Unternehmen am selben Ort. Eigentlich ist die Kombination jedoch nur konsequent, denn sie ergibt in der Tat ein großes, erstaunliches Gesamtkunstwerk. Tradition sowie Mut zu Kitsch und zur Schönheit des gelassenen Verfalls sorgen in den Spiegeln für pastellige Wimmelbilder. Frische, hippe Kunst und frisches Gebäck kommen und gehen – doch manchmal wird die Kunst ein bleibender Teil des Ganzen, so wie Fieldings Texte – mit schwarzem Filzstift auf die Wände geschrieben. Maison Bertaux ist ein selbstbewusster Ort. Er macht mit schillernder Selbstverständlichkeit was er will und wird dafür bewundert.

 
 

 

 
 
Trotz der Schönheit der Kuchen esse ich hier übrigens am liebsten ein herzhaftes „Dijon Slice“. Und ich trinke immer Jasmintee. Immer. Aber nur hier. Denn nur hier schmeckt er mir. Und auf jedem Tisch stehen frische Blumen.
 
(Maison Bertaux, 28 Greek St., Soho, London, W1D 5DQ)
 

* Was ich aber auch noch gelernt habe: Ich bin noch immer zu schwer, um so weit zu laufen, wie ich gern ohne Pause gelaufen wäre. Und das gilt erst recht für die Schuhe, in denen ich zumindest gern einen sehr viel größeren Teil des Weges zurückgelegt hätte. Ich sage nur "leopardengemustert" und "pinkfarbene Sohlen".
 

Camden
 
Klar wurde mir das ausgerechnet, nachdem ich am Tresen von Eclipse Tattoos in Camden ca. 50x das Wort „Freiheit“ geschrieben hatte, um es mir dann in meiner Handschrift aufs Handgelenk tätowieren zu lassen. Thomas, mein Tätowierer, war schon gleich nicht sehr optimistisch – also, was die Realität eines Lebens in Freiheit betrifft. Er erklärte mir seufzend, da käme ohnehin immer etwas dazwischen: Hypotheken, familiäre Verpflichtungen…was mal wieder beweist, dass ein wildes Äußeres nicht automatisch eine wilde Seele beherbergt. Jedenfalls sagte ich ihm, dass man sie als Grundmotiv im Leben trotzdem immer im Gedächtnis behalten sollte.

Also hatte ich mir den Denkzettel am Arm verpassen lassen, um später im Hotelzimmer, das im dritten Stock lag und zu dem es keinen Fahrstuhl gab, zu begreifen, dass ich mich eben nicht nur von gedanklichem Ballast befreien muss. Ich will verdammt auch frei sein von den Einschränkungen geschwollener Füße, knarrender Knie und mangelnder Kondition. Dazu muss ich entweder noch immer Gewicht verlieren. Oder ich muss sehr viel fitter werden. Es ist eine Sache, sich nicht hübsch zu fühlen. Es ist (und das vergisst man gern mal, bis man daran erinnert wird) viel gravierender, wenn man den Gang durch das British Museum nicht mehr schafft, weil einen die National Gallery ehrlich geschafft hat. Reisen macht mich müder als früher. Und das macht nicht freier. So ein Mist.

British Museum
Trafalgar Square, die National Gallery im Rücken. Schwimmen ist nicht erlaubt. Sollte Thomas womöglich Recht behalten?
 
NH