Samstag, 22. Dezember 2012

Eine Weihnachtsgeschichte


Dieser Keks ist 3,5 Jahre alt. Darum sieht er so schäbbich aus. Die Zuckerglasur war mal weiß. Zitrone. Man beachte außerdem die Form: ja - ein Hase. Eigentlich neige ich nicht zum Morbiden - jedenfalls nicht außerhalb der Kunst. Nicht im wahren Leben.

Es handelt sich um ein klassisches Butterplätzchen aus Mürbeteig. Allerdings besonders dünn. Und seinerzeit besonders zitronig. Und es ist eines der letzten, die meine Mutter gebacken hat. 2009 hatte meine Mutter, statt auf Weihnachten zu warten, ihre berühmten Kekse vorsorglich zu Ostern hergestellt - für den Fall, dass sie Weihnachten nicht mehr unter uns sein würde. Wie sich herausstellte, war das eine ziemlich pragmatische und treffende Entscheidung, denn sie starb im Sommer.

Ich kann nicht behaupten, dass Weihnachten bei uns zu Hause jemals eine besonders harmonische Angelegenheit gewesen wäre. Weihnachten war ein Mienenfeld. Mal hatte man mehr Glück, mal weniger - und dann flog einem so ziemlich alles um die Ohren. Alles fing meistens mit dem Baum an, denn der musste PERFEKT sein. Und wenn wir mit Kollegen meines Vaters beim Firmen-Baumschlagen in den Wald gingen, war unsere Familie regelmäßig die letzte, die wieder auftauchte. Nicht selten nach Anbruch der Dunkelheit. Mein Vater nahm das alles in meiner Erinnerung weitgehend mit Humor, bis er den Baum im Wohnzimmer aufstellen musste. Kerzengerade und mit der Schokoladenseite nach vorn. Wobei meine Mutter bestimmte, was gerade und was Schokolade war, und mein Vater jedes Jahr lautstark schwor, das sei das LETZTE MAL, dass er so ein Theater mitmachen würde.

Meine Eltern, Weihnachten 1983
Später, als wir zwei ohne meinen Vater Weihnachtsbäume besorgten, änderte sich an diesem und allen anderen Ritualen nicht viel. Ich verbrachte Stunden damit, Bäume vortanzen zu lassen ("Dreh' den mal um!") und wurde dabei ausgesprochen ungehalten. Klar würde ich heute gern noch einmal mit ihr für eine gefühlte Ewigkeit durch Gartencenter laufen auf der Suche nach einer angemessenen Tanne. Vielleicht stimmt es, dass man gewisse Dinge erst zu schätzen weiß, wenn sie verschwunden sind. Aber manchmal ist es auch einfach nur so, dass die Alternativen eben noch viel, viel schlechter sind als das verlorene Original.

Meine Mutter mag bei der Ausrichtung von Feierlichkeiten (und auch sonst) dominant und perfektionistisch gewesen sein, aber bis sie starb, hatte ich nur einmal in meinem Leben Weihnachten nicht mit ihr verbracht. Niemals hätte mich ein elfstündiger Flug von Kalifornien nach Hamburg davon abgehalten, zu Weihnachten zu Hause zu sein. Denn meine Mutter war mein Zuhause.

Kurz bevor sie starb, sagte ich ihr das auch: "Du kannst nicht sterben, denn dann bin ich heimatlos". Und nun sitze ich hier mit ihrem letzten Keks....Ich frage mich, ob man ihn noch essen kann. Bisher lag er auf seinem Tellerchen wie in einem Minischrein im Regal. Auf jeden Fall ist er mittlerweile total geruchlos. Und das merkwürdigerweise trotz all der Butter. Es fühlt sich so an, als sei es Zeit sich zu trennen. Aber ich weiß nicht wie.

Ich habe versucht, Weihnachten mit anderen Menschen zu feiern. Und fühlte mich hinterher elend. Das war mir und den anderen gegenüber nicht fair. Unter Umständen könnte man sozusagen gezielt zum Weihnachtsmuffel werden, und sich den ganzen Kram abtrainieren. Ich fürchte aber, meine Weihnachtsgeister sitzen mir viel zu sehr im Nacken. Ich hatte die Idee, in diesem Jahr vielleich zu verreisen, aber dann zog ja der neue Kater ein. Damit hatte sich das erledigt. Schließlich ist der jetzt Familie.


Und so feiere ich Weihnachten zwar ohne Mutter und ohne Baum, aber ansonsten genauso wie immer: Ich schneide die Zutaten für den Kartoffelsalat und schaue mir dabei "Michel aus Lönneberga" an. Und dann packe ich die Geschenke aus, die ich mir selbst von Amazon habe schicken lassen. Denn im Grunde war auch das so eine Art Tradition. Seit ich lesen konnte, gab ich meiner Mutter eine Wunschliste mit Büchern, die sie dann im Buchladen im Ort bestellte. So war es ihr am liebsten. ("Ich weiß einfach nie, was du wirklich willst.") Kekse backe ich keine mehr - was aber nicht heißt, dass mein bunter Teller nicht weiterhin der prächtigste (und am sorgfältigsten arrangierte) im ganzen Land wäre.

Während ich diesen Text schreibe, habe ich parallel schon mit der Arbeit am Jahresrückblick begonnen. Was aus dem Keks geworden ist, erzähle ich auch nächste Woche. Jetzt bleibt erst einmal nur, euch allen ein buntes Weihnachtsfest und wenig Stress zu wünschen - in Anlehnung an die schönen Teddybär-Inszenierungen von SchneiderHein, mit einer kleinen Weihnachtszene von meinem Schreibtisch. : )
 

FROHE WEIHNACHTEN!

 

NH