Freitag, 11. Januar 2013

Gar kein Sex


Ein neues Jahr - eine neue Liebe. Das war die Idee.

Wie sie NICHT verwirklicht werden wird, steht nach einem kurzen Ausflug in die Welt des Cyber-Datings fest - dort werde ich nicht fündig werden. Allein schon deshalb nicht, weil ich da nicht nochmal hingehe. Da bestelle ich mir doch lieber einen Mann beim Universum. Oder beim Escort-Service.

Zugegeben, der Text auf meinem Profil war an sich schon ein wenig experimentell und lautete: "Dicke, grimmige Feministin sucht Rockstar in glänzender Rüstung. Sie würde sich aber auch freuen, nur mal wieder mit einem interessanten Mann ins Theater zu gehen." Noch schnell ein Foto hochgeladen, auf dem ich weitgehend so aussah, wie ich auch wirklich aussehe, aber natürlich nicht zu ungekämmt, noch einen Klick - und dann brach die Hölle los...

Natürlich muss man sich nicht so ins Getümmel schmeißen, wie ich. Man muss ja nicht jede noch so lahme Ente freundlich abwimmeln. Man kann ja auch ignorieren. Aber ich war halt vom Forscherinnendrang getrieben. Auf einigen Plattformen gab es anfangs Anfragen im Minutentakt - und das trotz der "grimmigen Feministin"* - und ich hatte mir vorgenommen, möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen. Wollte höflich sein. Und was erfahren. Außerdem war ich im wahren Leben natürlich noch nie zuvor eine so gefragte Frau.

In den letzten eineinhalb Wochen (inklusive zwei Wochenenden) hatte ich Profile bei Finya.de, Friendscout24.de, ElitePartner.de, Parship.de, Rubensfan.de (wo ich übrigens für jedermann fast einen ganzen Tag auf der Titelseite unter "Aktualisierte Profile" zu sehen war, so viel zum Schutz der Privatsphäre) - und schließlich auch noch bei Secret.de sowie Fettliebhaber.de. Jeweils immer nur für ein paar Tage. Mehr war ehrlich nicht auszuhalten.

Am Ende war ich dann geschafft - von der Konfrontation mit so vielen unrealistischen Erwartungshaltungen einerseits und der ausladenden, biederen und freudlosen Verstocktheit, die unter weiten Teilen der einsamen Herren zu herrschen schien, andererseits.

Da hilft am Ende nur noch abschütteln und weglachen - trotz der unübersehbaren Tragik.

Ins Theater wäre wohl schon noch einer mit mir gegangen. Aber erst NACH Abgabe einer Absichtserklärung. Und zwar überraschenderweise nicht so sehr dahingehend, dass dann auch was geht, sondern vielmehr, dass "aus uns dann auch was wird". Ob sich von diesen Exemplaren einer hätte UNverbindlich einen hätte blasen lassen, bleibt mithin ungewiss. Warum die drastische Wortwahl? Männer in Online-Dating Portalen sind ein drastisches Völkchen. Darum. Besonders jenseits der vierzig. Anders, als man vielleicht vermuten würde, ist das, was etliche von ihnen suchen, beileibe keine freie Liebe. Das mag den meisten Frauen auf Partnersuche natürlich noch entgegen kommen. Was ein großer Teil dieser Männer augenscheinlich sucht, ist aber noch nicht einmal Liebe. Was sie wollen, das sind in der Tat "Versorgerinnen". Krankenschwestern, die die Hand halten und die Reisen in die Toskana mitmachen, damit man sich als 43jähriger Berufsschullehrer endlich nicht mehr so verdammt verloren fühlt in der weiten Welt. Ok, einige Verwirrte hatten "Feministin" mit "Domina" verwechselt und suchten eine Frau, die ihnen in Zukunft sagt, wo's langgeht (also z.B. "Wir fahren nach Lanzarote und nicht in die Toskana, basta!") und ihnen sozusagen zur Bekräftigung hin und wieder den Popo verhaut. Aber auch bei dieser Art der Bedürftigen zeigte sich schnell: Sobald klar ist, dass man den Job der festen Pflegerin nicht noch vor dem ersten Treffen offiziell annehmen will, wird's zickig. Die Verzweiflung des alleinstehenden Mannes in mittleren Jahren spritzt mitunter wie giftiger Geifer aus dem Bildschirm. Gut, einige schlafen im Chat dann auch einfach nur ein, weil es bis zum Jawort einfach zu lange gedauert hat. So oder so - das Interesse an der Frau, die man eben noch am liebsten von gleich auf jetzt vor den Traualtar zerren wollte, verrinnt leicht innerhalb von einer halben Stunde.

Wer jemals geglaubt hat, Männer hätten keine biologische Uhr, der irrt gewaltig. Man schreibt simple Sachen wie z.B.: "Ich habe vor, irgendwann mit dem Auto, quer durch die USA zu fahren." Und die Antwort nach zehn Minuten Kennenlernen im Cyberspace lautet: "Das machen wir dann doch jetzt zusammen." Man erklärt: "Ich habe mich erst gestern hier angemeldet." und liest: "Nun musst du ja nicht mehr suchen." Irgendwie kommt man dann auch noch auf dieses Thema:"Ich werde vermutlich übers Rentenalter hinaus arbeiten." Und er schreibt: "Na, dann werde ich immer für dich kochen, wenn du nach Hause kommst." Was einen nach Monaten oder Jahren in einer Beziehung vielleicht froh und glücklich machen würde, ist nach so kurzer Zeit einfach nur gruselig. (Es sei denn, ES SEI DENN, George Clooney schickt einem solche Angebote ins Wohnzimmer. Dann ist selbstverständlich alles andere ohnehin egal.)

Die Zeit drängt also. Darum kommt dann auch haltlose Effizienz ins Spiel. Wozu auch der ganze kommunikative Umstand, wozu womöglich auch noch die Mühen des Flirtens auf sich nehmen, wenn ein Ganzkörperfoto (angezogen zwar, aber in voller Länge) doch ohnehin mehr sagt, als tausend Worte? Auf zusätzliche Fotos wird übrigens absolut bestanden. Die werden sogar im Verlauf eines Chats immer wieder regelrecht angemahnt - auch und erstaunlicherweise insbesondere bei den "Rubensfans". Und natürlich können zusätzliche Fotos dazu führen, dass man UMGEHEND aussortiert wird, bzw. dass der Kontakt jäh abgebrochen wird. Hat mich doch ein 45jähriger Architekt sofort abserviert, weil ihm mein Busen zu wuchtig erschien. Wahrscheinlich hätte ich damit nicht ins Einrichtungskonzept gepasst. ; ) Ein anderer, nachdem er dann nach zähen Verhandlungen endlich ein "Ganzkörperfoto" per Direktnachricht erhalten hatte, verabschiedete sich schnell ins Bett. Ich will lieber gar nicht wissen, was das zu bedeuten hatte.

Das mit dem Körperbau hätte man ja aber eigentlich am besten live beim zwanglosen Kaffee in der Innenstadt Hamburgs begutachten können, den ich tatsächlich auch ein paarmal angeboten habe - und den am Ende keiner haben wollte. Weil ich aus Sicherheitsgründen die Notwendigkeit sah, immer mal wieder darauf hinzuweisen, dass ich nicht zwingend auf der Suche nach einer festen Beziehung bin. Und damit wurde ich zur Wackelkandidatin. Warum Zeit vertun? Und Benzin verfahren? Warum ein Spaziergang an der Alster mit einer Frau, die man auf den ersten Blick zwar attraktiv findet, der dann aber womöglich zu keiner anhaltenden Verbindung führt? Was, wenn die dann den Nerv hat, und nicht mehr will? Was in der normalen Welt normal wäre, hat hier offenbar seine Gültigkeit mitunter total verloren. Auf Dating-Portalen soll die große Befreiung aus der Einsamkeit trotz allen seelischen Drucks offenbar doch gefälligst im Katalog bestellbar sein und frei Haus geliefert werden. Für Entwicklung ist keine Zeit. Keine Zeit, KEINE ZEIT! Ironischerweise sind auf diese Art für so manchen Suchenden offenkundig bereits etliche Jahre der Erfolglosigkeit ins Land gegangen, ohne dass er seine Taktik je überdacht hätte. Dass die eigentlich nicht klappen KANN, sieht man als Außenstehender natürlich vom Mond aus. Aber diese Männer sind wie Frauen, die seit einer Ewigkeit verbissen daran arbeiten, endlich schwanger zu werden: Man will ihn zurufen "Oft klappt's besser, wenn man schlicht aufgibt!".

Ein paar schienen am Anfang ganz normal und freundlich. Und dann hat man ihnen seine E-Mail-Adresse gegeben. Man denkt sich halt, wie gestört kann so ein Kinderarzt, der für eine internationale Hilfsorganisation arbeitet, schon sein? Die Antwort ist: Rette sich wer kann! Manchmal kommt der Wahnsinn halt erst auf den letzten Drücker zum Vorschein. Aber auf jeden Fall könnte ich mich mit eben jenem durchgeknallten Mediziner jetzt auch schon als zukünftige Ehegattin auf dem Weg nach Asien befinden - wäre es nach ihm gegangen. Die Abwicklung solcher Missgriffe ist halt auch kein Vergnügen, besonders dann nicht, wenn man auch hier noch immer zivilisiert bleiben möchte.

Sexseiten sind ehrlicher.

Klar sind sie auch ein wenig, wie soll man es sagen, nun ja: erwartungsgemäß schmierig und gewöhnungsbedürftig. Bei Secret.de tragen alle Fotos alberne, venezianische Masken, die kaum verbergen, wer sich dahinter versteckt. Bei Fettliebhaber.de geht es mitunter deutlich unverhüllter zu - das ist nicht immer hübsch. Aber wo sonst kriegt man innerhalb von ein paar Stunden mehrfach Sex angeboten, von Männern, die erheblich jünger sind als man selbst, aber schlicht auf dicke und "reifere" Frauen im Bett stehen? Wo laufen einem sonst schon 25jährige BWL-Studenten über den Weg, die es einem gern mal so richtig gemütlich machen würden? Und die wollen erstaunlicherweise vorher noch nicht einmal ein "Ganzkörperfoto" sehen, sondern schlagen gleich vor, sich bei Gelegenheit zu treffen, um sich zu beschnuppern! Womöglich bekäme man von denen am Ende des Tages sogar beides: Kaffee UND Sex! Wie bei der Vorstellung von Rebecca Weisteins "Fat Sex" beschrieben, können solche Kontakte das sexuelle Selbstbewusstsein dicker Frauen vermutlich durchaus voranbringen - solange sie selbstbestimmt und mit entsprechendem Sicherheitsbewusstsein an die Sache herangehen. Gut, ich habe jetzt keines der Angebote angenommen, sondern mich in mütterlichem Ton bedankt und verkrümelt. Allerdings scheint mir das Internet hier bei Bedarf recht zielführend. ; )

Und was mache ich nun? Ich bleibe entgegen aller Empfehlungen, die in einschlägigen Ratgebern zu finden sind, doch einfach noch einmal für ein Weilchen hier sitzen und warte ab. Vielleicht kommt er ja doch noch vorbeigeritten. Der Rockstar in der Rüstung. Vermutlich klemmt nur das Visier, und er ist in die falsche Richtung unterwegs. In einer Stretch-Limo hätte er wahrscheinlich weniger Probleme.



*Die aber nachträglich betrachtet vermutlich eine Extraladung Anmache verhindert, und so die Erfahrung, die ich auf den Portalen gemacht habe, sowie den von mir gewonnenen Eindruck entscheidend beeinflusst hat.

NH