Freitag, 11. Oktober 2013

Katzentisch


 
 
Der Fisch (ich) und die Fahrräder*
 
Ich hatte ja schon ganz vergessen, dass das Profil bei rubensfan.de überhaupt noch existiert. Und dann schrieb mich plötzlich ein Gesamtschullehrer aus dem hohen Norden an. Was dann kam, war ganz und gar meine Schuld. Ich hätte auf meinen Bauch hören müssen. Und mein Bauch sagt mir grundsätzlich, man sollte sich für potentiell romantische Zwecke überhaupt nicht mit Männern befassen, die einem äußerlich nicht so richtig zusagen. Oberflächlichkeit ist Trumpf. Es ist vielleicht edel, Zwerg Nase eine Chance geben zu wollen, und auf einen charmanten, schillernden Kern zu hoffen, der alles, was außen stört, wieder rausreißt. Bei optisch angenehmen Herren jedoch hat man, was böse Überraschungen angeht, immer von Anfang an wenigstens ein Schaf im Trockenen. Der Typ kann im schlimmsten Falle nur noch ein Langweiler und Idiot sein - aber zumindest nicht plötzlich unansehnlich. Im anschließenden Telefonat stellte sich heraus, dass der farblose Deutschlehrer nicht gerne liest (außer Focus Online), weil er sich ja „in der Schule schon so viel mit Büchern befassen muss“. Und meine Frage nach seinem Lieblingsbuch bezeichnete er als „dämlich“.
 
Erstens erfüllte mich die flachgeistige Quälerei natürlich mit großer Zuversicht, was die Qualitätssicherung im deutschen Bildungswesen angeht und zweitens mit einem leichten Groll, der sich bis zum kommenden Vormittag hielt, als ich versetzt wurde, weil einer das Wochenende ausschließlich mit seinem Kind verbringen will, nachdem er die zwei Monate zuvor eine Million Stunden pro Tag / zehntausend Tage die Woche gearbeitet hat. Resultat: Ab sofort gibt es wirklich keinen Grund mehr für ihn, noch einmal unangekündigt mit einem Picknickkorb voller Kaviar und wehender Krawatte um die Ecke zu kommen. Ich habe ihn von der Shortlist gestrichen. Aber nicht, ohne ihm vorher viel Glück mit dem für seinen Erben zuständigen Lehrpersonal zu wünschen. Kann ja auch leicht mal schiefgehen…s.o.
 
Wie es der Zufall wollte, erreichte mich um Mitternacht noch eine Anfrage – diesmal von einem Herrn aus Sachsen, der wissen wollte, ob ich auf Pferdeschwänze stünde. Und ich, vergnatzt, gekränkt, vernachlässigt und mit der Gesamtsituation verdammt unzufrieden, dachte mir, wenn der geradezu darum bettelt – bitteschön. Was denken sich so grässliche Typen überhaupt? Und machen die mit ihren einfältigen Maschen eigentlich jemals günstige Erfahrungen? Wie müssten positive Reaktionen hier wohl aussehen? Lobhudelei fürs überwucherte Genital, von dem man sodann eine Nahaufnahme erhält? Oder jungfräulicher Schreck und Empörung, weil sich rausstellt, dass der Pferdeschwanz (Schockschwerenot!!!) nicht am Hinterkopf sitzt? Ich nehme so etwas ja dann gern mal sportlich und halte es mit Eminem: „I'm Hannibal Lecter, so just in case you're thinking of saving face, you ain't gonna have no face to save by the time I'm through with this place.“** Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Es gab schon Kandidaten, die haben ihr Konto gleich ganz gelöscht, nachdem sie den unklugen Schritt gemacht hatten, mir eine schmierige Nachricht zu schicken. Wobei das ja ohnehin auch zumeist solche sind, die kein Profilfoto (also kein Gesicht gezeigt) hatten.
 
Und dann ist da ja noch DAS EI. Das Ei ist mir eine Freude. Ich wandere gelegentlich auf Zehenspitzen um seinen Sockel herum und bewundere die eigentümlich schöne Zeichnung. Manchmal nehme ich ein Taschentuch, hauche drauf, poliere die Oberfläche ein wenig und frage mich, ob man mich wohl durch die Schale sieht, wie durch einen Verhörspiegel. Hin und wieder, wenn man es antippt, murmelt es tief im Innern. Meine Wünsche an den Bewohner sind zugegebenermaßen eher ausladend. Meine Erwartungen hingegen klitzeklein. Seiner Natur gemäß bewegt sich das Ei nicht vom Fleck.
....
 
Und so stand ich dann allein in der Bar des Goldenen Hirschen und bat um einen Tisch für eine Person.
 
 
Dinner for one
 
Es soll Frauen geben, die so tun, als würden sie telefonieren, wenn sie allein an einem Tisch im Restaurant sitzen müssen. Bücher und Zeitschriften mitzubringen, ist scheinbar nicht mehr ganz so angesagt – schließlich wolle frau ja nicht so erscheinen, als mache es ihr tatsächlich etwas aus, allein zu essen, oder als würde sie sich ohne Gegenüber langweilen. In einem Ratgeber las ich dann auch den Tipp, sich auf einem Block Notizen zu machen – dann würden einen alle für eine Restaurantkritikerin halten. Und die dürfen ohne Anhang im Restaurant sein. Offenbar gehen viele geschäftsreisende Frauen lieber gar nicht zum Abendessen aus dem Hotel, sondern bestellen sich ihr Abendbrot aufs Zimmer. Es gibt allerdings mittlerweile auch Agenturen, die Frauen, die es nicht ertragen, allein außerhäusig zu essen, zusammenbringt. Dann essen sie gemeinsam, damit sie niemand für traurige, einsame, alte Jungfern hält. Denn der Verdacht ist, dass die Umwelt einen genauso einordnet: versetzt von einem Kerl, oder gleich ganz versetzt vom Leben an sich. 

Ein Mantra, das man leicht selbst verinnerlicht, zumal es an jenem Abend ja sogar der Wahrheit entsprach – also das mit der Versetzung. Man tritt über die Schwelle des Lokals und denkt: Was stimmt eigentlich nicht mit dir, dass da keiner ist, der mit dir isst? Man sieht die Überraschung im Gesicht der Bedienung, die nicht verbergen kann, dass sie ganz klar kurz überlegen muss, ob sie mir allein einen Tisch überlassen kann, an dem eigentlich ganze vier Mäuler für Umsatz sorgen könnten. Und die bereits anwesenden Gäste recken fast unmerklich aber doch nicht unbemerkt die Hälse, als die dicke Dame sich setzt und um sie herum das überflüssige Besteck abgeräumt wird.

Frauen und Nahrungsaufnahme – das ist ja ohnehin oft schon eine schwierige Kombination. Die Aufgabenstellung ist also vielfältig. Essen, was man will, bis man satt ist, ohne im Kopf zu zensieren (die einzigen Regeln des intuitiven Essens). Als dicke Dame. In der Öffentlichkeit. Allein. In einer Umgebung, in der man nicht in der Menge untergeht und alle Anwesenden im Raum einem sozusagen auf den Teller starren könnten. Wenn sie wollten. Da werden ganz schön viele Kümmernisse und potentielle Peinlichkeiten auf einmal abgeklopft und abgehandelt. Ich bestelle dann auch gleich einen Chardonnay (keinen Chianti!), als ich endlich an der Reihe bin, und das bin ich als Einzelgast erst eine ganze Weile später als andere, die nach mir gekommen sind. Gruppen und Paare haben hier offenbar weniger Schwierigkeiten, an ihren Alkohol zu kommen. Meine Menüfolge sieht an jenem Abend aus wie folgt: Kürbissuppe, Caesar Salad, schwarze Bandnudeln mit Garnelen, Crème Brûlée mit gebratenen Pfirsichen, Milchkaffee…Die anderen kriegen übrigens auch alle viel früher ihren Brotkorb. Egal, wie aufmunternd ich der hin- und herlaufenden Bedienung auch zulächle. WO BITTE BLEIBT MEIN BROTKORB?!

Abgesehen davon, dass ich mir tatsächlich über den Verlauf des Abends auf meinem Tablet Notizen mache und in den Pausen zwischen den Gängen hin und wieder meine E-Mails überprüfe, ist das Essen diesmal eine Übung in Achtsamkeit. Wenn einem niemand gegenübersitzt, der einen Großteil der Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, nimmt man alles andere wahr. Die anfängliche Unbehaglichkeit, von der man vor der Tür ja nicht erwartet hätte, dass sie doch so lange anwesend sein würde. Man sieht sich sein Essen genauer an. Die Farbe der Suppe ist wunderhübsch. (Meine eigene Kürbissuppe schmeckt mir etwas besser, ist aber dafür eher grau als gelb. Das liegt natürlich am Rotwein, den ich hineinschütte ; )). Man riecht und schmeckt mehr. Man isst langsamer, kaut gründlicher, fühlt sich weniger voll und nimmt die eigenen Handbewegungen wahr, die bestimmt weniger hektisch sind. Was mich betrifft, so bin ich am Ende ganz überrascht, dass ich nicht einmal etwas verschütte oder verkleckere, denn das passiert mir in Gesellschaft fast immer. Man spielt mit dem Salat zwischen den Zähnen und denkt: „Jetzt zieh bloß keine Grimassen“. Und zieht vermutlich Grimassen. Dann sieht man aus dem Fenster und denkt: „Vielleicht gehe ich heute doch noch zum Friedhof.“

Natürlich wird auch das Bild der Umgebung schärfer. Spinnenweben in den Lampen. Man zählt die Hirsche, die im Goldenen Hirschen herumstehen. Und man stellt fest, dass man ja Nachbarn am Nebentisch hat. In meinem Fall eine in der Gegend nicht unbekannte, grelle Geschäftsfrau. Neben ihr sitzt ihre Hermès-Tasche. Ihr gegenüber ein befreundetes Paar. Ohne es zu wollen, bin ich nun im Bilde über ihre Bauspeicheldrüse, ihre schwere Kindheit, sowie ihre monströsen Tischmanieren. Außerdem verwendet sie gern und oft und laut das Präfix „Arsch-“ (wie in „arschteuer“). Ach ja, und ihr neues Bett hat offenbar 6900 Euro gekostet. Als sie aufs Klo geht, tuschelt das verbliebene Paar über sie. Das kann Alleinesserinnen nicht passieren.

Ich klopfe derweil vergnügt die goldene Schale meiner Crème Brûlée*** auf, horche, wie sie leise zersplittert und bin inzwischen ausgesprochen zufrieden mit mir. Die Bedienung scheinbar auch. Die wird am Ende immer freundlicher – vermutlich, weil sie meinen Tisch offenbar ohne mich doch nicht mehr gefüllt hätte, und ich allein doch so schön viel verputzt habe.

Mutprobe bestanden. Prüfung des Abends in Selbstakzeptanz, Selbstbewusstsein und Sich-selbst-genug-sein erfolgreich abgelegt. Lebe so, als ob niemand zusieht. Das zumindest konnte man auch vom Nebentisch lernen. ; )
 
NH


 
*Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad (Anonym, Graffito, USA, 1979)
 
**Ich bin Hannibal Lecter, und falls du die Absicht haben solltest, dein Gesicht nicht zu verlieren: du wirst kein Gesicht mehr haben, das du retten kannst, wenn ich hier fertig bin.
 
***Die beste, die ich je hatte!