Dienstag, 18. März 2014

Wo laufen sie denn hin...

Allein, allein...

...die dicken Frauen? Die Antwort ist: Überall und nirgendwohin.

Ein Bekannter hat mich vor ein paar Tagen gefragt, wie es denn nun so sei mit meinem Support-Netzwerk aus dicken Frauen, "die sich gegenseitig Mut zusprechen"? Ist es hilfreich? Geht es da kämpferisch zu? Stimme und Gesichtsausdruck machten klar, dass er an  nichts von all dem glaubt. Er hält mich und die universelle Empörtheit die ich grundsätzlich mit mir herumtrage vermutlich ohnehin einerseits für wunderlich/lustig und andererseits für tragisch verrannt. Und ahnt im Hinblick auf die dicken Frauen, was auch stimmt. Die meisten Leute sind weder Aktivisten noch besonders rebellisch. Und selbst dicke Frauen sind nicht automatisch sauer über die eigene Diskriminierung.

Ich höre ja auch nie auf, auf Dinge wütend zu sein, so lange sie so bleiben, wie sie waren, als sie mich zum ersten Mal wütend machten. Ich bin eine ganz schlechte Verdrängerin. Und eine noch viel schlechtere Es-jetzt-endlich-mal-gut-sein-Lasserin. Wenn etwas genauso schlecht ist wie vormals, kann man es doch nicht gut sein lassen. Und kommt mir BLOSS NICHT mit "die Einstellung ändern". Wie soll das gehen, bitte schön? Wie ändere ich meine Einstellung zu..., na sagen wir mal z.B. der Steinigung von Vergewaltigungsopfern im Sudan? Ach, das ist weit weg und weit hergeholt? Aber mein Körper und die tägliche, mediale Häme und Verächtlichmachung von Körpern wie meinem, sind ganz nah dran. Sich hier darüber öffentlich zu bescherden wäre obendrein - im Vergleich - ausgesprochen risikoarm.

Und trotzdem - bei Dickenstammtischen, Frauengruppen und in Internetforen wird weiterhin eher angeregt über die Vorteile von Bolero-Jäckchen zur Abdeckung der flappigen Ärmchen gefachsimpelt. Das heißt, dann, wenn es einigermaßen gut läuft. Von Deutschlands Dicken Seiten bin ich seinerzeit nach einer Diskussion über Beth Ditto und ihre Nacktbilder geflohen, weil diese bei einigen der ruppigen Diskutantinnen mal wieder so viel Selbst- und Dickenhass freilegte, dass es schlicht nicht mehr zu ertragen war - und seinesgleichen auf Diätforen vermutlich sucht. Die Lehre ist und bleibt: In welche Gesellschaft man sich als dicke Selbstakzeptanz-Novizin begibt, ist ziemlich wichtig, und beim leisesten Hauch von leicht angebittertem Verharren und Körpernegativität sollte man schleunigst die Biege machen, denn das ist das Letzte was man gerade braucht. Grundsätzlich ist es ja ohnehin meine Erfahrung, dass dicke Cliquen es auch nicht leichter oder vielleicht noch schwerer für neue Mitglieder machen, ihren Platz zu finden. Sei es die Kaffeklatschrunde oder eine Ü100-Party - statt sich sichtbar zu machen und sich vernehmlich und erkennbar zu öffnen, schottet man sich scheinbar doch lieber ab. Das ist Teil des Problems. Und übrigens auch eine Frage von Solidarität.

Vielleicht fehlt es halt wirklich an Vorbildern und Vorkämpferinnen. Wenn man medial hierzulande als dicke Frau in der Hauptsache von Christine Neubauer und Barbara Schöneberger vertreten wird, ist es kein Wunder, dass einem der Weg steinig und einsam vorkommt. Ich sehe nirgendwo Vertreterinnen von Dicken-Verbänden oder Aktivistinnen (die es ja durchaus gibt) in der Zeitung oder in Magazinen - und meine Vermutung ist, sie bevölkern auch nicht wie verrückt die abendlichen Talkshows im Fernsehen. Natürlich findet man dicke, kampflustige und engagierte Frauen im Internet - weil man da immer alles leichter und in größeren Mengen findet. Für einen kurzen Augenblick könnte man anfangs den Eindruck bekommen, es würde nur so von ihnen wimmeln. Wenn man nachzählt, stellt man schnell fest, dass man es wohl doch nur mit ein paar Dutzend fortgesetzt präsenten Mitstreiterinnen weltweit zu tun hat.

Denn leider ist die Internetwelt des Fettaktivismus nicht immer sehr nachhaltig oder beständig. Viele Links sind tot und führen zu Seiten, auf denen heute Google-Anzeigen für Diäten werben. Oft ist der letzte Blog-Eintrag vor Ewigkeiten eingestellt worden. Selbst Fettakzeptanz-Flaggschiffe wie Kate Harding ermüden und versinken. Ihr Fettakzeptanz-Blog "Shapely Prose" ist bereits 2010 geschlossen worden. Der letzte Eintrag auf ihrer offiziellen Seite ist vom März 2013. Wenigstens twittert sie noch. Und es gab wohl irgendeine Zusammenarbeit mit jezebel.com. Und irgendwann soll ein Buch über Vergewaltigungskultur erscheinen. Ach, und von Rebecca Jane Weinstein, deren Buch "Fat Sex" mir eine so große Hilfe war, habe ich auch lange nichts mehr gehört. Scheinbar ist/war sie Autorin bei xojane.com, aber ihr letzter Artikel dort ist auch über ein Jahr alt. Die von ihr gegründete Website peopleofsize.com liegt seit 2011 mehr oder weniger brach. Zumindest soll im Oktober 2014 ihr zweites Buch "Fat Kids" erscheinen - durch Spenden finanziert. Jetzt, wo ich gerade davon rede - wieso kriege ich eigentlich gar keine E-Mails von Golda Poretsky mehr? Na, vielleicht hat sie zu viel mit ihren Internetkursen zu tun. Ich hoffe es für sie.

Wenn ich das deutsche Wort "Fettaktivismus" bei Google eingebe, lande ich erst einmal bei mir selbst. Und dann dankenswerterweise auch noch bei der Mädchenmannschaft. Auf diese Weise auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, macht die Sache auch nicht unbedingt spannender. Ich weiß, dass das Auflehnung gegen Normen verdammt schlauchen kann. Ich begreife natürlich auch, dass man davon als Autorin/Publizistin nicht reich wird, bzw. dazu buttert und einem im Leben zusätzlich dauernd etwas zwischen die Füße fliegt, was jetzt gerade wichtiger ist, als gesellschaftliche Veränderung. Aber es ist auch, wie mein Vater (und wahrscheinlich alle anderen Väter) immer sagte: Wenn man nichts ändert, geht's einem noch zu gut.

Was immer geht, ist Fa(t)shion. Klar.

Es sind die dicken Modebloggerinnen, die immer weiter am Ball bleiben. Der Grund dafür könnte natürlich sein, dass Mode entschieden mehr Freude macht, als Gesellschaftskritik. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich persönlich kann das Wort "kurvig/curvy" nicht mehr sehen, und das liegt natürlich weiterhin daran, dass ich als dicke Frau nicht die Erlaubnis erteilt bekommen will "auch hübsch" oder "fast so hübsch als wäre ich nicht dick" zu sein. Ich will erstens dass "Hübschsein" im konventionellen Sinne kein Kriterium mehr ist und zweitens Hilfe bei meiner Neuerfindung und die Anerkenntnis, dass Dicksein an sich eine eigene ästhetische Qualität hat.

Irgendwo las ich neulich das Motto "Klasse (gemeint ist: große) Kleider für klasse (gemeint ist: dicke) Frauen". Bei solch plumpen Euphemismen fühle ich mich ja immer, als wäre ich mit einem kumpelhaften Schlag auf die Schulter durch die nächste Glastür geschubst worden. Ich will nicht kaschieren. Ich will nicht verhängen. Ich will nicht verschlanken. Ich will nicht strecken. Ich will schlicht nie mehr so tun, als wäre ich "normal". Ich will gar nicht mehr "normal" sein. Ich verstehe das Bedürfnis der Anpassung - vor allem bei jungen Frauen. Aber ich bin SO OVER IT, und dass das wirklich so ist, wurde mir während eines Gespräches klar, in dem ich gefragt wurde, ob es denn wirklich möglich sei, eine lebenslange Programmierung auf ein schlankes Schönheitsideal innerhalb von kapp zwei Jahren abzulösen. Ich sagte: Ja! Ein paar Stunden später stellte ich dann zu meinem eigenen Erstaunen fest, dass das auch stimmt. ; ) Ich finde dicke Frauenkörper schön(er) und interessant(er), und ich gucke sie mir gerne an. Fatshion macht so einiges möglich. Allerdings nur (und ich weiß, ich wiederhole mich), wenn sie (die Körper) von ihren Besitzerinnen mit einer bestimmten inneren Haltung und Selbstverständnis präsentiert werden. Und - juhuu - das heißt also, dass ich auch meinen Körper schön und interessant finde. Nicht überall. Nicht immerzu. Aber immer öfter.

Und jetzt? Ein Asos Curve Haul darf nicht das einzige sein, was am Ende des Tages bleibt. Denn das kann doch ehrlich nicht unser Ernst sein.


NH