Samstag, 13. Juni 2015

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I still know what you ate last week*

Doch, ich komme schon klar. Und immer ein wenig besser. Ohne Fleisch, Eier und Milch auszukommen ist für mich auf jeden Fall sehr viel leichter, als ohne Kohlenhydrate. Das ist und bleibt ein entscheidendes Hindernis. Inzwischen finde ich im Supermarkt sogar vieles, was vegan ist, ohne dass es draufsteht. Was für mich wirklich nicht funktioniert, ist Käseersatz. Um genau zu sein, wird mir davon bei größeren Mengen sogar ein wenig übel. Irgendjemand riet, Aufläufe mit Mandelmus zu überbacken. Ich bin skeptisch - und, herrje!, ist das Zeug teuer. Wieder mehr selber zu kochen, führt weiterhin regelmäßig zu Küchenexplosionen. Ich time jetzt die Aufräumarbeiten, um sie im Spiel gegen die Uhr etwas "sportlicher" zu gestalten. Trotzdem muss das Problem anders gelöst werden. Im Augenblick spiele ich mit der Idee, mich im "Meal prepping", also im Vorkochen für eine halbe oder ganze Woche zu versuchen.

Tatsache ist: Wenn man sich erst einmal mit den Hintergründen zur Produktion von Eiern und Milch (auch bei Bio-Betrieben) beschäftigt hat, gibt es eigentlich kein Zurück mehr. Offenbar ist es fast humaner, die Tiere zu essen, als ihre Produkte.

Rentnerinnenalltag



Samstag. Spät aufgestanden, in olle Kleider gestiegen und auf zum Friedhof.

Eigentlich wollte ich vorher noch staubsaugen. Staubsaugen und auf dem Friedhof Steine verlegen - das waren die zwei wichtigsten weil unerquicklichsten und damit schwierigsten Ziele für dieses Wochenende. Ich hasse es aus vollster Seele zu staubsaugen. Weil man immerzu irgendwo hängen- oder steckenbleibt. Irgendwo gegen fährt. Oder irgendwas umreißt. Oder das Kabel nicht reicht. Oder der Beutel voll ist. All das macht es zu so einer wahnsinnig kraftvollen Metapher für meine Wahrnehmung des Lebens und seiner Widerstände an sich, dass ich erstaunliche Aggressionen entwickeln kann, sobald ich die Staubsaugmaschine nur anwerfe. Aber das ist ja nichts Neues - nichts ist hier jemals einfach.

Zumindest ist nun das Grab meiner Mutter mit Steinen umrandet. Offenbar ist das jetzt große Mode und gehört sich regelrecht so, weil es mittlerweile alle so machen. Und man muss nicht glauben, dass keiner darauf achtet, was sich auf Nachbarsgräbern tut. Da wird ganz genau beobachtet, ob einer überhaupt noch mit angemessener Mühe betrauert wird, also ob sich überhaupt noch jemand um das Grab kümmert. Andererseits soll natürlich auch Ordnung herrschen. Auch der Nachbar meiner Mutter hatte plötzlich ein zackig-eckiges Mäuerchen, bei dessen Anlage der Rasen zwischen den Gräbern mir nichts dir nichts abgestochen wurde, eine Senkung entstand und so nun bei Regen die Erde in Form von Matsch ohne Halt auf das Grab meiner Mutter floss.

Meine Mutter hatte ja immer eher eine für Friedhöfe untypische Bepflanzung. Keine Stiemütterchen im Frühling. Keine Tannenabdeckung und Gestecke im Winter. Weil ich weiß, dass sie mir ein solches Gesteck um die Ohren hauen würde, wenn sie könnte. Aber nun hat auch sie so eine ortsübliche Grundstücksbegrenzung. Damit klar ist, wo wer anfängt und aufhört.

Es hört nie auf - das mit den Nachbarn aus der Hölle.

Gentrification reversed**

Apropos.

Ich wohne in einer sogenannten "Villengegend". Wohlgemerkt: Ich selbst wohne in gelbem Klinker mit Flachdach aus den siebziger Jahren. Es hat aber natürlich ganz klare Vorteile, bei den reichen Leuten im Wald zu wohnen, weil es bei denen in der Regel ruhiger, grüner und großzügiger ist, als an anderen Orten. Und ich brauche ruhig, grün und großzügig, weil ich hochneurotisch und hypersensibel bin und eine sehr geringe Toleranzschwelle für alles habe, was anders als grün, ruhig und großzügig ist. Besonders in langfristiger Hinsicht. Das ist nun einmal einfach so.

Als ich jedoch heute auf dem Weg zum Friedhof und deswegen ohnehin schon angepisst war, kam ich mal wieder kaum aus meiner eigenen Straße raus. Die führt auf die Haupteinkaufsstraße, also die mit dem kleinen Supermarkt, dem Bäcker, dem Fleischer, dem Frisör, dem Tabakladen, den Ärzten und den zwei Apotheken. Dass sich in einem Ort dieser Größe zwei Apotheken halten, liegt vermutlich weitgehend daran, dass die hier lebenden reichen Leute in großer Zahl auch schon ziemlich alt sind. Die Straße mit den Geschäften versinkt jeden Morgen im Chaos, denn es gibt zu wenig Parkplätze für zu viele Menschen in großen Autos, von denen zwar fast alle denken, ihnen gehört die Welt, aber von denen bei Weitem nicht alle ihre Panzer so besonders sicher navigieren können.

Es ist ein täglicher Kampf, der aber vormals vorbei war, sobald man das Ende der Straße und damit wieder das Wohnviertel erreichte. Das ändert sich jetzt auf rapide und rabiate Weise. Denn wenn reiche alte Leute sterben, hinterlassen sie ihre großen Häuser und Gärten heutzutage Kindern, die es sich nicht mehr leisten können oder wollen, diese Häuser zu (er)halten. Aus Parks werden Parzellen. Und während sich die neuen Bewohner der zuhauf hingeklatschten Toskanavillen zwar noch immer einen Geländewagen, einen Mini und ein Wohnmobil leisten können, fehlt ihnen offenbar nicht selten das Geld für den Grund, der nötig wäre, um die Vehikel nicht allesamt auf der Straße abzustellen zu müssen. Das wiederum macht mein Leben zunehmend schwierig und ärgerlich. Es regt mich auf, Slalom fahren zu müssen. Es regt mich auf, minutenlang warten zu müssen, bis sich nun auch auf allen anderen Durchgangsstraßen im Dorf die Verkehrsknoten entwirren, die entstehen, wenn nicht mehr genug Lücken zum Ausweichen bleiben. Und Lücken lassen Menschen, die glauben, dass ihnen alles auf dem Planeten zusteht, ohnehin nicht gern. Es gibt in meiner Nachbarschaft mittlerweile sogar solche, denen es nicht zu peinlich ist, auf öffentlichem Gelände Schilder zu platzieren, die lauthals verkünden: "Land Rover Parking Only". Arme Schlucker. Wahrer Reichtum ist Platz. In meiner Gegend sind es heute die mit dem verhältnismäßig kleinen, alten, roten Haus mit der geschmackvollen, kleinen, weißen Veranda am Ende der 200 Meter langen Einfahrt, die es wirklich geschafft haben.

Was sagt uns das nun alles? 1. Ich bin ein Snob mit einer Garage. 2. Ich bin oft spät dran. 3. Ich ertrage es nicht, wenn mir andere im Weg herumstehen. 4. Ich ertrage es nicht, dass man noch so sorgfältig entscheiden und planen kann, wo man hinzieht, und die Realität einem dann doch die Straßen des eigenen Heimatortes verstopft. 5. Ich ertrage dieser Tage so gut wie gar nichts. 6. Menschen in guten Gegenden sind mitunter sehr viel unangenehmer als woanders. Wer das hautnah bewiesen haben will, dem sei ein Info-Abend der hiesigen FDP empfohlen (don't ask how I got there). Für weitere soziale Studien in die Psyche überprivilegierter Hausfrauen bietet sich der jährlich stattfindende Ladies' Night Flohmarkt in der örtlichen Kirchengemeinde an. Die dort zu bestaunenden raffigen Kämpfe um abgelegte Designer-Kleidung sind ein verräterisches Spektakel der ganz eigenen Art. 7. Ich bin wahrscheinlich sehr viel mehr so wie die, als ich wirklich weiß und zugeben würde.

Die Krönung

Im Schlosspark am Ort findet heute und morgen einer dieser Landmärkte statt, wo man seit Jahrzehnten Pflanzen, immer die gleiche rostig-rustikale Gartendekoration, mit Rosen bedruckte Gummistiefel, mit Krönchen benähte Kissenhüllen, sowie selbstgemachte Seife, Marmelade, und Obstliköre erwerben kann. Und ja, ich besitze oder besaß aus jeder Kategorie mindestens einen Gegenstand, denn als meine Mutter noch lebte, besuchte ich mit ihr jährlich im Schnitt mindestens 4 solcher Veranstaltungen, wobei da die Weihnachtsmärkte noch gar nicht mitgerechnet sind. Bei einigen Märkten war es mittlerweile "Tradition", bzw. ein Ritual, das die jeweilige Jahreszeit einläutete. Und ich kann auch nicht sagen, dass ich nicht Freude an der zu solchen Gelegenheiten gebotenen idyllischen Karikatur von Landleben gehabt hätte. Den letzten von einer Landfrau zusammengebrauten Schlehenlikör aus dem Bestand meiner Mutter habe ich übrigens erst im letzten Jahr an einen Fußfetischisten "verfüttert" - vorm Füßebeschnüffeln und beim Tarotkartenlegen.

Kurzum, eigentlich hatte ich vor, da heute hinzugehen. Aber keiner wollte/konnte mit. Auch meine 77jährige Nachbarin nicht. Die hat zwischenzeitlich einen ihrer Verehrer abgesägt, und zwar den, der nicht, wie sie, auch das Jagdhorn bläst. In den Verbliebenen ist sie nun so verknallt und darum so fröhlich und voll mit zwitschernden Geschichten über die gemeinsamen Unternehmungen, dass ich ihr ständig eine runterhauen könnte. Er muss auch ausgesprochen verschossen sein, denn obwohl er mehr auf James Last steht, begleitet er sie nun in jedes Kirchenkonzert und jede provinzielle Freilicht-Opernaufführung, die auf ihrer Wunschliste steht.

Bei mir läuft bekanntlich gar nichts, wobei das bei den beiden wohl in zumindest einer ganz bestimmten Abteilung auch so ist...jahaaa, das sind die Informationen, bei denen man die Finger gar nicht schnell genug in die Ohren rammen und laut "Lalalala!" schreien kann. Jetzt wo sie so begehrt ist, gibt sie mir übrigens gern Beziehungstipps und vermutet ganz fachfraulich, dass ich mit Männern zu streng und anspruchsvoll bin, und darum keinen abbekomme...glückliche Leute sind einfach die Pest.

Nicht zum Landmarkt zu gehen, war am Ende dann doch ok, denn jetzt kommt es doch endlich - das Gewitter. Mein kluges Telefon behauptet übrigens noch immer, bei mir seien es 27 Grad und sonnig. Neulich stand ich an der Tankstelle und habe nur mal so aus Quatsch im Navigationssystem nach der nächsten Tankstelle gesucht - woraufhin es mich 21 km in eine andere Stadt weiterdirigieren wollte...soviel...dazu.


*Ich weiß noch immer, was du letzte Woche gegessen hast.

**Die Umkehrung der Gentrifizierung

NH