Samstag, 8. August 2015

Damenbart

I woke up one morning, I looked like Arafat!*

(Sophia, The Golden Girls)


Seit ich Anfang zwanzig bin, entferne ich mir die Haare über der Oberlippe. Genau genommen habe ich in Los Angeles damit angefangen. Die Epiliercreme (Surgi Cream) fürs Gesicht habe ich ein paar Jahre später, als ich wieder nach Deutschland zurückzog, quasi tonnenweise im Koffer importiert, weil es sowas Gutes in Deutschland nicht gab (und noch immer nicht gibt) - und das Internet mit seinen Einkaufsmöglichkeiten im Prinzip auch noch nicht so wirklich. Wann ich eigentlich begonnen habe, Achseln und Beine regelmäßig zu rasieren, weiß ich gar nicht mehr. Aber es muss vor meinem sechzehnten Geburtstag gewesen sein, weil ich nämlich beim Vorbereitungsseminar für das Austauschjahr in den USA ganz und gar nicht überrascht war, als man uns erklärte, genau das müssten wir dort tun, um nicht unangenehm aufzufallen. Die Karikatur der Europäerin an sich ist ja in den USA auch heute noch notorisch haarig. Vorbild fürs Rasieren war meine Mutter, klar. Die hatte sich, glaube ich schon immer die Haare an den Beinen entfernt. Ich erinnere mich auch noch an den beißenden Geruch ihrer Enthaarungscreme vor ein paar Jahrzehnten. 

Als ich vor über zwei Jahren begann, meine Bikinizone/meinen Unterleib wieder öfter herzuzeigen, gab es bei mir, wie immer in solchen Phasen, einen kompletten Kahlschlag - hauptsächlich fürs Gefühl, aber auch für die Optik. Denn ich finde meine Pussy so schöner. Dass ich abseits der Stoßzeiten nicht ganz so penibel bin, was ihre Enthaarung angeht, liegt daran, dass ich tatsächlich bis heute kein komplett wirksames Mittel gegen die anschließende Reizung der Haut gefunden habe. Gleich nach dem Rasieren Cortison aufzutragen, ist meiner Erfahrung nach noch immer die beste Lösung. Die Haare mit Wachs entfernen zu lassen, kommt nicht in Frage. Das muss man irgendwo machen lassen, und das ist mir - im wahrsten Sinne des Wortes - zu aufrissig. In den Tiefen meines Kleiderschrankes steht seit Jahren eine Wunderlichtmaschine zur Epilierung. Unbenutzt, denn sie macht mir irgendwie Angst.

Die Männer, die mir in jüngerer Vergangenheit so begegnet sind, teilen diese Vorliebe für haarlose Unterwelten übrigens zu einem erstaunlich hohen Anteil nicht. Auch das ist offenbar nur wieder einer dieser Mythen über das, was Männer angeblich von Frauen wollen. (Denen fallen ja auch gern immer und immer wieder Feministinnen anheim.**) Eine ganze Reihe sprach sich für üppiges Buschland aus, und ich hatte sogar ein, zwei Anfragen, ob im Hinblick auf eine Langzeitpespektive für unsere Verbindung nicht vielleicht auch das Muschihaar in der gemeinsamen Zukunft wieder länger werden dürfte. 

Darf es nicht. Und was noch hinzu kommt: Wenn ich in nahen Kontakt mit männlichen Unterleibern komme, ist es mir seit jeher sehr, sehr, sehr viel lieber, diese sind rasiert oder zumindest sorgfältig getrimmt.Tatsächlich ist das langfristg eine echte Forderung, die ich an einen Partner habe. Wenn ich es mir aussuchen kann, ist mir auch sonst überall weniger Haar lieber. Achseln, Beine, Rücken, Brust, Gesicht - glatt und frisch poliert macht mir grundsätzlich mehr Freude als stoppelig oder flaumig. Ich habe überdies auch durchaus nichts gegen kurz geschorene Köpfe, die fühlen sich nämlich wirklich gut an.

Ist es unfeministisch, seine Körperhaare zu entfernen?

Insbesondere Achselhaare sind ein neues/altes Symbol für weibliche Rebellion gegen gängige Körper- und Weiblichkeitsnormen. Twitter (#hairyarmpits) und Instagram sind gegenwärtig voll mit Selfies, auf denen zum Teil buntgefärbtes, aber auf jeden Fall unbeschnittenes obwohl weibliches Achselhaar stolz präsentiert wird. Und Madonna als Trendsetterin machte selbstverständlich bereits im letzten Jahr mit ihren Achseln Schlagzeilen.

Ich gebe zu, dass ich noch immer gelegentlich zusammenzucke, wenn ich plötzlich Haare unter Achseln oder unter Feinstrumpfhosen sehe. Aber ich weiß, dass das mein eigenes Problem ist, und nicht das der Achselhaarträgerin. Haarlosigkeit ist ein sich immer weiter durchsetzender und immer mehr verpflichtend werdender Körperstandard, der sich eher zufällig mit meinen persönlichen Präferenzen deckt. 

Trotzdem ist mir natürlich bewusst, dass der Zwang, seinen natürlichen Körper auf bestimmte Weise zu bearbeiten und herzurichten, im Hinblick auf Körperbehaarung für viele andere auch genau das ist - ein gesellschaftlich erzeugter Zwang und dem entsprechend eine Belastung. Das ist falsch und unfair. Schließlich geht es mir mit meinem Körperfett genauso. Das soll ja auch immer weg, wenn man die Gesellschaft fragt. Wie wir hier am Strand dazu stehen, dürfte klar sein: Jeder muss das Recht haben, so zu bleiben, wie er ist, oder sich äußerlich so zu verändern, wie er will, ohne Häme, Verunglimpfung und Diskriminierung fürchten zu müssen.

Es ist immer schwer, der gesellschaftlichen Forderung, den Körper gewissen Normen entsprechend zu gestalten und unter Kontrolle zu bringen, etwas entgegenzusetzen. Schließlich geht es dabei stets um nicht weniger, als darum "nachzuweisen", dass frau auch wirklich weiblich ist. Die Drohung, dass einer der Status "richtige" Frau entzogen werden könnte, wenn frau sich nicht an einen Haufen von Körper- und Verhaltensregeln hält, hängt schließlich immerzu über unseren Köpfen. Das muss man erst einmal aushalten. Am Ende ist es eben auch diese Drohung, die Frauen daran hindert, sich selbst als "Feministin" zu bezeichnen. Oder die Haare schlicht da zu lassen, wo sie sind, wenn sie eigentlich gar keine Lust mehr dazu haben, sich zu rasieren. 

Die Perlen an der absurden Kette der Disqualifizierung sind ohnehin immer die gleichen: Weiblichen Körperstandards nicht entsprechend + kämpferisch/selbstbestimmt = Lesbe = Feministin = unweiblich.

Damenbart

Ich glaube, ich war wohl Anfang dreißig, als ich die ersten zwei drahtigen, dunklen und stets rasant nachwachsenden Stoppeln an meinem Kinn fand. Das fiel zeitlich ungefähr mit der Entdeckung einiger langer an meinen Brustwarzen sprießenden Haaren zusammen. Mittlerweile sind es am Kinn ungefähr ein Dutzend. Haare im Gesicht stehen natürlich ganz besonders stark für "Vermannweiblichung". Und wenn ich sie für ein paar Tage nicht mit einer Pinzette wegzupfe, werden sie schnell - zumindest in meiner eigenen Wahrnehmung - deutlich sichtbar. Darüber bin ich nicht wirklich froh. Aber manchmal habe ich wenig Zeit und finde es zu mühsam, meine Barthaare zu bearbeiten. Und dann gehe ich neuerdings einfach so vor die Tür. Das ist dann quasi meine eigene, gelegentliche Übung in haariger Selbstakzeptanz und selbstbewusster "Unweiblichkeit".


*Eines Morgens bin ich aufgewacht und sah aus wie Arafat.



**Ach, und für alle, die es zusätzlich noch interessiert: Mein Blog-Post zum Thema Körperhaare von 2008. Er war eine Antwort auf einen Artikel in der Emma, in dem der Enthaarungszwang auf, wie ich fand, falschen Prämissen basierend kritisiert wurde:

Regula Stämpfli ist dagegen. Sie findet, die Intimrasur ist ein Politikum: „Im Zeitalter der Bio-Politiken rückt der nackte Körper ins Zentrum. Immer mehr Menschen entledigen sich ihrer Scham(haare).“ Daher fordert sie, das Schamhaar – und damit offenbar auch die Scham – sollen bleiben, wo sie sind – und vielleicht auch noch möglichst schön buschig. Im Zuge der in die Jahre gekommenen PorNO-Kampagne der EMMA, wird in der aktuellen Ausgabe auf zwei Seiten unter der verwirrenden Überschrift „Politisch Korrekt? – Die Scham ist vorbei“ mal wieder gewettert – gegen die Pornographisierung der Kultur, der Gesellschaft, der Welt, die sich natürlich in letzter Instanz am Körper der Frau vollzieht. Da wird hergezogen, nicht nur über das Rasieren von Schamhaaren, sondern natürlich auch über Brüste, „rausgestreckte Ärsche“ und „Plusterlippen“. Da wird verächtlich über „Nuttenlook“ gelästert, so dass man sich als EMMA-Leserin plötzlich vorkommt, als wäre man in einer Nachmittgastalkshow zu Gast (Thema: Du siehst aus wie ein Flittchen – Zieh dir was an!). Besonders unschön wird es, als Regula Stämpfli ihr offenbar bekannten Müttern, die sonst „jeden Kindervergewaltiger am liebsten kastrieren möchten“, vorwirft, ihre Töchter „als Mini-Playboyhäschen“ herzurichten, weil sie den Mädchen erlauben, T-shirts mit Bunny-Logo zu tragen. In der guten alten Zeit des Feminismus war es ja noch so – da galt der Grundsatz, dass eine Frau/ein Mädchen anhaben darf, was sie/es will und dass kein Mann aus der Kleidung oder der Aufmachung einer Frau irgendwelche Rechte herleiten durfte. Insofern dürften sich T-shirts mit Bunny-Logo für die Tochter und Verachtung für Kinderschänder  NICHT wirklich groß behindern. Bei Frau Stämpfli und dem Magazin, das ihre wilde Anti-Schamrasur-Rede gedruckt hat, hat man was das betrifft, offenbar und betrüblicherweise die Orientierung verloren. Aber Frau Stämpfli hat natürlich noch mehr zu beklagen: Amerikanerinnen machen Strip-Kurse und lesen Sex-Ratgeber mit Titeln wie „How to Make Love Lika a Porn Star“, weil sie, wie die Regula nur Kopfschütteln abtun kann, so hoffen, IHRE Weiblichkeit und IHRE Sexualität zu entdecken. Und man kann gerade der „weißen Mittelschichtsfrau“ in Minnesota nur wünschen, dass sie die Suche nicht aufgibt. Die Pornographie generiert mitnichten nur Abbilder weiblicher Unterwerfung. Es ist kein Zufall und auch kein Unglück, dass das Bild des Pornostars heute aus einem bestimmten Blickwinkel auch als Ausdruck einer bestimmten Komponente weiblicher Freiheit betrachtet werden kann. Frauenfiguren in Pornos sind oftmals überaus fordernd, entschlossen, aktiv und bestimmend. Was sie vermutlich eher selten sind, ist gehemmt. Die Hauptrolle spielen sie ohnehin. In vielen Pornos werden Männer ganz und gar durch Plastikspielzeug ersetzt. All das sind Gründe, warum „der Pornostar“ im wahren Leben die meisten Männer wohl eher in Panik versetzen würde, käme er plötzlich wirklich durch die Schlafzimmertür. (Außerdem wüssten viele Männer ohne die Pornographie vermutlich noch immer nichts von der Existenz der Klitoris.) Der gedankliche Fehler, den die EMMA-Frauen mit erschütternder und unerbittlicher Starrhalsigkeit machen, ist die Annahme, dass Frauen das alles (Stripkurse, Unterwäsche, hohe Absätze, Kosmetik, Schönheitsoperationen) täten, um Männern zu gefallen. Das ist aber doch gar nicht wahr. Zumindest  stimmt es für viele nicht. Sie tun es tatsächlich für SICH. Wo Regula systematische Entblößung und Herrichtung der Ware Frau vermutet, spielen Männer oft schon lange gar keine Rolle mehr. Oder sie sind Zuschauer und Statisten. Um männliche Wunschvorstellungen geht es hingegen immerzu in den PorNO-Aktionen der EMMA. Frauen verkleiden sich, spielen mit Phantasien (auch Machtphantasien soll es geben), probieren was aus. Und fühlen SICH womöglich plötzlich zum ersten Mal so richtig sexy, wenn sie unbeobachtet im eigenen Keller um eine Striptease-Stange wirbeln. Fast könnte der Eindruck entstehen, offensive und bunt verpackte weibliche Sexualität ist Emma-Frauen nicht geheuer. Aber es gibt viele Arten des Ausdrucks sexueller Identität. Und die Intimrasur kann eine von ihnen sein. Auch wenn Frau Stämpfli das „stechende und juckende“ Kratzen nach einer solchen beklagt: Tatsache ist auch, dass weniger Haar einen gefühlstechnisch ganz schön weit nach vorn bringen kann ; ). Was wirklich anstößig ist, ist nicht der (angebliche) Verlust der Scham. Was wirklich anstößig ist, Frau Stämpfli, ist es, in einem zweiseitigen Artikel über vermeintlich sexuelle Objektisierung fünfmal das Wort „Kindermöse“ unterzubringen. Da würde frau gleich im Anschluss ihr EMMA-Abo kündigen. Wenn sie noch eins hätte.
Wer jetzt was zur Aufheiterung braucht: Fettes Brot haben ein ironisches, wildes Liedchen darüber gemacht, wie es mit Männerphantasien und ihrer Gültigkeit im echten Leben wirklich so ist. Bezeichnender Titel: „Bettina– zieh dir bitte etwas an“.

NH