Donnerstag, 31. Dezember 2015

Follow me around 38: Was vom Jahr übrig blieb


Presseschau

Was ich wirklich bedauere ist, dass die Business Vogue nicht mehr regelmäßig, sondern nur noch gelegentlich als Beilage zum eigentlichen Magazin erscheint. Ich sehe mir halt so gern Kostüme, Designer-Aktentaschen und Zeitplaner aus Schlangenleder an. Sie ergänzen mein ideales Selbstbild vermutlich einfach mehr als alles andere. In der letzten Ausgabe gab es natürlich auch Modestrecken, und ich habe das Bild oben ausgeschnitten und in mein Scrapbook geklebt, weil es mir besonders gefiel... aus vielen verschiedenen Gründen. Dass dieses Model ganz offensichtlich keine Mustergröße 34/36 trägt, habe ich zunächst gar nicht registriert. Streng genommen und insbesondere gemessen an Vogue-Standards handelt es sich bei ihr um ein geradezu fleischiges Plus-Size- Model. Als ich das Foto ausschnitt, fiel mir nichts Ungewöhnliches mehr auf - in meinem Kopf ist "nicht dünn und Model" offenbar nichts mehr, worüber ich gedanklich grundsätzlich stolpere. Und ich habe auch deshalb zunächst nichts gemerkt, weil mit keinem Wort in Über- oder Unterschrift darauf hingewiesen wurde. Bei den Fotos ging es nicht explizit um Mode für große Größen. Die Business Vogue steckt einfach ein runderes Mädchen (und lass sie nicht mehr als eine 38 sein) in Fotos und verliert kein Wort mehr darüber. So, als wäre das schlicht normal. ; ) Damit schafft sie das, was die Brigitte nicht einmal vollbracht hat, als sie sich, statt mit Models, mit "normalen Frauen" abgemüht hat. Wow.

Und wo wir sie gerade erwähnt haben: Der Artikel über Adele auf Seite 85 der Brigitte 25/2015 besteht aus rund 340 Wörtern. In ungefähr 120 davon (also einem guten Drittel) geht es darum, dass Adele die Spielregeln der Unterhaltungsindustrie vor allem dadurch bricht, dass sie sich weigert "ihr Übergewicht zu bekämpfen". Besonders vielsagend dürfte diese Zeile sein: "Auch Adele hat ein schönes Gesicht, aber..."

Die Wahrheit

Während mein nächtliches, einsames Turnen bei McFit ja ganz erfreulich war, ist die Werbung des Unternehmens regelrecht beängstigend (und) unoriginell - bis auf den Slogan "Mach dich wahr". Der wiederum ist auf verstörende Weise faszinierend. Und jeder Dicken in seiner Bedeutung und Reichweite nur zu vertraut. Da ist doch bekanntlich eine dünne Frau in jeder von uns. Eine, die im Gefängnis unserer Unzulänglichkeit festsitzt, und viel gesünder, schöner und erfolgreicher, kurz viel besser und wertvoller ist als wir. Denn wir sind nicht unser wahres Ich. Dick existieren wir in der Tat nur bedingt. Immerhin wird unsere Existenzberechtigung medial und gesellschaftlich immerzu und überall in Frage gestellt. Erst durch die Anpassung des Körpers an herrschende Körpernormen beginnt das wahre, weil gute und legitime Leben. Davor gibt es nichts bis auf das muffige Wartezimmer des Universums. Allein darum darf ich nicht vergessen, meine Mitgliedschaft auch wieder rechtzeitig zu kündigen.

In Eile

Und dann war da ja noch das Speed Dating am Sonntag in der Gecko-Bar, unter deren Kuppel auf staubigen Vorsprüngen irgendwie zerfleddert wirkende, aber dafür lebensgroße Actionfiguren und Dinosaurier im Kunstschilf lauern.

Das Dating war bereits zweimal verschoben worden und am fraglichen Nachmittag sowohl auf Frauen- als auch Männerseite eine veritable Seniorenveranstaltung. Angemeldet hatte ich mich gezwungenermaßen für die Altersgruppe 40 bis 54. Nur einer der 7 Männer, die auftauchten, lag tatsächlich innerhalb dieser Spanne, der Rest zum Teil deutlich darüber. Ein 72jähriger Taxifahrer seufzte, dass ich doch viel zu jung sei. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, mir in den 7 Minuten unseres "Dates" nuschelnd seine gesamte Lebensgeschichte zu unterbreiten. Ich saß da und nickte. Das war übrigens in der Mehrzahl der Unterhaltungen komplett ausreichend - die alten Herren interessierte wenig, und wenn ich mit Absicht aufhörte, die Unterhaltung durch knappe Nachfragen am Leben zu erhalten, erstarb sie tatsächlich auch immer wieder und wir saßen uns schweigend gegenüber.

Am Ende bin ich dann allerdings doch noch in meine ganz eigene Episode von "Bauer sucht Frau" katapultiert worden. Um herauszufinden, ob irgendeiner der Gesprächspartner eine gern noch einmal treffen würde, muss frau im Internet selbst auch ankreuzen, dass sie von diesem oder jenem gern die Kontaktdaten hätte. Vom Forscherinnendrang getrieben habe ich die Kontaktdaten der drei Männer angefordert, mit denen ich ein erneutes Treffen und einen kurzen Kaffee ziemlich sicher überstehen würde, sollten sich hier Übereinstimmungen ergeben. Von diesen hatte einer mich ebenfalls ausgewählt, bekam so vom System meine Telefonnummer und rief dann auch noch an. Nun habe ich also gleich am zweiten Tag des neuen Jahres eine Verabredung mit einem 56jährigen Landwirt (zu seinem Beruf waren wir in den sieben Minuten in der Bar gar nicht gekommen), der, der Natur seiner Profession gemäß, gar nicht in Hamburg, sondern sehr, sehr weit davon entfernt in der Pampa wohnt. Speed Dating: Hiermit erledigt. Im nächsten Jahr binde ich mir nicht mehr offenen Auges nur aus Neugier, verirrter Hoffnung und/oder Höflichkeit irgendwelche abwegigen Begegnungen ans Bein. Jedenfalls ist das einer meiner vielen guten Vorsätze.

Zu guter Letzt hier noch einmal mein Tipp für alle, denen bis jetzt eine zündende Idee für den Jahreswechsel fehlt.

Prost!

NH