Samstag, 30. Januar 2016

Dicke Frauen erfahren (noch viel) mehr Stigmatisierung als gedacht

In der Februar-Ausgabe des Journal of Health Psychology wird eine Studie veröffentlicht*, die von WissenschaftlerInnen** der Western New England University und der University of Connecticut durchgeführt wurde um festzustellen, wie viel Stigmatisierung dicke Frauen aufgrund ihres Dickseins im Alltag regelmäßig erleben.

Anders als vorangegangene Studien mit ähnlicher Zielsetzung wurden dicke Frauen diesmal nicht nur über ihre Erfahrungen in der Vergangenheit befragt, sondern gebeten, ein Tagebuch darüber zu führen, wie oft sie sich im Verlauf von einer Woche wegen ihres Gewichtes stigmatisiert fühlten. Die Stigmatisierung von Dicken kann im Alltag viele Formen annehmen: Persönliche Beleidigung und Herabsetzung, physische Barrieren (ich berichtete), schlechtere Chancen bei der Jobsuche, etc. Der Einfluss der zumeist negativen Darstellung von Dicken in den Medien und das tägliche Bombardement mit dünnen Schönheitsstandards wurden in der vorliegenden Studie mithin gar nicht erst berücksichtigt.

Die 50 Teilnehmerinnen der Studie waren im Schnitt 38 Jahre alt und hatten einen BMI von 42,5. 40% von ihnen hatten Ehemänner, ein Drittel hatte eine akademische Ausbildung und 90% waren weiß. Sie erhielten eine umfangreiche Liste mit stigmatisierenden Beispielsituationen und sollten jeden Abend notieren, welche davon ihnen am Tag persönlich widerfahren waren.

Das Ergebnis war sehr viel gravierender, als das wissenschaftliche Team im Hinblick auf die Resultate vorheriger Studien erwartet hätte: In der einen Woche registrierten die dicken Frauen 1077 stigmatisierende Vorfälle. Damit hatte jede Frau im Durchschnitt pro Tag drei Begebenheiten notiert. 84%  von ihnen hatten sich mit einer zu engen Welt, also physischen Barrieren wie z.B. Stühlen in Restaurants herumgeschlagen, 74% hatten sich dumme Bemerkungen oder Beleidigungen gefallen lassen müssen (in der Mehrzahl von Bekannten und Familienmitgliedern), 72% waren unangenehm angestarrt worden, aber dafür gaben "nur" 12% an, wegen ihres Dickseins körperlich attackiert worden zu sein (!?!WTF!?!). Je höher der BMI einer Frau, desto gefährdeter war sie, Stigmatisierung zu erleben. Das galt auch für Frauen mit höherem Alter oder mit einer weniger qualifizierten Ausbildung.

Was die AutorInnen der Studie weiterhin untersuchten und herausfanden, bestätigt das, was schon länger als wissenschaftlich gesichert gilt. Der Stress der ständigen Stigmatisierung und Herabsetzung macht Dicke nicht nur nicht dünner, er macht sie kränker. Nicht nur körperlich sondern vor allem und, wenig überraschend, auch psychisch.

Tatsächlich ist eine Schlussfolgerung der Studie, dass Fat-Shaming in all seinen Formen bei den Betroffenen zu einem erhöhten Risiko führt, an Depressionen und Essstörungen zu erkranken. Auch führt Stigmatisierung mitunter dazu, dass Betroffene ihren verhassten Körper in der Tat vernachlässigen und z.B. bei echten Erkrankungen nicht mehr zum Arzt gehen. Darüber hinaus senkt Fat-Shaming deutlich die Freude an/den Mut zu sportlicher Betätigung, und die ist, anders als Abnehmen, vermutlich schon von gesundheitlichem Nutzen.

Stigmatisiert? Ich?

Ich habe ja immer wieder mal gesagt, dass ich mit offener Feindseligkeit was mein Dicksein angeht, eher wenig Erfahrung habe. Das soll nicht heißen, dass ich gar keine Erlebnisse gehabt hätte und diese mir auch heute noch nachhängen. Aber Menschen haben mich nur sehr selten auf freier Wildbahn beleidigt, und wenn sie starren, ist es mir ehrlich nicht bewusst. Wobei ich eigentlich glaube, dass ich es wahrnehmen würde, wenn es so wäre.

Die Hauptaggressoren waren bei mir, wie bei den dicken Frauen der Studie, meine Familie. Meine Eltern, um genau zu sein. Die Liste der täglichen Verletzungen die ich im Verlauf meiner Kindheit und bis ins hohe Erwachsenenalter (meine Mutter starb, als ich 38 war) ausgehalten habe, würde gefühlt einmal um den Erdball reichen.

Heutzutage sind es eher (mehr oder weniger) unbedachte Äußerungen von anderen über ihre Körper, die sie zu dick finden, oder über die Schwierigkeit im Allgemeinen, nicht "zu dick" zu werden, die mir regelmäßig begegnen. Manchmal frage ich mich, ob ich bei solchen Gesprächen gar nicht oder nur nicht als dick gesehen/wahrgenommen werde. Vermutlich hat sich das abfällige Geplapper über den Kampf gegen das Fett so in unsere DNA gefressen, dass es den Mund überall und in jeder Gesellschaft so unreflektiert verlässt wie Spucketröpfchen. In jedem anderen Fall würde es uns wahrscheinlich auffallen, dass wir das Gegenüber gerade so richtig fies überrollen. Wer würde einer Frau im roten Kleid auf einer Party gegenüber stehen und völlig arglos einen langen Vortrag darüber halten, was für eine schreckliche Farbe Rot ist?

Und natürlich ist der sicherste Weg, regelmäßig die aufschlussreiche Erfahrung anonymen Fat-Shamings zu machen, ein Blog für Fettakzeptanz zu betreiben. Oder sich bei einem Online-Dating-Portal anzumelden.


NH

* Erstveröffentlichung war bereits 2014.
**Jason Seacat et. al.

Freitag, 29. Januar 2016

Follow me around 40: Note to self

Ich bin meine Voice Memos der letzten Wochen durchgegangen. Wie sich herausstellt, erzählen auch diese, so wie ein Haul, ein Handtaschenreport oder eine Homestory sehr viel mehr über jemanden, als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde.

Was ist das wohl für eine Persönlichkeit, die sich selbst folgende Nachrichten ins Diktiergerät (Smartphone) spricht?

1. "Konto bei Live Jasmin endlich mal löschen?"

2. "81 Jahre Nessie."

3. "Mit Dicken-Schutzräumen hatte ich auch kein Glück - da wollten sie mich in der Regel nicht. Und sich selbst auch nicht. Elitäre, exklusive Strukturen. Szene Codes und Double Standards untersuchen."

4. "Wenn man ganz viel macht, passiert auch irgendwann etwas Gutes."

5. "Verkäuferin bei Ulla Popken will mir wohl schmeicheln, als ich mit der Fleece-Jacke zur Kasse komme: "Größe 54! Wo verstecken Sie denn all das?" Sprach's, und disst damit gleich mal einfach so all ihre Kundinnen in Größe 54. Merke: selbst bei Ulla ist weniger EIGENTLICH doch besser."

6. "Mit einem Blog voll Sex und Diät wärst du viel erfolgreicher."

7. "Hatte es auch irgendwelche Vorteile für dein Leben, dick zu sein?"

8. "Laufschuhe ins Auto legen - für den Fall."

9. "Mukabang - Eating Show? Nachforschen!"

10. "Sinupret kaufen. Soll wirklich wirken."

11. "Regale hinterm Schreibtisch umräumen."

12. "McFit kündigen."

13. Bitte googeln: Darstellung sexueller Gewalt in den Märchen der Gebrüder Grimm - Die Räuberbraut, Das zersprungene Herz, Fitchers Vogel (oder so)."

14. "Rachekörper ist ein wirklich schönes Wort."

15. "Eine Selbstakzeptanz-Fibel herausbringen. Ein Bändchen für Einsteigerinnen sozusagen."

16. "Post für Englisch-Seite: Warum es nicht immer effektiver und oft schon gar nicht effizienter ist, Englisch von Muttersprachlern zu lernen."

17. "Bitte bestellen: Susan Sontag: Regarding the Pain of Others."

18. "Bildergeschichten."

19. "Candybeach-T-shirt entwerfen?"

20. "Jetzt wäre ich fast in das Auto vor mir gekracht, weil ich mir selbst auf den Busen gestarrt habe."

21. "Dünn ist immer ein zu "hoch gestecktes Ziel". Kann man jede Therapeutn fragen, die ich je hatte. Schlank nicht."

22. "Gib es auf. Er will dich nicht mehr."

23. "Vision Box statt Vision Board?"

24. "Natalie Rosenke, Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung - googeln!"

25. "Ritalin - Wirkung. Googeln!"

26. "Schönheit-ist-nicht-wichtig-Bullshit-Bingo: die inneren Werte zählen, Schönheit vergeht, Schönheit kommt von innen, zu seinen Falten stehen, Lachfalten, Lebenserfahrung, ganz tolle Ausstrahlung, positive Einstellung, apart, ein Typ sein, in Würde altern, blablabla.

27. Bitte googeln: Anna-Perenna-Brunnen in Rom.

28. "Feenkönigin."

29. "Noch nicht aufgeben: Haus beschaffen, das zu und in das ein Sofa passt."




NH

Samstag, 23. Januar 2016

Follow me around 39: Eine schreckliche Geschichte


Listen. I wish I could tell you it gets better, but... it doesn't get better. You get better. (Joan Rivers)*


Unlängst hatte ich die unendlich beschämende Erfahrung, mich im Theater während der Zugabe aus der Mitte einer Sitzreihe quetschen zu müssen. Die betroffenen Parteien sahen davon ab, aufzustehen und ihre Knie aus dem Weg zu nehmen. Schließlich war ich die unmögliche Aggressorin mit dem unzulässigen Verhalten.Und an einer Stelle steckte ich dann fest und stand auf den Zehenspitzen. Und geriet in echte Panik. Ich dachte ich falle um. Ich dachte, ich kippe rückwärts und in die vor uns liegende Reihe. Ich dachte, ich falle auf jemanden. Den demoralisierenden Effekt, den dieses Ereignis auf mich hatte, die niederschmetternde Erniedrigung, die ich als dicke Frau empfand, traf mich aus dem Hinterhalt wie eine sich plötzlich vor mir öffnende Autotür. Ich hatte schlicht nicht erwartet, mich in meinem Leben jemals noch einmal so zu fühlen. Am Ende gewann ich die Kontrolle zurück, entkam, indem ich über fremde Füße trampelte, sah in entsetze/genervte Gesichter und atmete hundertmal "Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung" auf sie herab.

Die Welt ist zu klein für mich.

Es wird ja immer mal wieder diskutiert, ob Dicksein eine Behinderung ist. 2014 hatte der Europäische Gerichtshof im Falle eines dicken Tagesvaters (160 kg) in Billund, Dänemark ein Urteil gefällt, dass besagt, dass "chronische Adipositas" eine Behinderung sein kann. Und während man gegen Dicke diskriminieren , bzw. sie aufgrund ihres Dickseins entlassen darf, werden Menschen mit Behinderungen in der EU gesetzlich vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt.

Ich würde sagen, Dicksein ist es sehr wohl mitunter eine Behinderung. Schließlich erfahren Menschen zumeist dann Behinderung, wenn sie bestimmten körperlichen "Normalitätsstandards" nicht entsprechen und darum bei ihrer Interaktion mit der Welt, die nicht auf sie und ihre individuellen Parameter eingestellt ist, immer wieder auf Hindernisse und Störungen treffen und sich in der Folge auch noch komplett unverdient unwohl in ihrer Haut fühlen.

Hier ist die Welt in der Verantwortung. Ein Welt, die weniger gedankenlos, großzügiger und vielfältiger konstruiert wäre, würde in der Tat viele Menschen weniger behindern. Ausreichend große Sitze im Flugzeug oder Toilettenkabinen, in denen sich jeder ohne Schwierigkeiten um sich selbst drehen kann (insbesondere in öffentlichen Gebäuden) betrachte ich mithin als Menschenrecht.

Taxi nach Nirgendwo 

Joan Rivers' kluges Zitat (s.o.) hat mir vor ein paar Tagen eine gute Freundin geschickt. Und gerade weil es so wahr ist, macht es mich so unglaublich betroffen. Und sowas von müde. Ich will aber gar nicht mehr besser werden. Ich habe ja auch schon gesagt, dass ich keine verdammte Lektion mehr brauche. Ich will, dass ich endlich gut genug bin,VERDAMMT! Ich VERLANGE, dass ES besser wird, und ich will nur noch alle Viere von mir strecken und den Zufall mit freundlicher Effizienz alles regeln lassen. Ich will, dass die Dinge und Fragen endlich durch glückliche Fügung an ihre Plätze fallen. Ich will nix mehr schieben und schleppen und denken. Ich will nicht. Ich will nicht mehr.

Aber natürlich ist auch hier alles kompliziert und inkonsequent, denn es liegt bekanntlich nicht in meiner Natur, die Dinge einfach so sein zu lassen, wie sie sind. Ich tue bisher immerzu irgendetwas, um die Welt zu beeinflussen, auch wenn es meistens schief geht. Und es gibt genug, von dem man denken würde, dass ich es gelernt hätte - aber wohl nie lernen werde...

Darum habe ich mich vor einigen Tagen auch wieder bei verschiedenen Partnerbörsen angemeldet. (Mein Profilname ist TaxinachX bei Finya.de und rubensfan.de.) Im wahren Leben treffe ich ja bekanntlich auf keine Männer, die was wollen könnten, und auf den Portalen gaukelt einem zumindest die Flut des männliches Interesses in den ersten Tagen nachdem man ein frisches Profil eingestellt hat, vor, dass vielleicht doch noch etwas zu holen ist.

Leider ist der Kick für das Selbstbewusstsein  nicht mehr so stark, wie der, den man sich auf diese Weise vielleicht noch vor zwei Jahren verschaffen konnte. Weil die Desillusion mittlerweile schon von Anfang an mit im Boot sitzt. Die Tatsache, dass einem anfänglich listenweise Fische ins Netz gehen, wird sofort dadurch zu Tode dadurch relativiert, dass man sie fast alle umgehend als so klein und hässlich erkennt, dass man sie im Minutentakt auch zurück ins trübe Wasser wirft. Viele der Männer in meiner Altersklasse sind ohnehin aus zweiter Hand. Sie waren in großen Zahlen verheiratet und haben Kinder. Irgendwelche Frauen fanden diese Typen irgendwann begehrenswert genug, um sie zu heiraten und sich mit ihnen zu vermehren. Wer um alles in der Welt waren diese Frauen? Aber das frage ich mich natürlich auch oft bei Frauen, die bestimmte Ehemänner behalten haben.

Einige erkennen einen wieder und begrüßen einen, wie eine alte Bekannte. Andere können sich die Häme nicht verkneifen, dass man es offenbar auch nicht geschafft hat, dem Singledasein anhaltend zu entfliehen, und nun wieder dazu gezwungen ist, mit ihnen in der Dating-Hölle auszuharren. Bitterkeit bricht sich Bahn. Einsame Seelen schlagen regelrecht um sich. Und ich verstehe sie: Eigentlich ist das alles nur zum Kotzen. Quälendes, elendes und tagelanges Hin-und Hergeschreibe in Einzelsätzen mit Männern, die man nicht auf Anhieb so unattraktiv fand, dass man sie nach dem ersten blutleeren Anschreiben sofort in die Wüste geschickt hat. So, wie es sich eigentlich gehört hätte. Was frau hier wirklich noch immer lernen kann, ist, wie entscheidend eine noch rigidere Abgrenzung und noch weniger Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer im Sinne von Selbsterhalt sein können.

Und dann ist da viel dummes Gerede über mein Gewicht. Mehr noch, als es in meiner Erinnerung in der Vergangenheit gab. Gewicht ist DAS Thema - so oder so. Einige finden es noch immer nicht "so schlimm", dass ich dick bin und verstehen meine säuerlichen Reaktionen darauf nicht. Einige finden dicke Frauen allerdings besser, als die immer und immer wieder bemühte "Hungerharke". Und wundern sich, dass ich es nicht lustig finde, wenn sie die Körper von Frauen, die nicht dick sind, runtermachen. Einige finden mich nicht dick genug. Einige wiederum glauben nicht, dass ich dick bin, weil ich (ungelogen) "doch so ein hübsches Gesicht habe". Danach will frau eigentlich allen nur noch ins Gesicht springen.

Bei Finya.de lautete mein Profiltext zunächst: "Ich suche einen Mann, der klug und gebildet ist. Und Ironie versteht. Das ist eigentlich auch schon alles." Bemerkenswert war, wie viele Männer daraufhin versuchten, dadurch auf meine grüne Seite zu gelangen, indem sie die geistigen Kapazitäten ihres Geschlechtes regelrecht dissten - immer reich versehen mit Smileys: "Ich verstehe die Ironie in "einen Mann, der klug und gebildet ist :-)", "Ein kluger und gebildeter Mann - du kleiner Scherzkeks, du! ;-)", "Du suchst also gar keinen Mann, du suchst eine Frau! :-))))". Und dann sogar noch: "Hast du in deiner Karriere als Frau schon einmal einen klugen und gebildeten Mann gesehen???".

Ja, hab ich.


NH

* Hör zu. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass es besser wird, aber...es wird nicht besser. Du wirst besser.

Sonntag, 10. Januar 2016

Die dicke Dame sucht die Liebe / Ausgelesen: ...

Marie Laveaus's Everything-You-Need Xecutive Voodoo Kit for Love, gekauft 1997 in New Orleans, nie benutzt - offenbar...

Bauer attackiert Frau

Und am ersten Tag des Jahres war es dann (fast) soweit. Endlich, nach 20 Jahren, würde ich mal all das anwenden können, was ich im Selbstverteidigungskurs im (Frauen-)College gelernt hatte. Erst zwei Finger gezielt und scharf in die Augen rammen, dann mit aller Kraft zwischen die Beine treten und dann alles tun, was noch nötig ist, um genug Zeit zu haben, um sich in Sicherheit zu bringen. Was einer durch den Kopf geht, wenn sie plötzlich annehmen muss, jetzt könnte es zum ersten Mal in ihrem Leben so richtig brenzlig werden, weil ein notgeiler Großgrundbesitzer (siehe "In Eile") sie nach dem gemeinsamen, ganz friedlichen Abendessen auf einem eiskalten und mäßig beleuchteten Parkplatz trotz deutlichen Protests festhält und sich anschickt, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, war zunächst einmal für den Bruchteil einer Sekunde dieses. Dann schoss mir ernsthaft Jenny Holzers Arbeit "Men don't protect you anymore", durchs Hirn, direkt gefolgt von der rettenden, inneren Ermahnung: "LÄRM MACHEN! LÄRM MACHEN! LÄRM MACHEN!" (Danke, Wells College.) Als ich anfing ihn anzuschreien, ließ mein Angreifer mich tatsächlich los, sprang in sein Auto und fuhr ab. Ich stieg in meins und legte meinen Kopf in die Hände. Dabei stellte ich fest, dass ich im Gerangel offenbar einen meiner Ohrringe verloren hatte. Ich habe ihn nicht wiedergefunden. Ich beweinte ihn ein wenig. Und mich auch.


Die Bibliothek des Grauens

Im Grunde schien es nach dem letzten Erlebnis dann beinahe ein wirklich sinnloses, müßiges Unterfangen, tatsächlich noch die Ratgeber zur Partnersuche durchzugehen, die ich mir vor Weihnachten aus der Bücherei mitgenommen hatte. Aber ich tat es trotzdem, denn ich witterte, wie so oft, allerschaurigste Realsatire. Und behielt Recht.

"Wer sagt, dass Männer glücklich machen?", Eva Gerberding und Evelyn Holst, 2013

Beide Autorinnen sind übrigens verheiratet und haben Kinder in die Welt gesetzt. Darüber, dass Kinder womöglich auch nicht glücklich machen, haben sie sogar ein Zweitbuch geschrieben. Dem vorliegenden Bändchen merkt frau selbstverständlich von vorn bis hinten an, wie heilfroh die Schreiberinnen sind, nicht zu ihrer sitzengebliebenen Zielgruppe zu gehören, und so beginnt das Ganze dann auch munter mit eben diesem Vergleich: Sich mit Größe 44 abzufinden, ist, wie sich mit Männerlosigkeit abzufinden. (S.11) Besser wäre es, nicht so fett zu bleiben, aber man kann halt trotzdem eine lustige Dicke/Singlefrau werden, denn wenn wir nicht in der Lage wären, unseren Kummer über die verpatzte Partnersuche zu verdrängen, "würden wir alle zu verkniffenen, Männer hassenden Furien werden." (S.13) An diesem Punkt wurde mir natürlich klar, dass ich vermutlich nur vom bloßen Weiterlesen zur Furie werden würde, aber ich tat es trotzdem. Und lernte, dass ich für Sex und Fortpflanzung keinen Mann brauche. Ich kann es mir doch tatsächlich selbst machen und Sperma kann ich per Post bekommen. Und da Männer in ca. 125.000 Jahren aufgrund ihres genetischen Defektes (das Y-Chromosom) aussterben werden, gewöhnt frau sich ohnehin am besten beizeiten daran, ohne sie auszukommen. Na, das ist doch mal tröstlich.

Und dann kommt das Klagelied der achtundreißijährigen Conny: "...ich (habe) das Gefühl, als wäre ich die Einzige, die es nicht geschafft hat. Das, was vor mir Millionen von Frauen anscheinend mühelos hinbekommen haben: einen Mann zu finden, der sie heiratet." (S. 24) Dass Conny keinen abkriegt, ist kein Wunder. Denn sie hat vermutlich schon wieder viel zu hohe Ansprüche: "Es ist einfach so, je weniger wir erwarten, desto mehr bekommen wir. Je anspruchsvoller wir sind, desto größer ist der Haufen verschreckter Männer, die sich in die Arme pflegeleichterer Frauen flüchten." (S. 29) Die höchsten Singlequoten haben statistisch akademisch gebildete Frauen und "bildungsschwache" Männer. Also muss eine "tolle" Frau ihre tollen Ansprüche aufgeben, oder allein bleiben. Frau hätte jung "zugreifen" müssen (S. 52), aber da hat sie eben immer gedacht, da kommt noch etwas Besseres. Und sie wollte ja außerdem unbedingt erst ihr Studium beenden und ein wenig Karriere machen. Selbst schuld also.

In den Augen der Autorinnen sind Frauen auch daran selbst schuld, dass sie zu schnell und viel zu sehr lieben, und Männer so zusätzlich in die Flucht treiben, denn "nichts finden Männer lästiger, als Frauen, die sie mit Liebe zuschütten" (S.62). Welcher Mann kann das auch wollen - eine gebildete, selbständige Frau, die ihn aus voller Seele liebt? Apropos Seele, auch die Eva und die Evelyn versteigen sich gern zu eben jener Theorie, die ich hier auf dem Blog schon mehrmals und auch jetzt als esoterischen Bullshit bezeichne: Nur mit leichter Seele und ohne den Wunsch, einen Partner zu finden, wird frau angeblich doch noch einen finden. (S. 57) Darum raten die Autorinnen dazu, sich den Partnerwunsch regelrecht abzutrainieren. Ich frage mich indessen, ob die beiden so auch nach ihren Autoschlüsseln suchen. Die nächste biologistische Unterstellung folgt sogleich: "Früher oder später ist der Kinderwunsch da." (S.74) Es sei denn, so die Autorinnen, frau ist ein etwas wunderliches Exemplar mit leicht rabiater Grundeinstellung. Also so eine wie ich.

Am Ende plädieren die Autorinnen dafür, sich mit einer "kleinen" Liebe zufrieden zu geben. Das mag resignativ sein, ist aber angesichts der faktischen Unvermittelbarkeit der hoffnungslos überqualifizierten Akademikerin mit ihren neurotischen Erwartungen und der wummernden biologischen Uhr womöglich die reife und pragmatische Lösung, um nicht zu sagen, der letzte Ausweg. Und immerhin: "Verheiratete Männer sind oft die besseren Liebhaber, weil sie sexuell ausgehungert und deshalb sehr dankbar sind." (S. 123) Hm, Man-Sharing also...

Im Sinne der Selbsterkenntnis schließt das Werk mit einer Typisierung der Frauen, die unter Garantie jeden noch so bindungswilligen Kerl abschrecken. Während man Männer sehr wohl mit "Sex und guter Laune" einfangen könne, seien diese weiblichen Exemplare auf jeden Fall hoffnungslose Fälle (ab S. 171). Meiner persönlichen Analyse zufolge, handelt es sich bei mir selbst um eine hochexplosive Mischung aus der "Naturbelassenen" (politisch korrekt), der "Bedürftigen" (mag Duftkerzen und hat immer eine 2. Zahnbürste da), sowie der Dauernörglerin (denn die ist nie zufrieden).

All das giftige Gegurgel gegen Männer und vor allem Frauen findet dann auch am Ende sein polterndes Finale in folgender Festellung: "Okay wir sind uns einig, dass zu unserem Lebensglück nicht unbedingt ein Mann gehören muss, aber dass es (...) natürlich MIT schöner ist als OHNE." (S. 175) Ja, die Großbuchstaben sind Teil des Zitats. Soll vermutlich heißen: Männer sind Scheiße. Aber Frauen ohne Männer sind noch viel scheißer.

"Die Diva Taktik - Warum starke Frauen bei Männern ein leichtes Spiel haben", Martin Fraas, 2010

Martin Fraas stimmt den Autorinnen der oben durchlittenen Lektüre nicht zu. Er behauptet schlicht, Männer wollten "lieber eine stolze Löwin als ein braves Schaf." (S. 12) Außerdem sagt er, was immer und immer wieder gern in Ratgebern für Singlefrauen steht: Männer wollen angeblich nichts, was sie leicht haben können. Diese Theorie beißt sich allerdings mit der Feststellung, die sich ebenfalls durch alle hier besprochenen Ratgeber zieht, nämlich, dass Männer gern den Weg des geringsten Widerstandes wählen, bzw. in Beziehungen mitunter regelrecht faul seien. Außerdem ist der Rat, sich als Frau rar zu machen, meiner Auffassung nach in der Regel nichts anderes, als eine puritanische Ermahnung, nicht gleich mit jedem ins Bett zu hopsen. Fraas schlägt tatsächlich vor, Kandidaten erst nach 5 Dates mit Sex quasi zu belohnen. Da ist sie auch schon wieder, die alte Unterstellung: Männer wollen Sex dringender, als Frauen - darum können und sollten Frauen ihn auch taktisch und im Prinzip zur Manipulation nutzen. Außerdem hat der Autor folgenden Rat zu vergeben: "Strahlen Sie unmissverständlich und selbstbewusst aus, dass es keine echte Alternative zu Ihnen gibt." Das klingt gut. Gleichwohl habe ich sofort erst einmal auf YouTube nach einem Tutorial gesucht. Das erklärte dann auch, warum ich beim "Diva-Test" am Ende des Buches mit nur 28 von 60 möglichen Punkten total abgeschmiert bin: "Sorry, aber auf dem Weg zur Diva haben Sie noch Nachholbedarf. (...) Nehmen Sie sich ganz bewusst vor, ab und zu auch Ihren verrückten Seiten eine Chance zu geben." (S. 154) Ehrlich jetzt?! Na, wenn der Martin das sagt...

"Scheißkerle", Roman Maria Koidl, 2010

Wie der Titel u. U. vermuten lässt, ist der Autor nicht sehr optimistisch, wenn es um Beziehungen und insbesondere die Rolle seiner Geschlechtsgenossen darin geht. Anders, als vielleicht zu vermuten gewesen wäre, ist der Titel nicht ironisch gemeint.

Wie schon die Eva und die Evelyn, spricht auch er von "mehr guten Frauen als guten Männern" (S. 14). Soll heißen: Statistisch setzt sich die Gruppe derjenigen, die keinen Partner abgekriegt haben, mehrheitlich aus akademisch ausgebildeten "Superweibern" und "männlichen Hartz-IV-Empfängern" zusammen. Das führe dazu, dass Frauen ihre Ansprüche zwangsläufig herunterschrauben und sich nicht selten mit irgendwem zusammentun würden, nur um nicht ganz ohne Anhang zu sein. Der Autor scheint diesen Umstand ehrlich zu bedauern und versucht zu warnen: Dass Männer mit Frauen, die sie eigentlich gar nicht so besonders toll finden, mehr oder weniger feste Beziehungen eingehen, sei tatsächlich die Regel, und kein Einzelfall. Wenn ein Mann verliebt sei, dann würde die gemeinte Frau das auch auf jeden Fall wissen, denn "wenn ein Mann es ernst meint, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu erobern." (S. 45) Außerdem gibt er zu bedenken, dass es "keine "komplizierten" Situationen mit Männern" gibt. "Wenn eine Situation mit einem Mann "kompliziert" ist, ist sie immer verlogen. Ohne Ausnahme." (S. 48) Die entscheidende Frage ist in einer Beziehung mit einem Mann also laut Koidl nicht, ob er einen guten Charakter hat, sondern vielmehr, ob sein Interesse groß genug ist. Das bestimmt sein Verhalten innerhalb der Verbindung.

Tatsächlich hat der Autor noch ein paar andere, eigentlich ganz hilfreiche, weil auf gesundem Menschenverstand basierende Hinweise (ab S. 215):

1. Frau sollte die Reißleine konsequent und zeitig ziehen.
2. Eine Geliebte spielt für immer die zweite Geige.
3. Wenn ER sich keine Mühe gibt, sollte frau die Sache beenden.
4. Was schon am Anfang kompliziert ist, wird vermutlich niemals blühen.
5. Frau sollte die Suche dennoch nicht aufgeben, aber sich klar darüber sein, dass die Voraussetzungen halt stark erschwert sind.
Und schließlich:
6. "Suchen Sie sich einen Kerl, der Sie liebt." (Tutorial?...Anyone?)

"Wann kommt denn endlich der blöde Prinz auf seinem dämlichen Gaul! 100 Tipps, wie Sie Ihren Traummann finden", Oliver Stöwing, 2009, vom Grabbeltisch

Auf dem Rückcover wird der Autor dieser Perle als "Frauenflüsterer" bezeichnet. Sollte frau den Herrn Stöwing ernsthaft irgendwann, irgendwo flüstern hören, sollte sie rennen, rennen, rennen, was die Absätze hergeben.

Laut Stöwing braucht frau für die "Prinzenjagd (...) Zeit, Energie und Geld." (S. 19) Was sie auch braucht, wenn sie darauf besteht, sich Stöwings Ergüsse komplett zu Gemüte zu führen, sind verdammt starke Nerven.

Ich werde mich darauf beschränken, nur eine Hand voll  seiner absurden und teilweise unerträglich langatmigen "Tipps" wiederzugeben:

1. Das Ziel, einen Partner zu finden, sollte in zeitliche Etappen unterteilt werden, z.B. Bis Mitte Juli Sex haben.
2. Manche Frauen "leiden an Futtersucht und verringern dadurch ihre Marktchancen."
3. Frau sollte Frauen nachahmen, die bei Männern erfolgreich sind (Diese leuchtenden Beispiele nennt der Autor "Mrs. Wunderbar", S. 74.)
4. "Ein sexy Body braucht Bewegung." (S. 86)
5. "Hunger ist kein Defizit, das sofort behoben werden muss." (S. 93) Und ja, der Autor meint den Hunger nach Essen.
6. Und was die Handtasche betrifft: "Für ein Date wählen Sie besser ein schlichtes, zeitloses Modell mit dezentem Label." (S. 151)
7. "Ein Quasselhuhn wird ihm schnell auf die Nerven gehen." (S. 156)
8. "Männer wollen fitte Frauen." (S. 191)
9. "Packen Sie mit an, wenn es etwas zu tragen gibt." (S. 193)
10. "Zügeln Sie Ihre Launen!" (S. 196)
11. "Ein Mann muss nicht aussehen, wie Hugh Jackmann, damit Sex Spaß macht." (S. 206) (Anm. d. dicken Dame: Wer ist Hugh Jackmann?)
12. "Forcieren Sie niemals das Thema Kinderkriegen..." (S. 265)
...

13. Was immer Sie tun: Verschwenden Sie nicht Ihre letzten fruchtbaren Jahre damit, bescheuerte Ratgeber von frauen- und im Prinzip ebenso männerhassenden Idioten zu lesen. 

NH