Samstag, 23. Januar 2016

Follow me around 39: Eine schreckliche Geschichte


Listen. I wish I could tell you it gets better, but... it doesn't get better. You get better. (Joan Rivers)*


Unlängst hatte ich die unendlich beschämende Erfahrung, mich im Theater während der Zugabe aus der Mitte einer Sitzreihe quetschen zu müssen. Die betroffenen Parteien sahen davon ab, aufzustehen und ihre Knie aus dem Weg zu nehmen. Schließlich war ich die unmögliche Aggressorin mit dem unzulässigen Verhalten.Und an einer Stelle steckte ich dann fest und stand auf den Zehenspitzen. Und geriet in echte Panik. Ich dachte ich falle um. Ich dachte, ich kippe rückwärts und in die vor uns liegende Reihe. Ich dachte, ich falle auf jemanden. Den demoralisierenden Effekt, den dieses Ereignis auf mich hatte, die niederschmetternde Erniedrigung, die ich als dicke Frau empfand, traf mich aus dem Hinterhalt wie eine sich plötzlich vor mir öffnende Autotür. Ich hatte schlicht nicht erwartet, mich in meinem Leben jemals noch einmal so zu fühlen. Am Ende gewann ich die Kontrolle zurück, entkam, indem ich über fremde Füße trampelte, sah in entsetze/genervte Gesichter und atmete hundertmal "Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung" auf sie herab.

Die Welt ist zu klein für mich.

Es wird ja immer mal wieder diskutiert, ob Dicksein eine Behinderung ist. 2014 hatte der Europäische Gerichtshof im Falle eines dicken Tagesvaters (160 kg) in Billund, Dänemark ein Urteil gefällt, dass besagt, dass "chronische Adipositas" eine Behinderung sein kann. Und während man gegen Dicke diskriminieren , bzw. sie aufgrund ihres Dickseins entlassen darf, werden Menschen mit Behinderungen in der EU gesetzlich vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt.

Ich würde sagen, Dicksein ist es sehr wohl mitunter eine Behinderung. Schließlich erfahren Menschen zumeist dann Behinderung, wenn sie bestimmten körperlichen "Normalitätsstandards" nicht entsprechen und darum bei ihrer Interaktion mit der Welt, die nicht auf sie und ihre individuellen Parameter eingestellt ist, immer wieder auf Hindernisse und Störungen treffen und sich in der Folge auch noch komplett unverdient unwohl in ihrer Haut fühlen.

Hier ist die Welt in der Verantwortung. Ein Welt, die weniger gedankenlos, großzügiger und vielfältiger konstruiert wäre, würde in der Tat viele Menschen weniger behindern. Ausreichend große Sitze im Flugzeug oder Toilettenkabinen, in denen sich jeder ohne Schwierigkeiten um sich selbst drehen kann (insbesondere in öffentlichen Gebäuden) betrachte ich mithin als Menschenrecht.

Taxi nach Nirgendwo 

Joan Rivers' kluges Zitat (s.o.) hat mir vor ein paar Tagen eine gute Freundin geschickt. Und gerade weil es so wahr ist, macht es mich so unglaublich betroffen. Und sowas von müde. Ich will aber gar nicht mehr besser werden. Ich habe ja auch schon gesagt, dass ich keine verdammte Lektion mehr brauche. Ich will, dass ich endlich gut genug bin,VERDAMMT! Ich VERLANGE, dass ES besser wird, und ich will nur noch alle Viere von mir strecken und den Zufall mit freundlicher Effizienz alles regeln lassen. Ich will, dass die Dinge und Fragen endlich durch glückliche Fügung an ihre Plätze fallen. Ich will nix mehr schieben und schleppen und denken. Ich will nicht. Ich will nicht mehr.

Aber natürlich ist auch hier alles kompliziert und inkonsequent, denn es liegt bekanntlich nicht in meiner Natur, die Dinge einfach so sein zu lassen, wie sie sind. Ich tue bisher immerzu irgendetwas, um die Welt zu beeinflussen, auch wenn es meistens schief geht. Und es gibt genug, von dem man denken würde, dass ich es gelernt hätte - aber wohl nie lernen werde...

Darum habe ich mich vor einigen Tagen auch wieder bei verschiedenen Partnerbörsen angemeldet. (Mein Profilname ist TaxinachX bei Finya.de und rubensfan.de.) Im wahren Leben treffe ich ja bekanntlich auf keine Männer, die was wollen könnten, und auf den Portalen gaukelt einem zumindest die Flut des männliches Interesses in den ersten Tagen nachdem man ein frisches Profil eingestellt hat, vor, dass vielleicht doch noch etwas zu holen ist.

Leider ist der Kick für das Selbstbewusstsein  nicht mehr so stark, wie der, den man sich auf diese Weise vielleicht noch vor zwei Jahren verschaffen konnte. Weil die Desillusion mittlerweile schon von Anfang an mit im Boot sitzt. Die Tatsache, dass einem anfänglich listenweise Fische ins Netz gehen, wird sofort dadurch zu Tode dadurch relativiert, dass man sie fast alle umgehend als so klein und hässlich erkennt, dass man sie im Minutentakt auch zurück ins trübe Wasser wirft. Viele der Männer in meiner Altersklasse sind ohnehin aus zweiter Hand. Sie waren in großen Zahlen verheiratet und haben Kinder. Irgendwelche Frauen fanden diese Typen irgendwann begehrenswert genug, um sie zu heiraten und sich mit ihnen zu vermehren. Wer um alles in der Welt waren diese Frauen? Aber das frage ich mich natürlich auch oft bei Frauen, die bestimmte Ehemänner behalten haben.

Einige erkennen einen wieder und begrüßen einen, wie eine alte Bekannte. Andere können sich die Häme nicht verkneifen, dass man es offenbar auch nicht geschafft hat, dem Singledasein anhaltend zu entfliehen, und nun wieder dazu gezwungen ist, mit ihnen in der Dating-Hölle auszuharren. Bitterkeit bricht sich Bahn. Einsame Seelen schlagen regelrecht um sich. Und ich verstehe sie: Eigentlich ist das alles nur zum Kotzen. Quälendes, elendes und tagelanges Hin-und Hergeschreibe in Einzelsätzen mit Männern, die man nicht auf Anhieb so unattraktiv fand, dass man sie nach dem ersten blutleeren Anschreiben sofort in die Wüste geschickt hat. So, wie es sich eigentlich gehört hätte. Was frau hier wirklich noch immer lernen kann, ist, wie entscheidend eine noch rigidere Abgrenzung und noch weniger Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer im Sinne von Selbsterhalt sein können.

Und dann ist da viel dummes Gerede über mein Gewicht. Mehr noch, als es in meiner Erinnerung in der Vergangenheit gab. Gewicht ist DAS Thema - so oder so. Einige finden es noch immer nicht "so schlimm", dass ich dick bin und verstehen meine säuerlichen Reaktionen darauf nicht. Einige finden dicke Frauen allerdings besser, als die immer und immer wieder bemühte "Hungerharke". Und wundern sich, dass ich es nicht lustig finde, wenn sie die Körper von Frauen, die nicht dick sind, runtermachen. Einige finden mich nicht dick genug. Einige wiederum glauben nicht, dass ich dick bin, weil ich (ungelogen) "doch so ein hübsches Gesicht habe". Danach will frau eigentlich allen nur noch ins Gesicht springen.

Bei Finya.de lautete mein Profiltext zunächst: "Ich suche einen Mann, der klug und gebildet ist. Und Ironie versteht. Das ist eigentlich auch schon alles." Bemerkenswert war, wie viele Männer daraufhin versuchten, dadurch auf meine grüne Seite zu gelangen, indem sie die geistigen Kapazitäten ihres Geschlechtes regelrecht dissten - immer reich versehen mit Smileys: "Ich verstehe die Ironie in "einen Mann, der klug und gebildet ist :-)", "Ein kluger und gebildeter Mann - du kleiner Scherzkeks, du! ;-)", "Du suchst also gar keinen Mann, du suchst eine Frau! :-))))". Und dann sogar noch: "Hast du in deiner Karriere als Frau schon einmal einen klugen und gebildeten Mann gesehen???".

Ja, hab ich.


NH

* Hör zu. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass es besser wird, aber...es wird nicht besser. Du wirst besser.