Sonntag, 28. Februar 2016

Nie wieder Diät!

Na, was habt ihr gedacht, was jetzt kommt? Womöglich Diättipps? So abwegig wäre die Erwartung nicht. Denn meistens folgen einer solchen Schlagzeile heutzutage genau diese.

Diäten funktionieren sehr wohl, wenn es darum geht, Gewicht zu verlieren. Wer wenig isst, wird meistens dünner. Tatsache ist aber bekanntlich auch, dass kaum einer danach dünn bleibt. Weit über 90% aller durch Diäten bewerkstelligte Gewichtsreduktionen lassen sich nicht über fünf aufeinander folgende Jahre aufrecht erhalten, weil 90% aller Diätelnden irgendwann nicht mehr in der Lage sind, unter den erheblich verschärften Bedingungen einer Diät zu leben. Das kann nicht nur als wissenschaftlich gesichert betrachtet werden - es wird auch täglich von Millionen von Menschen weltweit bewiesen. Also - bitte nie vergessen: Erfolgreiche Diäten sind in der Regel FÜR IMMER. 

Dieser ebenso freudlose wie unumstößliche Umstand hat sich nun sogar bis in die undurchlässigsten Bastionen der Begriffsstutzigkeit durchgesprochen: bis in die Redaktionen von Frauenzeitschriften. Die wollen es zwar nicht glauben, aber müssen was tun, weil ihnen ihre Leserinnen irgendwann nicht mehr glauben. Und so kommt es zu einem breitangelegten Etikettenschwindel, der einem ob seiner Unverfrorenheit schier den Atem stocken lässt.

Oh, wie sich die Bilder gleichen...

Über die Nie-wieder-Diät-Diät in der Februarausgabe von myself hatte ich ja schon hinreichend gemotzt. Worauf ich wirklich mit Neugier gewartet hatte, war die Märzausgabe des von Barbara Schöneberger als "Editor at Large" herausgebrachten Magazins, das auch ihren Vornamen trägt. Die Barbara soll, so die erklärte Philosophie der ganzen Veranstaltung, grundsätzlich diätfrei sein. Man würde denken, dass das für eine Ausgabe, deren übergeordnetes Motto "Nie wieder Diät" lautet, ganz besonders gilt. Aber wie so oft, stellt man schnell fest, dass Denken offenbar komplett überbewertet ist.

Denn bloß weil man keine expliziten Diätpläne abdruckt, und sogar mal dicke Frauen abbildet und direkt zu Wort kommen lässt, ist man noch lange kein Hafen bedingungsloser Körperakzeptanz. Im Gegenteil: In der Anti-Diät-Edition der Barabara strömt der Leserin die altbekannte Ambivalenz was herkömmliche Körpernormen angeht, aus allen Poren nur so entgegen.

Gleich am Anfang steht die Behauptung das Leben sei ein "ewiges Hin und Her zwischen Verzicht und Maßlosigkeit." Eine denkbar ungünstige Gegenüberstellung zur Einleitung des Themas, denn nun ratet doch mal, was hiervon traditionell negativer belegt ist?

Christine Schaum ist Surferin und Schwimmerin, und hielt früher immer Diät, weil bei ihrer Statur (sie ist wohl 1,87 groß) "ein paar Kilo mehr tatsächlich schnell wuchtig wirken." Das findet sie offenbar noch immer. Aber heute lebt sie eben damit. (S. 24)

Dann kommt die auch hier bereits ausgiebig besprochene Nicole Jäger auf die Bühne. Auch ihre Karriere basiert bekanntlich darauf, das Märchen von der diätfreien Gewichtsreduktion zu verbreiten. Man fragt sich, was ein Abnehmcoach überhaupt in einem Magazin zu suchen hat, in dem es keine Diättipps geben soll...nun, sie ist natürlich da, um Diättips zu geben: "Ich habe aufgehört, Diäten zu halten und habe angefangen zu essen. Ohne Schuldgefühle, ohne Verzicht. Dann statt drei Schokoriegel eben nur zwei und einen Apfel." ("Schokoriegel-n" Anm. d. dicken Dame) (S. 25) Facepalm.

Und was lernen wir noch in Frau Schönebergers Land der Nicht-Diäten-Diäten? Ach ja,..."das perfekte Verhältnis von weiblicher Taille zur Hüfte entspricht dem Quotienten 0,7." Dieser Vermerk steht übrigens in der Beschreibung einer Blumenvase. Nicht einmal Haushaltsgegenstände sind offenbar vor Körpernormierung sicher. Oder wie jetzt? Oder ist da doch eher wieder die Taille der Leserin gemeint?  (S. 31) Der Verdacht liegt nahe, denn just blättert diese um und wird darüber informiert, dass Shapewear heutzutage auch mit Spitze besetzt zu haben ist.

Richtig dicke kommt es im Text der Autorin Nikola Helmreich. Bei der kommen sich nämlich ihr "dickes und dünnes Ich" immerzu "in die Quere". (ab S. 35) Wie sollte es auch anders sein? Wie sollte es denn bitte sehr auch möglich sein, eine Schreiberin zu finden, die tatsächlich dick ist und sich total ok findet? Die Frau Helmreich weiß zu berichten, dass sich "nun wirklich keine Frau" freut, wenn sie zu hören bekommt: "Gut siehst du aus, hast du zugenommen?" Dass das aber ohnehin nie jemand sagt (außer das Gegenüber ist anorektisch und gerade dem Tod von der Schippe gesprungen) und dass gerade diese Tatsache aber auch Teil des Problems ist, entzieht sich ihr natürlich komplett. Sie schwadroniert weiter über flache Bäuche, die "einfach nur grandios gut aussehen" und darüber, dass ihr dünnes Ich "die Hüftknochen spüren will", während dem dicken Ich womöglich soziale Kontakte und Essen wichtiger sind als Sport. Und die Redaktion lässt sie einfach so machen.Schließlich beweint sie noch aus dem Nichts heraus den Verlust "traditioneller Weiblichkeit" im Zuge der Emanzipation, und man kann als verblüffte Leserin wirklich nur raten, was sie wohl mit "traditioneller Weiblichkeit" meinen könnte. Womöglich hat sie dabei auch nur mal wieder an Sophia Lorensche Kurven gedacht - sowas kommt bei dem Thema ja immer gut.

Noch etwas dicker kommt es allerdings da, wo sich sie Herausgeberin at Large, also Barbara Schöneberger höchstselbst, zum Thema äußert. Denn die wäre ganz offensichtlich auch lieber dünn. Und beneidet im Gespräch mit Steffen Henssler diesen darum, dass der wohl noch nie eine Diät machen "musste" (ab S. 39). Da kennt sie den Steffen und seine Sorgen aber schlecht, denn der muss zumindest aufpassen, nicht zuzunehmen, denn "ab einem gewissen Alter setzt man schneller an." Darum achtet er darauf, was und wie viel er isst. Und er schläft genug, denn "wer schläft, isst nicht." Dass die Frau Schöneberger so "gut in Form ist", wie der Steffen findet, verdankt sie mithin einem Personal Trainer.

Die Frau Schöneberger erklärt an anderer Stelle, sie habe sich in ihrer Nische als "TV-Vorzeigedicke (...) gut eingerichtet" (S. 66). Das ist natürlich nichts weiter als ziemlich lahme Koketterie und wird von ihr selbst auch sogleich richtiggestellt: "Ich (...) wirke in Natur ganz normal, im Fernsehen aber wie eine Walküre." Was immer auch normal ist. Walküren sind es offenbar nicht. Gleichzeitig redet sie von "grauenvollen Fotos", auf denen sie vergessen hat, den Bauch einzuziehen. Aber zum Glück passt die Frau Schöneberger fortan in Kleider von Viktoria Beckham, weil die nun auch in 38/40 produziert werden. Jetzt wissen wir also, dass die Walküre tatsächlich nur eine Größe 38 trägt. Die Walküre ist nicht wirklich dick. Und es war ihr sehr wichtig, das bitte noch einmal zu sagen.

Es gibt noch so viel, was ich an dem Heft nicht begreife. So z.B. den "Snackcheck" (in jeder Ausgabe), der den "Hüftgoldfaktor" von Nahrungsmitteln überprüft. Oder einen vor echter Besorgtheit/Kritik triefenden Beitrag über ein Burgerrestaurant in Las Vegas. Der Name des Lokals ist ironisch gemeint und womöglich gar als Rebellion gegen all die Voruteile, mit denen Nahrungsmittel gern belegt werden, zu lesen - er lautet "Heart Attack Grill". Die Ironie freilich ist dem Texter Björn Krause schier entgangen. Auch die Tatsache, dass es sich um Erlebnisgastronomie handelt, und darum Patienten Untersuchungshemdchen tragen und die Kellnerinnen als Krankenschwestern verkleidet sind, hat er nicht so wirklich gerafft. Der Autor versteigt sich gar zu der Schlussfolgerung, ein Stammkunde des Restaurants, der irgendwann an einem Herzinfarkt gestorben ist, habe sich "buchstäblich totgefressen." Das Food-Bashing, das hier stattfindet, ist nicht nur Quatsch, sondern scheint im Kontext des Magazins erstaunlich deplatziert. Ebenso wie die Bewertung eines Frauenkörpers mit statistischen Normmaßen (1, 67, 67 kg, Größe 42)  durch einen Fitnesstrainer. Der würde naturgemäß gern alles an der Frau verändern und wegtrainieren. Was bitte soll das? Warum lässt man die, die doch ohnehin von morgens bis abends und überall andere Körper niedermachen, es auch noch hier tun?

Und noch eine Enttäuschung. Dieses Kleid hätte ich tatsächlich gern gehabt. War aber auf der Website des Herstellers weit und breit nicht zu finden.


Nichts als Diät

Der Schwindel geht natürlich erst recht weiter und immer weiter, wenn es darum geht, ohne Diät abzunehmen. Nichtsdestotrotz habe ich hier mal die schönsten Tipps  aus dem Büchlein, das der Joy im März beilag, zusammengetragen. Wohlgemerkt - alles ganz easy und komplett ohne Diätstress...

1. Reiswaffeln haben "haufenweise Kohlenhydrate". Besser sind Hüttenkäse oder Magerquark.
2. "Ein Glas Cranberrysaft gleich nach dem Aufstehen ist ein absoluter Fettkiller!"
3. "Wer die Kilos purzeln lassen will, sollte nie weniger als 20 Prozent der gewohnten Energiemenge zu sich nehmen. Bei 2000 Kalorien also mindestens 400 pro Tag." (Jahaa, ich musste auch erst zehnmal lesen und hab dann große Augen gemacht...)
4. "Gute Dinner-Alternative: fettarmer Fisch mit gedünstetem Gemüse."
5. "Geben Sie Peperonis (...) ins Essen: Ihre Körpertemperatur erhöht sich und der Körper verbrennt Kalorien, um wieder abzukühlen!" Ich dachte immer, die Mehrzahl von Peperoni sei Peperoni...
6. "Verkneifen Sie sich lieber den Snack vorm Schlafengehen."
7. "Smoothies - Ein Mix aus Gurke, Minze und Limettensaft belebt und sättigt!"
8. "Algenbauchwickel reduzieren Wasserablagerungen über Nacht."
9. "Wie wär's statt mit einem Glas Wein mit einer Tasse Entschlackungstee zum Einschlafen?"
10. "Rechtshänder sollten mit der linken Hand snacken, Linkshänder mit der rechten - so isst man viel weniger!"
11. Blaue oder grüne Wände "zügeln den Appetit".
12. "Eine Viertel Stunde bügeln, verbrennt 37 Kalorien." Abgesehen davon, dass das nun wirklich nicht ermutigend ist, müsste es natürlich eine "Viertelstunde" sein. Bin ich übrigens die Einzige, die findet, dass es mit der Rechtschreibung im öffentlichen Raum (Schilder, Bücher, Zeitschriften, TV) in den letzten Jahren erschreckend den Bach runter geht? Und diese groteske Flut von Ausrufezeichen in Publikationen für junge Frauen geht mir sowas von auf die Eierstöcke. Vermutlich war ich noch nie jung genug dafür.
13. Und zum großen Finale: Dicke Frauen sollten einen Mittelscheitel tragen, denn der "schummelt Pfunde weg". WARNUNG: "Haare nie hinter die Ohren klemmen!"

Btw...wenn ich ein Magazin mit meinem Namen herausgeben würde, sähe jede Ausgabe natürlich so aus:

Nicola Magazine Mai 2012, Japan 

NH