Sonntag, 15. Mai 2016

Follow me around 46: Hohe Erwartungen


Philosophenturm Uni Hamburg

Ich bin müde, müde, müde. 

Im Philosophenturm der Uni Hamburg habe ich einst studiert - tatsächlich u.a. auch Philosophie. Am Donnerstagabend war ich nach Jahren mal wieder auf dem Campus, um an all den schwarzen Brettern meine Flyer aufzuhängen. Ein merkwürdiges Gefühl. So war das bekanntlich nicht gedacht - dass ich mich in mittleren Jahren Studenten mit selbstgedruckter Werbung als preiswerte Korrekturleserin anbiete. Im Moment läuft es aber nun einmal so. Im Augenblick gilt es, sich irgendwie über Wasser zu halten. Darum mache ich neuerdings ja auch hier unverdrossen und schamlos Werbung: Wenn jemand Übersetzungen, Korrekturen oder insbesondere Englischunterricht benötigt - ich helfe gern. : )

In einem vorherigen Beitrag hatte ich erwähnt, dass ich mich auf eine IHK-Prüfung vorbereite. Tatsächlich gehe ich auch zur Schule und befinde mich mitten in einem Vorbereitungsprogramm zur Psychotherapeutin HP ("kleiner Heilpraktiker"). Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Also, das Pauken und die Prüfungsvorbereitung. Die Schulbank zu drücken, gefällt mir eigentlich wirklich gut. Ich finde es toll, auch mal nicht vorne zu stehen. Trotzdem steigt die Panik wöchentlich mit der Menge des Stoffes. Und über die schieren Ängste im Hinblick auf die Mühen einer eventuellen Praxiseröffnung will ich hier gar nicht erst reden. Obwohl ich natürlich schon weiß, worauf ich mich spezialisieren werde (Selbstakzeptanz und Essstörungen) und meine Dienste als Zuhörerin und Unterstützerin auch schon jetzt, sozusagen zu Übungszwecken, anbiete. Also auch Versuchskaninchen zahlen weniger.

Dann ist da noch der neue Kater.



Er tat genau das, was fast alle anderen Katzen in meinem Leben getan haben. Er fand den Weg zu meiner Terrassentür und zog ein. Er war komplett ausgehungert, zerstochen von Flöhen und Zecken und forderte lauthals jammernd und verzweifelt ein ruhiges Plätzchen sowie etwas Zuwendung. Er lief mir im Garten kreuz und quer hinterher wie ein Hund und kannte sich sofort bestens aus mit Katzenkorb, Katzenklo und Kratzbaum - nur mit Corbinian läuft es nicht so gut. Da will der Neue schlicht nicht begreifen, dass er besser einen Bogen machen sollte, und weil das so ist, ist Corbinian gestresst und kommt nun oft stundenlang nicht mehr von selbst nach Haus, sondern lässt sich regelmäßig von mir aus dem Garten abholen. Das ist ihm offenbar irgendwie sicherer. Wenn er in der Wohnung auf den neuen Mitbewohner trifft, kommt es in der Regel zu kleinen bis mittelschweren Fauchereien - nicht immer, aber immer mal wieder. Die Tatsche, dass der Kater Stress hat, stresst selbstverständlich auch mich. Und zwar wahnsinnig. Es scheint mir alles fürchterlich unfair, schließlich war Corbinian zuerst da. Und ich überlege, ob ich dem Neuen vielleicht doch woanders ein gutes Zuhause verschaffen könnte/sollte. Aber auch der Gedanke daran, ihn wegzugeben, erfüllt mich mit vorauseilendem Bedauern und mit Schuldgefühlen. Wenn der rote Kater bleibt, wird er Gustav heißen.

Nebenan schleppen sich die Bauarbeiten so dahin. Was seit letzter Woche aber immer ohne nennenswerte Unterbrechung läuft, ist das Radio. Dummerweise haben die Betreiber der Freilichtdisco (die Bauarbeiter) einen scheiß Musikgeschmack. Als heute "Ein bisschen Frieden" durch die Straße hallte, dachte ich für einen Moment, das Ende meiner Zündschnur sei erreicht. War sie nicht. Das kommt dann aber noch - ich kann es spüren. Irgendwann werde ich vor Wut über den ganzen Lärm und Dreck anfangen, so zu kochen, wie mein Computer.

Jepp, in einer wirtschaftlich zutiefst angespannten Situation gibt mein wichtigstes Arbeitsmittel nun beinahe täglich wegen Überhitzung den Geist auf, und steht neuerdings auf vier kleinen Füßchen, damit die Luft darunter besser zirkulieren kann. Es bleibt spannend, ob die Maschine und ich es gerade noch schaffen, über die  Ziellinie zu humpeln, oder ob wir vorher zusammen im Chaos versinken werden.

Was das Aussortieren angeht, bin ich jetzt übrigens bei 387 Gegenständen angelangt.

Während ich all dieses erzähle, denke ich, dass ich das vielleicht gar nicht sollte. Insbesondere nach der Veröffentlichung meines letzten Vlogs und des Monologs über Online Dating und enttäuschte Liebe hatte ich das bisher eher seltene Gefühl, mich womöglich doch zu sehr ausgeliefert zu haben, und dass es vielleicht in Zukunft womöglich gesünder wäre, mein Innenleben weniger im Außen zu verbreiten. Man muss nämlich nicht nur regelmäßig die eine oder andere unangemessene Reaktionen aushalten, sondern vor allem auch das mögliche Schweigen. Bloß weil man sich entscheidet, seine Seele ins Schaufenster zu legen, hat man keinen Anspruch darauf, dass andere sich die Nase am Glas platt drücken, um sie zu sehen. Es kann sein, dass sie gar nicht von besonders großem Interesse ist, egal wie sehr sie glüht. Und so kann es offenbar auch passieren, dass von tausend Menschen, die einen Blogpost über ein Video lesen, nur ein paar das Video auch wirklich ansehen. Es ist ein Rätsel, aber ich habe das Gefühl, ich will die Lösung auch gar nicht unbedingt wissen.

Und so werde ich mich zukünftig wieder und noch sehr viel mehr auf die Betrachtung und Analyse von medialem Fatshaming konzentrieren. Ein besonders ärgerliches Beispiel fand ich dann auch vor ein paar Tagen in einer Broschüre, die in meiner hamburger Bücherhalle (aber auch an der Uni quasi stapelweise) auslag: "Vegan - Die gesündeste Ernährung" herausgegeben vom Mediziner Ernst Walter Henrich.

Henrich unterspritzt beruflich offenbar Falten, betreibt eine Stiftung, die in Spanien eine Art Gnadenhof unterhält, hatte einen veganen Hund, der mit neunzehn Jahren verstarb und ist mittlerweile berühmt für seine Militanz, die ihn immer wieder, und auch in besagter Broschüre, dazu verleitet, die Haltung von Nutztieren mit dem Holocaust gleichzusetzen. Auf Seite 4 und 17 finden sich zwei Abbildungen. Ich werde sie hier nicht zeigen, aber auf der Homepage von Henrich (die ich nicht verlinke) sind sie auch zu sehen: Die eine stellt einen schlanken, nackten männlichen Oberkörper mit stark definierten Bauchmuskeln und einem Apfel in den Händen einem dicken, ebenfalls nackten und männlichen Bauch gegenüber, dem die Hose fast platzt und der einen Hamburger in der Hand hat. Die zweite stellt dem Portrait eines Mannes mit ketchup- oder impliziert blutverschmiertem Doppelkinn ein schwarzes, weinendes Kind mit einem Hungerbauch gegenüber. Ich schrieb dem Autor die folgende Nachricht:

Hallo Herr Henrich,
ich finde das Fatshaming, das Sie mit Ihren beiden zentralen Abbildungen auf der Homepage und in der Broschüre (S. 4 und inbesondere S. 17) betreiben, unerträglich. Offenbar nehmen Sie es mit der Menschenwürde aller Menschen nicht ganz so genau, wie man vielleicht erwarten dürfte.
Es gibt mittlerweile sehr viele dicke Veganer und weiterhin nur vergleichsweise wenige mit einem Sixpack. Die wahre Welt wäre hier vielleicht mal einen Blick wert. SO dürften Sie der Sache mitunter eher schaden als nützen. Und das ist obendrein ausgesprochen ärgerlich.
Mit freundlichen Grüßen
Nicola Hinz

Ich erhielt darauf die folgende Antwort:

Das ist bewusst so ausgewählt. Und es bleibt so.
Mit den besten Grüssen
Ernst Walter Henrich

Mein erklärtes Ziel ist bekanntlich, dass es nicht so bleibt. Jedenfalls nicht immer und überall.

Oh, ist es wirklich schon wieder so spät?...



NH