Freitag, 15. Juni 2018

Ausgelesen: "Nicht direkt perfekt" von Nicole Jäger

"Ich mache mir immer Gedanken darüber, wie ich wohl gerade aussehe. Immer." (S. 10)


Einer meiner Vorsätze für 2018 war, keine schlechten Bücher mehr zu lesen. Hat bekanntlich mal wieder nicht geklappt. Erst die relative Enttäuschung über Magda Albrechts biederes "Fatshionsta" und nun auch noch das.

Obwohl es im Fall von Nicole Jägers "Nicht direkt perfekt" streng genommen keinerlei Enttäuschung gab - es bestanden ohnehin keine großen Hoffnungen. Das Buch ist erwartungsgemäß sprachlich daneben und vollgestopft mit Quatsch. Und dann noch mit den Wiederholungen von eben jenem Quatsch. Im Zuge ihrer unsäglichen, SIEBZEHN!!!seitigen Danksagung bedankt sich Nicole Jäger übrigens auch bei ihrer Lektorin Susanne Frank. Jeder gequälten Leserin, die sich bis zu diesem Punkt durchgearbeitet hat, bleibt nur noch, mit letzter Kraft aufzuheulen: "Wofüüür?!" Bei der Vorstellung, wie unerträglich der Ausgangstext tatsächlich gewesen sein muss, wenn hier wirklich noch eine professionelle Nachbearbeitung erfolgt sein soll, kräuseln sich einem die Fußnägel hoch. Selten habe ich ein Buch in Händen gehalten, bei dem so klar war, dass hier irgendwie und wie auch immer Papier gefüllt werden sollte. Weil man halt unbedingt einen Nachfolger für den vorangegangenen Bestseller "Die Fettlöserin" herauspressen wollte.

Dummerweise ist der Nachfolger (zumindest relativ) gefloppt. Nicht wegen des Lektorats, das war beim Vorgänger wie gesagt auch nicht besser. Sondern, weil die (vermutliche) Superlügengeschichte vom Rekordgewicht von 340 kg, die den ersten Erguss weit ins Land trug, im zweiten Werk eben nicht mehr zieht. Denn die Frau Jäger nimmt nicht mehr ab. Sie hat es noch immer vor. Jedenfalls sagt sie das. Aber sie tut es nicht. Ganz so, wie wahrscheinlich die meisten ihrer zuvor begeisterten Leserinnen.

Glauben sollte man der Frau Jäger sodann auch im zweiten Werk nicht allzu viel. Das Buch ist nicht nur verdammt langatmig und redundant - es war offenbar der Versuch, auf einen komplett artfremden Zug aufzuspringen und sich weibliche Selbstakzeptanz (im allerweitesten Sinne) als neues Betätigungsfeld und Einnahmequelle unter den Nagel zu reißen. Solange es mit dem Dünnwerden nichts wird, nimmt sie eben einen Umweg über die Selbstakzeptanz. Ist ja jetzt auch irgendwie in.

Auf der Hand liegt, dass die Frau Jäger auch ganz ohne gezielten Umbau der Wahrheit hierbei ein substantielles Glaubwürdigkeitsproblem hat, hat sie doch im Vorgängerbuch tausendmal ihren Leserinnen in deren Ärsche treten wollen, damit sie bitteschön endlich abnehmen. Auch so etwas, was das Lektorat damals nicht verhindert hat. Eine deutliche Distanzierung von ihrem ursprünglichen Lob des Diätens nimmt Frau Jäger im neueren Werk mithin nicht vor.

Dafür verrät jedoch der Titel "Nicht direkt perfekt"schon genau, was dann zwischen den Buchdeckeln hauptsächlich stattfindet - von der Gültigkeit von Schönheitsnormen mag sich die Autorin gedanklich gar nicht trennen, denn offenbar gibt es in ihrer Welt sehr wohl so etwas wie ein "perfektes" Äußeres sowie deutliche Abweichungen davon. Das führt zum einen dazu, dass ihre Solidarität mit der "nicht direkt perfekten Leserinnenschaft" nur eine verlogene ist - so wie die von Frauenzeitschriften in der Regel auch. Zum anderen veranlasst es die Autorin zu einer auf verwirrende Weise selbstbeweihräuchernden Selbstdarstellung als eine Mischung aus einsamer Drama Queen, kapriziöser Sitcom-Protagonistin und Femme Fatale. Tatsächlich bezeichnet sie sich quer durch das Buch hindurch selbst als "Diva". Bei den kuscheligen Aufzählungen ihrer "Schwächen" (das dünne Haar, die hängende Haut, die chaotische "Künstlerseele" (S. 251)) scheint es sich mithin lediglich um Koketterie zu handeln, die sich vor dem Hintergrund ihrer eigentlichen Grandiosität zwecks Sympathierhalts eben einfach schickt.

Wenn frau den Schilderungen der Frau Jäger glauben mag, dann ist sie in der Tat ein männermordender Vamp, ein veritabler Penis-Magnet, bei dem große, breitschultrige Männer vom vordersten Ende der Nahrungskette in Bars und Clubs regelmäßig Schlange stehen. Das Buch fängt an mit Film Noir für Anspruchslose: "Ein Club, ein Abend, ein angekratztes Ego, ein paar Gin und plötzlich war er da." (S. 9) Und geht dann auch schön platt weiter: "Der Boy neben mir ist auch nice (...) und sowie er guckt, werde ich schon bald herausfinden, wie sein Body aussieht." (S. 11)

Wieder und wieder jubelt uns die Autorin ihren vermeintlich immensen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Frau-Mann-Beziehung unter: "Mein Körpergefühl habe ich mir erarbeitet, erheult, erfickt..." (S. 66) "Ich brauchte Männer, die mir auf den Hintern (...) und ab und an sogar ins Gesicht guckten. (...) ich brauchte schlechte One-Night-Stands, tausend Laufmaschen, abgebrochene Absätze, verlaufenes Make-up, beschissene Beziehungen..." (S. 67/68) "Ich wurde schon für alle möglichen Arten von Frauen verlassen..." (S. 149) "Ich habe schon so manche Beziehung (...) gegen die Wand gesetzt..." (S. 175) "Ich trennte mich. Man trennte sich von mir. Man trennte sich im beiderseitigen Einverständnis, wie es immer so schön heißt,..." (S. 176)

Und dann wäre da ja auch noch eine in die Brüche gegangene Ehe zeitlich unterzubringen, bei deren Aufarbeitung im Buch die Frau Jäger ihrem verspießerten Ex mit einer gehörigen Portion Bitterkeit so richtig eins überbrät: "Eine Trennung, die das Ende einer Beziehung markierte, die vom ersten Tag an ein Ablaufdatum hatte." (S. 180) Und er ging ihr "auf die Eier, die er nicht hatte." (S. 185) Autsch...

Da staunt der Laie und Nicola wundert sich. Die hat bekanntlich unter großen Anstrengungen das Erstbuch komplett gelesen und fragt sich, wann die Frau Jäger bis Mitte dreißig bloß all diese Millionen von Affären und Beziehungen gehabt haben will, auch im Hinblick auf die Tatsache, dass sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer besonders dating-relevanten Jahre in einem Körper verbracht haben muss, mit dem es mitunter gar nicht so leicht gewesen sein kann, sich ohne Hilfe zu bewegen, geschweige denn mit ihm in tausenden von Nachtclubs Horden von Verehrern abzuwehren. Wenn die erste Lebensgeschichte stimmen soll, scheint die zweite schlicht nicht machbar.

Was hilft es anderen Frauen überhaupt, wenn man ihnen erzählt, was für eine Sexbombe man ("trotz" eines Gewichts von 170 kg und damit einer erheblichen Abweichung von gängigen Schönheitsnormen) ist? Wäre es nicht sinnvoller, zu verkünden, dass es schlicht für niemanden wichtig ist, eine Sexbombe zu sein?  Das würde der Frau Jäger freilich niemals in den Sinn kommen, denn: "Ich für meinen Teil bin jedenfalls in keinem Moment schöner als in jenem, in dem mich ein Mann begehrt." (S. 218)

Davon handelt im Grunde das ganze lange Buch. 

Von der Validierung durch männliche Zustimmung und der Tatsache, dass bestehende Körpernormen durchaus gelten, aber für das Gelingen individueller Lebensgeschichten, insbesondere in sexueller Hinsicht, nicht immer von ganz sooo großer Bedeutung sein müssen, wenn Frau eben nur anderweitig genug Großartigkeit entwickeln kann. Wie frau das macht? Nun, frau ist natürlich selbst dafür verantwortlich. Und natürlich selbst schuld, wenn es ihr nicht gelingen mag: "Ich glaube, das Problem liegt nicht im Spiegelbild und auch nicht im Auge des Betrachters, sondern in unseren eigenen Köpfen." (S. 82) Alles findet eh nur "in unseren Köpfen statt." (S. 83) Und "letztlich haben wir alle an dieser Misere Schuld." (S. 129)

Sprach's, und hub an zu einer bemerkenswerten Body-Shaming-Tirade: "...Meister-Verkorkserin meiner eigenen Figur..." (S. 51), "...dick zu sein ist kein Drama..." (S. 35), "Scheiß drauf, dass du nicht perfekt bist..." (S. 131), "...weil man figürlich nicht der Knaller ist..." (S. 151), "...darf ich mich wohlfühlen (...), obwohl ich nicht so perfekt aussehe?" (S. 205), "...obwohl ich genau weiß, ich sehe aus wie eine gestrandete Boje." (S. 242) "...und wenn alles straffer, schlanker (...) oder filigraner wäre, wäre es vielleicht auch nicht schlecht." (S. 117), "...aber, Himmel!, sehe ich nackt beschissen aus. Das lässt sich nicht schönreden." (S. 79), "Du darfst gerne 'Problemzonen' haben..." (S. 63), u.s.w.

Wenigstens ist die Menstruation nichts Ekliges. Das erklärt die Frau Jäger uns in befremdlicher Breite zwischen Seite 88 und Seite 105, denn offenbar "huschen nicht wenige Frauen durch Drogeriemärkte und verstecken ihre Tampons und Binden unter ein paar Bananen..." (S. 89) Donnerwetter. So einen Satz muss frau ja auch erst einmal erdenken, aufschreiben und dann selbst aushalten. Damit hat die Frau Jäger nebst Lektorats-"Vasallin" Frank (S. 250) jedoch erwartungsgemäß ganz und gar keine Probleme. Ganz im Gegenteil - für ein wenig Pathologisierung der menstruierenden Frau findet sich natürlich immer noch ein Plätzchen auf dem Papier: "PMS macht aus uns weinerliche Lappen, ekelhafte Furien, gemeine Drachen, todtraurige Gestalten, hoffnungslose Jungfern und heroische Kriegerinnen. (...) Und wir sind machtlos dagegen." (S. 101)

Was mir noch aufgefallen ist: Im Kapitel "Große Schwester" (ab S. 133) geht es um eine Essstörung, die im Diätratgeber meines Wissens nach nicht wirklich thematisiert worden ist. Die Frau Jäger gibt hier nun aber an, esssüchtig zu sein, stilisiert ihre Essstörung mit Pomp und Pathos zur Person und spricht sie direkt an. In der Tat handelt es sich bei der Essstörung um die "große Schwester" aus der Überschrift (S. 141), was mich ganz frappierend an meine Nachforschungen in der Pro-Ana-Bewegung vor ein paar Jahren erinnert hat. Da bekam Ana (die Anorexie) ebenfalls die Rolle einer ganz besonderen, düsteren Freundin und Begleiterin in den Leben der Betroffenen zugesprochen. Über die Rolle der großen Schwester im Leben der Frau Jäger mag ich nicht wirklich noch mehr spekulieren - immerhin droht sie: "Ich bringe zur nächsten emotionalen Messerstecherei meine große Schwester mit." (S. 146) Aber ein wenig gruselig ist das jetzt schon, oder? Might wanna get that checked out.*

Ach, und, als ob nicht alles schon fürchterlich genug wäre, redet die Frau Jäger zu guter Letzt auch noch über Feminismus. Warum eigentlich - das hat sich mir einfach nicht erschlossen. Und mir fällt erst recht kein Grund ein, warum das irgendeine lesen sollte. Wer Beweise braucht: "In dem Moment, in dem Männer nicht mehr Kerle sein dürfen und Frauen dafür welche sein sollen, läuft meinem Erachten nach etwas ganz fürchterlich schief." (S. 228) Nun ist es schon so, dass die Frau Jäger dafür ist, dass alle die gleichen Rechte haben. Aber sie will auf keinen Fall damit aufhören müssen, sich zu rasieren. (S. 233) Facepalm. Sie weiß selbstverständlich auch, dass wir "selbst den unangenehmsten Zeitgenossinnen unter ihnen (den Feministinnen) verdanken, dass wir heute stehen, wo wir stehen" (S. 231), aber der Begriff Feministin ist nun einmal so "muffig" und "schlimm verstaubt". (S. 226) Noch einmal: Facepalm.

Interessant wird das Buch für mich nur an einer einzigen Stelle, weil ich dort einen Schimmer Wahrhaftigkeit vermute - und, wie so oft, ist die Wahrheit nicht beabsichtigt. Aus heiterem Himmel betreibt die Frau Jäger Publikumsbeschimpfung. Angriffe im Internet setzen ihr offenbar sehr viel mehr zu, als es professionell wäre. Sie schreibt diese dem Neid der Angreifer auf sie zu und ist zutiefst enttäuscht darüber, dass Ihre Fans sie nicht mehr und wirkungsvoller verteidigen. Offenbar haben die nicht wirklich begriffen, wer sie eigentlich ist: "Weil Neid eben doch von allen Seiten hässlich ist und die Community der 'Zu-mir-Halter' allem Anschein nach vergesslich ist, wenn Worte wie Pflastersteine fliegen und die Luft brennt, ich dabei zusehen muss, wie der 'Ich stehe hinter dir'-Fresseaufreißer wegrennt, immer dann, dann, (nein, kein Typo) wenn ich einen Wingman bräuchte." (S. 246)

Nein, zu beneiden ist sie wirklich nicht.


NH

*Da würde ich an deiner Stelle mal einen Arzt fragen.