Hier ist sie nun - die Auswertung meines ersten Monats mit
einem Hartz IV-Budget für Nahrungsmittel von € 130,-.
Zunächst einmal: Die 2,5 kg sind wieder drauf. (Aber dazu
später mehr.)
Ich habe im Juli zweimal
Nahrungsmittel weggeworfen: 1 halbe Salatgurke, und ca. drei Tassen
angebrannten Reis.
Außerdem: Ab dem 26. Juli wurde die Sache dann durch verschiedene
Umstände vollends unübersichtlich – ich habe auswärts gegessen, und die Belege zum
Teil nicht aufgehoben/die Beträge nicht mehr notiert. Man muss also sagen, dass
das Experiment ab da für den Juli im Prinzip wirklich beendet war. Ich hatte mein Budget ja bereits Mitte des Monats
ausgeschöpft – bis zum 15. Juli hatte ich schon 135,87 Euro ausgegeben. Vom
16. bis zum 25. Juli waren es dann noch einmal 147,62 Euro. Das ergibt also kurz vor Ende des
Monats eine Überschreitung des Regelbetrages
um über 100%. Das lag einerseits natürlich daran, dass ich nach dem
ersten gescheiterten Anlauf schon keine Lust mehr hatte. Ein bisschen fühlte es
sich sogar so an, wie das alte „Jetzt-ist- es- eh-schon-egal-Gefühl“ , wenn man
es mal wieder nicht geschafft hatte, sich an die „Regeln“ einer Diät zu halten.
Fast wie zum Trotz habe ich plötzlich so kostspielige Sachen wie schwarzes
Hawaii-Salz erworben und mich insofern nicht mehr wirklich bemüht, besser zu haushalten,
sondern nur noch versucht, meine Ausgaben wenigstens weiterhin zu dokumentieren.
Wobei natürlich nicht alles, was gekauft wurde auch schon gegessen worden ist. Zusätzlich habe ich ab
Mitte des Monats auch wieder „schnell mal was vom Bäcker“ rausgeholt.
Für 283,49 Euro habe ich im Juli dieses erworben:
Gemüse:
6 kg Kartoffeln (bio)
800 g grüner Salat i. d. Tüte
6 Paprika
500 g Schalotten
100 g Shii-take
1 große Zucchini gelb
500 g Cherrytomaten
2 große Schmorgurken
1 kleine Aubergine
1 Chinakohl
400 g Champignons
1 Blumenkohl
1 Salatgurke
500 g Broccoli
Obst:
4 Bananen
2,5 kg Wassermelone
1 Schale Nektarinen
250 g Erdbeeren
400 g Blaubeeren
10 wilde Pfirsiche
500 g Kirschen
500 g Himbeeren
Brot:
7 Brötchen
1 Brot vom Bäcker
1500 g Graubrot (abgepackt)
2 Laugenbrezeln
Milchprodukte:
250g Quark
400 g Feta
500 g Mozzarella
Süßigkeiten etc.:
3000 ml Eiskrem
4 Packungen Kekse
500 ml Zitronensorbet
450 g Nusskrokant zum Streuen
0,7 L Himbeersirup
2 Schokoriegel
200 g Schokolade
190 g Kartoffelchips
Fette:
750 ml Rapsöl
500 ml Olivenöl
250 g
Butter
500 g Margarine (bio)
Tiefkühlprodukte/Fertiggerichte:
2 Tiefkühlpizzen
4,5 kg Ofen-Pommes
(bio)
200 g Gemüsebällchen
200 g Nudelsalat
Tofu und
Soja-Produkte:
375 g vegane Brotaufstriche (bio)
760 g Tofu (bio)
180 g Sojaschnitzel
180 g Sojaschnitzel
1 Becher Soyafit
Creme fit (200 ml) (bio)
250 ml
Alpro Soya Cuisine
Getränke:
11,5 l Cola Light
1,25 l Ginger Ale
3 l Eistee
Sonstiges:
Restaurants/Snacks on the go (einschließlich der
Trinkgelder): € 64,30
200 g Mischung für Dinkelbratlinge,
200 g Mischung für Dinkelbratlinge,
500 g Nudeln (bio)
650 ml
Salatdressing
500 ml
Ketchup
0,75 L
Apfelessig (bio)
250 g
Tomatenmark (bio)
1 Glas
Pesto
115 g
Hawaii Salz
68 g Muntok
Pfeffer
Was für Erkenntnisse habe ich gewonnen?
Was ich gewonnen habe, ist Ratlosigkeit. Und Empörung. 130
Euro reichen nicht, um sich abwechslungsreich zu ernähren. Ich bezweifle
allerdings auch, dass sie reichen, um sich einseitig zu ernähren. Ich bezweifle schlicht noch immer, dass sie
reichen, um satt zu werden. Egal wie.
Für Kartoffeln, sonstiges Gemüse und Obst habe ich im Juli 65,57
Euro ausgegeben, also mehr als 50% des Hartz IV-Satzes (und weniger als sonst).
Da müssen ganz offensichtlich Einschnitte gemacht werden, wenn das Geld
irgendwie reichen soll. Die Frage wäre, was man denn sonst essen soll? Noch
mehr Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis? Diesen Austausch habe ich zumindest in
der ersten Monatshälfte im Juli ohnehin schon vorgenommen – und habe trotzdem
abgenommen. Und Reis musste ich im Juli nicht einmal kaufen, weil ich noch genug
im Haus hatte.
Ja, ich hör sie schon
rufen – WENIGER SÜSSES! Aber auch dann entsteht ein Defizit an
Energieeinheiten, das dann möglichst billig ausgeglichen werden muss. Diese Übung
ist keine Diät. Und nennt mich ruhig verbissen, aber ich finde, es muss in
einem menschenwürdigen Alltag auch möglich sein, Besuchern zum Tee einen Keks anzubieten.
Einmal habe ich 500 g Brot für 59 Cent gekauft. Es tut mir
Leid – ich bin sonst nicht kleinlich und habe kaum Vorurteile gegen einzelne Nahrungsmittel
– aber DAS schmeckte tatsächlich so, als ob es einen in Kürze umbringen könnte.
Ein gelegentlicher Ausflug ins Restaurant ist mit Hartz IV auf
jeden Fall nicht drin. Auch dann nicht, wenn es ein Fast-Food-Restaurant ist. Eine
Freundin schlug mir vor, während des „Experiments“ im August doch Restaurantbesuche
schlicht nicht mitzurechnen, weil das doch einfach zu freudlos würde, wenn man in
der Hinsicht gar nichts mehr unternehmen könne. Mit der Freudlosigkeit hat sie
Recht – aber das geht natürlich nicht. Man kann sich nicht mit einem Geheimbudget
sattessen, wenn es darum geht, herauszufinden, wie hungrig man mit deutscher
Grundsicherung wirklich werden wird.
Der Soziologe Friedrich Schorb legt in seinem Buch „Dick,
doof und arm?“ dar, dass tatsächlich zwei Dinge zutreffen, die ich immer
bezweifelt habe: Nahrungsmittel, die
viel Fett und Energie enthalten sind, sind statistisch billiger als Obst und
Gemüse. Er berichtet über die Ergebnisse einer britischen Studie, der zufolge
eine Kalorie, die aus Broccoli gewonnen wird, 25mal mehr kostet, als eine
Kalorie aus Tiefkühl-Pommes. Außerdem bestätigt er, dass insbesondere bei
Frauen ein starker Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und der Entstehung von „Übergewicht“ zu bestehen scheint. Frauen mit einem Hauptschulabschluss werden offenbar in Deutschland dreimal so oft übergewichtig wie Frauen
mit Abitur.
Die gesellschaftlich allgemein gültige Schlussfolgerung aus
dieser Datenlage sieht er wie folgt: Dicke sind dick, weil sie zu ungebildet
sind, um sich gesund zu ernähren. Aber, so Schorb, es gibt natürlich auch einen
klaren Zusammenhang zwischen dem Haushaltseinkommen und Bildung. Und wenn Arme
sich anders ernähren, als Wohlhabende und viele billige, energiereiche Fertigprodukte
zu sich nehmen, um überhaupt satt zu werden, dann hält er das ganz klar für eine Frage des Geldes – und nicht
von Bildung. Beim ausschließlichen Verzehr von preiswerten, zumeist
hochkalorischen Nahrungsmitteln ist es eben schlicht leichter, eine „Überdosis“
an Kalorien zu sich zu nehmen.
Schorb beschreibt außerdem etwas, von dem ich mir einbilde,
dass ich es Mitte des Monats auch erlebt habe, und was ich wirklich
bemerkenswert und einleuchtend finde: den Armuts-Jojo-Effekt. Wenn am Monatsende
das Geld nicht reicht, wird zwangsweise gehungert, bis am Ersten wieder Geld
auf dem Konto ist und man sich endlich mal wieder satt essen kann. Amerikanische
Wissenschaftler erklären so die Tatsache, dass insbesondere sozial schwache
Frauen leichter Gewicht zulegen. Viele von ihnen seien alleinerziehende Mütter
und würden öfter als andere dazu tendieren, am Monatsende zugunsten ihrer Kinder
zurückzustecken. Langfristig bewirken die unregelmäßige Versorgung mit Nahrungsmitteln
und die andauernden Mini-Diäten durch den damit einhergehenden Jojo-Effekt bei
Armen eine Gewichtszunahme. Als ich Mitte Juli feststellte, dass das mit den
130 Euro gelaufen war, kaufte ich auch
erst einmal ein paar Lebensmittel, die ich mir in den zwei Wochen davor nicht
genehmigt hatte. Darum bin ich jetzt auch wieder so schwer wie vorher. Und
vielleicht ist das auch die Erklärung, dass ich in der zweite Hälfte sogar noch
mehr ausgegeben habe, als in der ersten.
Was ich im August (anders) machen werde:
- Bar bezahlen. Eine Freundin legt ihr Haushaltbudget für den Monat immer bar in einen Umschlag, um mit ihren Ausgaben disziplinierter zu sein. Das werde ich auch mal versuchen.
- Ich muss definitiv mehr „Sponsoren“ finden. (Das könnte auch in andere Bereiche des Lebens ganz neue Bewegung bringen.) Wer es also kaum abwarten kann, mir einen Drink zukommen zu lassen: Lillet Hugo – am besten bleich zwei. ; )
- Ich werde viel mehr bei Discountern einkaufen, und mich gezielt auf Schnäppchenjagd machen.
- Ich esse ja kein Fleisch und kenne die Preise auch nicht. Ich werde mich rein interessehalber mal umsehen, ob Fleisch womöglich sogar billiger wäre als Gemüse/Tofu.
- Wenn es wirklich so ist, dass hochkalorische Fertiggerichte die billigere Wahl sind und ich bei stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit hoher Energiedichte (also Kohlenhydrate und Fette plus einen Haufen Zusatzstoffe) mehr Kalorien für mein Geld bekomme, werde ich sie jetzt auch konsequent auf meinen Speiseplan setzen. Mal sehen, ob ich 1) aufgehe wie ein Soufflé, 2) wie ich mich körperlich dabei fühle und 3) wie viel ich dabei sparen kann. Fest steht schon eins: Der Einstieg in die vegane Ernährung verschiebt sich dadurch auf jeden Fall.
- Um zu sparen, werde ich Großpackungen kaufen und feststellen, wie es sich anfühlt, immerzu den gleichen Kram essen zu müssen. Ich habe keine Tiefkühltruhe, nur ein Gefrierfach. Und alle sonstigen Produkte, die man öffnet, müssen dann zumeist in absehbarer Zeit aufgebraucht werden. Da wird es mit der Lagerhaltung für oben erwähnten Speiseplan vermutlich ziemlich eng und eintönig.
Weil das äußerst aufschlussreiche und weitgehend (aber vermutlich
nicht überraschend) ignorierte Buch von Friedrich Schorb drei Jahre nach seinem
Erscheinen bei Amazon bereits für ein Viertel des Originalpreises „verramscht“
wird (ich nehme mal an, da ist keine weitere Auflage geplant), habe ich gleich einen
kleinen Vorrat angelegt und verschenke zwei Exemplare wieder hier.
Wer gern eins hätte, sendet mir einfach wieder eine Mail
(bis zum Freitag - 3. August 2012) an office(at)nicola-hinz.com
und kommt in den Lostopf.
NH