Ich wusste ja gar nicht, dass die Brigitte im letzten Jahr schon wieder aufgehört hat, mit "echten Frauen" statt mit Models zu arbeiten. Und das nach einer Testphase von nur - wie lange war das - 2 Jahre(n), die offenbar erheblich danebengegangen sein muss. Der Grund dafür wurde übrigens den Leserinnen in die Schuhe geschoben, denn die wollten angeblich gar keine "echten Frauen" mehr sehen. Was vielleicht auch damit zu tun haben könnte, dass die "echten Frauen" in der Brigitte so ziemlich allesamt jünger, dünner und glatter, als die echten Leserinnen waren - also im Prinzip unentdeckte Models. Das heißt, die Optik blieb weitgehend gleich, nur der Druck auf die Leserin stieg, weil die jetzt gefühlt nicht einmal mehr mit der normalen Frau von der Straße konkurrieren konnte. Von der man dann ja obendrein auch noch lesen musste, dass sie in Kopenhagen Architektur studiert und leidenschaftliche Snowboarderin ist. Oder so ähnlich. Kurzum, jung, schön, erfolgreich UND "echt" - ich kann mir gut vorstellen, dass das ein wenig zu viel für das gebeutelte Publikum war. Aber das ist natürlich nicht die Schuld des Publikums. Da haben sich unfähige Redakteurinnen einfach nicht von ihren Vorstellungen lösen können, was ansehnlich ist. Und hatten zu wenig Schneid, um - Achtung! - ECHTE Veränderungen vorzunehmen.
Aber wie gesagt, davon hätte ich gar nichts mitbekommen, hätte ich neulich am Kiosk nicht die zweite Ausgabe dieses Jahres erworben, um mir "Die neue Brigitte Diät" (die ja noch nie wirklich neu war) anzusehen. Das tue ich halt immer. Feindbeobachtung sozusagen. Oder doch eher eine rituelle Rückkehr an den Tatort. Es ist die Brigitte-Diät, der ich einen großen Teil der Kilos verdanke, die ich heute mit mir herumschleppe, denn sie war unter den Diäten, mit denen als Kind meine Jojo-Karriere begann. Die Brigitte-Diät auf dem Papier und die im Kopf meiner Mutter haben maßgeblich dazu beigetragen, mich zu einer "echten", dicken Frau zu machen, die Jahrzehnte später noch immer mit den Folgen für ihren Körper und ihr Selbstbild kämpft. Wie so viele andere auch.
Und ohnehin: Das Problem der blanken Ungleicheit, das wir als Gesellschaft weiterhin haben, dürfte kaum plastischer darzulegen sein, als durch die Sätze, mit denen die Chefredakteurinnen (von denen eine männlich ist) ihr Editorial zur Diät-Ausgabe einleiten. Brigitte Huber sagt: "Frauen verheimlichen, vertuschen und unterschlagen. Zumindest, wenn es um sensible Daten geht, wie die Zahl der Kalorien, die sie zu sich nehmen." Stephan Schäfer sagt: "Meine schönste Diät habe ich mit 16 gemacht. Wir waren sechs Jungs, wild und entschlossen, Südfrankreich zu erobern. Leider hatten wir für die gesamten Sommerferien nur 250 Mark pro Mann. (...) Baguette, ein bisschen Käse, Fisch aus Dosen; der Rest versank in französischem Landwein." Sie fühlt sich schuldig und muss vertuschen, damit ihr die große Universumskalorienpolizei mit dem langen, weißen Bart nicht auf die Schliche kommt. Er hat offensichtlich noch nie in seinem Leben eine Diät gemacht. Und wird es auch nicht tun. Fat is a feminist issue?* Heute mehr denn je. Wenn ich mich dafür entscheide, Frauen auch nach fast sechzigjährigem Bestehen meiner Zeitschrift weiterhin mental und körperlich zu schwächen, indem ich sie anhalte, ihre Nahrung zu reglementieren, kann ein Bericht über Hillary Clinton ganz hinten im Blatt das jetzt ein für allemal auch nicht mehr rausreißen. Das hatte meine Mutter offenbar auch instinktiv begriffen, als sie ihr Abo mit Anfang 60 dann endlich kündigte.
Fuck it!
Und wie hört man nun endlich auf, Diät zu machen und permanent Diät zu denken? Das ist noch immer die alte neue Frage, um die sich hier im Prinzip alles dreht. Wie entreißt man jetzt wirklich und ernsthaft seinen Körper, seinen Alltag und seine Lebensfreude den Klauen eines seit Ewigkeiten verinnerlichten Kontrollprogramms?
John C. Parkins (Autor von "Fuck it!") Antwort ist ebenso einfach wie eindeutig: "Sagen Sie Fuck It zur "richtigen" Ernährung." Solange es kein "essensfreies" Essen gibt, wird es immer Ernährungsexperten geben, die an der Ernährung anderer Leute etwas zu nörgeln haben. Parkin rät, man solle seine Essgewohnheiten einfach so annehmen, wie sie sind. Wer irgendwann frei sein will vom Diätwahn, muss diesen Schritt machen. Die Angst, dass man immer weiter zunehmen könnte, wenn man die ständige Selbstkontrolle aufgibt, ist seiner Erfahrung nach unbegründet - im Gegenteil: er hält es für wahrscheinlich, dass man sogar Gewicht verliert, denn sobald man essen darf was und wann man will, will man vermutlich vieles gar nicht mehr so dringend essen. Das ist plausibel, denn dass restriktiver Umgang mit Nahrung zwangsläufig zu einer Obsession mit Nahrungsmitteln führt, ist schon lange erwiesen**, entspricht außerdem natürlich unseren persönlichen Erfahrungen und lässt sich in den Medien eindrucksvoll im Hinblick auf eine quasi gesamtgesellschaftliche Essstörung nachvollziehen: Nicht abreißende Berichterstattung über Diäten und vermeintlich gesunde Ernährung einerseits, Kochsendungen mit komplexen, hochkalorischen Kreationen im Minutentakt andererseits. Auch der Arzt Gunter Frank beschreibt in "Lizenz zum Essen" das Phänomen, dessen möglichen Eintritt Parke vorhersagt. Patienten verloren leicht an Gewicht, nachdem sie sich endlich entschieden hatten, keine Kalorien mehr zu zählen. Bei mir hält eine Tafel Schokolade übrigens auch entscheidend länger, seit ich mich mit der Möglichkeit beschäftige, einfach so zu bleiben, wie ich bin. Neulich habe ich hinten im Schrank sogar eine gefunden, die ich total vergessen hatte - das wäre früher nie passiert. ; ) Trotzdem darf man natürlich das Ende der Diäten nicht als neuen Diätplan begreifen - dass man sich damit ins eigene Knie schießt, dürfte auf der Hand liegen. Solche Erwartungen werden sich nicht erfüllen, sondern einen bei der Rückkehr zu einem nicht schuldbeladenen Essverhalten nur blockieren.
Parkins Strategie mag radikal erscheinen, deckt sich aber auch mit den Empfehlungen und Beobachtungen der Fettaktivistinnen Kate Harding und Marianne Kirby. Diese legen in ihrem Buch "Lessons from the Fat-O-Sphere" dar, dass die Angst, sich ins Koma zu futtern, wenn man sich plötzlich alles gestattet, jeder realistischen Grundlage entbehrt. Klar, wer gerade eine Diät hinter sich hat, wird wieder zunehmen. Das hätte man mit riesiger Wahrscheinlichkeit jedoch ohnehin. Aber anders als von der Brigitte et al. immer suggeriert, sind die allermeisten von uns eben keine mehr schlecht als recht getarnten Fressmaschinen, die ohne Reglementierung im Transformermodus den Planeten schmatzend ratzekahl machen würden. Vielleicht stopft man sich anfangs ein paarmal mit vorher "Verbotenem" voll, weil es halt jetzt erlaubt ist, aber, so Harding/Kirby, diese Phase wird für gewöhnlich nicht lange dauern. Irgendwann will der Körper automatisch zu einer abwechslungsreichen Ernährung zurück, die mengenmäßig den momentanen Bedürfnissen entspricht, und er wird einem dieses auch wahrnehmbar mitteilen. An dem Punkt wird es dann wichtig, genau hinzuhören und "hinzufühlen", um folgende Fragen genau zu beantworten: Bin ich jetzt hungrig? Und was will ich jetzt essen? Für Harding/Kirby ist intuitives Essen die einzige Chance auf eine Flucht aus der grimmigen Welt der Diäten in ein diätfreies Leben und zu einer selbstbestimmten Ernährung - etwas, was viele von uns eigentlich gar nicht (mehr) kennen.
- Grundvoraussetzung hierfür ist, dass man akzeptiert, dass Diäten schlicht nicht funktionieren. Dabei kann eine gesunde Portion Wut helfen.
- Außerdem ist es von entscheidender Bedeutung, damit aufzuhören, Nahrungsmittel in gute und schlechte einzuteilen.
- Wie Parkin raten die beiden, sämtliche Diät- und Ernährungsratgeber in den Müll zu werfen. Und ab da sollte man sich strikt an den Harding-Kirby Lifetime Diet Plan halten:
"Eat what you're hungry for, when you're hungry for it, and stop when you're full. Period."
(Iss wonach dir ist, dann, wenn dir danach ist und höre auf, wenn du satt bist. Punkt.)
Das ist nun eines meiner großen Ziele für das kommende Jahr - ich werde versuchen, hier weiter an mir zu arbeiten und besser darin zu werden, ohne Schuldgefühle das zu essen, was ich will. Meinen Plan einer kompletten Umstellung auf eine vegane Ernährung werde ich allerdings vorerst drangeben. Ich werde weiterhin vegetarisch leben und vielleicht versuchen, den Anteil tierischer Produkte nach und nach zu reduzieren. Ich hatte ja auch noch immer vor, mein Körpergewicht gezielt noch etwas zu verringern. Wegen der Knie und so. Aber ich werde ab jetzt keine Diät mehr machen. Und ich werde auch nicht "meine Ernährung umstellen". Wenn ich dann also einfach so bleibe, wie ich jetzt bin: FUCK IT! ; )
P.S.: Dann kann höchstens die Ausräumaktion im Kleiderschrank weitergehen - diesmal dann bis Größe 46 (einschließlich).
*Susie Orbach
** siehe z.B. Minnesota Starvation Experiment
NH