Freitag, 11. Juli 2014

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Nicht schwanger

Vor ein paar Wochen bekam ich meine Periode nicht rechtzeitig. Und ich dachte mir zunächst überhaupt gar nichts dabei. Nach zwei Wochen wunderte ich mich, aber dachte noch immer nicht weiter. Nach vier Wochen wurde ich plötzlich ausgesprochen unruhig. Mich ergriff eine flammende Panik, und ich kaufte nach über einem Jahrzehnt mal wieder einen Schwangerschaftstest. Ich trug ihn nach Haus, legte ihn in eine Schublade und begriff, dass ich alt werde.

Ich wollte nie Kinder haben. Mein Leben lang war ich in Verhütungsangelegenheiten immer  übergründlich. Und niemals wäre zuvor ein ganzer blutungsfreier Monat ins Land gegangen - der Sache wäre innerhalb weniger Tage auf den Grund gegangen worden. Es gab ja auch keine Entscheidung zu fällen, keinen inneren Konflikt. Eine Schwangerschaft wäre in meinem Fall immer ungewollt gewesen und damit auch automatisch beendet worden.

Bis jetzt. Jetzt bin ich zweiundvierzig Jahre alt. Und ich fand mich mit Herzklopfen auf meinem Badezimmerhocker kauernd, das Gesicht in den Händen, den Kopf voller verstörender weil zutiefst konventioneller Fragen: Was, wenn nun kurz vor Ladenschluss doch noch was passiert ist? Was das Kinderkriegen angeht, wäre das hier mit ziemlicher Sicherheit dein allerletzter Aufruf...WAS WÜRDEST DU ALSO TUN, WENN ES WIRKLICH SO WÄRE?! Ein Kind wäre endlich mal was Normales in deinem Leben. Das wäre die Gelegenheit, am Ende doch noch wenigstens ein gängiges Lebensritual abzuarbeiten. Außerdem - vielleicht ist es ja tatsächlich sinnstiftend, wer weiß...zumindest käme deine gesamte Bilderbuchsammlung noch einmal so richtig zum Einsatz.

Die Freundin, mit der ich dann darüber sprach, kriegte sich über die ungelegten Eier fast gar nicht mehr ein vor Vorfreude: "Oh, wie schön! Das ist doch super! Das würde mich aber für dich freuen! Kinder sind doch sowas Schönes! Und eins kriegt man doch immer groß - auch, wenn man alleinerziehend ist...!" (Bitte gedanklich hier das Geräusch quietschender Bremsen einfügen.) Beruhigter war ich danach keinesfalls, denn sie hatte mich ja erst an einen nicht unbedeutenden Aspekt erinnert: Dem Vater müsste man dann vermutlich auch noch irgendwann Bescheid geben...

Dann machte ich den Test, und er war negativ. Ich war in der Tat erleichtert, wenn vielleicht auch nicht ganz so sehr, wie erwartet.

Weg

"Womit denn seine Stunden verbringen, wenn die Lippen müßig sind? Mit der Liebe? Mit der Liebe? Diese Betrachtungen gehen über meinen Verstand, in ihnen liegt eine Fähigkeit zum Glück und zur Trägheit, etwas Befriedigtes, das mich anwidert." (Flaubert)




Erst wusch ich einen Korb voll schwarzer, alleinstehender Socken. Als es dann ans Sortieren ging, gab ich entnervt und im wahrsten Sinne angewidert auf, stopfte sie in eine Plastiktüte und warf sie kurzerhand weg. An einigen von ihnen hatten noch Fusseln und Haare geklebt. Ein paar hatten durchscheinende Sohlen. Ich wollte mich mit dem Elend nicht mehr befassen. Ich wollte den Quatsch für immer vom Tisch. Jetzt bin ich komplett ohne schwarze Socken, aber noch ist ja Sommer.

Und es landete noch etwas im Container. Ich bin jetzt so alt, dass es in meinem Haushalt Bücher gibt, die ich immer lesen wollte, aber bei denen mir langsam klar wird, dass ich es in diesem Leben vermutlich trotzdem nicht mehr tun werde. Ich habe mir vermutlich so ungefähr ein gutes Semester in der Hamburger Staatsbibliothek um die Ohren geschlagen, um dort die 360 Seiten zu kopieren, aus denen Ralph-Rainer Wuthenows "Muse, Maske, Meduse - Europäischer Ästhetizismus" besteht. Die oben stehende Textstelle stammt daraus.Vermutlich wäre es ohnehin sehr viel billiger gewesen, es schlicht fertig im Laden zu erwerben. Wobei - heute bekommt man halt fast alles im Internet. Möglicherweise war es damals vergriffen. So oder so - nun liegt es ungelesen im Müll. Ein Projekt weniger.

Periorale Dermatitis


Zwischendrin verlor ich dann mein Gesicht. Die biestige Ironie und Ambiguität blieben mir nicht verborgen. Jetzt war ich keine dicke Frau mit dem vielbemühten "hübschen Gesicht" mehr. Ich war eine dicke Frau mit einem nässenden, brandroten Ausschlag um den Mund, vor dem sich Menschen merklich erschreckten, wenn sie mich sahen. Ich war ein komplett "hässliches" Mädchen - ohne Milderung oder Alibi. Ganz unbekannt war mir dieser Zustand nicht. Als Teenager litt ich an Akne. Und ich habe noch immer die Angewohnheit, an Pickeln oder Insektenstichen zu pulen, bis Blut fließt. Trotzdem - was für eine Ausweitung des Übungsfeldes im Hinblick auf Selbstakzeptanz.

Der Verlust des Gesichtes wirkte sich übrigens auch auf persönlicher Ebene umgehend aus. Ich bekam keinen Abschiedskuss mehr. Dabei wäre das lebensnotwendig gewesen.

Weil es sich nun gerade so anbietet, und ich selbst im Internet hilfreiche Tipps zur Behandlung einer perioralen Dermatitis fand, werde ich hier in guter Beauty-Blogger-Manier kurz schildern, wie ich das Ganze wieder halbwegs in den Griff bekommen habe.

Die periorale Dermatitis wird auch volksmundig als "Stewardessenkrankheit" bezeichnet. Sie resultiert wohl zumeist aus einer Überpflegung der Haut, gepaart mit Stress, Bakterien und einer persönlichen Disposition, diese Krankheit zu bekommen. Sie beginnt mit Bläschen um Nase und Mund (und manchmal am Auge), bei denen man noch nichts Böses vermutet und geht dann, wenn es mies läuft, ziemlich schnell in entzündliche, schuppende Schollen über.

Was mir (relativ) schnell, also innerhalb von drei bis vier Wochen, geholfen hat:

  • Nulldiät für die Gesichtshaut, d.h. es dürfen gar keine Kosmetika mehr verwendet werden. Das Gesicht soll auch nur noch mit Wasser gewaschen werden. (Ich verwende manchmal einen Wattebausch mit Isopropylalkohol, wenn es mir zu klebrig wird, das desinfiziert auch.)
  • Tägliches Wechseln des Kopfkissenbezuges.
  • Eine verschreibungspflichtige Creme mit Erythromycin für die Nacht.
  • Eine verschreibungspflichtige Creme mit Metronidazol für den Tag.
  • Heilerde-Masken (allerdings selbst angerührt, nicht die fertigen Masken aus der Tube).
  • Die anfänglich starken Entzündungen haben bei mir ganz gut auf Kühlung mit Eiswürfeln aus schwarzem Tee reagiert.
  • Autogenes Training zum Stressabbau.

Braves Mädchen

Und noch mehr ist weg. Gewicht. Ich erzähle gern allen, dass ich heute 12 kg weniger wiege, als Ende 2013. Weil alle genauso reagieren, wie ich es vermutet habe, und ich halt so gern Recht behalte. ; ) Obwohl die meisten dieser Menschen genau wissen, dass ich ein Blog über Fettakzeptanz schreibe, hält sich kaum einer mit Ambivalenz auf. Sie sind wie die Roboter - wo Gewicht verloren wird, da ist nach wie vor alles gut und uneingeschränkt beklatschbar. Einige scheinen regelrecht froh, dass die dicke Nicola offenbar zur Vernunft gekommen ist. "Oh, schöön! Dünner ist ja doch auch gesünder." "Toll, was tust du denn so, um abzunehmen?" "Find ich richtig gut, dass du das jetzt machst." "Du, das sieht man auch schon!" "Weiter so! Wollen Sie sich nicht vielleicht doch mal einer Laufgruppe anschließen?" (Das war meine Frauenärztin.) Und dann kam auch noch Theo: "Cool."... Ja, das hat er gesagt. Und was gäbe ich für ein Foto von meinem Gesichtsausdruck in eben jener Sekunde.

NH