Ich guckte eines Tages von oben auf meinen Bauch und stellte fest, dass er dieser Tage wie ein Spitzkohl aussieht. Also, wie gesagt - nur von oben jetzt. Ich habe eine punktuelle, ziemlich harte Ausstülpung oberhalb des Nabels, die entnervend in die Welt zeigt. Wenn ich mich setze oder liege, verschwindet sie. Das war offenbar auch das Problem von zwei Ärzten, die es in den letzten Wochen mit meiner verbeulten Mitte zu tun bekommen hatten. "Legen Sie sich mal hin", hatte es schlicht nicht gebracht. Denn das, was man im Stehen hätte ertasten können, verschwand beim Liegen schlicht wieder durch ein Loch in seine Höhle. Meine Bauchhöhle, um genau zu sein. Die Darmschlingen, die sich durch meine Bauchdecke schlängeln, bzw. herauskippen, wenn ich stehe, sind offenbar wie flinke, listige Tierchen.
Ich wusste, irgendetwas stimmt nicht. Aber zwei Ärzte hatten mir gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Ich spürte die Beule, die ein wenig hin- und herwaberte, aber beim Stehen und gehen immer da war. Trotzdem dauerte es sage und schreibe bis gestern Abend, bis mich endlich so etwas wie Panik ergriff. Ich stand in der Küche und bekam keine Luft mehr. Dann wurde mir regelrecht blümerant. Mein Bauch fühlte sich an wie ein Korsett. Ich hasste, hasste, hasste ihn mit seinem unberechenbaren und aufdringlichen Inhalt und die Tatsache, dass er mich nun doch dazu zwang, mich ernsthaft mit ihm zu befassen. Vor meinem inneren Augen tanzten Bilder von Tumoren, die sich mit rasender Geschwindigkeit zu Globusgröße entwickeln und mich und mein Leben sprengen würden...
Zwar brachten mich eine Beruhigungstablette und etwas Recherche im Internet langsam wieder auf den Teppich, denn ich ich hatte einen Anfangsverdacht und dann nach ein paar Minuten fast so etwas wie eine Bestätigung desselben: Nabelbruch. Davon stirbt man nicht. Das sollte man nur irgendwann mal operieren lassen.
Aber sicher war ich mir natürlich erst, als ich heute in eine Notfallpraxis im Krankenhaus am Ort ging, und dem Arzt dort meinen nackten Bauch strategisch in aufrechter Position präsentierte. Der sagte: "Ja, das ist es. Man kann auch die Bruchöffnung fühlen." Dann schrieb er mir auf, bei welchem Professor er an meiner Stelle das Loch in der nächsten Zeit mal flicken lassen würde. (Jetzt hoffen wir mal, er und ich haben uns diagnostisch nicht total vertan.)
Zu viel Druck
Meine Mitte ist entzwei. Die Balance ist flöten, alles läuft in diesem Jahr noch etwas mehr aus dem Ruder als sonst, und ich werde offensichtlich und buchstäblich langsam dünnhäutiger, statt resilienter. Der Körper steckt nicht mehr weg, sondern serviert einem ein Projekt nach dem nächsten. Erst Haut, dann Zucker und jetzt ein Loch im Bauch. Ich weiß die umwerfende Symbolik zu schätzen. Aber ich habe keine Zeit, krank zu sein. Und ganz ehrlich: Es war beleibe nicht notwendig, mir jetzt abermals zu erklären, dass ich meine Mitte finden und mehr respektieren soll. Das weiß ich tatsächlich alles schon. Allein, ich kenne den Weg zu meiner Mitte nicht so recht.
Kram
Und weil das so ist, habe ich, auch an diesem Wochenende, mal wieder begonnen zu graben. Im wahrsten Sinne des Wortes und in meiner persönlichen Geschichte zugleich. Denn mein nächster Lebensraum ist noch immer ein Ich-Museum ungeahnter Fülle. Vorgestern habe ich säckeweise alte Fotos und Dias fortgeworfen. Dann tatsächlich Bücher. Schwupps - in den Müll damit. Ich habe keine Zeit mehr, lange nach Abnehmern zu suchen. Ich muss die Organisation und Vereinfachung des Alltags endlich schaffen, um die Hände für Freude und Balance überhaupt frei zu haben.
Dass Kram einen erstickt und daran hindert, frei zu leben und sich nicht dauernd mit bombastischen Nebensächlichkeiten abzuplagen, ist klar. Wenn man an seine Lieblingsdinge nicht rankommt, oder Sachen nicht wegräumen kann, oder sich überall in der Wohnung kleine Horrorecken bilden, dann saugt das Energie und macht mich persönlich auch schon lebenslang fahrig und unzufrieden. Ich kämpfe gegen die Flut der Dinge solange ich denken kann. Auch bereits als Kind, als die ersten Bücherkisten in der Keller mussten, weil das Kinderzimmer zu klein wurde. Allerdings sind die Rückschläge schwer und die Energie und Konsequenz selten ausreichend. Einer meiner besonderen Feinde ist ja Kabelsalat. Das wird sich jetzt ändern. Alle Kabel werden demnächst zusammengerafft und BESCHRIFTET. Diesmal soll alles anders werden. Endgültig.
Im Bad habe ich eine Schachtel gefunden, in der sich alte Kosmetika von meiner Mutter befinden. Dass diese bisher nicht geöffnet worden ist, hat bestimmt seine Gründe. Es war halt noch nicht Zeit. Und ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass das Loslassen auch fünf Jahre später noch immer nicht komplett stattgefunden hat.* Die Existenz der inzwischen brüchigen Nivea-Creme in meinem Haushalt ist ein hervorragendes und vermutlich sogar ziemlich drastisches Beispiel für "emotional clutter". Das meiste, was wir haben, obwohl es keinen klaren Zweck erfüllt und eigentlich nur immer im Weg herumliegt, dürfte in diese Kategorie fallen. Fotos von Leuten, die meine Eltern (aber ich nicht) kannten. Bücher mit Widmung (an meinen Vater), die ich bestimmt nie lesen werde. Steine. Federn. Muscheln. Postkarten. Skizzenblöcke von meiner Mutter. CDs von Ex-Freunden mit Musik, dich ich nie so recht leiden konnte. Die Stühle aus dem Esszimmer meiner Kindheit, die ich immer mal aufarbeiten lassen wollte. Material für Kunstprojekte, die einfach nicht passieren. Und wer weiß, ob jemals.
Inzwischen gibt es ja massenhaft professionelle Hilfsangebote, um sein Leben auszumisten und sich von Ballast zu befreien. Vollgestopfte Häuser sind nichts ungewöhnliches. Das steht fest. Längst befasst sich auch die Wissenschaft mit dem Haben und Horten.
Wie bei allem, was das Leben besser machen soll, muss man ein wenig aufpassen, dass es nicht zur Ersatzreligion wird. Akribische Selbstorganisation als Selbstzweck ist genauso wenig zielführend wie ein Putzzwang, wenn es schließlich darum geht, sich der Macht der Dinge am Ende des Tages zu entziehen. Wenn sie sich in der weiteren Welt da draußen eigentlich nicht zurechtfinden, hilft es nichts, wenn Menschen in der Abstellkammer auch nicht die kleinste Kleinigkeit mehr dem Zufall überlassen. Obwohl es gelegentlich schon ausgesprochen faszinierend sein kann, sie dabei zu beobachten.
Obendrein kann es leicht dazu kommen, dass bei dem Unternehmen Selbst- und Haushaltsorganisation zunächst einmal noch mehr Kram ins Haus geschleppt wird... ; )
*Vielleicht vlogge ich mal das Entpacken und Auflösen - als leicht morbide Alternative zum herkömmlichen "Unboxing".
NH