Freitag, 31. Juli 2015

Das Lied der dicken Hexe


Seien wir ehrlich - bis jetzt war es ein echtes Scheißjahr. 

So scheiße, tatsächlich, dass mir plötzlich ganz dringend nach Räucherstäbchen zumute war. Meine Therapeutin rät mir schließlich auch immer an, "es mir schön zu machen" - Kerzen anzuzünden, noch einen Milchkaffee aufzusetzen und ein Fußbad zu machen. Oder so. Jedenfalls dachte ich, es kann ja nicht schaden, nach etlichen Jahren mal wieder meinem einstigen Lieblingsesoterikkaufhaus Wrage im hamburger Uni-Viertel einen Besuch abzustatten. Das war äußerst gerissen und höchst verschlagene Selbstüberlistung, denn eigentlich hätte ich natürlich genau wissen müssen, dass ich aus der Sache nicht nur mit etwas Rauchwerk herauskomme. Man könnte auch einfach und durchaus zutreffend konstatieren, dass die Verzweifelten (also ich) halt grundsätzlich und schon immer leichte Beute für die Wellness- und Esoterik-Industrie sind. Wo die wahre Welt sich nur noch querstellt, muss irgendetwas Überirdisches aushelfen, weil es sonst eben keiner tut. 

Aber natürlich habe ich auch einfach seit jeher eine große Freude am Übersinnlichen. Als ich ganz klein war, wollte ich noch eine Prinzessin sein. Spätestens mit dem Schuleintritt und der Lektüre der "Kleinen Hexe" sah ich meine zukünftige Laufbahn ganz klar als weise Frau mit Rabe und Katze im Wald. Streng genommen, hat sich daran bis heute nichts geändert. Streng genommen, könnte man vermutlich sogar sagen, mir fehlt nur noch der Rabe. Allerdings auch der Glaube. Naja, und Weisheit womöglich zudem.

Während ich als Kind plante, nach der Schule am damals noch existierenden landesweit einzigen Lehrstuhl für Parapsychologie zu studieren (dummerweise hat Professor Bender mein Abitur nicht überlebt), mit Anfang zwanzig denkbar verbissen positives Denken praktizierte und mir mit bis Anfang dreißig einen erheblichen Wissens- und Erfahrungsschatz im Bereich Hexerei und Voodoo erarbeitet hatte, so war ich doch auch stets skeptisch. Und am Ende gewann die Skepsis immer. Natürlich auch deshalb, weil die Ergebnisse schlicht nicht zufriedenstellend waren. Übrigens, sollte irgendjemand Angst vor Flüchen, Verwünschung oder schwarzer Magie haben, so kann ich ihn komplett beruhigen. Wenn es möglich wäre, anderen mit Zauberei zu schaden, wäre meine Shit-List zum Jahresende vermutlich leer gewesen, da mit dämonischer Hilfestellung bereits handfest erledigt...(nein, ich bin wirklich nicht besonders nett).

Obwohl ich meine einst ausgesprochen umfangreiche Selbsthilfe- und Esoterikbibliothek (die beiden Gebiete überlappen ja gern) inzwischen sehr stark ausgedünnt habe, gab es natürlich trotzdem einige besonders eindrucksvolle Perlen der Unvernunft, die ich behalten habe. So bin ich noch immer im Besitz von "Der kosmische Bestellservice" von Bärbel Mohr, sowie dem Nachfolgewerk "Reklamationen beim Universum", in dem die Autorin darlegt, warum es mit den Bestellungen beim Universum so oft einfach nicht klappen will. Die höchst frustrierende Erklärung war übrigens, dass man für das, was man beim Universum bestellt, nicht wirklich dringenden Bedarf haben darf, damit das Ganze auch was wird...den berühmten Parkplatz sollte man also niemals gerade dann bestellen, wenn man vorhat, irgendwohin zu fahren. Potzblitz, da schlägt man sich doch erleichtert an die Stirn - da hätte man schließlich wirklich selbst drauf kommen können...

Ich bin mir sicher, ich habe die beiden grotesken Bändchen damals ebenfalls bei Wrage erworben. Und ausgerechnet heute, über 12 Jahre danach, habe ich zum ersten Mal den beim Universum vorbestellten Parkplatz an der Uni auch bekommen. Das Universum hat halt einfach unverschämte Lieferzeiten. Aber wenn ich lange genug lebe, kommt vermutlich irgendwann der Oscar für Regie auch noch an.

Als ich in das Geschäft trat, ging es mir gleich ein wenig besser. Es roch ganz genauso süßlich-muffig, wie vor Jahren (so ziemlich alles, was man dort kauft, riecht dann auch so), und der Laden ist nach wie vor vollgestopft mit hübschen Postkarten, Notizbüchern (viel mehr brauche ich bekanntlich nicht, um gleich etwas fröhlicher zu sein), Glücksbringern, Kristallen, spirituellem Nippes und bunten, von hinten angeleuchteten Aura-Soma-Fläschchen. Die Tarot- und Hexenabteilungen sind nicht mehr so umfangreich, wie ich sie in Erinnerung hatte - dafür sind offenbar Engel der letzte Schrei. Die Autorin Alexandra Strüven lässt uns in einer Leseprobe zum bald erscheinenden Buch "Lass uns über Engel sprechen" sogleich wissen: "Ob ich im Café sitze oder im ICE, die Engel sind immer bei mir." Ich weiß ja nicht, ob ich so etwas herumerzählen würde...während Kinder, die imaginäre Freunde haben, laut Studien kreativer und neugieriger sind als solche ohne, bin ich ich mir ziemlich sicher, dass das für Menschen mit zweistelligem Alter nicht mehr gilt. In den umfangreichen Aufstellern mit Broschüren und Seminar-Angeboten bin ich dann mit dem Instinkt eines nörgeligen Bluthundes auf noch ein besonders perfides Beratungsjuwel gestoßen: "Intelligent(,) gesund, schlank, erfolgreich & glücklich durch Beratung & Energie..." Der Hochglanzflyer in Gold und Weiß bewarb mit haarsträubender Rechtschreibung und Verworrenheit die Dienste einer Heilerin, unter deren Bild ernsthaft "Hamburg - New York" stand, so als sei sie eine Schuhmarke. Make no mistake - hier geht es um Geld, Geld und noch mehr Geld. Und die Frau Fock, die offenbar auch schon mal in New York war, hilft gegen Geld auch gern bei etwaigen Krebserkrankungen...

Wie dem auch sei...der Esoterikmarkt ist wie ein Kasino - man kann sich ein wenig treiben lassen, umsehen, kurz und überschaubar amüsieren oder ablenken lassen und dann wieder gehen. Oder man hat Pech, ist anfällig, den Profiteuren ausgeliefert und lässt sich psychisch, gesundheitlich und/oder finanziell ruinieren. 

Ich hab' dann, überwältigt von Nostalgie und Wiedersehensfreude, ebenfalls lauter Geld ausgegeben, dass ich nicht habe. Hauptsächlich allerdings für Postkarten, Notizbücher und die besagten Räucherstäbchen. Aber eben auch für neue Kartendecks, weil mir die Motive so gefielen und es doch Spaß macht, sich hin und wieder unverbindlich und augenzwinkernd in die Zukunft zu schauen (und im Universum verschollene Bestellungen zu tracken), sowie für ein paar Ausgaben aus der Reihe "Das kleine Übungsheft". Das Allererste, was übrigens in meinem Einkaufskorb gelandet ist, war ein Hörbuch fürs Auto: "E²" von Pam Grout. Die liefert hier angeblich "Neun Beweise zum Selbsttesten", dass wir unsere Realität höchstpersönlich und gedanklich erschaffen, etwas, was ich ja bekanntlich gern bestreite. Laut Klappentext ist es "ein Muss, für jeden, der nur glaubt, was er sieht." Ha, das werden wir dann schon sehen! Zumindest ist der Text bisher knackig und kurzweilig, und der Sprecherin Susanne Aernecke kann man ganz gut zuhören.

An der Kasse lagen dann, man mag es kaum glauben, Blöcke mit Bestellformularen ans Universum. Da war der Absurditätsfaktor so groß, dass ich allein zu Beweiszwecken einen mitnehmen musste. Obendrein hab' ich dann jedoch auch gleich schon mal neu damit begonnen, meine Realität zu erschaffen.




Zu guter Letzt habe ich sogar noch eine Flasche Wolke 7 Energetikspray erworben. Das riecht gut und reinigt die "Chakren im Bereich der Aura". Wie gesagt, es war ein Scheißjahr. Wenn gar nichts mehr hilft, kann es vermutlich zumindest nicht schaden, die Aura mal ein wenig vom Dreck zu befreien. 



NH

Freitag, 24. Juli 2015

Follow me around 30: Umnachtung

Stimmung

Die letzte Woche fing schon schlecht an, als sie eigentlich noch gar nicht angefangen hatte. Ich wurde am Samstagabend auf einer eigentlich sehr schönen Party an einem Tisch platziert, an dem u.a. bereits ein Steuerberater/Lokalpolitiker und seine dicke Frau saßen. Sie war mit echtem und falschem Glitzerkram geschmückt, wie ein Weihnachtsbaum und brachte die passende sprudelige Stimmung gleich mit. Erst dachte ich nur, sie wäre halt eine von diesen, wie ich finde, unangenehmen Dicken, die mit überzogen fröhlicher Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitude die Tatsache ausgleichen wollen, dass sie, so wie ich, zu einer als minderwertig empfundenen Bevölkerungsschicht gehören. Später stellte ich fest, dass sie auch ausgesprochen unhöflich war, denn sie setzte sich nach dem Essen zwischen mich und meine Nachbarin und blockte mich aus der Unterhaltung, indem sie mir ihren Rücken zudrehte.

Wahrscheinlich hatte sie es mir übel genommen, dass ich ihren Mann dabei erwischt hatte, ein nicht besonders heller Schwätzer zu sein. Wir konnten vom Tisch aus den Michel (St. Michaelis, Hamburg) sehen. Meine Nachbarin sagte: "Oh, der Michel!" Er erklärte ihr im Brustton der Überzeugung, das sei nicht der Michel. Mein Google sagte, dass er schlicht Unrecht hatte. Und das sagte ich ihm dann. Der Mann belehrte halt mal wieder besonders gern Frauen. Nacheinander meine Nachbarin, dann mich und schließlich sogar seine eigene Frau. Dummerweise lag er mit so ziemlich allem falsch. Heutzutage ist das ja im Zweifel besonders schnell und leicht nachzuweisen. Was manche Ehefrauen so aushalten...aber vermutlich sieht sie nichts bzw. alles ganz anders. Sie nannte ihn stolz "großer Bär". Ein Bild vom "kleinen Bären" (das Kind heißt tatsächlich "Urs") hatte sie mir bereits Sekunden nachdem ich mich an den Tisch gesetzt hatte, unter die Nase gehalten.

Was bedeutet diese Episode nun eigentlich? Ich kann öfter mal gar nicht so gut mit anderen Dicken. Das hat mich immer ein wenig frustriert, wenn das passiert ist. Aber warum eigentlich? Schließlich sind wir nicht automatisch im selben Club. Und Dicke sind nicht automatisch bessere Menschen. Das denkt man nur immer, wegen ihrer persönlichen Diskriminierungsgeschichte, die sie schließlich, wie wir alle, irgendwie schon haben müssen. Aber nicht jede(r) kommt am Ende des Spülganges mit der gleichen Gemütsverfassung und Weltsicht wieder heraus. Und Solidarität ist im Alltag und auch sonst ja ohnehin immer so eine Sache. So wie Angela Merkel keine Verpflichtung hat, Politik für Frauen zu machen, und darüber hinaus nun auch über das mühsam erstrittene Recht verfügt, ganz genauso reaktionär und machthungrig zu agieren, wie jeder reaktionäre und machthungrige Mann, haben Dicke natürlich keine Verpflichtung, ausgerechnet zu mir nett zu sein.Und sind sie halt oft auch nicht.

Konkurrenz unter Dicken?

Ich bin bereits in all diesen Kategorien gescheitert: mit der besten dicken Freundin, diversen Stammtischen für dicke Frauen, auf dicken Tanzparties, sowie in Internetforen für Dicke. Es macht mich als Feministin nicht froh, von Bissigkeit und Konkurrenzgebaren unter Frauen zu sprechen, weil es mir viel lieber wäre, das bliebe in meiner Welt nur ein  abgedroschenes Klischee, aber oft waren es wohl wirklich solche Schwingungen, die mich dazu gebracht haben, mich von entsprechenden Zusammenschlüssen wieder zu trennen. "Wenn du immer und überall fast ausschließlich auf dicke verbissene Konkurrentinnen statt Schwestern triffst, bist am Ende womöglich doch du selbst die, die immer automatisch konkurriert", schallt es aus naseweiser Quelle über die Straße. Wer weiß...

Was ich weiß (und vermutlich auch hinreichend mitgeteilt habe) ist, dass meine Wut stetig auf jene wächst, die sich anpassen, den Kopf einziehen, insgeheim noch immer auf dünne Zeiten hoffen, und den Kampf für die eigene gesellschaftliche Akzeptanz und gegen die eigene Diskriminierung im günstigen Falle anderen überlassen. Im schlechteren stemmen sie sich noch gegen derartige Bemühungen. Dicke Anti-Dicke sind mir genauso ein Rätsel, wie Antifeministinnen. Auf beide bin ich mitunter so sauer, dass ich gelegentlich mit dem Gedanken spiele, doch noch eine Karriere als Autorin seifiger, antiemanzipatorischer Frauenromane zu starten, in denen dicke, tramplige Heldinnen regelmäßig schön und schlank werden, bevor sie endlich doch noch ihr Glück finden.

Meine Therapeutin hat mich letzte Woche Donnerstag in einer Gruppensituation beobachtet (therapeutische Kochgruppe in ihrer Praxis) und mir danach am Dienstag mitgeteilt, ich hätte so viel unnahbarer gewirkt, als im normalen Gespräch und damit womöglich die anderen Gruppenmitglieder verunsichert. Das fand ich bemerkenswert, denn ich hatte mich einfach nur zurückgehalten, um explizit niemanden zu verschrecken. Mir ist bewusst, dass ich leicht zu viel werden kann, wenn ich meine Ansichten, Überlegungen, meinen Humor und meine Abneigungen zu deutlich austeile. Darum nehme ich mich im direkten Zusammentreffen mit anderen oft zurück. Offenbar mit dem Ergebnis, dass man mich dann leicht für unzugänglich hält. Schöner Mist.

"Zu viel" zu sein, ist eine Erfahrung, die ich mehr als hundertmal gemacht habe. Und das eben nicht nur, was meinen Körper angeht. Ich bin im persönlichen Umgang oft bemüht, Menschen nicht zu überfordern, weil es nicht meiner Erfahrung entspricht, dass ich besonders gemocht werde, wenn ich da den Rahmen sprenge.

Während kapriziöses Drama beispielsweise geradezu ein Lebens- und Erfolgsrezept vieler Frauen im Umgang mit Männern zu sein scheint und sie offenbar niedlich, geheimnisvoll und schutzwürdig erscheinen lässt, hat bei mir "Kompliziertheit" eigentlich immer nur dazu geführt, dass sich andere abwenden. Mich hebt keiner fasziniert vom Boden auf, streicht mir über den Kopf und hält mein emotionales und geistiges Übermaß für eine Aufforderung, sich zu Rettungsaktionen aufzuschwingen. Warum eigentlich nicht, wollte ich von meiner Therapeutin wissen. Das ist sowas von unfair. Wusste sie aber auch nicht.

Das Ende vom Lied

Als Beispiel für oben beschriebenes Dilemma endete in dieser Woche die spaßhafte Androhung durch mich, persönlich ein Geburtagsständchen vorzutragen, unbegreiflicherweise in einem weiteren zwischenmenschlichen Bruch. Wahrscheinlich hätte ein Video von mir mit Sprühsahne auf dem Busen (wie im letzten Jahr) mehr Anklang gefunden, aber dazu hatte ich keine Lust. Wahrscheinlich hätte ich mich wieder komplett zurück halten sollen - ich weiß schließlich, dass Geburtstage eine kniffelige und empfindliche Angelegenheit sein können. Aber es war mir ein Bedürfnis, mich einfach zu melden. Genau genommen war es mir ein Bedürfnis, vom Empfänger mal wieder wahrgenommen zu werden. Aber er hat mich scheinbar abermals nicht gesehen. Und nach zwei Jahren, in denen ich mich in dieser Verbindung oft wie der letzte Dreck gefühlt und mich trotzdem weiter bemüht habe, weil sie mir so furchtbar wichtig war/ist, habe ich dann so deutlich gesagt, was ich denke, dass von nun an zumindest ich selbst nicht mehr in der Position bin, hier, wie vielleicht vormals noch möglich, eine Rückabwicklung vorzunehmen. Und da ich wirklich nicht damit rechne, dass mir derjenige plötzlich vom Boden aufhilft, weil er mich so niedlich findet - one down, no one to go.*

Nachtwanderung

Sonntagnacht wanderte ich allein durch den Ort. Zwei junge Menschen kamen mir im Dunkeln auf dem Bürgersteig mit einem Hund entgegen. Die Frau lief auf meiner Seite direkt auf mich zu. Es bestanden zwei Möglichkeiten: Entweder sie weicht hinter oder vor ihren Begleiter aus, oder sie rennt direkt in mich rein. Und das hat sie dann auch getan. Offenen Auges. Weil sie bis zum letzten Moment hinter ihren stylischen Brillengläsern geglaubt hat, dass die dicke Alte schon einen Schritt zur Seite und auf die Straße machen wird, wenn sie in Paarformation auf mich zurauscht...

...War dann regelrecht ein wenig schmerzhaft, der Zusammenstoß. Und von ihrer Seite erstaunlicherweise komplett stumm. Während ich die Augen rollte und seufzte "Unfassbar!", begannen die beiden erst einige Meter die Straße hinauf damit, sich wieder murmelnd zu unterhalten.

Und nun ist schon wieder Freitag.



*Noch einer erledigt, keiner mehr da.

NH

Samstag, 18. Juli 2015

Follow me around 29: Stimmengewirr



Freitagabend war doch erst gestern.

Meine Therapeutin, die auf Hochtouren gegen meine Vereinsamung anarbeitet, wenngleich auch ohne maßgebliche Unterstützung von mir, will, dass ich "den Plan, Liebe zu finden" nicht aufgebe, bzw. wiederaufnehme. Ich werde bei dem Gedanken nur unendlich müde und traurig. Trotzdem habe ich heute Nachmittag aus einem Stapel Flohmarktbücher, die im Flur liegen, einen angegilbten Dating-Ratgeber wieder herausgezogen: "Jeder Fisch ist schön, wenn er an der Angel hängt" von Susanne Fröhlich und Constanze Kleis. Von 2002. Ich habe es selbst im letzten Jahr in einem Antiquariat gekauft - eigentlich, weil ich, wie immer bei solchen Büchern, dachte, es wäre eine gute Quelle für Satire. Aber mir war heute nicht mehr so recht zum Lachen. Natürlich steht in diesen Büchern immer das gleiche: 1. Ansprüche zurückschrauben. Und zwar so weit wie möglich. 2. Positiv sein. Und offen, offen, offen. 3. Unter Menschen gehen. Und das so viel wie möglich. Das alles sagt meine Therapeutin auch. Aber das alles liegt natürlich ganz und gar nicht in meiner Natur. Und damit schließt sich der Kreis. Die Vorbesitzerin hat 2002 ihren Namen auf die Innenseite des Covers geschrieben. Ob sie wohl im letzten Jahrzehnt angeleitet von Susanne Fröhlich einen dicken Fang gemacht hat?

Die Autorinnen empfehlen außerdem, nicht nur deshalb Orte außerhalb der eigenen vier Wände aufzusuchen, weil sich dort womöglich viele Kerle herumtreiben (wie z.B. ein Fußballstadium oder einen Golfplatz), sondern weil man auch gern an diesen Orten ist. Wenn es dann nichts mit der Männerbekanntschaft wird (und das ist ziemlich wahrscheinlich), hat man wenigstens trotzdem ein wenig Spaß gehabt. Damit ist es erst recht besiegelt - ich bleibe für immer alleinstehend mit Katze. Denn wenn man in Museen, bei nächtlichen Kinovorstellungen und in Schuhgeschäften interessante Männer kennenlernen würde, dann wüsste ich das inzwischen.

Insgesamt habe ich Ratgeber-Burnout. Ich weiß ohnehin alles besser. Ich wurde alt geboren und bin mittlerweile naturgemäß steinalt. Ich kann selbst Ratgeber schreiben...ach stimmt ja, das habe ich bereits. Der gehört übrigens auch in den Flohmarktstapel.

Wobei,...

...seit ich blond bin, gehen mir Männer überall aus dem Weg...im Sinne von "Platz machen". Im Auto lassen Sie mich plötzlich vor ihnen abbiegen oder die Spur wechseln. Und im Supermarkt, wenn sich die Wege unserer Einkaufswagen kreuzen, weichen sie aus oder halten an. Sie nicken mir zu und lassen mich in den Fahrstuhl vorgehen. Offenbar macht mich die neue Haarfarbe sehr viel sichtbarer. So komme ich plötzlich wieder vermehrt in den Genuss allgemeiner Höflichkeiten, die ich eigentlich nicht mehr kannte. Und das macht mich wirklich, wirklich...verdammt sauer. Es gibt Klischees, die sind so absurd und ärgerlich - die dürften einfach nicht stimmen...Es könnte natürlich auch sein, dass ich mich selbst mit der neuen Haarfarbe so verändert habe, dass ich allein dadurch bei anderen Leuten entsprechend neuartige Reaktionen hervorrrufe. An sowas glaube ich ja bekanntlich nicht so recht. Aber neugierig wäre ich schon, zu erleben, was ich erst für Veränderungen in der Beziehung zwischen mir und meiner Umwelt beobachten könnte, wenn ich mit heutigem Blick und Wissen noch einmal mit einem normschlanken Körper (und blond) durch die Weltgeschichte laufen würde...Thin Privilege* noch einmal bewusst und vor dem Hintergrund der zur Genüge gemachten gegenteiligen Erfahrung wahrzunehmen, das wäre vermutlich ein ausgesprochen erhellendes und gleichzeitig zutiefst deprimierendes Experiment. Wenn man feststellt, dass alles, was man über die Oberflächlichkeit der anderen lieber nicht so recht glauben wollte, doch stimmt - das muss echt fürchterlich sein.

Dass in meinem Fall "dick und blond" allerdings noch immer in der Hauptsache "dick und mittelalt" ist, habe ich im Zuge des unerwarteten Vorgelassenwerdens auch mitbekommen. Ich glaube, ich habe noch nie die männliche Abscheu gegen die dicke Frau, die ich bin, so deutlich gespürt, wie bei dem Schnösel, der mir eine Tür aufhalten musste, weil sein Kollege mir zuvor woanders den Vortritt gelassen hatte. Da musste er mitziehen, um nicht wie ein unerzogener Arsch dazustehen - und fand mich so widerwärtig, dass ich es schier riechen konnte, als ich an ihm vorbeiging.

Aber wo ich gerade bei Thin Privilege bin...

Beim Surfen durch deutsche Fettakzeptanz-Blogs bin ich auf einen ein paar Tage alten Fernsehbeitrag über die Curvy Modemesse gestolpert (ZDF, Hallo Deutschland). Der Bericht war fünf Minuten lang und zeigte mehrere kurze Interviews mit dicken Modebloggerinnen, einer Designerin und einem Model für große Größen. Und diese Gespräche wiederum enthielten so viele fettphobische Spitzen, dass ich schon wieder mal meinen fleischigen Ohren (kein Witz übrigens, die habe ich von meinem Vater geerbt) kaum trauen konnte/wollte. Die Selbstverständlichkeit, mit in der in der Branche offenbar unablässig Publikumsbeschimpfungen stattfinden, ist mir absolut rätselhaft. Denn mich hat dieser Umstand bereits wiederholt dazu gebracht, lieber nichts zu kaufen. Wie gut für Anna Scholz und ihre Kollegen, dass die meisten anderen Kundinnen das scheinbar nicht annähernd so eng (ha!) sehen, wie ich alte Meckerziege. Denn die Anna hat nach eigener Aussage "ihre Schwäche" (eine große Kleidergröße) zu einer Stärke gemacht. Eine Bloggerin gibt zu bedenken, dass die Models, die die Mode auf der Messe präsentieren, zwar Plus-Size-Models sind, weil sie ja immerhin Größe 40 oder 42 tragen, aber eigentlich "keine übergroßen Models" sind, weil sie ja "wunderschöne Proportionen" und einfach eine "tolle Figur" haben. Bei Größe 40/42 ist also noch nicht alles "sooo schlimm". Von einer anderen Bloggerin will die Interviewerin wissen, wie sie nun eigentlich ihre "Pölsterchen versteckt", woraufhin diese prompt darauf hinweist, dass eine bestimmte Rockform sehr hilfreich ist, wenn es darum geht, zu "kaschieren". Das Model Caterina Pogorzelski findet allerdings generell: "Man sieht nicht oft irgendwie ne übergewichtige Frau, die gut gestylt ist, gut zurecht gemacht ist." Das im Kern zumeist zutiefst fettphobische Gebaren von Modefirmen, die sich zwar auf große Größen spezialisiert haben, aber ihre eigenen Kundinnen pausenlos ermuntern, sich wegzukaschieren und ihre große Mode verlogenenerweise noch immer mehrheitlich an vergleichsweise dünnen Models präsentieren, könnte mich, glaube ich, eines schönen Tages durchaus so wütend machen, dass ich womöglich abnehmen würde, nur um ihnen kein Geld mehr zu geben und mich nie mehr mit ihnen und ihren spießigen Katalogen auseinandersetzen zu müssen. 

So. Und nun ist schon wieder Samstag. Bevor ich gehe - wie wäre es mit einer schnellen Runde Plus-Size-Bullshit-Bingo: Curvy, kurvig, kaschieren, mollig, starke Frauen, Pölsterchen, Formen, Problemzonen, wegzaubern, verstecken, strecken, ablenken, betonen, mildern, Rundungen, weiblich, weich, schmeichelhaft, Vollweib, Rubensfrau, Lebensfreude, mogeln, schummeln, wegzaubern, ein paar Kilos zu viel, fließend...wer macht weiter? ; )



*Die Abwesenheit negativer Reaktionen, Bewertung und Diskriminierung durch die Umwelt, die zur grundsätzlichen und durchgängigen Lebenserfahrung Dicker gehören.


NH 

Sonntag, 12. Juli 2015

Ausgelesen: "Wohl in meiner Haut" von Gisela Enders

Ich war ja sehr gespannt und habe mich eigentlich auf das Buch gefreut, nachdem ich schließlich auch für die Crowdfunding-Kampagne, bei der 5000 Euro für Layout und Druck des Buches gesammelt wurden, auf diesem Blog Werbung gemacht habe, weil ich natürlich weiß, dass die Themen dicke Selbstakzeptanz, Fettakzeptanz und Body Shaming in Deutschland ausgesprochen stiefmütterlich behandelte sind. Ich dachte mir, was kann schon schief laufen, wenn eine dicke Autorin, die zugleich als Coach arbeitet, andere Dicke dazu ermutigen will, mit ihren Körpern Frieden zu schließen? Ich dachte mir, dass jedes Buch auf Deutsch auf diesem Gebiet ein seltenes Gut und damit automatisch ein gutes Buch ist. Das war blöd gedacht. Und umso deprimierender war die Lektüre dann stellenweise. 

Hilft ja nix. Muss halt gesagt werden.

Was ich durchaus erwartet hatte, war, dass das Buch sprachlich und inhaltlich eher bieder sein würde. Aber damit hätte ich kein großes Problem gehabt, und die einführenden Kapitel über Diäten, sowie die Gesundheit und Lebenserwartung Dicker liefert eine solide Aufstellung aktueller, wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Diskurs innerhalb des Mainstreams und unter Medizinern allerdings noch nicht maßgeblich erreicht haben. Ebenso verhält es sich mit der Darstellung der Auswirkungen von gesellschaftlicher und mediale Herabsetzung und Diskriminieung Dicker auf deren persönliche Situation und alltäglichen Stresslevel. Diese ist zutreffend und vieles, was Gisela Enders schildert, dürfte den meisten von uns bekannt sein. Würde das Buch also nur aus Teil 1 bestehen, wäre es dünn, aber nicht ärgerlich. 

Allerdings schliddert frau über den folgenden Satz in den sehr viel längeren Teil 2, der in ein "glückliches und gesundes Leben" führen soll: "Menschen, die ihren eigenen Körper mehr annehmen und mit sich selbst im Reinen sind, erfahren deutlich weniger Stigmatisierung und Diskriminierung als Menschen, für die der eigene Körper selbst eine Last und ein Makel ist." (Wohl in meiner Haut, S. 51)

Ab da wird's esoterisch. 

Natürlich entbehrt die oben zitierte Aussage jeder Basis. Haarsträubend offenbar wird das, wenn man sich vorstellt, dass der selbe Rat jemanden angetragen würde, der aufgrund seiner Hautfarbe Diskriminierung erfährt. Und ja, ich hatte gleich ein ungutes Gefühl, wo das hinführen würde.

Frau Enders ist in ihrer Arbeit als Coach ein Fan des positiven Denkens und davon, dass man halt einfach mal seine persönliche Einstellung zu den Dingen ändern, bzw. die Umstände anders, also positiver interpretieren sollte. Ihr Hauptaugenmerk liegt darauf, die "inneren" negativen Stimmen zum Verstummen zu bringen. Die von ihr abermals präsentierte Idee, dass wir "unsere Realität selber erschaffen" und negative Glaubenssätze uns nicht nur belasten, sondern sich dann auch fatalerweise in der Außenwelt manifestieren, ist eine, der ich Anfang der Neunziger ebenfalls und sogar mit ziemlicher Leidenschaft anhing. Inzwischen weiß ich es besser. 

Denn was Body Shaming angeht, liegt die Wurzel des Übels nicht in uns. Sie liegt da draußen. Kein Arzt wird mich nicht zu einer Veränderung meines "Life Styles" drängen, bloß weil ich selbst mein Fett für großartig halte. Das weiß ich zufällig ganz genau. Ich selbst bin natürlich auch schon in Begleitung einer Therapeutin mit nackten Armen über die Straße gelaufen. Sie wollte mir beweisen, dass die Menschen, die mir begegnen, zumindest in der Mehrheit nicht negativ auf meine Arme reagieren werden, es also gar keinen Grund zur Sorge gibt, weil ich mir die Ablehnung der Gesellschaft zumindest teilweise nur einbilde. 

Was ich jedoch auf meiner Reise zu dicker Selbstakzeptanz gelernt habe, ist dieses: Ich kann und soll meine Einstellung zu Angriffen, Diskreditierung und Diskriminierung nicht ändern. Und nicht für eine Sekunde werde ich mir den Schuh anziehen, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, wie mies ich mich fühle, wenn ich angegriffen und diffamiert werde, weil ich einen runden Körper habe. Die Welt musste mir erst beibringen, mich hässlich und minderwertig zu fühlen. Aus mir selbst heraus wäre ich nie darauf gekommen, meinen Körper zu hassen. Und ich kann mir die Welt kraft meiner Gedanken nicht freundlich hexen, egal wie hart ich daran arbeite und wie viele Flip Charts ich bei dem Vorhaben auch vollmale. Darum ist der richtige Ansatz meiner Ansicht nach, äußere Negativität sehr wohl als genau als das wahrzunehmen und zu benennen, was sie ist, sie zu analysieren, sie zunehmend auszuhalten und ihr dann am besten offensiv etwas entgegen zu setzen, womöglich auch ordentlich viel Protest. Natürlich steht am Ende die Realisierung, dass man nicht hässlich und monströs ist, bloß weil die Welt einem das immerzu weismachen will. Und das ist eine riesengroße Erkenntnis. Aber die Welt ändert sich nicht, bloß weil man sie sich anders vorstellt. Bezeichnend ist mithin die Traumreisenübung, die am Ende des Buches zu finden ist, bei der man sich zumindest mal ausmalen kann, wie es wäre, in einer nicht fettphobischen Welt aufgewachsen zu sein.

Tipps für Ernährung und Bewegung enthält das Buch auch. Beide Aspekte sind mit Aufrufen verbunden, an denen man als vermutlich hinreichend diätgeplagte Leserin wieder mal leicht scheitern kann. Zwar wird immer wieder betont, dass "alles okay ist", aber eigentlich sollte man schon bestimmte Dinge besser machen. Man sollte Sport machen, weil man sonst, wie im ersten Teil des Buches dargelegt, womöglich früher stirbt. Und eigentlich sollte man auch weniger Fertigprodukte essen. Und es kann eigentlich auch nicht schaden, persönliche Ernährungsmuster aufzudröseln, um festzustellen, warum man eigentlich gerade jetzt Schokolade essen will. Und vielleicht will man dann keine mehr. Aber wenn doch, ist das auch "okay". Allerdings ist Wasser statt Limo auch die gesündere Wahl. Ich finde hier die Nähe zu gängigen Diätratgebern zumindest, na sagen wir mal, schwierig.

Aber dann kommt der Knaller:

Natürlich enthält das Buch einen "Modeteil", denn die Beschaffung von Bekleidung in großen Größen ist offenbar ein zentrales, wenn nicht gar das wichtigste und öffentlichste Element im Zusammenhang mit dicker Selbstakzeptanz für Frauen. Auch wenn ich das für mich persönlich ja nicht immer so ganz nachvollziehen kann, sehe ich natürlich ein, dass es für eine Mehrzahl anderer dicker Frauen so ist und sie sich sehr für Plus-Size-Mode interessieren. In Gisela Enders' Buch ist dieser Teil mithin ein Gastbeitrag von einer Expertin namens Natalia Weimann. 

Sie hat uns u. a. folgendes mitzuteilen: 

1. Die Brigitte ist ein strahlendes Beispiel für den Aufbruch gängiger Schönheitsnormen, weil die irgendwann mal aufgehört haben, ihre Mode an professionellen Models zu fotografieren. (Dass die Brigitte damit so richtig gescheitert ist und die Mädchen in ihren Modestrecken heute professioneller und dünner sind, als je zuvor, ist ihr bei der Recherche entweder nicht untergekommen oder schlicht nicht aufgestoßen.)

2. Mit Shapewear kann man "Problemzonen einfach wegmogeln" und sie "schwört darauf" (Wohl in meiner Haut, S. 124)

3. Frauen mit schmalem Oberkörper und runden Hüften, sollten ihr "Augenmerk auf (ihren) zierlichen Oberkörper richten" (S. 125).

4. Frauen mit viel Busen, wenig Taille, runden Hüften und schlanken Beinen und Armen sollten die Aufmerksamkeit auf die "zarten Körperstellen" lenken (S. 126).

5. Bei Frauen mit breiten Schultern, schmalen Hüften und schlanken Beinen, ist der "schmale Unterkörper" die "Schokoladenseite" (S. 126).

6. Die "weiblichste aller Silhouetten" ist die mit viel Busen, schmaler Taille und ausgeprägter Hüfte. (An anderer Stelle gelten Besitzerinnen solcher Körper angesichts ihrer "Weiblichkeit" ja auch immer als "gute Dicke", Anm. von mir). Natürlich sollten Frauen dieser Kategorie der Frau Weimann zufolge abermals das betonen, was an ihnen am wenigsten dick ist: ihre Taille.

7. Außerdem würde sie "allen Frauen (...) Shapewear und einen hohen Pump empfehlen", denn "Shapewear hält alle Pölsterchen gut in Form und kaschiert so einige Dellen weg, manchmal sogar einige Kilos..." (S. 127).

WAS UM ALLES IN DER WELT IST DENN DA BITTE PASSIERT, FRAU ENDERS!?!? 

Wer sich nach diesem Teil der Lektüre noch nicht wild die Haare rauft und sich erst einmal etwas Stärkeres als Wasser eingeschenkt hat, dem wird dann Per den Rest geben. Per ist ein "bekennender Bewunderer" dicker Frauenkörper und kommt im Kapitel über Liebe, Sex und Partnerschaft als vermeintlich positive Quelle zu Wort, denn der findet nichts "peinlicher" als "eine tief ausgeschnittene Bluse (...), die bloß einen tristen Ausblick auf das berüchtigte "Bügelbrett mit Erbsen" liefert" (S.145). Offenbar ist der Autorin nicht aufgefallen, dass sie hier eine der gängigsten, plumpesten Diffamierungen dünner Frauen wiedergibt, die so in der Welt herumwabern. Dass das dicken Frauen nicht nützt, sondern nur allen Frauen schadet, ist ihr offenbar auch nicht klar.

Was lernen wir hier noch über dicke Sexualiät? Diesmal von der Autorin selbst? Frauen sollten sich ein wenig zieren, weil Männer die Jagd mögen. Und weil ein dicker Körper sich quasi naturgemäß "ziert", weil man nicht so leicht an alles rankommt, "bietet (er) im Bett jenen wunderbaren Widerstand des reichen Fleisches, den zu überwinden und dabei zu genießen den Partner begeistert." (Wenn man es auch fast nicht mehr glauben mag - auch das steht auf S. 145.)

Es gäbe noch mehr zu sagen. Aber ich habe keine Lust mehr. Und ich habe eigentlich auch keine Lust mehr, das Buch zu empfehlen, obwohl es im Kern sicher gut gemeint ist, und, wie oben erwähnt, auch die eine oder andere nützliche Information und ein paar hilfreiche Hinweise enthält.

Ja, schade.


NH



Samstag, 4. Juli 2015

Follow me around 28: Graue Vorzeit



Wenn ich als Kind mal wieder mit aufgeschlagenen Knien am Garten der Nachbarin vorbei humpelte, einer echten Landpartie in Kittelschürze und grundsätzlich einer Plastikschüssel mit selbstgezogenem Gemüse im Arm, sagte sie immer: "Bis du heiratest, ist alles wieder gut." Das kann also noch alles etwas dauern.

Ich habe endlich Abzüge von alten Negativen machen lassen, die ich beim Äufräumen gefunden habe. Ich wusste, dass ich auf den Bildern bin, aber als ich sie dann in den Händen hielt, war ich mal wieder komplett erstaunt und verwirrt. Zunächst. Und dann war ich wieder verdammt wütend.

Die Bilder zeigen mich, so um die elf Jahre alt, auf einer im Garten improvisierten Wasserrutsche. Ich war immer groß und weit entwickelt für mein Alter. Andere Kinder holten mich erst ein paar Jahre später in der Pubertät so richtig ein. In den Köpfen meiner Eltern, meiner Umwelt und somit auch in meiner eigenen Gedankenwelt galt ich seit meinem dritten Lebensjahr als dick und damit für alle Beteiligten als dringend korrekturbedürftig.

Was ich heute auf den Bildern sehe, ist ein schöner, starker Körper mit langen Beinen, rundem Po und viel Spannung. Ich hätte eine Frau mit einem schönen, starken Körper und einem runden Po werden können, die sich gern bewegt, niemals hungert und keinen Anlass sieht, sich zu verstecken. Hätten sie mich einfach in Ruhe gelassen. Hätten sie mich nicht belogen und betrogen und gequält mit ihrem krankhaften Bestehen auf vermeintliche, körperliche "Normalität".

Obwohl ich bereits als Kleinkind Diäten gemacht habe, sieht es so aus, als ob ich mit elf durchaus noch eine Chance gehabt hätte, halbwegs unbeschadet aus der Sache rauszukommen. Wenn der Krieg gegen meinen Körper ab da aufgehört hätte. Hat er aber bekanntlich nicht. Und so wurde ich stattdessen nach jeder Diät immer runder, unsicherer und unglücklicher. Und übrigens auch unbeweglicher, denn wenn einem immer unterstellt wird, man sei unsportlich und faul (weil ja dick), dann fördert das nicht die Freude an Bewegung. Zwang und Vorwürfe machen traurig und verbreiten Stress. Nichts weiter.

Klar, ich wäre vermutlich nicht auf den Weg der Fettakzeptanz und des Fettaktivismus gelangt, aber was wäre mir alles erspart geblieben? Wie viel Selbsthass? Wie viel Scham? Wie viele Schwindelanfälle vor Hunger? Wie viele verpasste Chancen, weil ich mich und mein Fett so oft versteckt habe, und darum so selten zur rechten Zeit am rechten Ort war? Wie anders wäre mein Leben wohl verlaufen? Ich kann in letzter Zeit nicht mehr so recht aufhören, mir diese Frage zu stellen. Ich habe die Bitterkeit und schiere Empörung darüber schon öfter beschrieben. Sie wird aber mit der Zeit nicht kleiner, sondern nimmt zu. Ich frage mich nun, ob es je gut wird. Und wenn doch, dann wann endlich?



Räumungsverkauf



Ich hatte etwas Zeit auf dem Weg zum nächsten Termin, war gerade in der Gegend und dachte, "Ach, gehst du mal wieder zu Hagedorn". Davor hatte ich den Buchladen jahrelang nicht besucht, weil ich nicht mehr in der Nähe wohne. Wie sich herausstellte, kam ich gerade noch rechtzeitig, bevor der Buchladen meiner Kindheit und Schulzeit nach 40 Jahren geschlossen hat. Aus welchem Grund weiß ich nicht. Ich war so erschüttert, dass ich vergessen habe, zu fragen.

Stunden habe ich als Kind in der Bücherecke verbracht und mein Taschengeld dort für das ausgegeben, was ich mehr liebte als alles andere - Bücher. Weite Teile meiner Bilderbuchsammlung stammen von da. Ich war sechs, als ich mir dort selbst das erste "richtige Buch" gekauft habe (soll heißen ohne größere Buchstaben oder Handschrift für Leseanfänger). Aber nun ist Schluss. Wieder so ein Stück persönliche Geschichte weg. Und es wird einem ein wenig mulmig. Ist es wirklich schon so spät?

Mein erstes vom Taschengeld in der Bücherecke selbstgekauftes Buch - ich bin sicher, die Katze auf dem
Cover hat den Ausschlag gegeben. ; ) 
Noch eins der ersten "echten" Bücher, die ich mir selbst gekauft habe - da gab es offenbar  auch schon
immer eine Vorliebe für "Horror".
Der letzte Einkauf in der Bücherecke - trotzdem lauter Kinderbücher.

Die Suppe auslöffeln

Wie berichtet, bin ich nun wirklich beim "Meal Prepping", also beim strategischen Vorkochen angekommen. Die Küche wird so  nur einmal pro Woche chaotisch, wenn ich einen großen Pott vegane Gemüsesuppe koche, die für eine Woche reicht.

Was ich noch gelernt habe: Vegane Sour Cream und Vegannaise sind ok - tatsächlich besser, als ich gehofft hätte. Sojasahne und -milch gehen so.Veganer Käseersatz funktioniert für mich absolut nicht. Ich kann mich weder an den Geruch noch an die Konsistenz gewöhnen. Das bedeutet, ich müsste in Zukunft ohne Käse leben. Mist...


Männliche Anerkennung

Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, aber nun hatte auch ich in letzter Zeit Maskulisten-Besuch. Erst wenn die sich so richtig aufregen, weiß frau schließlich, sie ist auf dem richtigen Weg. Talk of male validation, huh? Wer wissen will, wie bescheuert die mich so finden und einen starken Magen hat - bitteschön.

Ich will nicht sagen, dass frau hier irgendwann über fast jede Art männlicher Aufmerksamkeit froh ist, aber seien wir ehrlich - der einzige "Sex on the Beach", den ich dieser Tage kriege, ist der von Penny.

My head is a jungle

Und ins Kino ist dann ob meines abwegigen Geschmackes wie bereits prognostiziert auch wieder keiner mitgekommen. Ich brauche jemanden, wie den Ewald meiner Nachbarin. Einen, der sich aus purer Liebe opfert. Denn ein Opfer wäre es wahrhaftig gewesen. Jurassic World hat wenig mehr zu bieten, als der Trailer bereits zeigt. Von der lächerlichen Continuity, die die Hauptdarstellerin immer wieder erst mit und dann nach dem nächsten Schnitt ohne hochhackige Schuhe auf der selben Hetzjagd durch den Dschungel rennen ließ, will ich gar nicht erst reden. Obwohl mich bei einer so teuren und massigen Produktion solche Basisfehler schon irgendwie ganz nervös und fassungslos machen. Aber ich ertrage auch keine schlechten, sinnlosen Geschichten mit unschlüssigen Übergängen mehr. Und was ich auch nicht ertrage, ist der ständige Hollywood-Backlash. Wir haben 2015, und in einem hochglänzenden Spielberg- Film für Kinder (wenn er am Ende auch haarsträubend brutal, komplett humorlos, langatmig und nervig ist) gibt es ganze vier weibliche Sprechrollen, von denen nur eine eine Hauptrolle (die Tante der zwei männlichen Kinder) ist, in einem wahren Heer von männlichen Darstellern. Am Ende hing ich nur noch gähnend im Sessel, nachdem mir das Popcorn ausgegangen war, und war schon fast zu schwach, um mich darüber zu ärgern, dass der Film auch noch Dicke basht. Weinerlicher Loser-Sicherheitsdienst-Mitarbeiter und Bösewicht - beide sind dicke Männer.

Komisch, dass mich ausgerechnet da dann die Sinnlosigkeit unserer Existenz überhaupt überfiel. Das tut sie immer wieder mal. Ich habe schon als Kind manchmal in den Himmel gesehen und kleine Panikattacken bekommen, weil mir siedend heiß klar wurde, dass ich nie wissen werde, was dahinter ist. Ich bin aus dem kalten Kino in die stickige Nacht gestolpert, und wusste nicht wohin mit mir.

Am Ende war es im Film übrigens der Mosasaurier, der alle gerettet hat. Mir gegenüber im Regal steht ein Mosasaurier-Zahn, den mir meine Mutter mal geschenkt hat, weil ich ja die Wassersaurier schon  immer am liebsten gemocht habe.

Vor ein paar Tagen habe ich von einer Übung gehört, die Menschen, die zu viel Kram horten, dabei helfen soll, zu bestimmen, welche von den Dingen, die sie besitzen ihnen wirklich am wichtigsten sind. Und ich habe sie auch gleich ausprobiert. Man soll sich vorstellen, das Haus brennt und man hat nur zwei Minuten, um ein paar Sachen zu retten. Für mich war die Sache klar: 1. Kater, 2. Transportkorb für Kater (der ist, das habe ich durch die Übung gelernt, im Notfall nicht gut genug erreichbar gewesen), 3. Handtasche und Telefon, 4. Jacke und Schuhe. Wenn ich dann noch Zeit hätte: Fotoalben, ein paar Bücher, ein Bild von der Wand. Wenn noch mehr Zeit wäre: eine ganz bestimmte Vase und vielleicht den Schmuck meiner Mutter. PENG. Plötzlich war es in meiner Vorstellung ganz leicht, auch den ganzen großen Rest meines Hausstandes zurückzulassen, den ich nach meinen vielen Aufräumaktionen noch besitze. Das Gefühl, dass ich mich immer leichter von Dingen trennen kann, macht mich sehr froh. Und erleichtert.


NH

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