Sonntag, 29. November 2015

Rachekörper

Unter "Revenge Body" versteht man für gewöhnlich einen Körper, der nach dem unfreundlichen Ende einer Beziehung umfassend getunt und verschlankt worden ist, so dass der/die Verflossene sich gleißend grün vor Eifersucht in den Hintern beißt, weil er/sie solch heiße Ware hat ziehen lassen und sie nun nie wieder in seine Finger kriegen wird.


Für mich selbst ist das Konzept des Rachekörpers ein alter Hut, denn ich hatte Zeit meines Lebens sehr bunte und detailreiche Rachephantasien, und mein Körper spielte dabei tatsächlich fast immer eine entscheidende Rolle im Drehbuch.

Das lag zum einen daran, dass mein Körper(umfang) eben auch zumeist das zentrale Element der zu rächenden Verletzungen darstellte. Andererseits habe ich zwei Dinge sehr früh verinnerlicht: Erstens natürlich, dass es in unserer Gesellschaft  kaum etwas gibt, das der gültigen Legende zufolge glücklicher macht, als Dünnsein. Und zweitens, dass Leute sich über nichts mehr ärgern, als über das Glück anderer. Das heißt, um sich mit jemandem über Gewichtsabnahme aufrichtig zu freuen, muss man denjenigen wahrhaftig sehr gern haben, oder mindestens so sehr in sich selbst ruhen, wie Mutter Theresa. Ansonsten wird man es ihm vermutlich genauso wenig gönnen, wie einen Lotteriegewinn - auch wenn man selbst schon dünn ist.

Meine Mutter etwa, war schlank. Und ich war 28 Jahre jünger als sie. Und ihre Tochter. Ein echtes Wunschkind, übrigens. Sie war es, die mich im Kindergartenalter meine erste Diät machen ließ und maßgeblich dafür verantwortlich zeichnete, dass ich meinen Körper die meiste Zeit meines Lebens als Feind gesehen habe. Paradoxerweise hatte aber ausgerechnet sie, als ich erwachsen wurde, nur bedingt und nur höchst inkonsequent noch ein Interesse daran, dass ich langfristig schlank blieb. Im Rückblick muss man es ganz klar sagen - sie sabotierte sogar Diätversuche, schleppte mir ungefragt und unerwünscht Essen ins Haus, als ich bei ihr ausgezogen war, und schickte es mir sogar in die USA hinterher. Es war deutlich, dass sie das Scheitern von Diäten, bzw. eine erneute Gewichtszunahme mehr begrüßte als bedauerte, denn diese Wendungen hatten für sie jedesmal gleich zwei zufriedenstellende Auswirkungen: Die Tochter war abermals fett und somit sexuell "neutralisiert" - das machte sie emotional wieder abhängiger von ihrer Mutter und damit zuverlässiger. Und außerdem konnte man ihr ihr Versagen immer weiter unter die Nase reiben, was vermutlich gut für den eigenen Selbstwert war. Sie gewann bei diesem Spiel also immer. Mit diesen nur scheinbar widersprüchlichen Strategien des Tochter-Bashings war sie letztendlich jedoch auch nur eine Miniatur der uns umgebenden fettphobischen Gesellschaft. Die legt auch keinen echten Wert darauf, dass alle Dicken für immer dünn werden. Sie braucht die Dicken schließlich dringend, um sie zu verachten und zu piesacken.

Die Psychologin Catherine Herriger, deren Buch "Die böse Mutter" mir bereits 1990 (da war ich 19) in die Hände fiel, legt darin sehr plausibel dar, was auch meine Erfahrung reflektierte - dass es Mütter gibt, die ihre Töchter "kastrieren" und so auch als Erwachsene an sich binden, indem sie dafür sorgen, dass diese dick werden und dadurch erhebliche Startschwierigkeiten haben, wenn sie ein eigenes Leben gestalten wollen. Auch sinkt mit steigendem Gewicht die Gefahr, dass die Tochter eine Partnerschaft eingeht, und damit dem Einfluss der Mutter entzogen wird, bzw. nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung steht. Ich habe damals ein Paar Sätze im Einband des Buches notiert, die ich von meiner Mutter regelmäßig im Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme zu hören bekam. Tatsächlich hat mich meine eigentlich zutiefst schlankheitsbesessene, perfektionistische Mutter regelmäßig zum Aufessen ermahnt: "Das bisschen wirst du doch noch schaffen."...Was das alles mal wieder beweist, ist, dass man Umstände nicht automatisch ändern kann, nur weil man sie ziemlich genau durchschaut.

Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse einer Diät nicht erhalten werden können, so hoch ist, dass es ihrer Nachhilfe gar nicht bedurft hätte. Sie hatte die ganze Arbeit schon in meiner Kindheit erledigt, und ich saß als Teenager längst in der Jojo-Falle.

Ich muss sagen, ich freue mich darauf, Leute zu ärgern. Diesmal, im Zuge des "Thin Privilege Project", werde ich auf jeden Fall nicht zu verwirrt und nach innen gerichtet sein, um an verkniffenen, falschen Komplimenten von Menschen, die es viel besser fanden, als man keine "Konkurrenz" war, Spaß zu haben. Diesmal nehme ich das alles mit, wenn es kommt. Bekanntlich stehe ich ja auf Rache. ; )

NH