Samstag, 6. Februar 2016

(K)ein bisschen Frieden...

Eine Freundin von mir brachte mir die Februarausgabe von myself  mit, weil sie einen Artikel zum Thema Selbstakzeptanz enthält. Die Freundin weiß, dass das mein großes Thema ist und fand ihn eigentlich auch ganz gut, bis sie meine kugelrunden, entsetzen Augen sah, nachdem ich begonnen hatte, ihn zu überfliegen. Das ist nicht ungewöhnlich - man muss halt Übung darin haben, sich unmittelbar so zu echauffieren wie ich.

Halbherzige, ambivalente und im Grunde total verlogene Aufrufe, sich nicht mehr schönheits- oder wahlweise schlankheitsterrorisieren zu lassen, sind in Frauenmedien weit verbreitet und verdammt in. Immer wenn ich eine Frauenzeitschrift aufschlage, kräuseln sich ja bekanntlich schon in Erwartung haarsträubenden Unfugs meine Fußnägel. Und niemals, wirklich niemals, werde ich eines Besseren belehrt. Dafür werde ich immer enttäuscht. Von der unsolidarischen Biestigkeit der meisten Verfasserinnen.

Bei dem Artikel von Susanne Kaloff handelt es sich um einen triefigen Brief an den eigenen Körper, der insofern ausgesprochen aufschlussreich ist, als dass das lächerliche Pathos, das durch die Zeilen schwingt, mal wieder verrät, wie völlig unmöglich es für Frau Kaloff in Wahrheit ist, ihre verinnerlichten Standards auch nur für einen Augenblick auszusetzen. Sie kann nicht einmal in einer zweiseitigen Kolumne überzeugend so tun, als meine sie es ernst. Dieser Umstand ist übrigens auch normal und prägt so ziemlich jeden schriftlichen Erguss, den ich bisher zum Thema in Frauenmagazinen gelesen habe.

Zwar erwähnt sie zunächst, dass sie in einer familiären Umgebung aufgewachsen ist, in der körperliche Perfektionierung eine absolute Priorität war, und dass sie das bereits als Kind geprägt hat. Als sie mit 15 in einer Diskothek wegen ihres Gewichtes beleidigt worden ist, hat sie das allerdings mit Hilfe ihres "inneren Gurus" weggesteckt, denn der hat sie daran erinnert, "wo (ihre) innere Anmut wirklich wohnt." Tja, gut für sie.

Aber dann das: Jahrzehnte später erst hat sie begriffen, dass man auch innere Schönheit braucht (ja, Schönheitsbullshitbingo Rang 1) - offenbar damit man überhaupt noch etwas hat, wenn die äußere Schönheit im Alter verschwindet ("Wenn die Hülle Risse bekommt"), denn sonst "verzweifelt man beim Blick in den Spiegel". Die Frau Kaloff hat angeblich unlängst beim Betrachten ihrer eigenen Hände geweint. Und das, obwohl sie bereits vor 19 Jahren bei ihrem Körper angefragt hat, ob er und sie nicht "Frieden schließen" wollten. Dass Selbstakzeptanz bei ihr ein offenkundig verdammt langer und ziemlich schleppender Prozess zu sein scheint, mag ich ihr nicht vorhalten. Da weiß ich schließlich genau, wie schwer das ist. Was ich ihr allerdings ehrlich übel nehme, sind Sätze wie dieser: "Ich glaube allerdings nicht, dass Mut dabei hilft, sich selbst zu lieben. Mut hat etwas Aggressives, und diese scheinbar couragierte Haltung kommt mir oft vor wie Zynismus."

Da ist sie wieder, die gute alte Unterstellung, dass man sich SO (dick, alt, faltig, kleinbrüstig, kartoffelnasig) auf gar keinen Fall wirklich wohl fühlen kann. Und wenn man ehrlich zu sich wäre, das wird natürlich insbesondere Dicken täglich um die Ohren gehauen, dann wüsste man auch, dass man sich als zufriedene Dicke nur selbst betrügt und der Welt etwas vorspielt.

Darum setzt die faltige Frau Kaloff auch nicht auf grellen Mut oder Aufbegehren gegen geltende Körpernormen, sondern bei Konfrontierung mit dem eigenen im Grunde unmöglichen, verwitterten Spiegelbild auf "ruhiges Atmen", "softness beneath it all" (Hä?!?) und natürlich auf die Schönheit "unter der Oberfläche", die einem ja angeblich nicht verlustig gehen kann - bis man vielleicht eines Tages dement mit nem Schlüpper auf dem Kopf das Pflegepersonal anpöbelt (Anm. der dicken Dame). Außerdem ist die Frau Kaloff ihrem Körper dankbar, dass er beim Yoga noch so gut mitmacht und hat sich auf ihr Handgelenk das Wort "perfect" eintätowieren lassen, um sich stets daran zu erinnern, dass sie "ein vollkommenes menschliches Wesen" ist, "in der Welt (...), in der alles, was ist und geschieht, okay ist." Nichts, absolut nichts auf dieser Welt ist wichtiger für die Frau Kaloff, als das Aussehen ihres Körpers. Der Körper der Frau Kaloff ist darüber hinaus offenbar ihre Welt. Den Rest der wahren Welt kann sie hier ja wohl kaum meinen, so blöd und vermessen wäre doch wohl keiner, oder? Die Frau Kaloff hat es nicht leicht. "Aber leicht hat's einen", hätte mein Vater jetzt natürlich geantwortet.

So, und nun reden wir mal wirklich über Mut und Selbstakzeptanz:

Mit dem Körper Frieden zu schließen kann man nur gegen den vehementen und glühenden Widerstand der Umwelt - ganz besonders wenn man dick ist. Diese Wahrheit wird gern und aus ersichtlichen Gründen besonders gern von Frauenzeitschriften immer und immer wieder unter den Teppich gekehrt. Die betten das zeitgeistige Thema zwischen Diäten* und Motivationstipps für mehr Sportlichkeit in ihre Blätter ein, weil es halt neuerdings irgendwie dazu gehört, und verbreiten gern das Märchen, dass man sich halt selbst einfach mit ein wenig freundlicheren Augen betrachten und nett zu sich selbst sein solle.Wenn man sich dann noch jeden Freitagabend ein Bad einlässt, eine Duftkerze anzündet und einen Kräutertee aufgießt, um "gut für sich selbst zu sorgen", kann im Prinzip mit dem Frieden im eigenen Körper nicht mehr viel schiefgehen.

In Wahrheit befinde ich mich als dicke Frau nicht mit meinem Körper im Krieg. Sondern mit der Gesellschaft. Ich bin nicht mit einem Selbsthass-Gendefekt auf die Welt gekommen. Ich finde mich nicht von Natur aus die meiste Zeit meines Lebens selbst scheiße. Die Welt hat dafür gesorgt, dass ich und Aber- und Abermillionen von Frauen sich täglich scheiße fühlen, weil sie dick sind. Ich bin nichts Besonderes in meinem Krampf und Kampf. Man würde halt immer denken, dass sich so viele sinnlos und oft zutiefst unglückliche Frauen im Zeitalter der Information leichter mobilisieren ließen, um eben jene Außenwelt sehr viel vehementer in die Pflicht zu nehmen, aber das ist eine andere Sache. Jedoch ganz bestimmt auch eine Frage des Mutes. Des aggressiven.

Noch einmal für alle, die besonders schwer kapieren und damit auch für alle Redakteurinnen von Frauenzeitschriften: Das Problem liegt nicht innen. Das Problem liegt außen. Nur das Individuum hat natürlich das Problem und am Ende das verpfuschte Leben. Und sich selber bis an sein Lebensende auszuhungern und anzupassen, erscheint auf den ersten und zweiten Blick oft als die einfachere Lösung, als eine Existenz als angefeindete und belächelte Rebellin.

Darum braucht wer immer sich in seinem Körper von innen heraus besser fühlen will, so verdammt viel Kraft. UND AUCH MUT! Das ist ganz genau so und nicht anders. Denn das ist letztendlich so, als wollte man unter einem Wasserfall schwimmen lernen. Heißt nicht, dass sich der Versuch nicht trotzdem lohnt. Und wenn ihr etwas Mut gefunden habt, teilt ihn doch bitte mit anderen.


*Auf Seite 141 der selben Ausgabe von myself  wundert sich die Redaktion übrigens darüber "wie glücklich 1200 Kalorien machen können". Wohlgemerkt, auf dem Titel wird großmundig versprochen: "Nie wieder Diät!" Dabei geht es dann um California Cuisine - und das ist eine...Diät.
Man würde sich wünschen, die Redaktion möge ihre eigenen Ratschläge für ein "kreativeres, schlaueres und inspirierteres Gehirn" irgendwann auch endlich einmal selbst beherzigen.


NH