Leichter wird es nicht.
Dass ich überhaupt dazu komme, mich hier mal wieder zu melden, liegt natürlich daran, dass ich Freiberuflerin bin und mir seit gestern und heute Morgen - na, ich sage mal - 90% meiner Aufträge für diese Woche weggebrochen sind. Bei jemandem, der ohnehin immer von Existenzängsten geplagt wird, wäre vermutlich jetzt der exakt richtige Moment, eine Flasche Wein zu öffnen, die Füße hochzulegen, und sich möglichst ordentlich zu betrinken, damit der verzweifelte Druck in der Brust aufhört. Aber das ist hier keine Option, denn ich trinke ja nicht. Stattdessen hatte ich heute mit allen Kund*innen noch einmal Kontakt, um ihnen gute Gesundheit zu wünschen und sie gleichzeitig dazu zu ermuntern, mich nicht zu vergessen, wenn dieser ganze Albtraum halbwegs eingedämmt ist. Dann habe ich mir auch schon einmal die Kontaktdaten des für mich zuständigen Jobcenters rausgesucht - sowas beruhigt mich. Ich bin IMMER (über-)vorbereitet. Zumindest auf alles, auf das man sich vorbereiten kann. Meine Sitzung mit meiner Therapeutin läuft in dieser Woche übrigens über Skype.
Und nun stecke ich hier im Zwangsurlaub. Ungewaschen und noch im Schlafanzug - und das ist nie ein gutes Zeichen. Ich weiß, ich bin guter und großer Gesellschaft, aber solch eine Erkenntnis hilft bekanntlich auch nie. Es ist die eigene kleine, elende Welt, die sich um eine zuzieht wie ein Korsett. Ganz kurz hatte ich gedacht, die Dinge laufen zum Jahresanfang ganz gut. Und dann das...ich bin mir auch hier total bewusst, dass auch das kein Einzelschicksal ist, aber Jammern tut zumindest gut.
Mit all der freien Zeit, die ich in den nächsten zwei bis sechs Wochen vermutlich haben werde, könnte ich meine Wohnung streichen. Oder sie noch einmal komplett durchsortieren und dabei Vlogs drehen. Ich könnten auch endlich meine Kellervideos schneiden und veröffentlichen. Ich könnte ein Büchlein schreiben, den Inhalt von sechs Kisten bei ebay einstellen (ja, sowas steht hier noch immer rum), Rückengymnastik machen, die Ablage machen, das gesamte Bad entkalken, die gesamte Küche entfetten, Kundenakquise betreiben (für die Zeit nach dem Virus), mich als linker Troll im Internet herumtreiben und Aktivismus betreiben, mit Verwandten telefonieren, Quiche backen, autogenes Training machen, all meine Bilderbücher ansehen, alles in meinem Kindle lesen und mir die Fußnägel schneiden. Eben all das, was seit Ewigkeiten liegenbleibt.
Webseiten mit gut gemeintem Rat für Selbständige ermuntern eine*n in der Tat dazu, sich in Ermangelung von Aufträgen in eben jene aufgeschobene Arbeit daheim zu stürzen, damit frau nicht zu viel grübelt oder sich gar in Depressionen verliert. Eine Bekannte gab dazu heute zu bedenken, frau könne unmöglich sofort damit beginnen, den Putzlappen zu schwingen, denn dazu sei der zu verdauende Schock einfach viel zu groß. Soweit es mich betrifft, stimmt das tatsächlich. Ich schaue erstarrt den Eichhörnchen beim Spielen auf der Terrasse zu. Im Nachbargarten tummeln sich Mütter und Kinder und machen gemeinsam Krach in der Sonne...die haben offenbar...gar nichts begriffen. Fehlt nur noch, dass sie die Großmütter mit dazu bitten. So wie gestern.
Wer sich weiterbilden möchte: ) - Social Distancing
Insgesamt beschleicht mich ohnehin das Gefühl, dass ich jetzt nicht mehr zur Arbeit darf, weil die Doofen sich einfach mal wieder nicht zurücknehmen konnten und können. Wer ist denn bitte vor ein paar Tagen noch im Risikogebiet Ski gelaufen und lässt sich bei der Rückkehr nicht testen, sondern wandert geradewegs in Büro? Wer geht denn auf Corona-Partys? Wer tut das alles, bitte sehr? Und auch, dass frau jetzt selbst gezwungen ist, gegen Hamsterkäufer*innen anzuhamstern, die in ihrer kopflosen und raffigen Panik (kurz bevor sie sämtliche Kinder der Nachbarschaft zusammen auf den Spielplatz schicken) künstliche Versorgungsengpässe erzeugen, finde ich einfach nur zum Kotzen. Sie tun wirklich immer genau den Scheiß, den frau auch von ihnen erwatet hätte.
Kurz, ich bin mit all diesen Menschen jetzt zu Haus eingeschlossen und kann sie nicht ausstehen.Ich sitze noch mehr in der Falle als sonst.
Oliver meint, jetzt müssten wir dann eigentlich zu Haus wirklich den Urlaub machen, zu dem wir sonst nie kommen. Spiele spielen, reden, laufen und schlafen. Wenn uns die Hitze des Klimawandels einholt, bevor das Virus erledigt ist, könnte ich ja mal den aufblasbaren Pool, der im letzten Sommer nicht mehr zum Einsatz kam, endlich auf der Terrasse aufstellen...Ich hoffe von ganzem Herzen, dass es dazu nicht kommen wird. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt.
NH