Am Samstagabend war ich so verzweifelt und allein, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben versucht habe, bei der Telefonseelsorge anzurufen. Spoiler: Ich habe es kurz nach Mitternacht und dutzenden Versuchen geschafft. Zuvor war stundenlang kein Durchkommen. Eine merkwürdig strenge (vermutlich soll sie nur neutral wirken) Stimme teilte mir immer wieder mit, dass alle im Gespräch seien und mein Anruf deshalb jetzt nicht angenommen werden könne. Was sie mir nicht mitgab, war der Hinweis, dass ich besser den Notruf oder die Polizei anrufen solle, bevor ich mich aus dem Fenster stürze. Das war ernüchternd und beunruhigend. Die Hotline reicht ganz offensichtlich nicht aus, um Menschen in akuter Not beizustehen. Denn am Ende des Abends kann es zu spät sein. Dass das zermürbende Warten Verzweifelten erheblich zuzusetzen vermag, kann frau im Internet in Erfahrungsberichten nachlesen.
Allerdings scheint die Telefonseelsorge so ziemlich das
einzige Angebot dieser Art zu sein, das existiert. Überall, wo im Internet
Suizid-Notfallhilfe draufsteht, sind die Nummern der Telefonseelsorge drin. Was
dann allerdings nach der kühlen Bandansage immer folgte, war noch zusätzlich verstörend:
Nach der Aufnahme erklingt dann das quäkende „Kein-Anschluss-unter-dieser-Nummer“-Zeichen.
Bis die*der Hilfesuchende auflegt. Ob sich irgendwer bei der offenbar kirchlichen
Veranstaltung der Ironie bewusst ist, wage ich zu bezweifeln. Dass das für
Ratsuchende in gefühlt ausweglosen Situationen leicht wie eine Ohrfeige wirken
kann, scheint dort auch keinem*r bewusst zu sein. Im Anschluss versuchte ich,
mich für die Seelsorge per Chat zu registrieren und landete auf einer Liste mit
zehn Terminen. Der letzte davon war bereits am Dienstag um 20:30 Uhr. Und alle
Termine waren eh schon vergeben.
Wie immer, wenn ich im Leben versuche, irgendwo adäquate Hilfe für mich selbst oder andere zu bekommen (bei Behörden, Ärzt*innen, Tierheimen,
Polizei etc.) und dabei fast immer scheitere, verwandelt sich Sorge nach und
nach in Ärger und Fassungslosigkeit. Das ist ein Nebeneffekt, für den ich
vielleicht dankbar sein sollte, weil er mich wieder aufpeppt und in
Kampfposition bringt, aber…ganz ehrlich Leute, so geht das doch nicht. Was soll
das? Bei angeblich 7700 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, die laut Angabe auf
der Website dazu verpflichtet sind, im Monat 15 Stunden für die Telefonseelsorge
zu arbeiten, haben die am Wochenende ganze 10 Chat-Termine zu vergeben? Was
läuft da schief? Und wieso überlasse ich eine so wichtige gesellschaftliche und
in bestimmten Fällen lebensnotwichtige Aufgabe überhaupt einem kirchlichen Verein?
Wieso ist das nicht staatlich, gut finanziert und ordentlich ausgebaut?
Der Herr, der schließlich abnahm, war in der Hauptsache freundlich
und hatte definitiv etwas Beruhigendes. Ich glaube, dass er einem lebensmüden
Menschen den Interventionspunkt bieten könnte, der den rollenden Zug erst
einmal stoppt. So weit so gut. Ich sagte am Anfang überrascht, ich hätte gar
nicht mehr damit gerechnet, noch mit jemandem sprechen zu können. Er sagte, er
würde sich dafür nicht entschuldigen. Und ich dachte, das ist mal ein echt
unangebracht konfrontativer Einstieg, aber zum Glück kriegten wir das noch
umgebogen. Dann versuchte er es im Laufe der Unterhaltung mit praktischen
Tipps, wo ich mir Rat holen könnte. Ich hörte mich sagen: „Ja, ja.“ Und dann
wollte er mich am Ende als Mitarbeiterin für die Telefonseelsorge rekrutieren…gelacht haben wir auch ein wenig.
Die App der Telefonseelsorge habe ich mir dann auch noch
runtergeladen. Entweder bin ich zu blöd, oder aber das Produkt ist schon wieder
viel zu hakelig, buglastig und inhaltsleer, als dass ich erkennen könnte, was
ich damit machen soll, damit es mir besser geht. Ich habe bei der Navigation
nur geflucht. Und mich noch mehr gewundert.
Warum habe ich überhaupt bei der Telefonseelsorge
angerufen?
Weil es mir mies ging. Das passiert. Und in den letzten
Jahren immer öfter. Das miese Gefühl wächst zu einer überwältigenden und komplett
unübersichtlichen Flutwelle und es ist, als würde frau in der Tat
gleich im Chaos der Sorgen und Beschwernisse erdrückt werden.
Ich habe gesundheitliche Befürchtungen und fühle mich oft medizinisch
nicht besonders gut versorgt. Allein der Versuch, als Neupatient*in irgendeiner
Fachärztinnenpraxis aufgenommen zu werden…don’t get me started. Gefühle
wirtschaftlicher Instabilität und Statusangst sind seit Beginn meiner Berufstätigkeit
vor knapp 30 Jahren meine ständige Begleitung. Zahlreiche Lebensträume sind über
die Jahrzehnte evaporiert und haben einer wabernden Bitterkeit immer mehr Platz
gemacht. Hinzu kommt, dass ich ohnehin in meinen Werkseinstellungen eher motzig
und nicht besonders fröhlich bin. Ich bin empfindlich und anspruchsvoll.
Und allein.
Das hat sich so ergeben – aus einer Mischung aus
Persönlichkeit und Lebensumständen. Auf der Liste meiner WhatsApp-Kontakte gibt
es nur zwei private. Wenn ich eine Party feiern wollte, wüsste ich nicht, wen
ich überhaupt einladen soll. Und dass eine Partnerschaft eine*n nicht unbedingt
davor bewahrt, sich allein und verloren zu führen, dürfte so ziemlich jeder
Frau in mittleren Jahren klar sein. Dass eine Partnerschaft diese Gefühle auch
gern erst erzeugt, liegt ebenso auf der Hand. Der Herr von der Telefonseelsorge
sagte mir, dass sich dort mindestens 50% aller Anrufer*innen wegen akuter
Einsamkeit meldeten. Die Mehrheit der Anrufenden ist weiblich.
Und wie geht es dir so?
Ich plane ja schon so lange, einen Club der dicken Damen
zu gründen. Nun nehme ich diesen persönlichen Tiefpunkt zum Anlass. Das ist
vielleicht nicht furchtbar elegant, aber dass sich einige Leser*innen hier
am Strand ebenfalls mitunter einsam und ungesehen fühlen, scheint mir sicher. Mir schwebt ein Platz
zum Quatschen vor, ein Ort, an dem frau einfach was loswerden kann – Schlechtes
oder Gutes. Ein Netz aus Unterstützer*innen und Zuhörer*innen. Mit einem Forum
und einem regelmäßigen Online-Treffen. Im Grunde eher ein „Und-wie-geht-es-dir-so?“-Club.
Die Frage ist nun: Wärt Ihr interessiert?
(E-mail, Kontaktformular oder Kommentare sind natürlich alle gleich gut geeignet für Feedback. : ))
office(at)nicola-hinz.com
NH