Donnerstag, 9. Dezember 2021

Das Ende

 




Corbinian ist tot.

Ich musste ihn einschläfern lassen. Zwischen dem Augenblick, an dem ich begriff, dass irgendetwas nicht stimmt und seiner Einäscherung lagen ungefähr vier Wochen. Er hatte Krebs und ist nur 11 Jahre alt geworden. Nun ist Tippi allein. Mal wieder. Sie ist noch nicht einmal zwei Jahre auf der Welt, aber hat bereits drei maßgebliche Abschiede hinter sich - von ihrer Mutter und den Geschwistern, von einer Mitkatze, die Teil ihrer ersten Menschenfamilie war -  und jetzt ist ihr nach nicht einmal 10 Monaten ihr großer, dicker Freund aus heiterem Himmel weggestorben. Die beiden waren ein sagenhaftes Team. Sie hat ihn aufgemischt und er hat mit großer Freude, Geduld und angemessener Achtsamkeit mit ihr gerangelt - und seine Lieblingsplätze und Dreamies mit ihr geteilt. Seine Abwesenheit ist täglich ein Schock. 




Dieses ist der zweite und letzte Blogeintrag in diesem Jahr. Es war auch so ziemlich schauerlich, aber, wie durch das Ableben des Katers erneut bewiesen, geht es immer noch ein wenig bescheuerter.

In ein paar Tagen werde ich 50. Ein halbes Jahrhundert dahin. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, es fühlt sich nicht an, wie ein Grund zur Freude. Zuviel Ungemach schiebt sich ins Bild, wenn ich Bilanz ziehe über das Leben bis hierher. Verstellt den Blick. Was ich in fünf Jahrzehnten gelernt habe, ist, dass die Dinge sehr viel öfter schiefgehen als nicht. Komisch, wie unmöglich eine solche Prognose einer mit zwanzig vorgekommen wäre. Obwohl ich natürlich auch keine besonders fröhliche Zwanzigjährige war. Trotzdem hätte ich damals niemals glauben können, dass es eigentlich kein Gewinnen gibt. Ich habe, genau genommen, sogar verdammt lange damit gerechnet, dass noch alles wirklich gut wird. 

Aber überlebt. Zumindest das. 

Der Fragebogen zum Jahresende entfällt natürlich - bis auf die folgende Playlist der von mir meistgehörten Lieder. 


Danger Dan - Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt



Vermutlich könnte frau bei zwei Beiträgen pro Jahr auch von einem Ende des Blogs sprechen. Tatsächlich hätte ich genug Wut und Ärger für zehn Blogs. Zusätzlich habe ich seit Ewigkeiten Pläne für die Gründung eines Clubs der dicken Damen. Aber genug Energie habe ich dafür gerade nicht. Und wenn frau es genau betrachtet, auch nicht mehr genug Inhalte. Es gibt im Grunde nichts Neues zu sagen. Denn es ändert sich ja auch nichts. Irgendwann erwischt es uns wohl alle, die Motivation kracht in den Keller und zwar auf Nimmerwiedersehen - feministische Fettakzeptanz war nun einmal noch nie ein lohnendes Thema, wenn frau eigentlich gern beliebt und erfolgreich oder auch einfach nur im Ansatz wirksam wäre. Mit großer Verblüffung verfolge ich die Instagram-Posts von Kate Harding. Sie war eine meiner Heldinnen auf meiner Reise zur Selbstakzeptanz. Heute: Fotos von ihrem Hund. Und sonst kaum noch etwas.

Kommt gut in 2022 an.

NH

Donnerstag, 25. März 2021

Alles muss raus - oder: ein Rant - TEIL 1

"I'm about this close from gettin' in a tower 
and hurtin' some people!"*
(Suzanne Sugarbaker, Designing Women)


Das ist Tippi. 

Benannt nach Tippi Hedren. Tippi ist knapp zehn Monate alt. Seit etwa einem Monat wohnt sie nun 564r44444444444444444444444444444444444444ere (Nachricht von Tippi) bei uns. 

Wie berichtet, sitzt Corbinian seit dem letzten Sommer im Catio. Vorbei die Tage der Freiheit. Vorbei allerdings auch die Tage, an denen ich mich von alten und neuen Nachbarn beschimpfen lassen muss, weil ich mit einer Tüte Dreamies die Straße hinunterlaufe und nach meiner Katze rufe. Es ist unklar, ob diese Menschen mit mir oder tatsächlich mit Katzen ein Problem hatten. Ich kannte keinen von ihnen näher, in einigen Fällen nicht einmal vom Sehen, und hatte zuvor nie auch nur einen ganzen Satz mit ihnen gewechselt. Aber ich traue ihnen und ihrer Impulskontrolle, die schließlich ganz offenkundig gestört ist, auf keinen Fall mehr über den Weg, wenn es um die Sicherheit meines Tieres geht. 

Corbi war über die neue Lage nicht froh. Es war klar, dass er, nun unverständlicherweise inhäusig, Gesellschaft brauchte. Der ursprüngliche Plan war allerdings ein anderer, nämlich eine mittelalte, gemütliche und weibliche Wohnungskatze zu adoptieren, die ungefähr zeitgleich mit Corbi das Zeitliche segnen würde. Aber, wie es mit allem ist - nichts ist jemals einfach. Hilda, zehn Jahre alt und momentan Bewohnerin eines Tierheims in Brandenburg, durfte ich nicht aufnehmen, weil ich zu weit weg wohne. Ja. Whatever. Ich habe mich aufgeregt, das hat niemanden beeindruckt. Und Hilda ist weiterhin ohne eigenes Zuhause. Andere Heime hatten nur Freigänger*innen im Angebot. Aber dann brauchte Tippi wegen eines Umzugs ihrer Familie eine neue Bleibe. Ich sah die Anzeige, ihr Bild und bewarb mich erfolgreich. 

Sie ist jung, schnell, schlau und eher ungemütlich. Und sie plant schon jetzt den Ausbruch aus dem Catio, obwohl sie bisher noch nie Ausgang hatte. Sie will die Welt. Sie atmet sie ein in tiefen Zügen, starrt in die Sonne und hangelt sich am Maschendraht in die Höhe, um das Eichhörnchen zu erwischen. Für mich ist sie eine echte Herausforderung. Und für Corbi ist sie ein ganz neues Leben. Stundenlang wird in der Wohnung nun gespielt, zusammen gerannt und alles verwüstet. Er ist elf und ein Riese neben ihr, aber er versucht, angemessen mitzuhalten.

Da Tippi im Grunde brandneu auf dieser Erde ist, erzähle ich seither jeder, die es hören oder nicht hören will, dass ich nun offenbar noch mindestens zwanzig Jahre leben muss, um sie zu versorgen bzw. zu überleben. Denn als meine und eine Wohnungskatze hat sie natürlich ziemlich gute Aussichten, was ihre Lebenserwartung angeht. Ich rede über diese zwanzig Jahre so viel, weil sie mich in Angst und Schrecken versetzen. Aus verschiedenen Gründen.

Denn seit ihrer Adoption habe ich zum einen eiskalte Sorge, dass ich die zwei Jahrzehnte womöglich nicht mehr schaffe. In zwanzig Jahren bin ich siebzig. Mein Vater war 67, als er mit einem Herzkasper vor der Staatsoper in Hamburg zusammenbrach. Meine Mutter war 66, als sie mir im Universitätskrankenhaus Eppendorf davonstarb. Genetisch bin ich offenbar schon einmal nicht gerade brilliant aufgestellt.

Und dann mal grundsätzlich- WTF? Wie bin ich überhaupt jemals so alt geworden? Wie konnte es mir jemals passieren, näher am Tod als an meiner Geburt zu sein? Wie habe ich so einfach und wie nebenbei meine Lebensmitte überschritten und dabei noch gar nichts begriffen und nichts wirklich erreicht? Meine Bucket List ist meilenlang und ohnehin ist es mir vollkommen schleierhaft, wie ich bitteschön überhaupt in der Lage bin, eine mittelalte Frau zu sein. Zumindest als Kind dachte ich immer, dass frau dafür eine Reihe von Qualifikationen erwerben und Lebensereignisse abarbeiten müsse. Mir war nicht klar, dass es einfach so passiert. Und ich kann in letzter Zeit ohnehin nichts so recht von dem glauben, was ist.

Fettaktivismus my ass.

Und der ganze Müll liegt hier auch schon wieder viel zu lange rum. Ein ganzer Ordner voll mit unerfreulichem Material zu Themen, die ich hier behandeln wollte. Dazu ein Stapel Bücher. Keines davon verspricht eine erbauliche Lektüre; alle sollten tatsächlich nur gelesen werden, weil ich aus irgendwelchen Gründen glaube, dass ich es der Welt schulde, den Schrott auseinanderzudröseln. Dabei macht es nicht den Eindruck, dass irgendetwas, was wirksamem oder auch nur ernstgemeintem Fettaktivismus nahekommt, in Deutschland in den letzten Jahren eine Chance gehabt hätte, einen Zeh in die Tür der Medienlandschaft zu bekommen.

Vor einiger Zeit hat mich eine Freundin gefragt, ob ich ihr ein Buch über Fettakzeptanz auf Deutsch empfehlen könnte. Konnte ich irgendwie nicht. Und kommt mir bloß nicht wieder mit Magda Albrecht

Happy Size macht im Katalog jetzt Reklame für ein Buch, das Tanja Marfo geschrieben hat - über Selbstliebe. Würg. Jetzt kann ich bei Happy Size nix mehr kaufen. So wie ich keine Geflügelwurst von Gutfried mehr kaufen konnte, als Johannes B. Kerner begann, in den Werbespots aufzutreten. Ich erinnere mich ja immer wieder gern an das von ihr geleitete Seminar zum gleichen Thema, bei dem wir zu dritt vor einem Tablet in einem Imbiss saßen (das war der Veranstaltungsort) und die zweite Teilnehmerin in wilde Tränen ausbrach, weil sich ihr dicker Selbsthass just in dieser Situation so richtig Bahn brach. Es ist alles Betrug. Frau Marfo war noch nie an der Selbstliebe anderer interessiert. Alles, was sie je wollte, war irgendwie eine Karriere mit Medien. Als dicke Frau entschied sie sich sodann, den Body-Positivity-Zug für ihre Zwecke kapern. Sie macht aber bekanntlich auch ohne zu zögern Reklame für Diätpulver und Fitnesstrainer, wenn sie glaubt, dass sie das weiterbringt. Und auch das wird sie  schamlos als Selbstfürsorge verkaufen. Noch einmal, an alle, die es noch immer nicht begriffen haben: Ein "Umstyling" hat nichts mit Selbstliebe zu tun. Genau genommen bedeutet es das Gegenteil.

Mein Instagram Feed ist naturgemäß voll mit Accounts, deren Kernthema eigentlich "Body Positivity" ist. Bei den Bildern handelt es sich in letzter Zeit immer seltener um OOTDs o.Ä. und zunehmend um nackte oder in Reizwäsche gekleidete dicke Frauen, die gern auch mal auf diesem Wege Werbung für ihr "OnlyFans-Account" machen. Von mir aus soll selbstverständlich jede, die das will, ins Pornogeschäft einsteigen. Entschuldigt, wenn ich trotzdem nur noch kotzen könnte, wenn mir noch einmal irgendwer weismachen will, dass es ein Fortschritt ist, wenn dicke Frauen in der Pornographie, bei Modelwettbewerben und Misswahlen endlich genauso intensiv zur Objektifizierung von Frauen beitragen "dürfen" wie normattraktive. Wenn ihr mich fragt, ist "Body Positivity", wenn das Konzept überhaupt je etwas wert war, inzwischen totgetrampelt worden. 

Göttin, ich habe das alles so satt. Ach ja, und dann war da auch noch das...

Die wirklich allerletzte Presseschau: The Curvy Magazine

Ich habe eine Ausgabe des Curvy Magazines erworben (die Ausgabe für Sept, Okt, Nov. 2020). Bekanntlich habe ich für Frauenzeitschriften nicht viel übrig. Und ja, ich glaube, dass die Möglichkeit, schöne Kleider zu tragen, nicht den Mittelpunkt fettaktivistischer Arbeit ausmachen kann. Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass weite Teile des Publikums das anders sehen, bzw. dass schöne Kleider in großen Größen und dicke Models in Magazinen ihnen reichen würden, weil ihr Ärger über die eigene Diskriminierung sie schlicht noch immer nicht weiter trägt. 

Nun ja, auf jeden Fall ist das Modemagazin für dicke Frauen vollgestopft mit Fat Shaming. Quelle surprise, I know. Die Brigitte könnte hier regelrecht noch etwas lernen. Zwischen den Seiten tut sich auch in diesem Fall wieder genau die Hölle auf, in die alle Beteiligten immer geraten, wenn dicke Frauen, die die Ambivalenz dem eigenen Fett gegenüber niemals überwunden haben (siehe Barbara Schöneberger), einfach so tun als ob, weil sie glauben, dass es sich vermarkten lässt. Was dann oft nicht einmal der Fall ist. 

Auf Seite 11 beginnt Susanne Ackstaller ihren Kommentar "Dick sein als Chance" mit der Überlegung, dass sie "die Vorteile eines dünneren Ü50-Ichs durchaus (sieht)!" Auf ihrem Instagram-Account gab es übrigens zu den Festtagen im letzten Jahr auch eine gute Portion Selbstherabsetzung: "Platze gerade aus meiner Jeans, weiß jetzt, warum es "Plätzchen" heißt."

Etwas weiter im Magazin schickt sich dann die dänische Comedienne Sofie Hagen an, noch etwas mehr am eigenen Klischee-Gefängnis zu zimmern: Fett ist "powerful, schön, weich, belastbar, einfach herrlich". Und ich so: Was, wenn Fett nicht belastbar ist, bzw. die Person, zu der es gehört? Dass Fett nicht einfach sein kann, dass es immerzu noch zusätzlich etwas sein muss, das es rechtfertigt oder aufwertet, macht mich inzwischen so sauer.

Im Vogue-Interview behauptet die Gründerin des Curvy Magazins, Carola Niemann, man müsse "ab Größe 42 genauer, liebevoller mit einem Körper umgehen", denn ab da sind alle Körper "plötzlich unterschiedlich" und das macht die Herstellung von Kleidung über 42 angeblich so kniffelig. Sie hat das Magazin gegründet, um Frauen Vorbilder zu liefern, "die auch nicht perfekt sind, aber toll aussehen..." Auch nicht perfekt. Sie verspritzt weiterhin nichts weiter als Gift. Und bemerkt absolut nichts. 

Damit also keine ihrer Leserinnen jemals auf die Idee kommt, nicht ganz schön scheiße und obendrein nicht zu dumm zu sein, sich morgens etwas anzuziehen, kommt dann ab Seite 70 ihrer Publikation die große "Beratung": "Welches Business-Outfit passt zu deinem Körpertyp". Und ich traute meinen verdammten Augen mal wieder nicht.

Oben schmal, unten breiter: "Locker sitzende Hosen aus weich fließenden Materialien (...) umspielen die Hüften und Oberschenkel und gleichen so deine Proportionen (...) aus. Eine Bluse (...) mit V-Ausschnitt sowie Stiefeletten mit Absatz strecken zusätzlich."

Schmale Taille: "Es gilt, deine Körpermitte zu betonen."

Rundliche Körpermitte: "In dem locker sitzenden Jumpsuit ist alles gut verpackt und durch den lässigen Schnitt trägt auch nichts auf. Mit einem weiten Mantel kannst du deine Körpermitte umspielen."

Oben breiter, unten schmal: "Deine Beine können sich sehen lassen. (...) Obenrum auf Schnickschnack verzichten. (...) der Ausschnitt streckt und lässt deinen Oberkörper schmaler wirken."

Schwer zu glauben, wenn frau nicht dabei war, aber das Motto auf dem Cover lautet tatsächlich "Respekt!". Wie jede Frauenzeitschrift ist auch diese nichts als ein Cocktail aus beschränkten, toxischen Kleinmädchenträumen, fahrlässiger Feigheit und skrupelloser Selbsterhöhung. 

Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Schon gar keine Vorbilder.

Fortsetzung folgt.


*Achtung: Schwarzer Humor. 
Ich bin so kurz davor, auf einen Turm zu steigen und ein paar Leuten wehzutun!
Suzanne Sugarbaker ist eine Hauptfigur in einer meiner Lieblingssitcoms. In "Designing Women" parodierte Delta Burke eine ebenso exzentrische wie reaktionäre Südstaatlerin. "Designing Women" war in den 80ern und frühen 90ern zusammen mit dem anderen berühmten Frauen-Ensemble seiner Zeit, "Golden Girls", bekannt und beliebt dafür, die Plattform, die das Fernsehen bot, auch zum Kampf gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus zu nutzen. 

Das Zitat bezieht sich auf einen Massenmord im Jahre 1966, als der Ex-Marine Charles Whitman bis unter die Zähne bewaffnet auf den Turm des Hauptgebäudes der Universität von Texas in Austin stieg, von dort aus wahllos in die Menge schoss und 18 Menschen ermordete. Designing Women thematisierte auch das noch immer hochaktuelle Thema Waffenkontrolle mit Suzanne als komplett verantwortungsloser Inhaberin einer Schusswaffe.


NH