Sonntag, 27. März 2011

Der Plan


Hab‘ ich schon einmal die Geschichte erzählt, wie ich bei Gerry Weber in der Abteilung für große Größen mit einer Jacke und zwei Hosen auf dem Weg in die Anprobe war – und mir die Verkäuferin „viel Glück“ gewünscht hat?...

Der verbale Gegenschlag kam, wenn auch unbeabsichtigt, von der Freundin der dicken Dame in der Kabine neben mir. Wir beide drehten uns glücklos vor der Gemeinschaftsspiegelwand, und sie verkündete lauthals und kopfschüttelnd: „Das sieht hier doch irgendwie alles aus, wie Beerdigung in der Provinz.“ Die Frau war ein Genie! War ja eigentlich kein richtiger Satz - und ergibt scheinbar keinen Sinn. Trotzdem weiß man genau, was gemeint ist.

Die Aussage erinnerte mich an eine Postkarte mit einem alten Schwarzweißfoto eines braven, mondgesichtigen Mädchens vom Lande (so die Annahme), mit stämmigen Beinen in dicken, glänzenden Strümpfen - den Sonntagshut auf dem Kopf und die Handtasche auf dem Schoß fest im Griff. Sie sitzt dort, platziert vor einem Bücherregal, wie bestellt und nicht abgeholt. Die Unterschrift lautet: „Nichts macht dich so fertig, wie deine Heimatstadt.“ Scheint auch keinen Sinn zu ergeben. Und trotzdem fühlt jeder, dass das auf jeden Fall die Wahrheit ist. (Auch wenn man nicht vom Lande kommt. Die innere Provinz ist überall.) Man ist, was man glaubt zu sein. Und was man glaubt zu sein, hat man sich oft nicht selbst ausgedacht. Das hat einem die „Heimatstadt“ ungefragt in den Koffer gepackt. Den schleppt man mit sich herum, bis man ihn womöglich eines schönen Tages öffnet und feststellt, dass man so nicht eine Sekunde länger tot überm Zaun hängen will.

Ich habe einen Plan. Diät hin oder her – ich werde selbst das Kleid entwerfen, das ich wirklich will, und das wirklich sagt, wer ich bin. Und dann lasse ich es nähen, so dass es mir ganz genau passt…Und dann zeige ich es her.

Ohne weitreichende Expeditionen in den eigenen Dschungel wird dieses Kleid allerdings nicht herzustellen sein. Wie gut kennt man überhaupt seine dicke Welt, wenn man sich selbst eigentlich immer lieber nur als Gast dort betrachten würde? Wenn ich wüsste, dass ich ohnehin nie mehr schlank sein werde, was würde sich ändern? Würde man sich dann endlich, so wie man halt ist, im überfüllten Freibad vom Dreimeterturm stürzen? Mit flatternden Oberschenkeln, gleißend angestrahlter Orangenhaut - und allem?

Und wenn ich jetzt ein Kleid wäre, wie sähe es aus?

Meine Güte, so schöne Fragen, die ich nie wirklich für mich beantwortet habe…Ich glaub‘, das wird spannend.

Aus gegebenem Anlass (und der Ausgewogenheit halber) habe ich mir erlaubt, wiederum noch schnell eine neue Liste zu erstellen – diesmal:

6 Gründe, warum es manchmal gar nicht so schlecht ist, eine dicke Dame zu sein:

1. Gut mit Eigenfett unterpolsterte Gesichter sind oft noch ganz schön glatt, wenn andere sich schon zusammenfalten.

2. Trotzdem wird kaum eine andere Frau auf der Welt einen als Konkurrenz betrachten, es sei denn, sie ist so dick, wie man selbst.

3. Es ist absolut möglich, sich einen ganzen Samstagabend in eine Bar auf dem Kiez zu setzen, ohne auch nur eine dumme Anmache ertragen zu müssen.

4. Man kann in den meisten Boutiquen selbst dann keinen immensen finanziellen Schaden anrichten, wenn man es sich fest vorgenommen hat.

5. Man wird immer unterschätzt. Das kann nützlich sein.

6. Und man wird grundsätzlich für freundlich gehalten. Das kann erst recht nützlich sein. Und sorgt für Überraschungen ; ).

NH