Donnerstag, 27. März 2014

Vorher

 

Ich habe dann mal ein klassisches "Vorher"-Foto gemacht. Im verhüllenden Hänger (wenn auch mit Querstreifen) und ohne Make-up. Mit verdammt kleinen, müden Äuglein. Im eigenen Garten, im fahlen Licht des vergangenen Nachmittages. Und ja, das sind Gartenclogs. Es ist eines von diesen Fotos, die ich vor ein paar Monaten nur über meine Leiche veröffentlicht hätte. Es ist ein Foto, das ich selbst noch immer gar nicht so gut aushalten kann. Die Abbildung hat mehrere Ebenen. Zum einen ist es ironischerweise und gezwungenermaßen mal wieder ein klassisches "Vor-der-Diät-Foto". Wobei man natürlich nur einfach den Vorhang ausziehen müsste, um in diesem Fall einen spontanen Abnahmeeffekt zu erzielen. ; )

Ein weiterer Aspekt ist allerdings die Verhüllung, und die Tatsache, dass ich dieser Tage zwar sehr wohl über eine für meine Verhältnisse mutige UND passende Garderobe verfüge, die ich aber noch immer nicht besonders mutig ins Leben und auf die Straße getragen habe. Wie ich auch schon erwähnt habe: Im Schlüpper abgebildet zu werden, fällt mir tatsächlich leichter, als in einem bunten Schlauchkleid. Dabei habe ich im Gespräch mit Theo erst damit angegeben, dass ich heute auch problemlos in Latex einkaufen gehen könnte. Ich will bestimmt nicht, dass er am Ende Recht behält, aber in Wahrheit fühle ich mich in wirklich auffälliger Fatshion noch immer verkleidet. Und irgendwie ausgeliefert. Ein nicht ganz unerheblicher Teil von mir möchte sich im Alltag weiterhin lieber verstecken. Hier meint das "Vorher"-Foto also "vor den neuen Kleidern".

Ich weiß die Tatsache zu schätzen, dass bunte und daher sichtbare dicke Körper eine wichtige Nachricht an die Umwelt senden. Die öffentliche Sichtbarmachung des Fettes ist eine wirksame Strategie, die Akzeptanz dicker Körper zu erhöhen. Meine persönliche Erwartung an Fatshion ist außerdem, dass mein eigenes Selbstbewusstsein als dicke Frau weiter wächst.

Gleichzeitig habe ich ja schon lange nichts mehr übrig für die allgegenwärtige Makeover-Kultur, in der wir leben. Wer sich aus seinem vermeintlich eher unattraktiven Ausganszustand mit mehr oder weniger großem Aufwand erfolgreich herauspellt und sich gängigen Schönheitsstandards so gut wie möglich anpasst, wird in der medialen Aufbereitung oft mit nicht weniger als einer Wiedergeburt belohnt. Und Wiedergeburt steht für ein neues Leben, das ohne die Veränderung nicht möglich wäre. Und das steht natürlich diametral dem gegenüber, was ich für den Kern von Selbstakzeptanz halte - Leben darf eben gerade nicht aufgeschoben werden, bis die Fassade in einen "gesellschaftlich akzeptablen" Zustand gebracht worden ist.

Also: Ich will nicht herkömmlich vorteilhafter aussehen, sondern kühner. Und vielleicht etwas wacher...Und ich werd's euch dann zeigen. Buchstäblich. ; )

NH

Dienstag, 25. März 2014

Die Liebe zur Masse

© candybeach.com 2014
Theo und ich kennen uns bereits ein Weilchen, und ich dachte, er sei ein Fettliebhaber. Darum hatte ich auch schon lange vor, ein Interview für Das Lied der dicken Dame mit ihm zu führen. Gleich am Anfang des folgenden Gespräches stellte sich dann heraus, dass er gar keiner ist…irgendwie. Trotzdem - nichts ist für jemanden, der mit seinem Körper hadert, hilfreicher beim Perspektivenwechsel, als die Wertschätzung eines anderen, dessen Meinung einem wichtig ist und den man ernst nimmt. (Besonders, wenn derjenige 1,90 m groß ist und Oberarme hat wie Mr. Proper. ; )) Achtung: Wer etwas gegen Ausdrücke wie „Titten“ und „Arsch“ sowie  eine gewisse Deutlichkeit bei Gesprächen über Sexualität hat, sollte an diesem Post besser vorbeisurfen.
T(heo): Ich glaube, ich bin eigentlich gar kein ausgesprochener Fettliebhaber. Ich bin eher ein Fettrealist.
N(icola): Was bitte ist denn ein Fettrealist?
T: Fettrealist heißt, dass ich nicht alles was Fett ist in den Himmel lobe, nur weil es Fett ist. Es gibt gutes und…nicht so gutes Fett.
N: Welches Fett ist denn eher unbeliebt bei dir?
T: Na, ich sag mal, der Fettrand am Nackensteak…
N: Au weia.
T: Spaß beiseite. Ich glaube, wenn bei Oberschenkeln das Fett in überlappenden Lagen so ausgeprägt wäre, dass man sich grabenderweise dem Leckerchen nähern müsste, das würde mich eher abstoßen. Aber lass‘ uns das einfach mal positiv formulieren, das ist einfacher und macht den Ausdruck „Fettrealist“ im Verlauf vielleicht klarer. Mann findet halt immer irgendwelche Attribute besser oder schlechter. Ich erfülle ja dieses männliche Klischee und finde große Brüste besser als kleine, einen großen Arsch besser als einen kleinen und außerdem finde ich, dass das Gefühl in der Umarmung besser ist, wenn da mehr ist. Eine gewisse Brustgröße haben Frauen aber in der Regel nicht, wenn sie nicht sehr dick sind und eben auch an anderen Stellen eine entsprechende Körpermasse aufweisen. Es sei denn, es sind fake Titten, und fake Titten sind ja…nicht so schön. Die sehen auch peinlich aus…
N: Falsche Titten? Die findest du peinlich?
T: Ja! Ich finde sie peinlich. Und sie fassen sich zunächst einmal auch ganz schlecht an. Für mich ist die Haptik ja viel wichtiger als die Optik. Darum finde ich hängende Brüste viel besser als stehende, es sei denn natürlich, es sind riesengroße, echte, stehende Brüste…und vielleicht existiert ja so ein Paar auch irgendwo auf der Welt.
N: Da kommt einem halt immer die Schwerkraft ins Gehege.
T: Bei Kunsttitten nicht, die sitzen immer mittig und aufrecht. Aber zurück zum Fettrealisten. Ich habe also eine Vorliebe für besonders voluminöses Frausein. Also die Rubensfrau – in diese Richtung geht es schon. Aber kennst du die Zeichentrickfigur Jessica Rabbit? Die hat auch diese extremen Eigenschaften. Extremer Busen, extremer Arsch, aber dann ebenfalls eine extreme Taille, wie eine Sanduhr. Mit Fettrealist meine ich also in diesem Fall, den persönlichen Kompromiss zu finden. Es ist eine Frage des Gesamtbildes. Und wenn die Brust nicht mehr weiter fällt, als der Bauchumfang, finde ich das nicht mehr attraktiv. Obwohl ich natürlich auch gern in einen weichen, runden Bauch greife.
N: Es gibt also Grenzen, was die Fettfülle angeht?
T: Fett ist bei mir kein Fetisch. Ich erinnere mich da an den Film Feed, in dem es um einen Mann geht, der eine Frau mästet, bis sie nur noch völlig unbeweglich als Fleischberg dahinvegetiert. Das war auf verstörende Weise faszinierend, aber sexuell stimulierend finde ich das nicht.
N: Wie steht es denn mit der Unterwelt von dicken Frauen? Mit fleischigen Schamlippen zum Beispiel?
T: Je dicker die Schamlippe, desto größer die Spannung, was wohl dahinter sein mag!
N: Auch in Zeiten, in denen Frauen sich den Unterleib vom Schönheitschirurgen aufräumen und alles zurechtstutzen lassen?
T: Tun sie das? Ach, doch – davon habe ich auch schon gehört. Aber ich habe es nicht verstanden.
N: Naja, damit das alles übersichtlich und sportlich aussieht.
T: Na, aber es gibt halt viele verschiedene Ausprägungen. Mal sind sie so, und dann wieder so. Und dann so. Und dann hier so. Und dann da so. Oder auch so.
N: Ich habe ja auch eine überlappende Schamlippe…
T: Ja. Dann lass uns doch mal eine Situation konstruieren, in der das relevant sein könnte.
N: Also, was mich ja tatsächlich schon erstaunt, ist die Furchtlosigkeit vor dunklen Winkeln und Ecken, die viele dicke Frauen an ihren Körpern selbst nicht so genau kennen, bzw. mitunter regelrecht vermeiden, schon. Ich hatte mir z.B. jahrelang die Innenseite meiner Oberschenkel nicht mehr so richtig angesehen, bevor ich mit meinem Selbstakzeptanz-Projekt anfing.
T: Ja, und das ist nicht deine Zuckerseite, das wissen wir beide.
N: Erzähl‘ mal etwas, über das Gefühl, unter einer dicken Frau zu liegen.
T: Ich glaube, unter ist noch geiler als über, weil man voll umfasst ist, von allem. Man hat die Hände auf dem Hintern, wenn man möchte und man kann gleichzeitig im Tittenmeer ertrinken. Eigentlich ist das für mich die ideale Stellung. Oben ist aber auch gut, weil man alles so schön im Blick hat.
N: Wie ist das mit all den vermeintlichen Makeln, die das Selbstbewusstsein von Frauen so stark beeinflussen können? Streifen, Wellen, Dellen? Stört dich das gar nicht?
T: Wenn sie nicht da wären, wäre es besser. Aber sie stören mich auch nicht. Sie sind nicht im Fokus der Wahrnehmung, denn die Brüste und der Hintern sind zu groß und zu prächtig. Und womöglich in Bewegung. Und wenn man dann nur noch die Hand auszustrecken braucht, um sie anzufassen, wen sollen in dem Zusammenhang – was war das? –  Streifen, Wellen und Dellen interessieren? Wellen und Dellen klingt unterhaltsam. Wie ein Fahrgeschäft auf dem Dom.
N: Wie ist es mit angezogenen dicken Frauen? Gibt es etwas, das sie besser nicht tragen sollten?
T: Ich finde, dicke Frauen sollten nicht in Leggings herumlaufen. Wenn sie schon ein Statement machen wollen, dann sollten sie in Latex das Haus verlassen.
N: Ich würde das ja heutzutage fertigkriegen.
T: Das glaube ich nicht. Du gehst nicht so über die Mönkebergstraße und kaufst bei Karstadt ein.
N: Doch, das mach‘ ich.
T: Sag‘ mir wann und wo. Ich halte die Kamera…Besser noch als Latex, wäre ja Körperfarbe.
N: In Körperfarbe gibt’s mich schon im Internet.
T: Aber nicht, wie du so durch die Fußgängerzone läufst.  Da hätten wir doch mal eine Aktion – einen Auflauf von lauter stolzen, dicken Frauen in Körperfarbe. Das wäre Femen, Teil 2!
N: Was symbolisiert weibliches Fett?
T: Ich würde eher sagen „Was symbolisiert Weiblichkeit? Fett.“
N: Oh!
T: Das beantwortet jetzt vielleicht nicht die Frage, aber meine Antwort finde ich viel geiler als deine Frage…Na schön. Fett ist weich. Fett ist Geborgenheit. Fett ist warm. Fett ist Energie. Fett ist Sicherheit. Dicke Frauen haben ja oft fast etwas Mütterliches. Sie sind keine Bedrohung, sondern können Bedrohungen abwehren – einfach mit ihrer Präsenz.
N: Hattest du schon immer eine Vorliebe für runde Frauen, oder gab es einen bestimmten Auslöser?
T: Da muss ich mal zurückblättern in meiner Liebschaftsgeschichte. Meine Partnerinnen waren tatsächlich alle sehr unterschiedlich. Ich hatte Freundinnen, die gängigen Schönheitsstandards durchaus entsprachen. Und es waren auch sehr dicke Frauen dabei, aber ich glaube, und das ist die Kernbotschaft hier, dass nicht ständig irgendwelche Schubladen aufgerissen werden sollten. Ihr (Frauen) guckt vielleicht auf eure Einzelteile und seid verunsichert, aber „er“ sieht zunächst das Ganze. Und dann guckt er ohnehin auf seine Favorites.
N: Na, ich weiß nicht, ob der Blick überall so freundlich ist. Erkläre es mir noch einmal – warum bleibst du da, wo andere, im übertragenen Sinne, schreiend raus rennen? Dem Druck gesellschaftlicher Normen folgend, oder aus welchem Grund auch immer.
T: Weil ich eine Frau holistisch wahrnehme. Und übrigens auch als Person. Frauen ziehen ihr Selbstbewusstsein oft ganz extrem aus ihrem Äußeren. Das ist nicht wirklich klug, denn damit setzen sie dann natürlich von Anfang an auf ein sterbendes Pferd.
NH

Samstag, 22. März 2014

Beutezug*

Ja, ich habe mich über die Oberflächlichkeit klassischer Beauty-Blogs beschwert. Und ja, ich nehme sie mitunter nicht besonders ernst. Aber jetzt, wo ich eigentlich shopping-faste, habe ich plötzlich zumindest Gefallen daran gefunden, anderen beim Auspacken ihrer Einkäufe zuzusehen.

Um genau zu sein, habe ich Trisha Paytas auf YouTube entdeckt. Paytas ist eine runde, blonde Vloggerin mit Sitz in Kalifornien, und sie präsentiert fast täglich ein schrilles Konsumtheater, das schwer zu toppen ist. Außerdem haben wir beide den selben Lieblingsplatz: Beverly Center in Los Angeles. An sich sind ihre Hauls ebenso unbeabsichtigte wie absichtslose Kunstform. Sie sind eingebettet in eine Flut von mittlerweile über 900 Videos, die sie produziert hat. In vielen von diesen beschäftigt sich Paytas mit Religion, Politik, Beziehungsfragen sowie ihrer Sicht der Dinge im Allgemeinen. In ihren Haul-Videos könnte man den Eindruck bekommen, sie sei eine zwar überkandidelte aber im Grunde bodenständige, warme und gelegentlich fast selbstreflektierte junge Frau. Gräbt man sich weiter durch ihren Kanal, begreift man jedoch schnell, dass sie auch zutiefst verstört ist und sich zwischen religiösem Fundamentalismus und ihrer Lebensrealität als Ex-Pornodarstellerin/Prostituierte aufreibt. Sie verteilt die Fragmente ihrer persönlichen Tragödie in kleinen aber erschütternden Portionen zwischen ihren pinkfarbenen und quietschigen Abenteuervideos.

"My energy just comes from the mall." (Trisha Paytas)

Die meisten ihrer Werke handeln von Make-up, parfümierten Kerzen und Handtaschen, für die sie Tausende ausgibt. Paytas lebt fürs Einkaufen. Und davon. Denn Haul-Videos sind für die richtig erfolgreichen Vloggerinnen Big Business. Wer regelmäßig sechsstellige Klickzahlen mit seinen Filmchen erreicht, kann erstaunliche Einnahmen durch Werbung und Sponsoring erzielen.

In meinem eigenen und EINZIGEN kleinen Haul-Experiment für blutige Anfängerinnen sage ich, dass ich glaube, dass die Hauptattraktion von Hauls tatsächlich in den Geschichten liegt, die jemand über sich erzählt, wenn er andere in seine Einkaufstaschen gucken lässt. Der Hintergrund der Präsentation (oft das Schlafzimmer der Vloggerin) verrät eine Menge, ebenso wie die Vorliebe für bestimmte Produkte oder die Akribie und die besonders in Paytas' Fall offenbar werdende Besessenheit, Dinge in nutzlosen und erdrückenden Mengen zu erwerben. Zehn verschiedene Lippenstiffte sind vielleicht noch nützlich, einhundert sind es nicht mehr. Ich weiß, wovon ich rede. Und es ist diese im tiefsten Kern substanzlose Komplexität, die Paytas selbst zwischendurch immer wieder thematisiert, wenn sie über ihre "Kaufsucht" spricht. An einem bestimmt Punkt filmt sie eine große Menge von Einkaufstüten, deren Inhalt sie einfach nicht mehr ausgepackt hat - ihr fehlte dazu am Ende die Lust.

Dass ein Haul Produktinformationen liefert, scheint eher zweitrangig. Die Gründe für die große Beliebtheit dieser Videos dürften eher auf voyeuristischer Ebene zu finden sein. Viele Vloggerinnen entsprechen dieser Nachfrage durch konsequentes "Oversharing" ihrer Geschichten. Dass die Requisiten aus den Videos oft im nächsten Drogeriemarkt gekauft oder mit einem Klick im Internet bestellt werden und so auch von der Zuschauerin besessen werden können, füttert die Illusion einer besonders engen Verbindung und gemeinsamer Interessen. Und natürlich sind viele der "Beauty Gurus" auf Youtube verhältnismäßig leicht zugängliche "Berühmtheiten", die auf Kommentare und Tweets durchaus noch persönlich reagieren.

Black Friday ist der Freitag nach Thanksgiving und in den USA der wichtigste Einkaufstag des Jahres, denn er gilt als Auftakt für das Weihnachtsgeschäft. Laut Yahoo Shine wurden allein am letzten Thanksgiving-Wochenende 6000 Haul-Videos bei YouTube hochgeladen. Die Konkurrenz unter den beutejagenden Frauen ist im Internet also mittlerweile überwältigend groß - ebenso wie das interessierte Publikum.

*Mein Beutezug


Im Zuge der Vorbereitungen auf meinen "Haul" sind meine guten Vorsätze, nichts Unnötiges mehr zu kaufen, natürlich wieder aus dem Fenster geflogen. Allerdings ist Hauling auch keine Disziplin, in der ich es je zu großer Virtuosität bringen werde. Dafür fehlen mir für diese Art des Herzeigens das Herzblut und die Dringlichkeit. Ich mache lieber noch ein paar Fotos von mir in Unterwäsche - die geben (vermutlich) auch weniger preis. ; )

NH

Freitag, 21. März 2014

Breitbild


Vor einiger Zeit vermachte mir Frau E. aus B. eine DVD mit dem Hinweis, dass sie selbst den Film noch nicht gesehen hätte, aber an meiner Meinung interessiert sei. ; ) Es handelte sich um "Die Friseuse" (2009) von Doris Dörrie. Die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden (was es alles gibt), hält ihn für "wertvoll". Ich halte ihn für stellenweise amüsant und streckenweise originell, und vielleicht würde er mir besser gefallen, wenn die Heldin nicht dick wäre. Denn worüber ich mich von der ersten Sekunde an ärgerte, war der absurde Fatsuit, den die Hauptdarstellerin tragen musste, um überhaupt eine dicke Frau darstellen zu können. Kathi König, die Protagonistin,  hat also zwei abwegige Rettungsringe über die Hüften geschnallt und sieht aus, als ob all ihr Fett in den Hintern gerutscht ist. Zu Musik wie aus der Augsburger Puppenkiste stapft sie auf ihren ECHTEN Stockbeinchen in ihre Wohnung im Plattenbau und beschmiert sich nach einem Streit mit ihrer heranwachsenden Tochter ein Butterbrot fingerdick mit Leberwurst - in Nahaufnahme.

Der Film ist bunt und Kathi ist laut und ruppig-fidel. Allerdings unterliegt der Geschichte und Darstellung eine im Verlauf immer bleischwerer werdende Tragik, von der ich nicht glaube, dass sie so beabsichtigt war, wie ich sie wahrgenommen habe. Und diese Tragik speist sich aus dem Dicksein. Eigentlich passiert der Michelin-Kathi, die zu Anfang des Filmes verkündet "Freundlichkeit und gute Laune, det ist det halbe Leben für dick", nur Scheiße. Sie ist geschieden und arbeitslos. Sie ist ihrer Tochter peinlich. Sie bekommt keine Stelle als Friseurin weil sie "nicht ästhetisch" ist. Sie bleibt in Stühlen hängen und muss sich morgens an einem Seil aus dem Bett ziehen. Der Traum vom eigenen Salon platzt und am Ende stellt sich noch heraus, dass sie Multiple Sklerose hat. Zwischendrin macht sie noch Bekanntschaft mit einer Gruppe vietnamesischer Flüchtlinge und hat eine Affaire mit dem Mann, den sie bei sich vorübergehend aufgenommen hat. Das ist der originelle Teil. Und das nackte dicke Körperdouble, das man immer wieder präsentiert bekommt, ist wirklich schön anzusehen. Aber Leider: Da gibt es mal einen Film mit einer dicken Heldin, und dann erfüllt diese alle Klischees. Wer wissen will, was Doris Dörrie über Dicke denkt, kann es hier erfahren. Was sie denkt, ist entweder nicht sehr nett, oder vielleicht auch nur naiv. Oder doch beides. Obwohl sie das sicher weit von sich weisen würde.

Es gibt nun einmal nicht viele dicke Frauen auf Bildschirm und Leinwand. Schon gar nicht in deutschen Produktionen - wenn man mal von so Flops wie "Es kommt noch dicker" mit Wolke Hegenbarth absieht. Die trug natürlich auch einen Fatsuit. Aber sie war zumindest nicht so nassforsch und anstrengend, wie Dörries falsche Dicke. Unter denen, die es gibt, ist Melissa McCarthy ("Mike and Molly") im Augenblick eine meiner Lieblingsdarstellerinnen. Meine Empfehlung wäre "The Heat" - da spielt sie eine raubeinige Polizistin an der Seite von Sandra Bullock. Auch Gabourey Sidibe ist in "Precious" eine Offenbarung, ebenso wie America Ferrera in "Echte Frauen haben Kurven". Das war, bevor sie zu "Ugly Betty" wurde. Ich sehe ja auch wirklich gern Brooke Elliott als hochintelligente Anwältin in "Drop Dead Diva". Hier läuft die Serie auf Sixx, aber ich sehe ja immer lieber das Original. Mittlerweile hat auch Kathy Bates ihre eigene Anwaltskanzelei ("Harry's Law", SAT 1). Kirstie Alleys satirische, trockene Aufarbeitung der eigenen Situation als "Fat Actress" (2005) in Hollywood hat es zwar nicht bis zu einer zweiten Staffel geschafft, aber ich finde, es ist trotzdem das Beste, was ich von ihr gesehen habe. Ich persönlich bin kein so großer Fan von Rebel Wilson und Nikki Blonsky ("Hairspray") - aber auch sie sind mehr oder weniger erfolgreiche dicke Frauen in Hollywood.

Das englische Fernsehen hat ja auch schon lange eine ganze Anzahl von interessanten dicken/nicht herkömmlich schlanken Frauen in Hauptrollen zu bieten. Dawn Frenchs "The Vicar of Dibley" kann ich fast auswendig. Außerdem gibt es da Jo Brand ("Getting On"), Katy Brand, Catherine Tate ("Wild West"), Miranda Hart ("Miranda") und Sharon Rooney ("My Mad Fat Diary"). Alle einen Blick wert - insbesondere, wenn man Wert darauf legt, auch mal Frauen in Hauptrollen zu sehen, mit dessen Körperlichkeit man sich so richtig identifizieren kann. Und natürlich auch sonst.

NH
 

Mittwoch, 19. März 2014

Sugar in the mornin'

Mein Arzt sagte: "Sie haben es nicht nur Schwarz sondern sogar Rot auf Weiß." Und: "Natürlich müssen wir alle drei Monate Ihre Werte messen." Und außerdem: "Und dann werden wir Sie auch jedes Mal wiegen." Bildete ich mir den drohenden Unterton nur ein? Tatsächlich hatte er kurz vorher doch wirklich das Wort "Diät" in den Mund genommen. Dabei macht das heute ja so leicht keiner mehr, weil wir schließlich inzwischen doch alle wissen, dass Diäten nicht wirklich gesund sind. Im weiteren Verlauf redete er dann auch immer nur noch von einer "Veränderung des Lebensstils". Ich saß zunächst schweigend da und dachte jedes Mal bei mir:"Fuck you."

Nicht, dass ich meinen Hausarzt nicht leiden kann, sonst wäre ich ja nicht seine Patientin. Und bisher hatte er sich alles Dahingehende verkniffen. Er hatte nie etwas über mein Gewicht gesagt. Das muss man ihm lassen. Jetzt allerdings wirkte er wie jemand, der nur auf eine Wendung dieser Art gewartet hatte. Was zeigt, dass auch er vermutlich einen Generalverdacht gegen Dicke hegt. Und ich kann mir natürlich ganz genau vorstellen, wie er sich meinen "Lebensstil" so ausmalt. Er hält mich für faul und gefräßig - sagen wir es doch einfach, wie es (höchst wahrscheinlich) auch ist. Dabei kann ich ihm natürlich ganz genau sagen, was mein Lebensstil bis vor ungefähr zwei Jahren war: Diäten und prekäres Essen. Und das macht bekanntlich zuverlässiger dick, als alle Torten der Welt. Besonders, wenn man früh genug damit anfängt. Als er mir dann eine Ernährungsberatung angedeihen lassen wollte, konnte ich irgendwie nur noch müde schnauben. Und lehnte dankend ab. Je nachdem, wie sich unsere Zusammenarbeit im Hinblick auf meine Zuckererkrankung entwickelt, könnte sich hier also irgendwann noch die Notwendigkeit für ein deutliches Grundsatzgespräch ergeben. Aber gestern war nicht der Zeitpunkt dafür.

Hinterher dachte ich, dass es ein etwas vorschneller Entschluss war, die Ernährungsberatung nicht in Anspruch zu nehmen - schließlich könnte diese eine unschätzbare Quelle für Satire sein. Auch zu spät fiel mir ein, dass ich mich ja aus Recherchezwecken eigentlich über die Möglichkeit eines Magenbandes oder -bypasses erkundigen wollte. Aber jetzt, wo ich meinen Doktor schließlich auf seinen Wunsch regelmäßig besuchen werde, kann ich auf beides natürlich später/bald noch einmal zurückkommen.

Oh, die Ironie.

Nun mache ich also wieder Diät. Ich "ändere meinen Lebensstil" von intuitivem Essen zu fettarm und low carb. 5 kg sind schon runter. Wie Abnehmen geht, wissen wir dicken Mädchen schließlich ganz genau. Auch wenn unterbeleuchtete Idioten noch immer gern das Gegenteil vermuten. Niemand hat mehr Ernährungsbücher gelesen und mehr Selbstversuche hinter sich gebracht, als wir. Bei einigen von uns ist es ein Wunder, dass wir all das, was wir uns im Rennen um die Bikini-Figur im Laufe der Jahre/Jahrzehnte angetan haben, überlebt haben. Dabei hätten wir uns immer nur einfach einen Bikini anziehen und an den Strand gehen sollen.

Na schön, ich habe es bereits gesagt: Diabetes ist die große Ausnahme und der Notfall. Ein Teil des Fettes muss weg. Und das gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem ich beginne, meinen dicken Körper so wie er jetzt ist, so richtig zu mögen. Gerade jetzt, wo ich gar nicht mehr vorhatte, ihn zu ändern (außer etwas fitter zu werden). Eigentlich ist es echt zum Heulen, wenn ich an all die Jahre denke, in denen ich genau diesen Körper, den ich jetzt gern behalten würde, hatte - und ihn rund um die Uhr nur gehasst und bekämpft habe. Und jetzt muss ich ihn im Grunde wieder so behandeln, als würde ich ihn hassen. Ha, ich kann's ja kaum erwarten, bis mal wieder die ersten Komplimente kommen: "Oh, hast du abgenommen?"

Mist. Verdammter.

NH
 

Dienstag, 18. März 2014

Wo laufen sie denn hin...

Allein, allein...

...die dicken Frauen? Die Antwort ist: Überall und nirgendwohin.

Ein Bekannter hat mich vor ein paar Tagen gefragt, wie es denn nun so sei mit meinem Support-Netzwerk aus dicken Frauen, "die sich gegenseitig Mut zusprechen"? Ist es hilfreich? Geht es da kämpferisch zu? Stimme und Gesichtsausdruck machten klar, dass er an  nichts von all dem glaubt. Er hält mich und die universelle Empörtheit die ich grundsätzlich mit mir herumtrage vermutlich ohnehin einerseits für wunderlich/lustig und andererseits für tragisch verrannt. Und ahnt im Hinblick auf die dicken Frauen, was auch stimmt. Die meisten Leute sind weder Aktivisten noch besonders rebellisch. Und selbst dicke Frauen sind nicht automatisch sauer über die eigene Diskriminierung.

Ich höre ja auch nie auf, auf Dinge wütend zu sein, so lange sie so bleiben, wie sie waren, als sie mich zum ersten Mal wütend machten. Ich bin eine ganz schlechte Verdrängerin. Und eine noch viel schlechtere Es-jetzt-endlich-mal-gut-sein-Lasserin. Wenn etwas genauso schlecht ist wie vormals, kann man es doch nicht gut sein lassen. Und kommt mir BLOSS NICHT mit "die Einstellung ändern". Wie soll das gehen, bitte schön? Wie ändere ich meine Einstellung zu..., na sagen wir mal z.B. der Steinigung von Vergewaltigungsopfern im Sudan? Ach, das ist weit weg und weit hergeholt? Aber mein Körper und die tägliche, mediale Häme und Verächtlichmachung von Körpern wie meinem, sind ganz nah dran. Sich hier darüber öffentlich zu bescherden wäre obendrein - im Vergleich - ausgesprochen risikoarm.

Und trotzdem - bei Dickenstammtischen, Frauengruppen und in Internetforen wird weiterhin eher angeregt über die Vorteile von Bolero-Jäckchen zur Abdeckung der flappigen Ärmchen gefachsimpelt. Das heißt, dann, wenn es einigermaßen gut läuft. Von Deutschlands Dicken Seiten bin ich seinerzeit nach einer Diskussion über Beth Ditto und ihre Nacktbilder geflohen, weil diese bei einigen der ruppigen Diskutantinnen mal wieder so viel Selbst- und Dickenhass freilegte, dass es schlicht nicht mehr zu ertragen war - und seinesgleichen auf Diätforen vermutlich sucht. Die Lehre ist und bleibt: In welche Gesellschaft man sich als dicke Selbstakzeptanz-Novizin begibt, ist ziemlich wichtig, und beim leisesten Hauch von leicht angebittertem Verharren und Körpernegativität sollte man schleunigst die Biege machen, denn das ist das Letzte was man gerade braucht. Grundsätzlich ist es ja ohnehin meine Erfahrung, dass dicke Cliquen es auch nicht leichter oder vielleicht noch schwerer für neue Mitglieder machen, ihren Platz zu finden. Sei es die Kaffeklatschrunde oder eine Ü100-Party - statt sich sichtbar zu machen und sich vernehmlich und erkennbar zu öffnen, schottet man sich scheinbar doch lieber ab. Das ist Teil des Problems. Und übrigens auch eine Frage von Solidarität.

Vielleicht fehlt es halt wirklich an Vorbildern und Vorkämpferinnen. Wenn man medial hierzulande als dicke Frau in der Hauptsache von Christine Neubauer und Barbara Schöneberger vertreten wird, ist es kein Wunder, dass einem der Weg steinig und einsam vorkommt. Ich sehe nirgendwo Vertreterinnen von Dicken-Verbänden oder Aktivistinnen (die es ja durchaus gibt) in der Zeitung oder in Magazinen - und meine Vermutung ist, sie bevölkern auch nicht wie verrückt die abendlichen Talkshows im Fernsehen. Natürlich findet man dicke, kampflustige und engagierte Frauen im Internet - weil man da immer alles leichter und in größeren Mengen findet. Für einen kurzen Augenblick könnte man anfangs den Eindruck bekommen, es würde nur so von ihnen wimmeln. Wenn man nachzählt, stellt man schnell fest, dass man es wohl doch nur mit ein paar Dutzend fortgesetzt präsenten Mitstreiterinnen weltweit zu tun hat.

Denn leider ist die Internetwelt des Fettaktivismus nicht immer sehr nachhaltig oder beständig. Viele Links sind tot und führen zu Seiten, auf denen heute Google-Anzeigen für Diäten werben. Oft ist der letzte Blog-Eintrag vor Ewigkeiten eingestellt worden. Selbst Fettakzeptanz-Flaggschiffe wie Kate Harding ermüden und versinken. Ihr Fettakzeptanz-Blog "Shapely Prose" ist bereits 2010 geschlossen worden. Der letzte Eintrag auf ihrer offiziellen Seite ist vom März 2013. Wenigstens twittert sie noch. Und es gab wohl irgendeine Zusammenarbeit mit jezebel.com. Und irgendwann soll ein Buch über Vergewaltigungskultur erscheinen. Ach, und von Rebecca Jane Weinstein, deren Buch "Fat Sex" mir eine so große Hilfe war, habe ich auch lange nichts mehr gehört. Scheinbar ist/war sie Autorin bei xojane.com, aber ihr letzter Artikel dort ist auch über ein Jahr alt. Die von ihr gegründete Website peopleofsize.com liegt seit 2011 mehr oder weniger brach. Zumindest soll im Oktober 2014 ihr zweites Buch "Fat Kids" erscheinen - durch Spenden finanziert. Jetzt, wo ich gerade davon rede - wieso kriege ich eigentlich gar keine E-Mails von Golda Poretsky mehr? Na, vielleicht hat sie zu viel mit ihren Internetkursen zu tun. Ich hoffe es für sie.

Wenn ich das deutsche Wort "Fettaktivismus" bei Google eingebe, lande ich erst einmal bei mir selbst. Und dann dankenswerterweise auch noch bei der Mädchenmannschaft. Auf diese Weise auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, macht die Sache auch nicht unbedingt spannender. Ich weiß, dass das Auflehnung gegen Normen verdammt schlauchen kann. Ich begreife natürlich auch, dass man davon als Autorin/Publizistin nicht reich wird, bzw. dazu buttert und einem im Leben zusätzlich dauernd etwas zwischen die Füße fliegt, was jetzt gerade wichtiger ist, als gesellschaftliche Veränderung. Aber es ist auch, wie mein Vater (und wahrscheinlich alle anderen Väter) immer sagte: Wenn man nichts ändert, geht's einem noch zu gut.

Was immer geht, ist Fa(t)shion. Klar.

Es sind die dicken Modebloggerinnen, die immer weiter am Ball bleiben. Der Grund dafür könnte natürlich sein, dass Mode entschieden mehr Freude macht, als Gesellschaftskritik. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich persönlich kann das Wort "kurvig/curvy" nicht mehr sehen, und das liegt natürlich weiterhin daran, dass ich als dicke Frau nicht die Erlaubnis erteilt bekommen will "auch hübsch" oder "fast so hübsch als wäre ich nicht dick" zu sein. Ich will erstens dass "Hübschsein" im konventionellen Sinne kein Kriterium mehr ist und zweitens Hilfe bei meiner Neuerfindung und die Anerkenntnis, dass Dicksein an sich eine eigene ästhetische Qualität hat.

Irgendwo las ich neulich das Motto "Klasse (gemeint ist: große) Kleider für klasse (gemeint ist: dicke) Frauen". Bei solch plumpen Euphemismen fühle ich mich ja immer, als wäre ich mit einem kumpelhaften Schlag auf die Schulter durch die nächste Glastür geschubst worden. Ich will nicht kaschieren. Ich will nicht verhängen. Ich will nicht verschlanken. Ich will nicht strecken. Ich will schlicht nie mehr so tun, als wäre ich "normal". Ich will gar nicht mehr "normal" sein. Ich verstehe das Bedürfnis der Anpassung - vor allem bei jungen Frauen. Aber ich bin SO OVER IT, und dass das wirklich so ist, wurde mir während eines Gespräches klar, in dem ich gefragt wurde, ob es denn wirklich möglich sei, eine lebenslange Programmierung auf ein schlankes Schönheitsideal innerhalb von kapp zwei Jahren abzulösen. Ich sagte: Ja! Ein paar Stunden später stellte ich dann zu meinem eigenen Erstaunen fest, dass das auch stimmt. ; ) Ich finde dicke Frauenkörper schön(er) und interessant(er), und ich gucke sie mir gerne an. Fatshion macht so einiges möglich. Allerdings nur (und ich weiß, ich wiederhole mich), wenn sie (die Körper) von ihren Besitzerinnen mit einer bestimmten inneren Haltung und Selbstverständnis präsentiert werden. Und - juhuu - das heißt also, dass ich auch meinen Körper schön und interessant finde. Nicht überall. Nicht immerzu. Aber immer öfter.

Und jetzt? Ein Asos Curve Haul darf nicht das einzige sein, was am Ende des Tages bleibt. Denn das kann doch ehrlich nicht unser Ernst sein.


NH

Samstag, 8. März 2014

Happy Internationaler Frauentag!

 

Nun dachte ich, das wird ein ruhiger Freitagabend: "Heute passiert hier nix mehr. Ich stopfe mich noch mit Spinat und Blaubeeren voll, schaue mir endlich Rob Zombies The Lords of Salem an, und bis morgen kann mich jeder mal gern haben. Und DANN fiel mein Blick auf die Titelseite der Zeit...Ich weiß, ich weiß, warum lese ich diese "Bravo für Abiturienten" (Volker Pispers) eigentlich noch?!...Tue ich ja gar nicht mehr. Jetzt nicht mehr.

Denn ausgerechnet zum Internationalen Frauentag haben sich die Verantwortlichen dazu verstiegen, die Antifeministin Mariam Lau - nein, keinen Artikel - sondern einen triefend larmoyanten Kommentar über die "traurigen Siege" des Feminismus verzapfen und diesen dann auch noch auf die erste Seite drucken zu lassen.

Die Hälfte des lauen Aufsatzes handelt allerdings von Prostitution, und davon, dass nach einem Beschluss des Europäischen Parlaments Prostitution in Europa illegal, bzw. Freier künftig bestraft werden sollen. Da ist die Frau Lau dagegen. Abgesehen davon, dass man sich über diese Wahl des Schwerpunktes eines Artikels zum Internationalen Frauentag vielleicht wundern könnte, zeigen die Ausführungen natürlich auch mal wieder, dass sie sich mit näheren Betrachtungen des wahren Lebens nur ungern die Finger schmutzig macht.

Ihre Klage basiert hier auf der Annahme, dass es gute (freiwillige) und nicht so gute (erzwungene Prostitution) gibt. Und dass die Linie zwischen beiden klar und vermutlich auch noch irgendwie mittig verläuft. Man könnte, so die Frau Lau, Zwangsprostitution und Menschenhandel mit einer "kleinen Korrektur der vorhandenen Gesetze leicht" bekämpfen. Und dann könnten all die anderen freiwilligen, glücklichen Huren, die dreistellige Stundenhonorare berechnen, die ihnen natürlich nicht von ihren Zuhältern abgenommen werden und die natürlich in gar keiner Zwangslage sind, weder persönlich noch wirtschaftlich, in Ruhe weiter ihrem natürlich total normalen Beruf nachgehen. Nun, wenn alle Huren selbständige, selbstbestimmte Unternehmerinnen mit anständigem Einkommen wären, dann wäre ich auch dafür, dass Prostitution legal bleibt. Das Problem ist tatsächlich, dass es eben jene "gute" Prostitution nicht so furchtbar oft gibt. Was es gibt, sind 500.000 Zwangsprostituierte in Europa - laut einer Schätzung der UN.

Der "Triumph des Staatsfeminismus" sorgt der Frau Lau zufolge, für eine Stimmung des "Misstrauens" zwischen Männern und Frauen, denn es gehe nicht um fröhliche Befreiung sondern um Schutz vor "männlichen Übergriffen". Das tut es in der Tat. Jeder vernünftige Mensch (ob Frau oder Mann) würde ja wohl auch zu dem Schluss kommen, dass in einem Europa, in dem zum aktuellen Zeitpunkt jede dritte Frau schon einmal solch einen Übergriff erlebt hat, Schutz davor auch nötig ist. Ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern tatsächlich gestörter, seit die Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand ist? Ernsthaft jetzt? Müssen wir uns über so etwas wirklich unterhalten?

Na jedenfalls denkt die Frau Lau, dass eben dieses Misstrauen und die durch den Feminismus vergiftete Atmosphäre zwischen den Geschlechtern dazu führen, dass vor allem Akademikerinnen nicht mehr in der Lage sind, Familien zu gründen, weil ihnen, so die faszinierend abwegige Vermutung,  der "Mut zu Mann und Kindern" schlicht fehlt - wohlgemerkt: "trotz innigstem Wunsch". Woher die Frau Lau ihre Informationen über die psychische Verfassung vom Feminismus eingeschüchterter Akademikerinnen hat, ist mir schleierhaft. Tatsache ist: Noch immer gehen nur 7% aller frischgebackenen Väter für ein Jahr in Elternzeit. Es gibt noch immer nicht überall genug passende Angebote zur Kinderbetreuung. Dass die Zahl der Kinder mit steigendem Bildungsniveau sinkt, ist ja wohl nichts Neues, ebensowenig, wie die Tatsache, dass die Mehrzahl der Scheidungen von Frauen eingereicht wird. Und die werden schon ihre Gründe haben.

Moderne Frauen, die heterosexuell und an Männern grundsätzlich interessiert sind, haben keine Angst vor Beziehungen mit Männern! Sie haben einfach im Leben viel vor, und wenn sie Prioritäten setzen müssen, dann gerät die Familienplanung, man höre und staune, mitunter ins Hintertreffen. Frauen haben die Wahl, und DAS verdanken wir dem Feminismus. Auch die im fraglichen Zusammenhang komplett unpassenderweise von der Frau Lau betrauerten 100.000 Abtreibungen, die jährlich vorgenommen werden, sind übrigens dem oben genannten Umstand geschuldet - auch hier können sich Frauen der Göttin sei Dank in diesem Land entscheiden. Und DAS ist eben das Ergebnis. Ob es der Frau Lau passt, oder nicht. Vielleicht würde die Entscheidung in dem einen oder anderen Fall anders ausfallen, wenn es z. B. ein bedingungsloses Grundeinkommen und mehr Ganztagsschulen gäbe, aber Frauen haben viele Gründe, keine Kinder zu wollen, und viele davon dürften weder mit wirtschaftlichen noch organisatorischen Fragen zu tun haben.

"Feminismus ist die Antwort - aber was war noch mal die Frage?" DIE FRAGE, Frau Lau, war: Warum verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 21% weniger als Männer? Schreiben Sie es sich am besten auf - vielleicht hinter die Ohren.

Nachtrag: Wer gute Nerven hat, kann Frau Laus "Was will das Weib?" hier online lesen. Wer überdies noch über einen unempfindlichen Magen verfügt, kann aus dem Schwall der sich anschließenden Kommentare wirklich Erstaunliches über die Realität in den Köpfen der Zeitleser erfahren.

Oder doch lieber bei der Mädchenmannschaft weiterlesen.

NH

Donnerstag, 6. März 2014

Einfach essen


Mein Hausarzt sagte am Telefon: "Hatten Sie denn doch schon gefrühstückt, bevor Sie zur Blutabnahme gekommen sind?" Und ich sagte: "Nein." Denn ich frühstücke nie. Dann gab er mir einen Termin, um eine eventuelle Medikation zu besprechen, weil mein Blutzucker erhöht war. Zwar besteht die Möglichkeit, dass ich erst drei oder vier Stunden vor der Blutabnahme um 7:30 Uhr ins Bett gegangen bin - und kurz davor tatsächlich noch etwas gegessen habe. Aber ich kann mich nicht erinnern, ob es so war. Darum mache ich mir nun Sorgen.

Die Situation macht mich in der Tat sehr wütend. Weil ich halt nicht gern zuckerkrank sein will. Aber auch, weil ich ja nie, nie, nie mehr nach einem übergestülpten Programm essen wollte. Und weil ich obendrein natürlich schon hören kann, wie einige Idioten sich regelrecht freuen werden: "Aha, Fett macht also doch krank, und jetzt hat es sie auch erwischt! Geschieht ihr recht, wo sie immer über Diäten  herzieht und behauptet, die ach so böse Welt sei fettphobisch. Fett zu bekämpfen hat eben doch im Grunde nichts mit Oberflächlichkeit zu tun, sondern ist notwendig, wie man sieht, blablabla."

Ich habe es schon einmal gesagt: Intuitives Essen funktioniert. Ich war in den letzten Monaten satt, frei von Nahrungsmittelzwanghaftigkeiten, Schuldgefühlen, nahm weder zu noch ab, und ein einwöchiges Nahrungstagebuch hat ergeben, dass auch die Kalorienzufuhr ganz von selbst fast jeden Tag gleich war, nämlich so um die 2500. Ich hatte Quarkbrötchen-, Bananen- und Spiegelei-Phasen, aber am Ende blieb alles bunt und vielfältig. Ich habe öfter mal was weggeworfen, weil ich einfach keinen Appetit mehr darauf hatte. Und manchmal bin ich ziemlich weit gefahren, um genau das Essen zu bekommen, das ich wirklich wollte. Aber für nichts würde ich etwas ändern, was mein Leben qualitativ so verbessert hat...

Es sei denn - Diabetes.

Ich werde gegebenenfalls den Zuckerwert mit passender Ernährung in den Griff bekommen. Ich will keine Medikamente. Ich weiß ja, wie es geht. Meine Mutter bekam Diabetes mit 50plus. Sie war eine schlanke, ziemlich fitte Frau, die allerdings, solange ich sie kannte, NIE regelmäßig Sport betrieben hatte (außer Garten- und Hausarbeit). In meiner Familie gibt es eine genetische Disposition für Diabetes: Meine kleine, dünne Großmutter und meine Tante hatten/haben die Krankheit auch. Meine Mutter und ich hatten eine sehr enge Beziehung, und ich fühlte mich immer für sie verantwortlich, so dass ihr Diabetes nach der frischen Diagnose irgendwie automatisch in meinen Zuständigkeitsbereich fiel - und ich sie in der Konsequenz zu einer Ernährung aus fettarmem Eiweiß, Vollkornbrot und Grünzeug verdonnerte. Außerdem fingen WIR an, gemeinsam zu joggen, denn allein hätte sie das nie getan, obwohl sie mir dann regelmäßig davongelaufen ist. Ich ging mit ihr einkaufen und kochte mit ihr - und nach ungefähr einem Monat schrien wir uns im Supermarkt an, weil ich wollte, dass sie ewig lebt. Und weil sie SO nicht leben wollte. Unter meiner Überwachung brauchte meine Mutter keine Medikamente, denn sie hatte Superwerte. Vermutlich besser, als jemals zuvor. Der Plan ist, dass das bei mir genauso sein wird. Aber sie entschied sich dennoch, Medikamente zu nehmen (und irgendwann Insulin zu spritzen), weil sie auf eine für sie so freudlose Ernährung langfristig keine Lust hatte. Und das war, nur so nebenbei bemerkt, die selbe Frau, die ihr Kind mit vier Jahren auf Diät gesetzt hatte. Als schlanke Diabetikerin hatte meine Mutter übrigens statistisch schlechtere Langzeitaussichten, was die Entwicklung der Krankheit anging, als ich. Auch so eine Variante des Adipositas-Paradoxons: Das Fett, das vermeintlich die Entstehung der Krankheit begünstigt, sorgt im Endeffekt dann aber für einen leichteren Verlauf eben dieser bzw. statistisch für ein längeres Leben.


Natürlich werde ich dabei auch abnehmen. Bereits am ersten Tag nach dem Telefongespräch war eine Abnahme von 2 kg zu verzeichnen. Das alte Spiel - zuerst verliert man schnell viel Wasser. Zunächst war mir der Appetit total vergangen und dann gab es am Abend vor Schreck nur noch Putenfleisch und Rosenkohl. Man kann sich mit Rosenkohl halt nicht rundessen. Das wahre Problem ist natürlich, dass ich mich damit auch nicht sattessen kann. Weder körperlich noch gefühlsmäßig. Wenigstens muss ich mir um Jojo-Effekte keine Gedanken machen, denn wenn ich wirklich ein Zuckerproblem habe, dann ist diese "Ernährungsumstellung" ohnedies eine lebenslange Angelegenheit.

Ach, und wenn ich dann an all die Kleider in kleineren Größen denke, die ich erst aussortiert und weggegeben habe...Ein Bekannte hat zu mir gesagt: "Na, dann gibt es eben etwas Neues. Das ist doch auch schön, sich neue Kleider zu kaufen, wenn man abgenommen hat." Sie meinte natürlich, dass man sich schließlich eine Belohnung verdient hat, wenn man Gewicht abwirft. Und ich hätte mich fast vergessen und geschrien: JA, VERSTEHT EIGENTLICH IRGENDWER VON EUCH, WORUM ES MIR HIER DIE GANZE ZEIT WIRKLICH GEHT!?!?!

Lasst es mich noch einmal wiederholen: Es ist meine absolute Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung ist, Diäten aufzugeben, sich so zu akzeptieren, wie man jetzt ist - und JETZT sein Leben zu leben. Mir mag etwas dazwischen gekommen sein, aber das ändert nichts daran, dass ich das für den richtigen Weg halte. 

Hm,... was für ein Glück, dass ich noch ein paar anständige Fotos von meinem Bauch gemacht habe, bevor ich mich jetzt womöglich doch wieder verkleinere. ; )

NH

Sonntag, 2. März 2014

You can't buy it

Retail Therapy*

Decke des Waterfront Food Courts

Es ging mir echt mies - und was habe ich gemacht? Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin anderthalb Stunden nach Bremen gefahren. Nicht, um die Bremer Stadtmusikanten zu besuchen, sondern, um zu Primark im Waterfront-Einkaufszentrum zu gehen. Auf der Fahrt habe ich versucht, nicht zu denken. Und beim Einkaufen wollte ich das ebenfalls lieber vermeiden. Insbesondere so innere Nachfragen wie "Was willst du denn bitteschön damit?" sollten tunlichst unterbleiben.

Primark ist eine Art moderner Pilgerort. Vor allem für junge Frauen. In einem WELT-Artikel von 2012 heißt es: "Bye-Bye Popstars, hello Primark!" Es ist billiger als H&M. Aber natürlich kein bisschen weniger Pop - im Gegenteil. In großen, braunen Papiertüten wird die Beute von den riesigen Konsum-Schlachtfeldern geschleppt. Denn das ist es, was diese Läden sind. Und sie stehen für alles, was diesen Planeten irgendwann über die Klippe befördern wird. Wegwerfkleider. Vollkommene Skrupellosigkeit bei der Verschwendung von endlichen Ressourcen. Ausbeutung von Arbeiterinnen in Bangladesch. Zwar macht Primark Ethik im Hinblick auf den Umgang mit den Herstellern ihrer Produkte zu einem zentralen Thema auf der Firmenwebsite, aber ein T-Shirt für drei Euro ist in diesem Universum eines ganz sicher nicht - Fair Trade.

Das war mir alles klar, und trotzdem habe ich mich gezielt ins Getümmel geworfen, weil es meiner Stimmung entsprach und mir Fairness und die Umwelt total am Arsch vorbeigingen. Ich meine, wer in meinem Alter hätte als Teenager je geglaubt, dass er in nicht allzu ferner Zukunft mit Einkaufskörben durch Bekleidungsgeschäfte wandern und diese mit Kram beladen würde, der so billig ist, dass es sich kaum lohnt, ihn überhaupt anzuprobieren. Wobei mir das meiste bei Primark natürlich ohnehin nicht passt - die größte erhältliche Größe scheint 48 zu sein. Aber Schlüpper, Schuhe (vegan, weil Plastik), Schmuck und Schminke gehen ja irgendwie immer. Und so schleppte ich meine drei Tüten erst zum Auto und ging dann wieder zurück, um aufs Klo zu gehen. Die Toilettenfrau rief mir beim Verlassen hinterher: "Hab' noch einen schönen Tag, Schatz!" Ab da ging es mir endlich besser.

Das Ritual, das früher Shopping-Touren folgte, hieß bei mir zu Hause (also zwischen mir und meiner Mutter) "Schätze vorzeigen" - quasi die altmodische und sehr viel privatere Variante des auf Blogs heute so weit verbreiteten "Hauls". Man machte sich etwas Warmes zu trinken und setzte sich mit all seinen Tüten aufs Sofa. An die Hälfte der Einkäufe erinnerte man sich am Ende des Tages tatsächlich gar nicht mehr so genau, und es kam hin und wieder eine echte Überraschung zum Vorschein...ohne jemanden, dem man am Ende seine Neuzugänge vorführen kann, ist es nicht das Selbe.

Das teuerste, was ich bei Primark erworben habe (für 15 Euro), war etwas, das ich schon lange haben wollte - ein Paar glänzende, hautfarbene Platform-Pumps. Insgesamt hatte ich 37 Teile in meinen Papiertüten. Und das, nachdem ich erst so stolz darauf war, kistenweise aussortiert zu haben. Also nahm ich mir nach dem Ausflug zu Primark vor, doch mal wieder eine Fastenkur zu machen - eine Shopping-Fastenkur, wie sie Isis Unveiled hier auch vorschlägt. Und weil ich am Freitag schon wieder rückfällig geworden bin (siehe unten), werde ich ab jetzt noch einmal anfangen. Keine neuen Kleider mehr für wenigstens zwei Monate, denn ich habe von allem genug. Und dank der fettakzeptierenden Umstrukturierung meines Kleiderschrankes, passt mir das alles sogar. Ein Umstand, der mir übrigens noch immer wie ein Wunder vorkommt. ; )

Der Nude-Schuh



No more nasty knickers**

Am vergangenen Valentinstag hatte ich nichts vor. Also ging ich los, um mir Unterwäsche zu kaufen - so als ob ich etwas vorhätte. Der Plan war gar nicht so einfach umzusetzen. Weil es halt nach wie vor ohnehin nicht leicht ist, große Größen in regulären Geschäften zu bekommen. Ich finde ja z. B. die Wäschekollektion von Dita von Teese ausgesprochen schön, aber natürlich kann man mit einer Größe 52 und einer H-Cup davon nur träumen. Und muss halt auf sein Glück hoffen. Ich wurde in der Boutique Bizarre auf der Reeperbahn fündig, aber das eher zufällig, da die nicht anwesende Geschäftsführerin "es eigentlich nicht schön findet, wenn zu viel in großen Größen herumhängt". Die Verkäuferin bedauerte dies und war ausgesprochen freundlich - und hätte mir einen ganzen Haufen transparenter Spitzenunterwäsche in Pink und Grün und Beige verkaufen können - wenn sie sie denn im Angebot gehabt hätte...



In der Darkside Boutique (auch Reeperbahn) ging man eher therapeutisch an die dicke Frau heran. Der Verkäufer bot an, mir dabei zu helfen, das zu finden, was in meiner Größe überhaupt im Laden vorhanden sei - damit ich mich nicht "totsuchen" müsse. Denn schließlich sei ich ja gekommen, "um etwas Schönes für mich zu kaufen". Ganz offenbar wirkte ich auf ihn, wie eine verwirrte Reisende vom Planeten der fetten Mauerblümchen. Ich erklärte ihm dann, dass das, was ich bräuchte eben jene pofreie, grüne Bloomer-Unterhose am Ständer dort drüben sei - in meiner Größe. Hatte er nicht. Natürlich nicht. Strapsgürtel in 52 und dazu noch in einer anderen Farbe als Rot oder Schwarz? Hatte er nicht. Vielleicht die Kollegen im anderen Laden im Erdgeschoss. Wenigstens ein Paar strassige Handschellen? Hatte er nicht. Vielleicht die Kollegen unten.Wohlgemerkt - die Darkside Boutique wirbt auf ihrer Website damit, ein auch für runde Kundinnen ergiebiges Angebot zu haben. Aber die "Kollegen unten" hatten in der Tat mehr in großen Größen. Und mehr Licht. Und mehr Humor. Und ja, die Wäsche kriegt auch noch jemand zu sehen. ; ) .

In der Phase in meinem Leben, in der ich mein Höchstgewicht erreicht hatte und jeder Gang vor die Tür gefühlsmäßig eine Mutprobe bedeutete, ging ich so gut wie nie einkaufen. Ich kaufte insbesondere keine neuen Hosen mehr. Meine Schenkel allerdings zerrieben die, die ich besaß, in ziemlich kurzer Zeit. Aus anfänglich dünnen Stellen wurden bald faustgroße Löcher, manchmal mit augeribbelten, harten Rändern, die beim Aneinanderschaben der Beine noch zusätzlich die Haut aufrissen. Ich lief nicht selten mit offenen Wunden durch die Welt. Geduckt, mit dem Wunsch, einfach unsichtbar zu werden und gleichzeitig mir übermäßig bewusst, dass ich existierte - durch den schneidenden Schmerz bei jedem Schritt.

Manchmal zog ich die Löcher mit ein paar großen Stichen provisorisch zusammen, so dass sich wieder Schorf über den unter dem Stoff liegenden Abschürfungen bilden konnte. Wenn die Fäden rissen, fing alles von vorne an. Ich weiß heute, dass das eine von mir selbst verordnete Bestrafung war. Ich hasste meine Körper und in letzter Konsequenz mich selbst so sehr, dass ich für eine ziemlich lange Zeit keinerlei Anstalten machte, das Elend endlich zu beenden. Aus meiner Sicht verdiente ich die Schmerzen und die Peinlichkeit, in zerfledderten Hosen herumzulaufen, weil ich eine hässliche, disziplinlose Versagerin war. Ich verdiente nichts, was das Leben in diesem monströsen, ekelhaften Körper hätte erleichtern können.

Klar, irgendwann begann ich dann doch, mir wieder öfter heile Hosen zu kaufen, weil ich schließlich im Leben trotz allem irgendwie funktionieren musste, und weil es natürlich unangenehm ist, wenn andere einem auf die blutigen Schenkel und die Unterhose gucken können. Aber ich ertappte mich im Laufe der Zeit immer wieder mal dabei, die kaputten Hosen nicht früh genug auszusortieren. Erst als ich vor ungefähr zwei Jahren meine Selbst- und Fettakzeptanz-Reise antrat, SCHWOR ich mir an einem bestimmten Punkt, dass mir das nie wieder passieren würde - ich würde nie wieder wundgeschrabbelte Stellen an den Oberschenkeln haben.

Seitdem kaufe ich regelmäßig neue Hosen - mehr, als ich brauche. Bisher habe ich sie allerdings meistens nicht anprobiert. Sie wurden im Laden einfach auf Verdacht mitgenommen oder im Internet bestellt - und dann aus Zeitmangel in den meisten Fällen schlicht behalten. (Auch so ein eigenartiges, schwer abzuschüttelndes Verhalten aus meinen Zeiten als unglückliche Dicke: Ich habe Umkleidekabinen in dicken Phasen weitgehend gemieden.) Das hat mitunter noch immer dazu geführt, dass ich zwar Hosen trage, die zwischen den Beinen heil sind, aber trotzdem nicht gut sitzen und darum eher unbequem sind. Am Freitag habe ich nun Hosen anprobiert, bevor ich sie gekauft habe. Und das tue ich ab jetzt immer. Das war eine notwendige Übung, und dafür habe ich auch mein Fasten unterbrochen. Hier schließt sich übrigens noch eine Reihe von weiteren, verwandten Entschlüssen an: Keine ungemütlichen oder unhübschen Unterhosen mehr! Keine BHs mit ausgeleierten Trägern mehr! Keine zu kleinen Schuhe mehr! Nichts, was den ganzen Tag zwickt oder kratzt! Naja...mit einer Ausnahme ; ).


Die Katze im Sack!

*Einzelhandelstherapie
**Keine scheußlichen Unterhosen mehr

NH