Sonntag, 2. März 2014

You can't buy it

Retail Therapy*

Decke des Waterfront Food Courts

Es ging mir echt mies - und was habe ich gemacht? Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin anderthalb Stunden nach Bremen gefahren. Nicht, um die Bremer Stadtmusikanten zu besuchen, sondern, um zu Primark im Waterfront-Einkaufszentrum zu gehen. Auf der Fahrt habe ich versucht, nicht zu denken. Und beim Einkaufen wollte ich das ebenfalls lieber vermeiden. Insbesondere so innere Nachfragen wie "Was willst du denn bitteschön damit?" sollten tunlichst unterbleiben.

Primark ist eine Art moderner Pilgerort. Vor allem für junge Frauen. In einem WELT-Artikel von 2012 heißt es: "Bye-Bye Popstars, hello Primark!" Es ist billiger als H&M. Aber natürlich kein bisschen weniger Pop - im Gegenteil. In großen, braunen Papiertüten wird die Beute von den riesigen Konsum-Schlachtfeldern geschleppt. Denn das ist es, was diese Läden sind. Und sie stehen für alles, was diesen Planeten irgendwann über die Klippe befördern wird. Wegwerfkleider. Vollkommene Skrupellosigkeit bei der Verschwendung von endlichen Ressourcen. Ausbeutung von Arbeiterinnen in Bangladesch. Zwar macht Primark Ethik im Hinblick auf den Umgang mit den Herstellern ihrer Produkte zu einem zentralen Thema auf der Firmenwebsite, aber ein T-Shirt für drei Euro ist in diesem Universum eines ganz sicher nicht - Fair Trade.

Das war mir alles klar, und trotzdem habe ich mich gezielt ins Getümmel geworfen, weil es meiner Stimmung entsprach und mir Fairness und die Umwelt total am Arsch vorbeigingen. Ich meine, wer in meinem Alter hätte als Teenager je geglaubt, dass er in nicht allzu ferner Zukunft mit Einkaufskörben durch Bekleidungsgeschäfte wandern und diese mit Kram beladen würde, der so billig ist, dass es sich kaum lohnt, ihn überhaupt anzuprobieren. Wobei mir das meiste bei Primark natürlich ohnehin nicht passt - die größte erhältliche Größe scheint 48 zu sein. Aber Schlüpper, Schuhe (vegan, weil Plastik), Schmuck und Schminke gehen ja irgendwie immer. Und so schleppte ich meine drei Tüten erst zum Auto und ging dann wieder zurück, um aufs Klo zu gehen. Die Toilettenfrau rief mir beim Verlassen hinterher: "Hab' noch einen schönen Tag, Schatz!" Ab da ging es mir endlich besser.

Das Ritual, das früher Shopping-Touren folgte, hieß bei mir zu Hause (also zwischen mir und meiner Mutter) "Schätze vorzeigen" - quasi die altmodische und sehr viel privatere Variante des auf Blogs heute so weit verbreiteten "Hauls". Man machte sich etwas Warmes zu trinken und setzte sich mit all seinen Tüten aufs Sofa. An die Hälfte der Einkäufe erinnerte man sich am Ende des Tages tatsächlich gar nicht mehr so genau, und es kam hin und wieder eine echte Überraschung zum Vorschein...ohne jemanden, dem man am Ende seine Neuzugänge vorführen kann, ist es nicht das Selbe.

Das teuerste, was ich bei Primark erworben habe (für 15 Euro), war etwas, das ich schon lange haben wollte - ein Paar glänzende, hautfarbene Platform-Pumps. Insgesamt hatte ich 37 Teile in meinen Papiertüten. Und das, nachdem ich erst so stolz darauf war, kistenweise aussortiert zu haben. Also nahm ich mir nach dem Ausflug zu Primark vor, doch mal wieder eine Fastenkur zu machen - eine Shopping-Fastenkur, wie sie Isis Unveiled hier auch vorschlägt. Und weil ich am Freitag schon wieder rückfällig geworden bin (siehe unten), werde ich ab jetzt noch einmal anfangen. Keine neuen Kleider mehr für wenigstens zwei Monate, denn ich habe von allem genug. Und dank der fettakzeptierenden Umstrukturierung meines Kleiderschrankes, passt mir das alles sogar. Ein Umstand, der mir übrigens noch immer wie ein Wunder vorkommt. ; )

Der Nude-Schuh



No more nasty knickers**

Am vergangenen Valentinstag hatte ich nichts vor. Also ging ich los, um mir Unterwäsche zu kaufen - so als ob ich etwas vorhätte. Der Plan war gar nicht so einfach umzusetzen. Weil es halt nach wie vor ohnehin nicht leicht ist, große Größen in regulären Geschäften zu bekommen. Ich finde ja z. B. die Wäschekollektion von Dita von Teese ausgesprochen schön, aber natürlich kann man mit einer Größe 52 und einer H-Cup davon nur träumen. Und muss halt auf sein Glück hoffen. Ich wurde in der Boutique Bizarre auf der Reeperbahn fündig, aber das eher zufällig, da die nicht anwesende Geschäftsführerin "es eigentlich nicht schön findet, wenn zu viel in großen Größen herumhängt". Die Verkäuferin bedauerte dies und war ausgesprochen freundlich - und hätte mir einen ganzen Haufen transparenter Spitzenunterwäsche in Pink und Grün und Beige verkaufen können - wenn sie sie denn im Angebot gehabt hätte...



In der Darkside Boutique (auch Reeperbahn) ging man eher therapeutisch an die dicke Frau heran. Der Verkäufer bot an, mir dabei zu helfen, das zu finden, was in meiner Größe überhaupt im Laden vorhanden sei - damit ich mich nicht "totsuchen" müsse. Denn schließlich sei ich ja gekommen, "um etwas Schönes für mich zu kaufen". Ganz offenbar wirkte ich auf ihn, wie eine verwirrte Reisende vom Planeten der fetten Mauerblümchen. Ich erklärte ihm dann, dass das, was ich bräuchte eben jene pofreie, grüne Bloomer-Unterhose am Ständer dort drüben sei - in meiner Größe. Hatte er nicht. Natürlich nicht. Strapsgürtel in 52 und dazu noch in einer anderen Farbe als Rot oder Schwarz? Hatte er nicht. Vielleicht die Kollegen im anderen Laden im Erdgeschoss. Wenigstens ein Paar strassige Handschellen? Hatte er nicht. Vielleicht die Kollegen unten.Wohlgemerkt - die Darkside Boutique wirbt auf ihrer Website damit, ein auch für runde Kundinnen ergiebiges Angebot zu haben. Aber die "Kollegen unten" hatten in der Tat mehr in großen Größen. Und mehr Licht. Und mehr Humor. Und ja, die Wäsche kriegt auch noch jemand zu sehen. ; ) .

In der Phase in meinem Leben, in der ich mein Höchstgewicht erreicht hatte und jeder Gang vor die Tür gefühlsmäßig eine Mutprobe bedeutete, ging ich so gut wie nie einkaufen. Ich kaufte insbesondere keine neuen Hosen mehr. Meine Schenkel allerdings zerrieben die, die ich besaß, in ziemlich kurzer Zeit. Aus anfänglich dünnen Stellen wurden bald faustgroße Löcher, manchmal mit augeribbelten, harten Rändern, die beim Aneinanderschaben der Beine noch zusätzlich die Haut aufrissen. Ich lief nicht selten mit offenen Wunden durch die Welt. Geduckt, mit dem Wunsch, einfach unsichtbar zu werden und gleichzeitig mir übermäßig bewusst, dass ich existierte - durch den schneidenden Schmerz bei jedem Schritt.

Manchmal zog ich die Löcher mit ein paar großen Stichen provisorisch zusammen, so dass sich wieder Schorf über den unter dem Stoff liegenden Abschürfungen bilden konnte. Wenn die Fäden rissen, fing alles von vorne an. Ich weiß heute, dass das eine von mir selbst verordnete Bestrafung war. Ich hasste meine Körper und in letzter Konsequenz mich selbst so sehr, dass ich für eine ziemlich lange Zeit keinerlei Anstalten machte, das Elend endlich zu beenden. Aus meiner Sicht verdiente ich die Schmerzen und die Peinlichkeit, in zerfledderten Hosen herumzulaufen, weil ich eine hässliche, disziplinlose Versagerin war. Ich verdiente nichts, was das Leben in diesem monströsen, ekelhaften Körper hätte erleichtern können.

Klar, irgendwann begann ich dann doch, mir wieder öfter heile Hosen zu kaufen, weil ich schließlich im Leben trotz allem irgendwie funktionieren musste, und weil es natürlich unangenehm ist, wenn andere einem auf die blutigen Schenkel und die Unterhose gucken können. Aber ich ertappte mich im Laufe der Zeit immer wieder mal dabei, die kaputten Hosen nicht früh genug auszusortieren. Erst als ich vor ungefähr zwei Jahren meine Selbst- und Fettakzeptanz-Reise antrat, SCHWOR ich mir an einem bestimmten Punkt, dass mir das nie wieder passieren würde - ich würde nie wieder wundgeschrabbelte Stellen an den Oberschenkeln haben.

Seitdem kaufe ich regelmäßig neue Hosen - mehr, als ich brauche. Bisher habe ich sie allerdings meistens nicht anprobiert. Sie wurden im Laden einfach auf Verdacht mitgenommen oder im Internet bestellt - und dann aus Zeitmangel in den meisten Fällen schlicht behalten. (Auch so ein eigenartiges, schwer abzuschüttelndes Verhalten aus meinen Zeiten als unglückliche Dicke: Ich habe Umkleidekabinen in dicken Phasen weitgehend gemieden.) Das hat mitunter noch immer dazu geführt, dass ich zwar Hosen trage, die zwischen den Beinen heil sind, aber trotzdem nicht gut sitzen und darum eher unbequem sind. Am Freitag habe ich nun Hosen anprobiert, bevor ich sie gekauft habe. Und das tue ich ab jetzt immer. Das war eine notwendige Übung, und dafür habe ich auch mein Fasten unterbrochen. Hier schließt sich übrigens noch eine Reihe von weiteren, verwandten Entschlüssen an: Keine ungemütlichen oder unhübschen Unterhosen mehr! Keine BHs mit ausgeleierten Trägern mehr! Keine zu kleinen Schuhe mehr! Nichts, was den ganzen Tag zwickt oder kratzt! Naja...mit einer Ausnahme ; ).


Die Katze im Sack!

*Einzelhandelstherapie
**Keine scheußlichen Unterhosen mehr

NH 

10 Kommentare:

  1. Primark - fällt für mich in Sachen Retail Therapy komplett aus. Da müsste ich schon blind sein und vor allem meinen Geruchssinn verlieren, um einen Besuch auch nur 5 Minuten zu ertragen. Und ein hässliches Shirt für 3 Euro baut mich sowieso nicht auf. Ich kaufe mir lieber nur ein, zweimal im Jahr etwas und freue mich richtig. Für mich ist Primark eine deprimierende Mischung aus Kinderfaschung und Kopftuchmutti-SSV-Gekloppe. Thanks, but no.

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  2. Die Schuhe in nude finde ich klasse und die beiden Boutique-Adressen habe ich mir notiert.
    Bin vom 23.3.-26.3. in Hamburg.
    Hast du dir schon die Chanel-Ausstellung angesehen?
    Herzliche Grüße
    bucusa

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  3. Hehe, hier gibts keinen Primark, was ich, meistens, auch nicht schlimm finde. Billige Klamotten krieg ich auch bei H & M oder C & A...

    Etwas erschreckt hat mich deine Beschreibung des Schenkel-Problems bei Dicken. Hatte ich auch. Hab mich ebenso wie Du selbst bestraft, indem ich diese Hosen trotzdem getragen habe, trotz der Schmerzen, der Gefahr der Peinlichkeit.
    Mensch. Ich hab keinen Weg in die Fettakzeptanz gefunden und daher abgenommen. Trotzdem, harte Erinnerung grade.

    LG
    Annett

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  4. @tania
    Wenn ich auf deinen Namen klicke, lande ich bei AOL. What's up with that?!!
    Und: Es sind eigentlich ganz hübsche T-Shirts in pastelligen Farben. Aber halt ethisch fragwürdig.

    @bucusa
    Nein, ich habe die Ausstellung noch nicht gesehen. Aber ich habe es vor!
    Liebe Grüße
    Nicola

    @Annett
    Ja, ist erschreckend, was man sich selbst antut, weil man so erfolgreich programmiert worden ist. Gut, dass das vorbei ist.
    Liebe Grüße
    Nicola

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  5. Durch den Primark in der Waterkant bin ich auch schonmal durch gehetzt, als ich eigentlich für ein Konzert im benachbarten Pier2 in Bremen war. Allerdings fand ich den Laden enorm abstoßend. Wenn ich schlank wäre und endlich mal in normalen Läden kaufen könnte, würde ich mir ein paar richtig schicke Basics kaufen statt des 10. billoshirts.

    Aber bei den Hosen kann ich dich SO GUT verstehen. Ich bin figurtechnisch der absolute Birnentyp und so ist es für mich quasi unmöglich eine Hose außerhalb des Internets zu finden. Überhaupt kann ich mich nicht darin erinnern, wann ich in den letzten 5 Jahren ein Kleidungsstück in einem Laden gekauft hätte. Außer bei Ulla Popken - wofür ich mich 30 Jahre zu jung fühle - passt mir sowieso nie was.

    Die Umwelt macht es einem nicht leicht mit der Selbstakzeptanz. Wo, wenn nicht beim Klamottenkauf wird einem so deutlich gezeigt, dass man außerhalb der Norm, außerhalb der Gesellschaft, ist.

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  6. Ich war noch nie bei einem Primark, aber die Preise lösen selbst bei mir, die ich mich sonst wirklich wenig um Ethik und Co. schere, völliges Unverständnis aus. Unverständnis über Vergänglichkeit, über schlechte Qualität und das wenige Wertschätzen von Kleidung, Arbeitskraft und Ressourcen.

    Dennoch verstehe ich den Einkaufsrausch - ich hoffe es kommen davon nicht mehr so viele (zumindest nicht aus so unschönen Gründen) und das Fasten klappt gut! :)

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  7. @Luisa
    Stimmt, für das meiste, was bei Ulla Popken zu bekommen ist, ist fast jeder 30 Jahre zu jung. Ja, der Göttin sei Dank für das Internet - mit dem Angebot dort kann man inzwischen einigermaßen(ACHTUNG WORTSPIEL) über die Runden kommen. ; )
    Liebe Grüße
    Nicola

    @beswingtes Fräulein
    Danke, ich hoffe auch, ich halte durch. ; )
    Liebe Grüße
    Nicola

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  8. Hallo Nicola,

    erschreckend, deine Einkaufstour. Auf solchen Schuhen könnte ich auch nicht laufen, bzw. möchte ich mir gar nicht antun.

    Primark gibts bei uns nicht, und das ist auch gut so. Ich lebe meinen Kaufrausch auf dem Trödelmarkt aus, das ist ökonomischer und ich muss mich nicht schlecht fühlen wegen der ganzen Ausbeuterei und Umweltbelastung der Ramsch-Industrie.

    Liebe Grüße
    Andrea

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  9. Hammergeile Schuhe, nette Wäsche - und die Erinnerung, dass man nicht immer selbstbewusst war und sich gequält, ja, gefoltert hat. Aber auch noch: I like this cat!

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  10. @Andrea
    Ja, Trödelmärkte sind natürlich viel schöner - aber auch irgendwie gefährlich, denn da kaufe ich immer Bücher und Nippes - also Dinge, die nicht irgendwann abgetragen sind und das Haus dann quasi automatisch wieder verlassen. ; )
    Liebe Grüße
    Nicola

    @drago
    The cat says THANK MEW! ; )

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