Freitag, 6. Dezember 2019

Adventsblog 4: Ich komme nicht ins Fernsehen


Weil ich zu dünn bin. Ungelogen. In der Redaktion, die verantwortlich zeichnet für "Dickes Deutschland - Unser Leben mit Übergewicht" (ein Sendeformat für RTL2), hatte man offenbar meinen BMI ausgerechnet, und um eine geeignete Kandidatin für die sogenannte "Sozialreportage" zu sein, hätte er bei 50 liegen müssen. War aber nur 39.

Ich hatte mithin nicht darum gebeten, überhaupt in die Auswahl zu kommen. Bevor ich eine Anfrage von der Redaktion bekam, hatte ich noch nie etwas von der Sendung gehört. Die Mail versprach: "Kein Drehbuch, kein Scripting - nur die wahre Geschichte." Und ich dachte, ihr habt doch schon wieder nicht die leiseste Vorstellung, mit wem ihr es zu tun bekämt, wenn ihr euch wirklich dafür entscheiden würdet, mit mir zusammenzuarbeiten. Denn das ist in der Regel so: Die meisten, die eine Kooperation vorschlagen, haben vorher sehr wahrscheinlich nicht viel mehr von mir gelesen und gesehen als den Titel des Blogs. Da steht etwas von "dicker Dame". Auf dem Foto daneben ist eine dicke Frau - das muss reichen. Die Dicke schreibt mit uns bestimmt gern ein Buch über "Gewichtsmanagement" oder rezensiert garantiert gern mein Buch über Esssucht. Und bestimmt lässt sie sich gern dabei filmen, wie sie sich morgens halbnackt aus dem Bett rollt, mitten in der Fußgängerzone in Mieder und BH für Fotos posiert oder sich ein Magenband einsetzen lässt. Oft sind Anfragende beleidigt, wenn ich Ihnen erkläre, dass sie sich vertan haben. Überrascht sind sie immer.

Im Falle von "Dickes Deutschland" rief ich allerdings zurück und sagte, ich würde mitmachen - unter der Voraussetzung, dass ich im Blog ganz genau über die Dreharbeiten berichten könne. Angeblich hätte ich das gedurft. Auch als ich anklingen ließ, dass ich gern dabei wäre, weil ihrem ausbeuterischen und voyeuristischen Format etwas Fettaktivismus und Medienkritik durchaus gut zu Gesicht stünden, war die Unterhaltung keinesfalls schlagartig beendet. Vielmehr folgte noch das lange Abarbeiten eines Fragebogens. Gehen Sie gern schwimmen?  Eher selten. Gehen Sie tanzen? Nie. Haben Sie gesundheitliche Probleme? Nein. Würde Ihr Partner mitmachen? Eher friert die Hölle ein. Was essen Sie gern? Gemüse. Würden Sie eine Magen-OP für sich in Betracht ziehen? Nein. Erstaunt war ich über die Frage, ob ich finanzielle Probleme hätte...dick und arm? Ernsthaft? Ist das wirklich noch immer die Erwartung der Zielgruppe?

Na schön, im Rückblick lässt sich leicht erkennen, dass mein Plan der halboffenen Unterwanderung nicht erst an meinem BMI scheiterte. So offen und menschenfreundlich-progressiv die nette Frau aus der Redaktion vielleicht auch sein wollte (sie war neu in dem Team und fürchterlich nett sind die Anfang immer alle) - natürlich war ich für ihre Zwecke kein Material für störungsfreie Drehtage. Vielleicht lag es aber auch schlicht daran, dass ich mich im Bewerbungsvideo, das ich dann doch zusätzlich noch einreichen sollte, nicht mehr an den Titel der Serie erinnern konnte...wer weiß. ; )

NH