Montag, 16. September 2013

THE UGLY GIRL PROJECT: Suchbild mit Dame










© Nicola Hinz 2013
 

Zimmer 8309 - revisited

 
Die erste Lektion nach der Sommerpause war, wie angekündigt, sich wieder anzuziehen, nachdem sich auszuziehen offenbar keine allzu große Herausforderung mehr darstellte. Und zwar sich so anzuziehen, dass man trotzdem genau erkennen kann, was für eine Fülle darunter ist.

Fatshion ist ein großartiges Konzept. Und ein riesiger Anspruch an ihre Akteurinnen. Dicke Körper im Alltag durch Kleidung noch auffälliger zu machen und sich als dicke Person so bewusst herzuzeigen, um die Sehgewohnheiten und Beurteilungsmechanismen einer in weiten Teilen fettphobischen Umwelt herauszufordern, ist logisch, bestimmt wirksam und kann hochkreativer Aktivismus sein. Shapewear hingegen wäre feige. Aber das bin ich auch. Feige und unsicher. Und meine VBO (Visible Belly Outline) ist noch immer nicht wirklich meine Freundin. Genauso wenig wie meine nackten Knie. Bei beiden bin ich immer wieder erstaunt und tatsächlich ein wenig verstört, wenn ich sie wirklich genau betrachte und mir dann vorstelle, mit ihnen als körperpolitische Eine-Frau-Demonstration auf die Straße zu marschieren - und wie sie dabei munter vorneweg laufen, ohne zumindest brav in Form gepresst worden zu sein. Es hilft nichts - ich muss es mir eingestehen: gefühlsmäßig bin ich beim Gang zur Arbeit noch immer eine Baucheinzieherin.

Dabei ist der sich abzeichnende Bauch ein Symbol der Fettakzeptanzbewegung, auf dessen Bedeutung ich abermals durch das Blog der fabelhaften Rachele* aufmerksam gemacht wurde. In ihrer Schilderung, wie sie lernte, ihre VBO schön zu finden, beschreibt sie eine ähnliche Reihenfolge - auch sie hat zuerst mit ihrem nackten Bauch Frieden geschlossen. Sie berichtet außerdem, dass es für ihre spezifische Bauchform mittlerweile einen eigentlich herabsetzenden Begriff gibt, den sie aber für sich erobert und angenommen hat: gunt. Ihr Bauch (gut) hängt ein wenig, so dass er ihre Vagina (cunt) verdeckt. Das tut mein Bauch nicht, aber ich habe einen ziemlich fleischigen Venushügel (pussy pouch), der hervorsteht und sich in engen Kleidern natürlich abzeichnet. Ich sage "natürlich", als hätte ich mit meinem Pussy Pouch gerechnet. Als hätte ich ihn in mein neues Bekleidungskonzept fest eingeplant. Hatte ich aber nicht. Ich wusste, dass er da ist. Ich hatte nur nicht verinnerlicht, dass er immer da ist. Es ist eine Sache, der Welt endlich wieder seinen Busen entgegenzustrecken - mit dem Unterleib, egal wie gern man ihn auch hat, bedarf das Ganze scheinbar doch noch ein wenig mehr Überlegung.

Zurück zum Bauch: Meiner ist dick (klar!) und dazu weiß, gestreift, weich, ein wenig klumpig und birnenförmig. Er besteht aus einer einzigen kugeligen Masse - will sagen, er hat keine Ringe. Dafür hat er eine Art Saum, der wie ein breites Lächeln von der einen Hüfte zur anderen verläuft und mündet in eine leichte Fettschürze, die auf meinem Pussy Pouch aufliegt, wenn ich mich bücke oder sitze. Mein Bauchnabel befindet sich in der Mitte, aber seine Mundwinkel zeigen nach unten, wenn ich stehe. Ich mag meinen Bauch. Wirklich. Unter Stoff jedoch sieht man nur noch so etwas wie wogende Unregelmäßigkeit. Der Bauch verliert sozusagen an Persönlichkeit und Profil, wenn er in (enganliegende) Kleidung verpackt wird. Was für ein Dilemma... ; )

Aber ich werde es vermutlich lösen. Irgendwie. Und plane nunmehr eine Reihe von guten, alten OOTDs (Outfit of the Day), die ja das Kerngeschäft fast jedes Modeblogs sind, sich aber in diesem Falle auch als Übung in Selbstbehauptung und Selbstakzeptanz eignen dürften. Von Disziplin ganz zu schweigen.

Der Versuchsaufbau ist wie folgt: Die Kleidung darf nicht verhüllen, sondern muss hervorheben. Röcke sind besser als Hosen (weil ich seit Jahren keine Röcke getragen habe, der Beine wegen). Farben sind besser als Schwarz. Genau genommen wären allerdings Outfits am besten, die auch an einer schlanken Person auffallen würden - nicht unbedingt durch Geschmacklosigkeit, aber durch Kühnheit oder Originalität...oder so. Kurz: Ich sollte mich vermutlich flugs auf die Suche nach meiner verschütteten inneren Carrie Bradshaw begeben.

Und das Ganze muss dann natürlich nach oder vor dem Foto auf die Straße befördert werden. Und damit meine ich zumindest die Straßen der Stadt Hamburg und keinen Gang bis zum Gartenzaun. Puh...wünscht mir Glück.


*Rachele scheint leider zumindest vorübergehend ihre Aktivitäten als Bloggerin eingestellt zu haben - zum Glück ist sie aber noch recht aktiv bei Tumblr.


NH



 



© Nicola Hinz 2013