Montag, 4. August 2014

Selbstbespiegelung (die eigene und die anderer)



Verdünnt 

Ich gehe ja nicht oft aus. Also "aus"-aus. Also so, dass man sich vorher länger überlegt, was man anzieht. Und dabei habe ich viele, viele Kleider. Also, "Kleider"-Kleider. Zum ersten mal habe ich einen Schrank voller partytauglicher Kleider, die ich aktuell auch (noch) alle anziehen könnte. Schließlich war das ein entscheidender Teil meiner dicken Selbstakzeptanzreise. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich ja keine Kleider getragen. Denn da guckte halt immer was raus. Und Arme und Beine zu verhüllen, war ein festgeschriebener Teil meiner Garderobenreligion. Die Idee, gar Busen oder Taille zu zeigen, war weiter von mir entfernt als Jupiter. Und ich tue mich noch immer schwer. Ich bin nach wie vor nicht wirklich mutig genug für das gelbe Kleid. Das Lieblingskleid von Manon Baptiste besitze ich übrigens inzwischen auch in Rot und Schwarz. Es ließe sich zum Glück mit dem einfachen Versetzen von zwei Knöpfen etwas verkleinern. Das war ja allerdings auch immer einer der Gründe, es nicht anzuziehen. Man war stets auf zwei dünne Lochschlaufen angewiesen und realistischerweise nie weit davon entfernt, der Welt den Bauch und den Schlüpper gleich mit entgegenzustrecken.

Aber jetzt müsste ich  die Kleider in diesen Größen endlich anziehen, bevor sie mir nicht mehr passen. Denn ich werde weiter abnehmen müssen, um meinen Zuckerwert ohne Medikamente in den Griff zu kriegen. Und am Ende könnte ich mich in der Situation befinden, wieder mal einen Schrank voller ungetragener Kleider zu haben, die mir nicht passen. Nur diesmal in umgekehrter Konstellation. Was aber genauso bescheuert wäre. Denn wenn ich mich nicht jetzt im Hinblick auf Fatshion endlich mal auch im Alltag angemessen ausrüste, bringe ich mich mit einem Körper, der irgendwann weniger (auffällig) sein wird, vielleicht gar um die volle Selbstakzeptanzerfahrung.

Andererseits: Wenn ich nun wirklich den nötigen Schwung zur kühneren Selbstdarstellung entwickle, muss ich mich gleichzeitig  aber womöglich auch fragen, ob das mit dem bereits verringerten Körperumfang zu tun hat. Das wäre aus Sicht eines Selbsterfahrungs- und Selbstakzeptanzprojektes jetzt ehrlich nicht besonders gut, wenn der plötzliche Mut zum gelben Kleid sich tatsächlich aus ausgerechnet dem speist, aus dem heraus das sich das Selbstbewusstsein vorher auch schon immer und fast ausschließlich definiert hat - aus dem Verlust von Körpermasse. Und nicht so sehr aus vermehrter Freundlichkeit dem eigenen, runden Spiegelbild gegenüber.Vielleicht sieht das eine oder andere Kleid jetzt schon anders an mir aus, als beim Kauf (auf jeden Fall sitzen sie lockerer), und da schleicht sich möglicherweise unterbewusst der alte, fiese Wertungskatalog hinter die Kulissen und man sagt sich: Och, das geht ja jetzt schon besser.







Zur Auswahl des Ausgehkleides habe ich den Spiegel aus dem Bad ins Wohnzimmer gestellt. Ja, ich bin eine fürchterlich schlechte Modebloggerin. Da kommt der fehlende Kleidermut auch ganz deutlich ins Spiel. Und ja, der Spiegel war ungeputzt - das hat mich bisher nicht gestört. Ich benutze ihn halt noch immer nicht besonders oft. Was ich mir bei dem tantigen weiß-gelben Teilchen gedacht habe, weiß ich wirklich nicht mehr. Das schwarze, kurze Kleid ist aus London von M&S und bislang ungetragen, obwohl es eigentlich das Zeug zum Lieblingsstück hätte. Mit Schuhen sieht natürlich ohnehin immer alles anders aus. Geworden ist es dann letztendlich wenig überraschend das schwarze, lange Jerseykleid mit seitlicher Raffung. Wenigstens zeigte es ordentlich Dekolleté. In das mir dann auch gleich fast einer hineingefallen wäre, den ich da ganz bestimmt nicht hätte haben wollen...

Fußnote: Aufgeregte Männer

Ich weiß auch nicht, was es genau ist, aber offenbar hängt schon beim Betreten einer Party regelmäßig über meinem Kopf der Hinweis: Natural Born Bitch. Das hält frau viele vom Leib. Eine ganz bestimmte Sorte Mann nicht - die, die sich beim Busengucken gern ein wenig auf ZEIT-Leser-Niveau streiten will, weil sie eigentlich Angst vor Busen und insbesondere vor den daran befestigten Frauen hat. Wenn sie dann jedoch bei einem verbalen Gerangel mit der Bitch die Oberhand behalten, verringert das kurzfristig ihre allgemeine Verunsicherung. Was ihnen in ihren 50 Jahren auf diesem Erdball jedoch noch immer nicht klar geworden ist, ist die Tatsache, dass Mann Leuten, denen man eigentlich gern an die Wäsche will, vorher keine sinnlosen, ausgeleierten Debatten aufdrängen sollte. Die zwei Themen, an denen sich solche Hobby-Maskulinisten am liebsten und zumeist ohne Veranlassung und Einleitung (denn ICH habe das Thema ganz bestimmt nicht angeschnitten) abarbeiten, sind, frau höre und staune, die Frauenquote (warum sie NATÜRLICH Quatsch ist) und feministische Linguistik (warum sprachliche Varianten wie "LeserInnen" NATÜRLICH Quatsch sind). Dabei gibt es bemerkenswerte Stürme in den Weingläsern, wenn sie von den ungefragten Rednern mit wilden Gesten durch die Luft gerissen werden, die, genauso wie die Stimme des sich in Rage palavernden Mannes, an diesem Punkt leicht ein wenig dünn zu werden droht. Was müssen diese Typen sich angefasst, ja geradezu betatscht fühlen, von eben jener Welt, in der sie als weiße, privilegierte Männer leben müssen...

PS: Tote Frauen 

NATÜRLICH bin ich für eine Frauenquote in den Führungsetagen. NATÜRLICH war und ist die Arbeit der Sprachwissenschaftlerin Louise F. Pusch (z.B. Das Deutsche als Männersprache, 1984) prägend für meine Selbstpositionierung in der Welt. Denn ich weiß sehr wohl, dass die Sprache, die ich einerseits so sehr liebe, mich andererseits eben KEINESWEGS automatisch mitmeint, wenn sie weibliche Formen aus "Gründen der Vereinfachung" weglässt. Ich lebe halt damit und mit dem Bewusstsein, dass es vermutlich total anders für das Selbstverständnis ist, in einer Umgebung aufzuwachsen und zu existieren, in der Mann von der eigenen Muttersprache ganz offensichtlich immer und zuallererst gemeint ist. In meinem eigenen Umgang mit Sprache habe ich mich entschieden, sie nicht durchgängig konsequent umzuformen. Ich mache das einfach so, wie ich lustig bin. Das heißt nicht, dass ich da nicht trotzdem für wirklich gerechte Ansätze und eine entsprechende Erneuerung der Sprache wäre.

Aber das alles sage ich dem doch nicht. 

Ich trage in meinem Erbe als Frau die Bilder von anderen Frauen wie Emily Davison und Olympe de Gouges bei mir. Und übrigens auch das Bild der zwei Mädchen, die im vergangenen Mai im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh von einer Gruppe von Tätern vergewaltigt und dann an einem Baum erhängt wurden...

Ich diskutiere mit so einem nicht über Frauenrechte. Wie käme ich dazu? Ich vertue meine Zeit ungern mit Blödmännern. Das Einzige, was wohl zu sagen bliebe: "Wow, bei so viel Frusttoben hat es dir aber auch schon lange KEINER mehr so richtig besorgt, oder?"

...

Ich sagte ja, ich bin eine echt schlechte Modebloggerin.

NH