Donnerstag, 10. Januar 2019

Wie wir wurden, was wir waren: Die letzte Brigitte-Diät

Helga Köster: Brigitte Diät, Bertelsmann, 1974

Die Brigitte-Diät ist jetzt 50 Jahre alt. Das kecke, ausklappbare Cover des Jubiläumshefts mit nackter, hausbacken-harmloser Frau darauf hat mithin passend auch die Ästhetik eines Siebzigerjahre-Softpornos. Angeblich hat sich die Brigitte-Diät neu erfunden. Soll heißen, sie kommt jetzt mit Meditation als allererster "Säule" daher. Und mit einer App, die sich als Lockangebot für ein Abo beim Unternehmen Balloon entpuppt, das mit Brigitte-Rabatt im ersten Jahr ab 5 Euro im Monat zu haben ist. Es ist ein wahrlich mehr als verzweifelter Versuch einer Neuerfindung.

Ansonsten, soweit ich das überblicken konnte, ist alles eigentlich wie 1974. Heute wie damals besteht die Diät aus idiotisch lebensfern aufwendigen Rezepten für Minimalzeiten, die höchstens 500 Kalorien haben dürfen. Für zwei Portionen des "Be-Fit-Snacks" (ja, so heißt das Rezept - Facepalm) braucht man: 3 Bio-Eier Größe M, 2 EL geriebenen Parmesan, 50 g körnigen Frischkäse, gemahlenen, bunten Pfeffer, Salz, 2 EL gehackte Lauchzwiebeln, 2TL Olivenöl, 1 EL Butter, 2 Scheiben Brigitte Balance Brot mit Urgetreidesprossen (und das hier ist noch immer keine Satire), 2 "geputzte" Salatblätter und 60 g Gemüse-Antipasti aus dem Glas. Ergibt 375 Kalorien pro Portion. Da lobe ich mir doch fast den "Gegrillten Hummer mit gebackener Kartoffel von 1974. Dafür benötigte man nur 250 g Hummer im Stück, Salz, Pfeffer, 1 EL Öl, 1/2 TL Senf, 2 EL Buttermilch, Petersilie, Zitronenscheiben, Salatblätter und eine große Kartoffel. Und der ganze Kram hatte dann nur 300 Kalorien.

Ach ja, was soll frau von der Frau Huber nun auch noch groß erwarten? Sie ist so bieder wie die Klopapierrolle auf der Hutablage, farblos, nur mäßig bei der Sache (der Frauen) und ganz offenkundig nicht die hellste Kerze auf der Torte. Diejenigen, die sie 2013 zur alleinigen Chefredakteurin des sinkenden Schiffes gemacht haben, hätten es eigentlich kommen sehen müssen. Seit 2009 ist sie Mitglied der Chefredaktion der Brigitte und hat in ihrem schicken Eckbüro mit Elbblick im Angesicht der Digitalisierung selbstverständlich nicht verhindern können, dass die verkaufte Auflage des Magazins von 687.456 Exemplaren im dritten Quartal des Jahres 2010 auf 372.101 im dritten Quartal 2018 gesunken ist. 2013 waren es im zweiten Quartal übrigens noch 563.000 Exemplare. Sie hat sich auf ihrem sinkenden Kahn aber auch zu keiner Zeit getraut, alle Bedenken in den Wind zu schlagen und jetzt auf den letzten Metern, auf denen es ohnehin nicht mehr groß darauf ankommt, wenigstens endlich mal für ihre lesenden Schwestern und nicht gegen sie zu arbeiten - egal, ob das für die Auflage gut ist, oder nicht. Dafür fehlen ihr natürlich gänzlich Überzeugung und das Bewusstsein. Und bei Sätzen, wie diesem, fragt man sich, ob sie überhaupt noch bei Bewusstsein ist: "(Die Brigitte-Diät) ermöglichte es der ersten Frauengeneration nach dem Krieg, ihre Figur und damit auch sich selbst zu verändern, um ein paar Pfund erleichtert mit neuem Selbstbewusstsein aus der festgelegten Rolle des Heimchens am Herd herauszutreten." (Brigitte, Nr. 2, 2.1.2019)

Wenn man ihr Editorial zu 50 Jahren Brigitte-Diät liest, weiß man nicht, ob man vor Zorn oder Entsetzen platzen soll. Es ist mir nicht klar, wie sehr man sich selbst und seine Leserinnen verachten muss, um beim letzten Aufbäumen auf so kleinem Raum so viel toxische Dummheit und unverschämte geschichtliche Umdeutung zu verspritzen. In der Einleitung der Frau Huber, sowie im hinteren Teil des Blattes wird die Expertise eines Herrn Prof. Dr. Christoph Klotter von der Hochschule Fulda mehrfach bemüht, um die Herleitung Diät = Gleichberechtigung zu unterfüttern. Der bezeichnet die Brigitte-Diät nicht nur brav und zitierfähig als "ein Zeichen von Aufbruch und Emanzipation" (S.5), sondern gar als "Neustart" nach dem Schock der Naziherrschaft und versteigt sich später dann noch zu der verblüffenden Formulierung, das "Umsetzen der Brigitte-Diät" sei "also mit einer Kriegserklärung an das männliche Geschlecht verbunden" gewesen (S. 103). Die Kühnheit, mit der hier grober Unfug behauptet wird, ist beeindruckend, aber natürlich auch ausgesprochen frustrierend. Eigentlich würde man denken, dass ein Hinweis auf all die Diäten, die vor der Brigitte-Diät auch schon vermarktet worden sind, nicht wirklich notwendig ist. Das Ringen meiner Mutter um den Taillenumfang einer Elizabeth Taylor in den Fünfzigern geschah auch mithilfe einer Diät - und nicht einmal der wackere Herr Klotter vom wissenschaftlichen Beirat der Brigitte würde vermutlich noch den Nerv haben, hier allen Ernstes zu vermuten, dass es sich bei diesem Projekt um die emanzipatorische Rückeroberung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper nach dem Ende der Nazidiktatur gehandelt haben könnte. Vom Körperkult der Nazis wollen wir hier erst lieber gar nicht anfangen - dann erholen wir uns nie mehr. Zur Sicherheit sei aber noch einmal festgehalten: Der Austausch eines Körperformkontrollsystems gegen ein anderes befreit einen logischerweise nicht von der einschränkenden und schwächenden Kontrolle selbst. Die Brigitte-Diät hat Frauen selbstverständlich niemals die Kontrolle über ihre Körper "zurückgegeben", sondern sie im Gegenteil seit Jahrzehnten erfolgreich weiterhin davon überzeugt, dass ihre Körper kontrolliert werden müssen, und die Markteinführung der Brigitte-Diät vor 50 Jahren wäre damit eigentlich eher als ein Backlash-Symptom zu bewerten (was sie bis heute geblieben ist) in einer Zeit, in der einige Frauen in der Tat um Gleichstellung kämpften (Alice Schwarzer) und andere leider eher nicht (Brigitte).

Man muss schon aus ziemlich perfidem und billigem Holz gemacht sein, um der eigenen Leserinnenschaft erzählen zu wollen, Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung stünden in engem Bündnis mit der Anfang der Siebziger endlich durch die Brigitte-Diät erlangten "Erlaubnis", sich eigenständig dünn zu hungern. Vor allem dann, wenn man es doch wirklich besser zu wissen scheint: In einem Artikel des Tagesspiegels vom 11.01.2018 wird der Herr Klotter nämlich so zitiert: "Diäten sind der ideale Einstieg in eine Essstörung."

Ich bin sicher, ich habe bereits mehrmals erwähnt, dass ich mit der Brigitte und ihrer Diät buchstäblich aufgewachsen bin? In der Tat sind wir zusammen aufgewachsen. Ich bin Jahrgang 1971. Die Diät offenbar nur drei Jahre älter. Meine Mutter war eine Leserin der Zeitschrift, so lange ich denken kann. Und das konnte ich bereits sehr früh. Meine erste Diät machte ich auch früh - regelmäßige Leserinnen wissen es bereits: Ich wurde von meiner Brigitte-lesenden und selbst, wenn auch schlanken, immer mal wieder diätelnden Mutter mit drei Jahren zum ersten Mal dazu verdonnert, einen kalorienreduzierten Ernährungsplan einzuhalten. Meine Mutter war keine Feministin. Ihr Kind schon. Das gab bald eine Menge Streit und Unbehagen angesichts meiner vermeintlichen Radikalität, besonders am Anfang. Dann, irgendwann später, kam mehr und mehr Zustimmung. Man mag es für Kleinkram halten, aber ein symbolischer Schritt auf dem Weg zur eigenen Emanzipation war für meine Mutter die Kündigung des Brigitte-Abos. Da war sie schon über sechzig, und hatte nach eigenen Angaben "endgültig genug von den Weihnachtsplätzchen und dem ganzen Quatsch".

Die oben abgebildete Ausgabe der Brigitte-Diät von 1974 habe ich vor einiger Zeit auf dem Flohmarkt gefunden - es nicht das Original aus unserem Haushalt, mit der ich als Kind tyrannisiert worden bin. Das ist irgendwann irgendwo verschwunden. Als ich jetzt hineinsah und feststellte, wie biestig und fettphobisch das Büchlein tatsächlich ist, wurde mir umso klarer, dass ich in einer Atmosphäre und Umgebung, in der über mich als vermeintlich dickes Mädchen so gedacht wurde, nie eine echte Chance auf Normalität oder angemessenen Respekt hatte.

"Jeder fünfte ist viel zu fett. (...) Noch nie wurden so viele Selbstmorde mit Messer und Gabel begangen wie heute." (S. 7)

"Viele dicke Mütter nötigen ihre Kinder zum Essen. (...) Diese überfütterten Kinder werden dick und neigen auch als Erwachsene zu chronischer Freßlust." (S. 9)

"Kaufen Sie nichts Neues (keine neuen Kleider) - erst wenn Sie Ihre Traumfigur erreicht haben." (S. 24)

"Pflegen Sie Ihr Gesicht (...) während der Kur besonders sorgfältig. Damit Sie auch wirklich schön sind, wenn Sie Ihre Traumfigur erreicht haben." (S. 25)

"Lassen Sie sich nicht beirren, wenn Sie eine Abmagerungskur nötig haben." (S. 25)

"Kleben Sie das schlimmste Foto aus Ihrer "schwersten Zeit" sichtbar an den Kühlschrank. Bei diesem Anblick zuckt Ihre Hand - hoffentlich - sofort zurück!" (S. 26)

" (...) sündigen Sie trotz besseren Wissens (...), dann bestrafen Sie sich für diesen Fehltritt mit einer empfindlichen Spende in den Bauch Ihres Sparschweins," (S. 26)

"Heben Sie wenigstens ein Kleid (...) auf, in (das) Sie vor der Kur gepasst haben. (...) Am Ende der Kur, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, sollten Sie sich in diesem Kleidungsstück im Familienkreis vorstellen. Das Gelächter dürfen Sie ruhig als neidlose Anerkennung werten." (S. 27)

"In Gesellschaft lässt es sich leichter hungern." (S. 29)

"Sahnetorten und Süßigkeiten sind auch in Zukunft Ihre ärgsten Feinde." (S. 34)

Was habe ich sonst noch zu 50 Jahren Brigitte-Diät zu sagen? Ach ja...

Nicht nur danke für nichts. Ich wünschte es wäre so. Aber ich verdanke der Brigitte und ihrer Diät in der Tat eine ganze Menge: Danke für vierzig Lebensjahre, die bestimmt waren von Selbsthass, Depressionen, Misshandlung des eigenen Körpers, durch Diäten und Selbstverachtung geraubte Energie, ein zerstörtes Selbstbild, ein aufgeschobenes Leben, Sommer ohne Besuche im Schwimmbad, den Wunsch, in der Öffentlichkeit unsichtbar zu sein, Schuldgefühle, Selbstbestrafung, verpasste Lebenschancen, weil der Mut und das Selbstbewusstsein schlicht fehlten, Ohnmachten in der S-Bahn vor Hunger, Erschöpfung, Freudlosigkeit, Einsamkeit und nicht zuletzt - eine in weiten Teilen komplett versaute Kindheit und Jugend. Danke, danke, danke ihr schlicht gestrickten Verräterinnen (die ihr immer wart und noch immer seid).

NH