Dienstag, 5. Juli 2011

Musikantenknochen

Erst dachte ich ja, meine Schuhe knarren. Und dann dachte ich, es sei das Ächzen der Stufen unter mir, als ich mich leise schnaubend am Geländer ins obere Stockwerk zog. Dann wurde mir schlagartig klar, dass da eine Tonspur zu viel war. Es ist ein kleines, fieses Geräusch, das genau zu dem leichten Schabegefühl in den Knien passt. Dass meine Knie es offensichtlich über lange Zeiträume nicht leicht hatten, war mir natürlich klar. Dass sie inzwischen ein Lied davon singen können, war es nicht.



Die Idee, sich endlich als dicke Dame zu akzeptieren und kurzerhand eine zu bleiben, hat mir, wie bereits gesagt, sehr gefallen. Nur meinen Gelenken gefällt sie nicht. Und ohne die geht es irgendwann nicht mehr weiter.

Dafür habe ich mir zum Diät-Neustart allerdings das GRÖSSTE Motivationskleid ALLER bisherigen Motivationskleider* ausgesucht – Größe 42. Pink statt Gelb. Und eben auch nicht extra angefertigt, sondern von der Stange. Aber für das ultimative Wunschkleid in XXL ist nun keine Zeit (und auch keine Motivation) mehr da. Es wird also ernst. Was ich in den letzten Wochen angedacht und ausprobiert und unterbrochen habe, muss nun möglichst schnell klappen: Eine vegane, vorrangig rohe, fettarme Diät. Und vielleicht gönne ich mir für die Haut ein paar – jetzt hätte ich fast „Stromstöße“ gesagt ; ) – Ultraschallbehandlungen. Außerdem: Hanteln schwingen. In die Pedale treten. Und womöglich endlich einmal im Morgenrot, noch vor dem ersten wackeren Rentner, ins Schwimmbad gehen. Habe ich etwas vergessen? Ach ja: Die Waage bleibt weiter im Schrank. Vorher-Nachher-Fotos gibt es NACHHER, weil der Druck ohnehin schon groß genug ist.

Überhaupt: Das gute alte Diät-Tagebuch. Ein bisschen fühlt es sich so an, als ob seine Zeit wirklich vorbei ist. Körperpolitik ist interessant. Fragen nach dem Körper-Image und warum so viele von uns in ihren eigenen Körpern einfach keine Heimat finden – das alles ist interessant. Kalorien und Sit-ups sind es nicht schlicht nicht mehr. Jede von uns weiß alles über Energiebilanzen und Turnübungen. Mal ehrlich – von uns hätte es doch keine ernsthaft überrascht, dass eine Milchschnitte mehr Kalorien hat, als ein Stück Sahnetorte. Wir wissen, dass die Werbung lügt. Ganz besonders wenn es um „sportliche“, „nicht belastende“ Schokoriegel geht. Uns kann man nichts vormachen. Nach jahrzehntelangem Training in Sachen Ernährungskontrolle/Ernährungszwanghaftigkeit lesen wir sozusagen automatisch die Nährwertangaben auf der Rückseite jeder Packung, bevor wir sie kaufen. Hat uns nicht wirklich dünn gemacht. Aber verwundert sind wir nicht – offenbar anders als die Verbraucherschützer von Foodwatch, die Ferrero für den großen Milchschnittenbetrug unlängst den Goldenen Windbeutel verliehen haben. Ha – Amateure! ; ) Was für ein naiver und weltfremder Denkfehler anzunehmen, dass Menschen sich „gesund“ ( was immer das ist) ernähren würden, wenn sie nur wüssten, wie das geht. Wir wissen es längst. Zumindest wissen wir alles Mögliche. Aber es gibt unendlich viele Gründe, trotzdem in eine Milchschnitte zu beißen.

Krieg und Frieden rund um den Körper. Normen, Schönheit, Hässichkeit, Selbstwahrnehmung und Selbstwert, Diskriminierung…All das interessiert mich mittlerweile viel mehr, seit klar ist, dass ich mich nicht mehr vorranging aus ästhetischen Gründen in eine neue Diätschlacht stürze. Und darüber werde ich in Zukunft weiter schreiben.

Was ich immer vorhatte und dann doch nie umgesetzt habe, war ein Diät-Vlog. Das heißt aber nicht, dass ich nicht in den letzten Jahren immer mal wieder Anläufe genommen und es im Zuge dieser zu einem erstaunlich umfangreichen Archiv mehr oder weniger drolliger Filmdokumente über den Kampf gegen die eigene Unlust gebracht hätte (sogar einschießlich einer neueren Liegestütze-Sequenz aus drei verschiedenen Perspektiven). Jetzt, wo es 2011 ist und ich eben mein erstes Video im Internet hochgeladen habe, überlege ich, die „Highlights“ zusammenzuschneiden. Sozusagen als Abgesang… ; )

P.S.: Sollte sich jemand von euch kreativ mit dem Thema Essstörung, Fett-Akzeptanz, Körperimage, etc. auseinandersetzen, oder interessante KünstlerInnen kennen, die zu diesem Thema arbeiten, würde ich mich sehr freuen, von euch zu hören.** Ich selbst plane auch ein kleines visuelles Project. Der Anfang dazu war es ja, sich in voller farbbeschmierter Pracht auf Leinwände zu pressen.

*Das muss sein - ist Tradition!

**office(at)nicola-hinz.com

NH