Sonntag, 29. Juli 2012

Hunger: Zweiter Versuch



 Hier ist sie nun - die Auswertung meines ersten Monats mit einem Hartz IV-Budget für Nahrungsmittel von € 130,-.

Zunächst einmal: Die 2,5 kg sind wieder drauf. (Aber dazu später mehr.)

Ich habe im Juli zweimal  Nahrungsmittel weggeworfen: 1 halbe Salatgurke, und ca. drei Tassen angebrannten Reis.

Außerdem: Ab dem 26. Juli wurde die Sache dann durch verschiedene Umstände vollends unübersichtlich – ich habe auswärts gegessen, und die Belege zum Teil nicht aufgehoben/die Beträge nicht mehr notiert. Man muss also sagen, dass das Experiment ab da für den Juli im Prinzip wirklich beendet war. Ich hatte mein Budget ja bereits Mitte des Monats ausgeschöpft – bis zum 15. Juli hatte ich schon 135,87 Euro ausgegeben. Vom 16. bis zum 25. Juli waren es dann noch einmal  147,62 Euro. Das ergibt also kurz vor Ende des Monats eine Überschreitung des Regelbetrages  um über 100%. Das lag einerseits natürlich daran, dass ich nach dem ersten gescheiterten Anlauf schon keine Lust mehr hatte. Ein bisschen fühlte es sich sogar so an, wie das alte „Jetzt-ist- es- eh-schon-egal-Gefühl“ , wenn man es mal wieder nicht geschafft hatte, sich an die „Regeln“ einer Diät zu halten. Fast wie zum Trotz habe ich plötzlich so kostspielige Sachen wie schwarzes Hawaii-Salz erworben und mich insofern  nicht mehr wirklich bemüht, besser zu haushalten, sondern nur noch versucht, meine Ausgaben wenigstens weiterhin zu dokumentieren. Wobei natürlich nicht alles, was gekauft wurde auch schon  gegessen worden ist. Zusätzlich habe ich ab Mitte des Monats auch wieder „schnell mal was vom Bäcker“ rausgeholt.

Für 283,49 Euro habe ich im Juli dieses erworben:

Gemüse:
6  kg Kartoffeln (bio)
800 g grüner Salat i. d. Tüte
6 Paprika
500 g Schalotten
100 g Shii-take
1 große Zucchini gelb
500 g Cherrytomaten
2 große Schmorgurken
1 kleine Aubergine
1 Chinakohl
400 g Champignons
1 Blumenkohl
1 Salatgurke
500 g Broccoli

Obst:
4 Bananen
2,5 kg Wassermelone
1 Schale Nektarinen
250 g Erdbeeren
400 g Blaubeeren
10 wilde Pfirsiche
500 g Kirschen
500 g Himbeeren

Brot:
7 Brötchen
1 Brot vom Bäcker
1500 g Graubrot (abgepackt)
2 Laugenbrezeln

Milchprodukte:
250g Quark
400 g Feta
500 g Mozzarella

Süßigkeiten etc.:
3000 ml Eiskrem
4  Packungen  Kekse
500 ml Zitronensorbet
450 g Nusskrokant zum Streuen
0,7 L Himbeersirup
2 Schokoriegel
200 g Schokolade
190 g Kartoffelchips

Fette:
750 ml Rapsöl
500 ml Olivenöl
250 g Butter
500 g Margarine (bio)

Tiefkühlprodukte/Fertiggerichte:
2 Tiefkühlpizzen
 4,5 kg Ofen-Pommes (bio)
200 g Gemüsebällchen
200 g Nudelsalat

Tofu und Soja-Produkte:
375 g vegane Brotaufstriche (bio)
760 g Tofu (bio)
180 g Sojaschnitzel
1 Becher Soyafit Creme fit (200 ml) (bio)
250 ml Alpro Soya Cuisine

Getränke:
11,5 l Cola Light
1,25 l Ginger Ale
3 l Eistee

Sonstiges:
Restaurants/Snacks on the go (einschließlich der Trinkgelder):64,30
200 g Mischung für Dinkelbratlinge,
500 g Nudeln (bio)
650 ml Salatdressing
500 ml Ketchup
0,75 L Apfelessig (bio)
250 g Tomatenmark (bio)
1 Glas Pesto
115 g Hawaii Salz
68 g Muntok Pfeffer

Was für Erkenntnisse habe ich gewonnen?

Was ich gewonnen habe, ist Ratlosigkeit. Und Empörung. 130 Euro reichen nicht, um sich abwechslungsreich zu ernähren. Ich bezweifle allerdings auch, dass sie reichen, um sich einseitig zu ernähren.  Ich bezweifle schlicht noch immer, dass sie reichen, um satt zu werden. Egal wie.

Für Kartoffeln, sonstiges Gemüse und Obst habe ich im Juli 65,57 Euro ausgegeben, also mehr als 50% des Hartz IV-Satzes (und weniger als sonst). Da müssen ganz offensichtlich Einschnitte gemacht werden, wenn das Geld irgendwie reichen soll. Die Frage wäre, was man denn sonst essen soll? Noch mehr Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis? Diesen Austausch habe ich zumindest in der ersten Monatshälfte im Juli ohnehin schon vorgenommen – und habe trotzdem abgenommen. Und Reis musste ich im Juli nicht einmal kaufen, weil ich noch genug im Haus hatte.

 Ja, ich hör sie schon rufen – WENIGER SÜSSES! Aber auch dann entsteht ein Defizit an Energieeinheiten, das dann möglichst billig ausgeglichen werden muss. Diese Übung ist keine Diät. Und nennt mich ruhig verbissen, aber ich finde, es muss in einem menschenwürdigen Alltag auch möglich sein, Besuchern zum Tee einen Keks anzubieten.

Einmal habe ich 500 g Brot für 59 Cent gekauft. Es tut mir Leid – ich bin sonst nicht kleinlich und habe kaum Vorurteile gegen einzelne Nahrungsmittel – aber DAS schmeckte tatsächlich so, als ob es einen in Kürze umbringen könnte.

Ein gelegentlicher Ausflug ins Restaurant ist mit Hartz IV auf jeden Fall nicht drin. Auch dann nicht, wenn es ein Fast-Food-Restaurant ist. Eine Freundin schlug mir vor, während des „Experiments“ im August doch Restaurantbesuche schlicht nicht mitzurechnen, weil das doch einfach zu freudlos würde, wenn man in der Hinsicht gar nichts mehr unternehmen könne. Mit der Freudlosigkeit hat sie Recht – aber das geht natürlich nicht. Man kann sich nicht mit einem Geheimbudget sattessen, wenn es darum geht, herauszufinden, wie hungrig man mit deutscher Grundsicherung wirklich werden wird.

Der Soziologe Friedrich Schorb legt in seinem Buch „Dick, doof und arm?“ dar, dass tatsächlich zwei Dinge zutreffen, die ich immer bezweifelt habe: Nahrungsmittel, die viel Fett und Energie enthalten sind, sind statistisch billiger als Obst und Gemüse. Er berichtet über die Ergebnisse einer britischen Studie, der zufolge eine Kalorie, die aus Broccoli gewonnen wird, 25mal mehr kostet, als eine Kalorie aus Tiefkühl-Pommes. Außerdem bestätigt er, dass insbesondere bei Frauen ein starker Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und der Entstehung von „Übergewicht“ zu bestehen scheint. Frauen mit einem Hauptschulabschluss werden offenbar in Deutschland dreimal so oft übergewichtig wie Frauen mit Abitur. 

Die gesellschaftlich allgemein gültige Schlussfolgerung aus dieser Datenlage sieht er wie folgt: Dicke sind dick, weil sie zu ungebildet sind, um sich gesund zu ernähren. Aber, so Schorb, es gibt natürlich auch einen klaren Zusammenhang zwischen dem Haushaltseinkommen und Bildung. Und wenn Arme sich anders ernähren, als Wohlhabende und viele billige, energiereiche Fertigprodukte zu sich nehmen, um überhaupt satt zu werden, dann hält er das ganz klar für eine Frage des Geldes – und nicht von Bildung. Beim ausschließlichen Verzehr von preiswerten, zumeist hochkalorischen Nahrungsmitteln ist es eben schlicht leichter, eine „Überdosis“ an Kalorien zu sich zu nehmen.

Schorb beschreibt außerdem etwas, von dem ich mir einbilde, dass ich es Mitte des Monats auch erlebt habe, und was ich wirklich bemerkenswert und einleuchtend finde: den Armuts-Jojo-Effekt. Wenn am Monatsende das Geld nicht reicht, wird zwangsweise gehungert, bis am Ersten wieder Geld auf dem Konto ist und man sich endlich mal wieder satt essen kann. Amerikanische Wissenschaftler erklären so die Tatsache, dass insbesondere sozial schwache Frauen leichter Gewicht zulegen. Viele von ihnen seien alleinerziehende Mütter und würden öfter als andere dazu tendieren, am Monatsende zugunsten ihrer Kinder zurückzustecken. Langfristig bewirken die unregelmäßige Versorgung mit Nahrungsmitteln und die andauernden Mini-Diäten durch den damit einhergehenden Jojo-Effekt bei Armen eine Gewichtszunahme. Als ich Mitte Juli feststellte, dass das mit den 130 Euro gelaufen war, kaufte  ich auch erst einmal ein paar Lebensmittel, die ich mir in den zwei Wochen davor nicht genehmigt hatte. Darum bin ich jetzt auch wieder so schwer wie vorher. Und vielleicht ist das auch die Erklärung, dass ich in der zweite Hälfte sogar noch mehr ausgegeben habe, als in der ersten.

Was ich im August (anders) machen werde:

  • Bar bezahlen. Eine Freundin legt ihr Haushaltbudget für den Monat immer bar in einen Umschlag, um mit ihren Ausgaben disziplinierter zu sein. Das werde ich auch mal versuchen.
  • Ich muss definitiv mehr „Sponsoren“ finden. (Das könnte auch in andere Bereiche des Lebens ganz neue Bewegung bringen.) Wer es  also kaum abwarten kann, mir einen Drink zukommen zu lassen: Lillet Hugo – am besten bleich zwei. ; )
  • Ich werde viel mehr bei Discountern einkaufen, und mich gezielt auf Schnäppchenjagd machen.
  • Ich esse ja kein Fleisch und kenne die Preise auch nicht. Ich werde mich rein interessehalber mal umsehen, ob Fleisch womöglich sogar billiger wäre als Gemüse/Tofu.
  • Wenn es wirklich so ist, dass hochkalorische Fertiggerichte die billigere Wahl sind und ich bei stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit hoher Energiedichte (also Kohlenhydrate und Fette plus einen Haufen Zusatzstoffe) mehr Kalorien für mein Geld bekomme, werde ich sie jetzt auch konsequent auf meinen Speiseplan setzen. Mal sehen, ob ich 1) aufgehe wie ein Soufflé, 2) wie ich mich körperlich dabei fühle und 3) wie viel ich dabei sparen kann. Fest steht schon eins: Der Einstieg in die vegane Ernährung verschiebt sich dadurch auf jeden Fall.
  • Um zu sparen, werde ich Großpackungen kaufen und feststellen, wie es sich anfühlt, immerzu den gleichen Kram essen zu müssen. Ich habe keine Tiefkühltruhe, nur ein Gefrierfach. Und alle sonstigen Produkte, die man öffnet, müssen dann zumeist in absehbarer Zeit aufgebraucht werden. Da wird es mit der Lagerhaltung für oben erwähnten Speiseplan vermutlich ziemlich eng und eintönig.
Weil das äußerst aufschlussreiche und weitgehend (aber vermutlich nicht überraschend) ignorierte Buch von Friedrich Schorb drei Jahre nach seinem Erscheinen bei Amazon bereits für ein Viertel des Originalpreises „verramscht“ wird (ich nehme mal an, da ist keine weitere Auflage geplant), habe ich gleich einen kleinen Vorrat angelegt und verschenke zwei  Exemplare wieder hier.

Wer gern eins hätte, sendet mir einfach wieder eine Mail (bis zum Freitag - 3. August 2012) an office(at)nicola-hinz.com und kommt in den Lostopf.

NH