Dienstag, 25. März 2014

Die Liebe zur Masse

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Theo und ich kennen uns bereits ein Weilchen, und ich dachte, er sei ein Fettliebhaber. Darum hatte ich auch schon lange vor, ein Interview für Das Lied der dicken Dame mit ihm zu führen. Gleich am Anfang des folgenden Gespräches stellte sich dann heraus, dass er gar keiner ist…irgendwie. Trotzdem - nichts ist für jemanden, der mit seinem Körper hadert, hilfreicher beim Perspektivenwechsel, als die Wertschätzung eines anderen, dessen Meinung einem wichtig ist und den man ernst nimmt. (Besonders, wenn derjenige 1,90 m groß ist und Oberarme hat wie Mr. Proper. ; )) Achtung: Wer etwas gegen Ausdrücke wie „Titten“ und „Arsch“ sowie  eine gewisse Deutlichkeit bei Gesprächen über Sexualität hat, sollte an diesem Post besser vorbeisurfen.
T(heo): Ich glaube, ich bin eigentlich gar kein ausgesprochener Fettliebhaber. Ich bin eher ein Fettrealist.
N(icola): Was bitte ist denn ein Fettrealist?
T: Fettrealist heißt, dass ich nicht alles was Fett ist in den Himmel lobe, nur weil es Fett ist. Es gibt gutes und…nicht so gutes Fett.
N: Welches Fett ist denn eher unbeliebt bei dir?
T: Na, ich sag mal, der Fettrand am Nackensteak…
N: Au weia.
T: Spaß beiseite. Ich glaube, wenn bei Oberschenkeln das Fett in überlappenden Lagen so ausgeprägt wäre, dass man sich grabenderweise dem Leckerchen nähern müsste, das würde mich eher abstoßen. Aber lass‘ uns das einfach mal positiv formulieren, das ist einfacher und macht den Ausdruck „Fettrealist“ im Verlauf vielleicht klarer. Mann findet halt immer irgendwelche Attribute besser oder schlechter. Ich erfülle ja dieses männliche Klischee und finde große Brüste besser als kleine, einen großen Arsch besser als einen kleinen und außerdem finde ich, dass das Gefühl in der Umarmung besser ist, wenn da mehr ist. Eine gewisse Brustgröße haben Frauen aber in der Regel nicht, wenn sie nicht sehr dick sind und eben auch an anderen Stellen eine entsprechende Körpermasse aufweisen. Es sei denn, es sind fake Titten, und fake Titten sind ja…nicht so schön. Die sehen auch peinlich aus…
N: Falsche Titten? Die findest du peinlich?
T: Ja! Ich finde sie peinlich. Und sie fassen sich zunächst einmal auch ganz schlecht an. Für mich ist die Haptik ja viel wichtiger als die Optik. Darum finde ich hängende Brüste viel besser als stehende, es sei denn natürlich, es sind riesengroße, echte, stehende Brüste…und vielleicht existiert ja so ein Paar auch irgendwo auf der Welt.
N: Da kommt einem halt immer die Schwerkraft ins Gehege.
T: Bei Kunsttitten nicht, die sitzen immer mittig und aufrecht. Aber zurück zum Fettrealisten. Ich habe also eine Vorliebe für besonders voluminöses Frausein. Also die Rubensfrau – in diese Richtung geht es schon. Aber kennst du die Zeichentrickfigur Jessica Rabbit? Die hat auch diese extremen Eigenschaften. Extremer Busen, extremer Arsch, aber dann ebenfalls eine extreme Taille, wie eine Sanduhr. Mit Fettrealist meine ich also in diesem Fall, den persönlichen Kompromiss zu finden. Es ist eine Frage des Gesamtbildes. Und wenn die Brust nicht mehr weiter fällt, als der Bauchumfang, finde ich das nicht mehr attraktiv. Obwohl ich natürlich auch gern in einen weichen, runden Bauch greife.
N: Es gibt also Grenzen, was die Fettfülle angeht?
T: Fett ist bei mir kein Fetisch. Ich erinnere mich da an den Film Feed, in dem es um einen Mann geht, der eine Frau mästet, bis sie nur noch völlig unbeweglich als Fleischberg dahinvegetiert. Das war auf verstörende Weise faszinierend, aber sexuell stimulierend finde ich das nicht.
N: Wie steht es denn mit der Unterwelt von dicken Frauen? Mit fleischigen Schamlippen zum Beispiel?
T: Je dicker die Schamlippe, desto größer die Spannung, was wohl dahinter sein mag!
N: Auch in Zeiten, in denen Frauen sich den Unterleib vom Schönheitschirurgen aufräumen und alles zurechtstutzen lassen?
T: Tun sie das? Ach, doch – davon habe ich auch schon gehört. Aber ich habe es nicht verstanden.
N: Naja, damit das alles übersichtlich und sportlich aussieht.
T: Na, aber es gibt halt viele verschiedene Ausprägungen. Mal sind sie so, und dann wieder so. Und dann so. Und dann hier so. Und dann da so. Oder auch so.
N: Ich habe ja auch eine überlappende Schamlippe…
T: Ja. Dann lass uns doch mal eine Situation konstruieren, in der das relevant sein könnte.
N: Also, was mich ja tatsächlich schon erstaunt, ist die Furchtlosigkeit vor dunklen Winkeln und Ecken, die viele dicke Frauen an ihren Körpern selbst nicht so genau kennen, bzw. mitunter regelrecht vermeiden, schon. Ich hatte mir z.B. jahrelang die Innenseite meiner Oberschenkel nicht mehr so richtig angesehen, bevor ich mit meinem Selbstakzeptanz-Projekt anfing.
T: Ja, und das ist nicht deine Zuckerseite, das wissen wir beide.
N: Erzähl‘ mal etwas, über das Gefühl, unter einer dicken Frau zu liegen.
T: Ich glaube, unter ist noch geiler als über, weil man voll umfasst ist, von allem. Man hat die Hände auf dem Hintern, wenn man möchte und man kann gleichzeitig im Tittenmeer ertrinken. Eigentlich ist das für mich die ideale Stellung. Oben ist aber auch gut, weil man alles so schön im Blick hat.
N: Wie ist das mit all den vermeintlichen Makeln, die das Selbstbewusstsein von Frauen so stark beeinflussen können? Streifen, Wellen, Dellen? Stört dich das gar nicht?
T: Wenn sie nicht da wären, wäre es besser. Aber sie stören mich auch nicht. Sie sind nicht im Fokus der Wahrnehmung, denn die Brüste und der Hintern sind zu groß und zu prächtig. Und womöglich in Bewegung. Und wenn man dann nur noch die Hand auszustrecken braucht, um sie anzufassen, wen sollen in dem Zusammenhang – was war das? –  Streifen, Wellen und Dellen interessieren? Wellen und Dellen klingt unterhaltsam. Wie ein Fahrgeschäft auf dem Dom.
N: Wie ist es mit angezogenen dicken Frauen? Gibt es etwas, das sie besser nicht tragen sollten?
T: Ich finde, dicke Frauen sollten nicht in Leggings herumlaufen. Wenn sie schon ein Statement machen wollen, dann sollten sie in Latex das Haus verlassen.
N: Ich würde das ja heutzutage fertigkriegen.
T: Das glaube ich nicht. Du gehst nicht so über die Mönkebergstraße und kaufst bei Karstadt ein.
N: Doch, das mach‘ ich.
T: Sag‘ mir wann und wo. Ich halte die Kamera…Besser noch als Latex, wäre ja Körperfarbe.
N: In Körperfarbe gibt’s mich schon im Internet.
T: Aber nicht, wie du so durch die Fußgängerzone läufst.  Da hätten wir doch mal eine Aktion – einen Auflauf von lauter stolzen, dicken Frauen in Körperfarbe. Das wäre Femen, Teil 2!
N: Was symbolisiert weibliches Fett?
T: Ich würde eher sagen „Was symbolisiert Weiblichkeit? Fett.“
N: Oh!
T: Das beantwortet jetzt vielleicht nicht die Frage, aber meine Antwort finde ich viel geiler als deine Frage…Na schön. Fett ist weich. Fett ist Geborgenheit. Fett ist warm. Fett ist Energie. Fett ist Sicherheit. Dicke Frauen haben ja oft fast etwas Mütterliches. Sie sind keine Bedrohung, sondern können Bedrohungen abwehren – einfach mit ihrer Präsenz.
N: Hattest du schon immer eine Vorliebe für runde Frauen, oder gab es einen bestimmten Auslöser?
T: Da muss ich mal zurückblättern in meiner Liebschaftsgeschichte. Meine Partnerinnen waren tatsächlich alle sehr unterschiedlich. Ich hatte Freundinnen, die gängigen Schönheitsstandards durchaus entsprachen. Und es waren auch sehr dicke Frauen dabei, aber ich glaube, und das ist die Kernbotschaft hier, dass nicht ständig irgendwelche Schubladen aufgerissen werden sollten. Ihr (Frauen) guckt vielleicht auf eure Einzelteile und seid verunsichert, aber „er“ sieht zunächst das Ganze. Und dann guckt er ohnehin auf seine Favorites.
N: Na, ich weiß nicht, ob der Blick überall so freundlich ist. Erkläre es mir noch einmal – warum bleibst du da, wo andere, im übertragenen Sinne, schreiend raus rennen? Dem Druck gesellschaftlicher Normen folgend, oder aus welchem Grund auch immer.
T: Weil ich eine Frau holistisch wahrnehme. Und übrigens auch als Person. Frauen ziehen ihr Selbstbewusstsein oft ganz extrem aus ihrem Äußeren. Das ist nicht wirklich klug, denn damit setzen sie dann natürlich von Anfang an auf ein sterbendes Pferd.
NH