Donnerstag, 20. Juni 2013

Pinktastisch!

Oder: Warum so manche Möchtegern-Feministin das Matriarchat selbst dann nicht erkennt, wenn es ihr in Berlin Mitte direkt vor die Füße fällt...

THE UGLY GIRL PROJECT: Barbie and I © CANDYBEACH.COM 2013
 
Ist mir egal, ich mache mich jetzt gleich mal so richtig unbeliebt: Wenn mich etwas ganz besonders aufregt, dann sind das winzige Mädchen, die im Park Miniatur-Kinderwagen vor sich herschieben, anstatt munter und ohne vorgeschnalltes Hindernis durch die Welt zu hopsen.
 
Mir hat man als Kind ja irgendwann mal auch so eine Rollenvorbereitungsausstattung zukommen lassen - ohne Erfolg. Im Puppenwagen schlief unsere Katze Molly. Und die lächerliche Puppe, die in die Hose pinkelte, wenn man ihren Arm herunterdrückte, wurde am Ende weitergeschenkt, während ich mit Legosteinen Garagen für meine Rennautos baute. Mein Herz allerdings gehörte Julchen (Stofflöwin) und - Barbie. Ich ließ ihr in ihrem türkisfarbenen Bad mit den hohen Bogenfenstern Schaumbäder ein, packte ihre Kleider ins Wohnmobil, wenn sie verreisen wollte, begutachtete mit einigem Erstaunen den Unterleib meiner ersten und einzigen Ken-Puppe und wusste von Anfang an instinktiv, dass es zumindest im Kern dieses Universums in der Tat um nicht weniger als Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ging. Um Spaß und Kleider auch. Logisch.
 
Als nun die Barbie Dreamhouse Experience Mitte Mai in der Nähe des Alexanderplatzes in Berlin ihre Tore öffnete, gab es Protest. Maßgeblich organisiert durch die Linksjugend Berlin Kreuzkölln, die eigens die Aktion Occupy Barbie-Dreamhouse ins Leben gerufen hatte, sowie Mitglieder des deutschen Ablegers von PinkStinks demonstrierten ein paar hundert Frauenbewegte gegen das vermeintlich eindimensionale und rückständige Frauenbild, das Barbie in die Hirne kleiner Mädchen pflanzt. Dieses, so der Verdacht der meisten der von Journalisten befragten Aktivistinnen, bestünde aus Konsum, Küche und Ken. Das alles getaucht in die verhasste Farbe Pink, die laut Stevie Schmiedel (Mitbegründerin von PinkStinks Germany) für "niedlich und harmlos" stehe.* Schmiedel und andere waren übrigens am Schluss sauer, weil ihnen die Protestshow zu guter Letzt von einer barbusigen Femen-Aktivistin gestohlen wurde. Diese platzierte sich fotogen mit einer brennenden Barbie am Kreuz und der Aufschrift "Life in plastic is not fantastic" am Leib vor dem Eingang des Hauses und machte damit so ziemlich alle Schlagzeilen des kommenden Tages für sich und ihre Gruppe klar. Dieser Umstand stank den anderen Demonstrantinnen am Ende vermutlich noch viel mehr als Pink...Ich habe ja auch so einen Verdacht: "Konsum, Küche und Ken" beschreibt vermutlich doch eher die Lebensrealität so mancher aufgebrachter PinkStinks-Mutter, die immerhin über genug Muße und Ressourcen verfügt, sich über das Gefahrenpotential pinkfarbener Lillifee-Brotdosen tiefergehende Gedanken machen zu können.
 
Ein schlechtes Vorbild für Mädchen?
 
Barbie ist übrigens Junggesellin. Sie ist außerdem kinderlos. Seit 1959 hat sie keine der beiden universell am tiefsten verankerten, selbstverständlichsten und gleichzeitig automatisch Abhängigkeit schaffenden Frauenrollen ernsthaft und dauerhaft übernommen. Gut, man konnte sie hin und wieder mal im Brautkleid kaufen. Das heißt aber nicht, dass sie Ken jemals ans Steuer ihrer pinkfarbenen Corvette gelassen hätte. Ohnehin halten sich schon seit Mitte der 90er hartnäckig Gerüchte, Ken sei schwul ; ). Dass Barbie keine eigenen Kinder hat, bedeutet allerdings auch nicht, dass es um sie herum gar keine Kinder gäbe - aber alle, die in ihrem Dunstkreis als Teil des ergänzenden Produktsortiments irgendwann aufgetaucht sind, sind Freundinnen, Cousinen oder Geschwister. Und fast alle sind weiblich. Männlichkeit spielt in dieser pinkfarbenen Plastikwelt so gut wie keine Rolle. Und bekocht wird sie erst recht nicht.
 
 
Da überkommt mich sodann auch gleich der nächste Verdacht: Vielleicht ist es ja sogar eher die Radikalität der totalen Abwesenheit zwischengeschlechtlicher Ausgewogenheit in Barbieland, die so manche Pinkhasserin wirklich beunruhigt. Vielleicht ist es eine unterbewusste, an der Wurzel zutiefst konservative Reaktion auf eine quasi entmannte Welt, die die Demonstrantinnen wirklich mit Plakaten auf die Straße getrieben hat. Ist ihnen die Vorstellung einer exklusiven Mädchenwelt so zuwider, weil sie "Mädchenkram" im Prinzip selbst für minderwertig halten und Teilhabe an (aber nicht die totale Übernahme von) "Jungenkram" für die anzustrebende Norm?
 
Was wir im Barbie Dreamhouse lernen, ist jedenfalls zunächst einmal dieses: Wenn Barbie Lust hat, einen spontanen Ausflug nach Paris zu machen, dann tut sie das in ihrem eigenen Flugzeug. Und sie fliegt dieses Flugzeug selbst. Was verlangen wir von einem guten Vorbild eigentlich noch, wenn es darum geht, Mädchen zu zeigen, dass der Himmel das Limit ist - und keine Glasdecke dazwischen?
 
Dass Barbie fliegen kann, ist eigentlich auch nicht wirklich verwunderlich, denn Barbie kann alles sein und tun, was sie will: Bereits 1965 war sie als Astronautin zu erwerben. Im Laufe der Zeit u.a. als Polizistin, Rennfahrerin, Journalistin, Fotografin, Sportlerin, Informatikerin, Geschäftsfrau, Ballerina, Politikerin und Katastrophenhelferin. Und wer heute einen Besuch auf ihrer "I can be"-Website macht und "Pflegende Berufe" anklickt, wird feststellen, dass eine "pflegende" Barbie in der Regel ein Medizinstudium hinter sich gebracht hat. Und nur so nebenbei: Barbie mag eine Küche und einen riesigen begehbaren Kleiderschrank haben. Aber sie hat auch eine Bibliothek.
 

Ja, selbstverständlich begreife ich die Gründe für die Proteste. Barbie transportiert mit Macht und Skrupellosigkeit ein Schönheitsideal, das dazu beitragen kann, dass Mädchen sich in ihren realen Körpern nicht mehr sicher und stattdessen unzufrieden und ungenügend fühlen. Und aus der Ferne mag das Dreamhouse, in dem man seine Tochter für einen Aufpreis von zehn Euro erst schminken, stylen und dann über einen pinkfarbenen Catwalk wandern lassen kann, wie ein greller Verdummungszirkus wirken. Aber mein Einwand bleibt weiterhin dieser: Wiegt Barbies Symbolwert als konsumversessene Mega-Kundin der Mode- und Kosmetikindustrie wirklich schwerer, als meine oben angestellten Überlegungen? 

Auch gegen die Überraschungseier für Mädchen haben die Aktivistinnen von PinkStinks schon protestiert. Und haben dabei wieder nicht um die Kurve gedacht. Ich schenke mir ja immer mal wieder selber eins - ich stehe als alte Frau halt noch immer auf pinkfarbene Spannung. Die Journalistin Antje Schrupp legt in ihrer hochinteressanten Analyse der pink-belasteten Eier dar, warum ich mich in dieser Angelegenheit besonders glücklich schätzen kann, ein Mädchen zu sein - weil ich sonst nämlich so ein Ei eigentlich gar nicht kaufen dürfte.

Barbie aus dem Ei

Das Barbie Dreamhouse als Installation

Was ich sehe, ist pink. Aber in seiner Bizarrheit weder niedlich noch harmlos. Aus der Nähe sieht man deutlich: Das Barbie Dreamhouse karikiert und kritisiert sich selbst schärfer, als jede fackelschwingende Aktivistin es könnte. Es war offensichtlich nicht als entlarvendes Kunstwerk gedacht, aber es funktioniert ganz klar wie eines und ist voller doppelter Böden. Es atmet inhärente Zerrissenheit aus, und erzählt eindeutig und fast zynisch die Geschichte des zwangsläufig konflikthaften Prozesses der Frauwerdung in einer Welt, die von weiblicher Äußerlichkeit besessen ist.

Gleichzeitig hätte Jeff Koons die bösartigen, verkitschten Versuche einer Verschleierung dieser Konflikte an mancher Stelle nicht rückhaltloser inszenieren können. Immer wieder trifft man auf bemerkenswerte Versatzstücke, die von der starren Einsamkeit des Kampfes um Schönheit erzählen. Jede kämpft für sich allein. In ihrem eigenen Glaskasten. Manchmal bleibt von ihr nichts übrig - außer ihren Schuhen.

Den anwesenden Kindern entgeht diese Ebene selbstverständlich. Und das ist auch gut so. Mein Onkel Heinz, der sich todesmutig mit  mir in die pinkfarbenen Wogen geworfen hat, macht Beweisfotos für seine Freunde "von der größten Geschmacklosigkeit, die er je gesehen hat" und stellt gleichzeitig fest, dass die anwesenden Kinder sich ohnehin nicht für Details der Ausstellung zu interessieren scheinen. Das meiste, was das Barbie Dreamhaus zu bieten hat, so sein Urteil, ist für die "Blagen" schlicht sterbenslangweilig. Selbst da, wo man Knöpfe drücken kann - denn das Barbiehaus ist offenbar schon jetzt so ramponiert und schlecht gewartet, dass längst nicht mehr jeder Knopfdruck auch zu einem Ergebnis führt: Was für eine Metapher des Lebens. ; )

Am Ende bleibt vor allem eine Frage offen: Was macht der Delphin im Klo?
 



















 *Missy Magazine, Januar 2013

NH