Dienstag, 20. Dezember 2022

Dürfen Fettaktivist*innen Diät machen?

Offenbar stellt sich diese Frage. Denn es geschieht gar nicht so selten, dass öffentlich sichtbare Vertreter*innen von Fat Acceptance abnehmen. Genaugenommen wirkt es manchmal gar so, als ob der Rückfall in die Diätkultur für viele dicke Ikonen nur eine Frage der Zeit ist. Gabourey Sidibe, Adele, Melissa McCarthy und Rebel Wilson fallen mir als besonders prominente Ex-Dicke spontan ein.

Selbst Tess Holliday hat offenbar abgenommen und der Außenwelt das Ergebnis stolz präsentiert. Als Antwort auf den Backlash, der zu erwarten gewesen war, servierte sie dann eine überstandene Anorexie als Grund. Mein Ton verrät es vermutlich – ich habe da erhebliche Zweifel. So oder so finde ich ihr Vorgehen mächtig schattig.

Gerne passiert die Gewichtsabnahme infolge der Einsetzung eines Magenbandes. Oder mit straffen Diät- und Trainingsprogrammen, für die im wirklich ungünstigsten Fall auch noch gleichzeitig Werbung gemacht wird. Nach eigenen Angaben wird immer aus gesundheitlichen Gründen diätet, nie weil frau doch lieber etwas normschöner sein will. Diese Darstellung ist in den meisten Fällen bestimmt nicht ganz aufrichtig. Und natürlich sind die, die Hoffnung in die Unterstützung und Repräsentanz gesetzt oder sich durch das Vorbild gestärkt gefühlt haben, häufig enttäuscht bis sauer. Zu Recht.

Aber die Antwort lautet: 

Ja, dürfen sie. Fettaktivist*innen dürfen dünn werden. Sie dürfen sich auch kleine Teufelshörnchen in die Stirn implantieren lassen. (Yes, that is a thing.) Es können selbstverständlich alle mit ihren Körpern machen, was immer sie wollen.

Die echte, unterliegende Frage ist natürlich, ob eine Fettaktivistin Diät machen und trotzdem für die Sache eine glaubwürdige Vertreterin sein kann.

Die Antwort ist: 

Nein.

Es ist nicht möglich, das, für dessen Akzeptanz eigentlich gekämpft werden soll, gleichzeitig mehr oder weniger erfolgreich am eigenen Leib zu bekämpfen. Egal, was meine Gründe sind. Ich kann mich, an dem Punkt angekommen, vielleicht noch als Ally (Verbündete) bewerben, aber ich kann auf keinen Fall weiter Vorreiter*in sein. Ich kann auch nicht privat Pelzmäntel tragen und öffentlich als Präsidentin von PETA auftreten. Die akzeptierende Haltung zum Fett ist, wie jede konfliktträchtige gesellschaftliche Baustelle, eine grundsätzliche und ethische Angelegenheit. Sie ist ernst - und auch in der Praxis ziemlich klar umrissen. Sie erfordert auf jeden Fall Konsequenz bis in den privaten Bereich, sonst bleibt sie wirkungslos.

Wenn ich zu dieser Konsequenz nicht mehr in der Lage bin oder keine Lust mehr dazu habe, dann muss ich abtreten, aus dem Club austreten und ehrlich sein. Wenn meine bisherige Karriere womöglich darauf aufgebaut war, als Vorbild und/oder Sprachrohr für die Fettakzeptanz-Community zu wirken, dann sollte diese Karriere beendet sein. Da hilft übrigens auch kein scheinheiliges Umschulen auf milde, sinnlose „Body Positivity“.

Wenn ich mich als öffentlich agierende Fettaktivistin dazu entscheide, mein Gewicht maßgeblich zu verringern, sollte ich das begreifen, umsetzen und vor allem den Anstand aufbringen, bestimmte Dinge bitteschön ganz zu unterlassen:

1. Es ist unredlich und eine vollständige Abkehr vom ehemaligen Grundsatz, wenn sich eine Ex- Fettaktivist*in dazu versteigt, auch noch Werbung für Diäten, Pulver, Pillen, Tees, Trainingsprogramme oder Fitnessclubs zu machen.

2. Zumeist zutiefst subjektives, womöglich selbstzufriedenes und im schlimmsten Falle triggerndes öffentliches Geschwärme über die Gesundheit, die durch die Gewichtsreduktion erheblich verbessert worden sei, ist auf jeden Fall zu unterlassen.

3. Es wäre auch nett, das Publikum mit der Behauptung zu verschonen, es gehe beim Abnehmen nicht ums Abnehmen, sondern um Self Care oder Wellness oder Healing oder was auch immer für einen blumigen Scheiß. Und die Überwindung einer Essstörung gar mit großer Geste als Erklärung und Rechtfertigung aus dem Ärmel zu ziehen, ist respektlos und ekelig.

4. Lauter sorgfältig produzierte aber auch deutlich erschlankte Selfies von sich zu posten, um dann so zu tun, als seien die Komplimente, die in einer von Diät-Kultur geprägten Welt auf jeden Fall kommen, unerwünscht, ist verlogen und rettet auf keinen Fall die eigene Integrität. Vielmehr sind die vorgetäuschte Überraschung und Vehemenz, mit der positive Kommentare zum Diäterfolg mitunter zurückgewiesen werden, geradezu erbärmlich.

5. Sich als ehemals Dicke noch immer basierend auf der Identität einer betroffenen Dicken gegen die Diskriminierung Dicker zu engagieren wird spätestens dann lächerlich, wenn das Gruppenfoto gemacht wird. Ich kann nicht in den Genuss von Thin Privilege kommen und so tun, als habe sich an meiner Position im Kampfgeschehen nichts Grundsätzliches verändert.


HAPPY EVERYTHING und bis zum nächsten Jahr!

 

NH

 

 

Donnerstag, 31. März 2022

Zwischenmeldung

Heute, in diesen Zeiten, fand ich das hier in meinem Postfach:

Hallo Nicola,

ich bin heute über deinen Blog gestolpert. Als ich deine Fimo-Vagina sah 
war ich allerdings etwas enttäuscht, denn es ist eine VULVA. Die Vagina ist 
nur der Kanal an sich, das Äußere, das du  hier mit Fimo abgebildet hast 
ist allerdings die Vulva. Speziell in Sachen Körperakzeptanz unter Frauen 
finde ich es sehr wichtig, dass in diesem Zusammenhang die korrekten Worte 
verwendet werden. Darum mein Hinweis und der Wunsch von mir ob du dein Werk 
vielleicht lieber anatomisch korrekt als Fimo-Vulva bezeichnen magst.

Ich weiß nun nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich meine...ich weiß natürlich, wie ich darauf reagiere. Aber ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Vielleicht könnt ihr mir ja weiterhelfen und Vorschläge machen...





Cat Content:

Meine Mädchen: Tippi und Willow

Manchmal helfen bekanntlich nur Katzenbilder. Besonders schön ist das Leben hier weiterhin nicht, aber der Einzug von Willow nach Corbinians Tod war für uns alle ein Hauptgewinn. Tippi hat in ihr ihre Meisterin im Toben und Wetzen gefunden. Natürlich ist sie viel schneller als Corbi und verfügt überdies naturgemäß über viel mehr Energie. Dafür wird sie in den Pausen von Tippi bemuttert und geputzt. Und Tippi teilt ihre Hängematte. Noch geht das. Bis die Kleine der Großen über den Kopf wächst.

Außerdem: Schneckenpost zu Ostern


Das Declutter-Ziel im letzten Jahr war es, 1000 Gegenstände nachhaltig auszumisten. Das habe ich auch geschafft, aber gereicht hat es nicht. Nachdem ich im letzten Jahrzehnt ganze Lastwagenladungen aus meinem Besitz entfernt habe, fühle ich mich immer noch nicht leicht genug und verbringe noch immer viel zu viel Zeit damit, Dinge zu verwalten. Vom Jojo der Dinge ganz zu schweigen. Das Ziel für 2022 sind nun weitere 3000 Gegenstände. Momentan bin ich nicht gut im Zeitplan, denn ich bin erst bei 400. Unter diesen 400 Objekten ist ein Stapel Osterkarten. Neue Osterkarten, wohlgemerkt. Denn nachdem ich nun eisern keine Weihnachtskarten mehr gekauft habe, kam es zu einer bemerkenswerten Suchtverschiebung - und bei DM gab es in Nähe der Kasse sehr schöne Hasenkarten für 50 Cent das Stück. Das wurde mir zum Verhängnis...

Lange Rede, kurzer Sinn:

Statt Weihnachtskarten biete ich nun Osterkarten per Schneckenpost. Wenn ihr gern einen analogen Ostergruß vom Strand (Candybeach.com : )) im Briefkasten hättet, sendet mir einfach wieder eure Adresse an office(at)nicola-hinz.com oder über das Kontaktformular. Am besten bis zum 11.04.22. Wie versprochen, hebe ich eure Adressen nicht auf (es sei denn, wir haben uns nun schon öfter gegenseitig Briefe geschickt); darum sendet mir eure Adresse bitte auch dann, wenn ihr schon einmal Weihnachtspost von mir bekommen habt. Ich würde mich freuen. 

NH


Donnerstag, 9. Dezember 2021

Das Ende

 




Corbinian ist tot.

Ich musste ihn einschläfern lassen. Zwischen dem Augenblick, an dem ich begriff, dass irgendetwas nicht stimmt und seiner Einäscherung lagen ungefähr vier Wochen. Er hatte Krebs und ist nur 11 Jahre alt geworden. Nun ist Tippi allein. Mal wieder. Sie ist noch nicht einmal zwei Jahre auf der Welt, aber hat bereits drei maßgebliche Abschiede hinter sich - von ihrer Mutter und den Geschwistern, von einer Mitkatze, die Teil ihrer ersten Menschenfamilie war -  und jetzt ist ihr nach nicht einmal 10 Monaten ihr großer, dicker Freund aus heiterem Himmel weggestorben. Die beiden waren ein sagenhaftes Team. Sie hat ihn aufgemischt und er hat mit großer Freude, Geduld und angemessener Achtsamkeit mit ihr gerangelt - und seine Lieblingsplätze und Dreamies mit ihr geteilt. Seine Abwesenheit ist täglich ein Schock. 




Dieses ist der zweite und letzte Blogeintrag in diesem Jahr. Es war auch so ziemlich schauerlich, aber, wie durch das Ableben des Katers erneut bewiesen, geht es immer noch ein wenig bescheuerter.

In ein paar Tagen werde ich 50. Ein halbes Jahrhundert dahin. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, es fühlt sich nicht an, wie ein Grund zur Freude. Zuviel Ungemach schiebt sich ins Bild, wenn ich Bilanz ziehe über das Leben bis hierher. Verstellt den Blick. Was ich in fünf Jahrzehnten gelernt habe, ist, dass die Dinge sehr viel öfter schiefgehen als nicht. Komisch, wie unmöglich eine solche Prognose einer mit zwanzig vorgekommen wäre. Obwohl ich natürlich auch keine besonders fröhliche Zwanzigjährige war. Trotzdem hätte ich damals niemals glauben können, dass es eigentlich kein Gewinnen gibt. Ich habe, genau genommen, sogar verdammt lange damit gerechnet, dass noch alles wirklich gut wird. 

Aber überlebt. Zumindest das. 

Der Fragebogen zum Jahresende entfällt natürlich - bis auf die folgende Playlist der von mir meistgehörten Lieder. 


Danger Dan - Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt



Vermutlich könnte frau bei zwei Beiträgen pro Jahr auch von einem Ende des Blogs sprechen. Tatsächlich hätte ich genug Wut und Ärger für zehn Blogs. Zusätzlich habe ich seit Ewigkeiten Pläne für die Gründung eines Clubs der dicken Damen. Aber genug Energie habe ich dafür gerade nicht. Und wenn frau es genau betrachtet, auch nicht mehr genug Inhalte. Es gibt im Grunde nichts Neues zu sagen. Denn es ändert sich ja auch nichts. Irgendwann erwischt es uns wohl alle, die Motivation kracht in den Keller und zwar auf Nimmerwiedersehen - feministische Fettakzeptanz war nun einmal noch nie ein lohnendes Thema, wenn frau eigentlich gern beliebt und erfolgreich oder auch einfach nur im Ansatz wirksam wäre. Mit großer Verblüffung verfolge ich die Instagram-Posts von Kate Harding. Sie war eine meiner Heldinnen auf meiner Reise zur Selbstakzeptanz. Heute: Fotos von ihrem Hund. Und sonst kaum noch etwas.

Kommt gut in 2022 an.

NH

Donnerstag, 25. März 2021

Alles muss raus - oder: ein Rant - TEIL 1

"I'm about this close from gettin' in a tower 
and hurtin' some people!"*
(Suzanne Sugarbaker, Designing Women)


Das ist Tippi. 

Benannt nach Tippi Hedren. Tippi ist knapp zehn Monate alt. Seit etwa einem Monat wohnt sie nun 564r44444444444444444444444444444444444444ere (Nachricht von Tippi) bei uns. 

Wie berichtet, sitzt Corbinian seit dem letzten Sommer im Catio. Vorbei die Tage der Freiheit. Vorbei allerdings auch die Tage, an denen ich mich von alten und neuen Nachbarn beschimpfen lassen muss, weil ich mit einer Tüte Dreamies die Straße hinunterlaufe und nach meiner Katze rufe. Es ist unklar, ob diese Menschen mit mir oder tatsächlich mit Katzen ein Problem hatten. Ich kannte keinen von ihnen näher, in einigen Fällen nicht einmal vom Sehen, und hatte zuvor nie auch nur einen ganzen Satz mit ihnen gewechselt. Aber ich traue ihnen und ihrer Impulskontrolle, die schließlich ganz offenkundig gestört ist, auf keinen Fall mehr über den Weg, wenn es um die Sicherheit meines Tieres geht. 

Corbi war über die neue Lage nicht froh. Es war klar, dass er, nun unverständlicherweise inhäusig, Gesellschaft brauchte. Der ursprüngliche Plan war allerdings ein anderer, nämlich eine mittelalte, gemütliche und weibliche Wohnungskatze zu adoptieren, die ungefähr zeitgleich mit Corbi das Zeitliche segnen würde. Aber, wie es mit allem ist - nichts ist jemals einfach. Hilda, zehn Jahre alt und momentan Bewohnerin eines Tierheims in Brandenburg, durfte ich nicht aufnehmen, weil ich zu weit weg wohne. Ja. Whatever. Ich habe mich aufgeregt, das hat niemanden beeindruckt. Und Hilda ist weiterhin ohne eigenes Zuhause. Andere Heime hatten nur Freigänger*innen im Angebot. Aber dann brauchte Tippi wegen eines Umzugs ihrer Familie eine neue Bleibe. Ich sah die Anzeige, ihr Bild und bewarb mich erfolgreich. 

Sie ist jung, schnell, schlau und eher ungemütlich. Und sie plant schon jetzt den Ausbruch aus dem Catio, obwohl sie bisher noch nie Ausgang hatte. Sie will die Welt. Sie atmet sie ein in tiefen Zügen, starrt in die Sonne und hangelt sich am Maschendraht in die Höhe, um das Eichhörnchen zu erwischen. Für mich ist sie eine echte Herausforderung. Und für Corbi ist sie ein ganz neues Leben. Stundenlang wird in der Wohnung nun gespielt, zusammen gerannt und alles verwüstet. Er ist elf und ein Riese neben ihr, aber er versucht, angemessen mitzuhalten.

Da Tippi im Grunde brandneu auf dieser Erde ist, erzähle ich seither jeder, die es hören oder nicht hören will, dass ich nun offenbar noch mindestens zwanzig Jahre leben muss, um sie zu versorgen bzw. zu überleben. Denn als meine und eine Wohnungskatze hat sie natürlich ziemlich gute Aussichten, was ihre Lebenserwartung angeht. Ich rede über diese zwanzig Jahre so viel, weil sie mich in Angst und Schrecken versetzen. Aus verschiedenen Gründen.

Denn seit ihrer Adoption habe ich zum einen eiskalte Sorge, dass ich die zwei Jahrzehnte womöglich nicht mehr schaffe. In zwanzig Jahren bin ich siebzig. Mein Vater war 67, als er mit einem Herzkasper vor der Staatsoper in Hamburg zusammenbrach. Meine Mutter war 66, als sie mir im Universitätskrankenhaus Eppendorf davonstarb. Genetisch bin ich offenbar schon einmal nicht gerade brilliant aufgestellt.

Und dann mal grundsätzlich- WTF? Wie bin ich überhaupt jemals so alt geworden? Wie konnte es mir jemals passieren, näher am Tod als an meiner Geburt zu sein? Wie habe ich so einfach und wie nebenbei meine Lebensmitte überschritten und dabei noch gar nichts begriffen und nichts wirklich erreicht? Meine Bucket List ist meilenlang und ohnehin ist es mir vollkommen schleierhaft, wie ich bitteschön überhaupt in der Lage bin, eine mittelalte Frau zu sein. Zumindest als Kind dachte ich immer, dass frau dafür eine Reihe von Qualifikationen erwerben und Lebensereignisse abarbeiten müsse. Mir war nicht klar, dass es einfach so passiert. Und ich kann in letzter Zeit ohnehin nichts so recht von dem glauben, was ist.

Fettaktivismus my ass.

Und der ganze Müll liegt hier auch schon wieder viel zu lange rum. Ein ganzer Ordner voll mit unerfreulichem Material zu Themen, die ich hier behandeln wollte. Dazu ein Stapel Bücher. Keines davon verspricht eine erbauliche Lektüre; alle sollten tatsächlich nur gelesen werden, weil ich aus irgendwelchen Gründen glaube, dass ich es der Welt schulde, den Schrott auseinanderzudröseln. Dabei macht es nicht den Eindruck, dass irgendetwas, was wirksamem oder auch nur ernstgemeintem Fettaktivismus nahekommt, in Deutschland in den letzten Jahren eine Chance gehabt hätte, einen Zeh in die Tür der Medienlandschaft zu bekommen.

Vor einiger Zeit hat mich eine Freundin gefragt, ob ich ihr ein Buch über Fettakzeptanz auf Deutsch empfehlen könnte. Konnte ich irgendwie nicht. Und kommt mir bloß nicht wieder mit Magda Albrecht

Happy Size macht im Katalog jetzt Reklame für ein Buch, das Tanja Marfo geschrieben hat - über Selbstliebe. Würg. Jetzt kann ich bei Happy Size nix mehr kaufen. So wie ich keine Geflügelwurst von Gutfried mehr kaufen konnte, als Johannes B. Kerner begann, in den Werbespots aufzutreten. Ich erinnere mich ja immer wieder gern an das von ihr geleitete Seminar zum gleichen Thema, bei dem wir zu dritt vor einem Tablet in einem Imbiss saßen (das war der Veranstaltungsort) und die zweite Teilnehmerin in wilde Tränen ausbrach, weil sich ihr dicker Selbsthass just in dieser Situation so richtig Bahn brach. Es ist alles Betrug. Frau Marfo war noch nie an der Selbstliebe anderer interessiert. Alles, was sie je wollte, war irgendwie eine Karriere mit Medien. Als dicke Frau entschied sie sich sodann, den Body-Positivity-Zug für ihre Zwecke kapern. Sie macht aber bekanntlich auch ohne zu zögern Reklame für Diätpulver und Fitnesstrainer, wenn sie glaubt, dass sie das weiterbringt. Und auch das wird sie  schamlos als Selbstfürsorge verkaufen. Noch einmal, an alle, die es noch immer nicht begriffen haben: Ein "Umstyling" hat nichts mit Selbstliebe zu tun. Genau genommen bedeutet es das Gegenteil.

Mein Instagram Feed ist naturgemäß voll mit Accounts, deren Kernthema eigentlich "Body Positivity" ist. Bei den Bildern handelt es sich in letzter Zeit immer seltener um OOTDs o.Ä. und zunehmend um nackte oder in Reizwäsche gekleidete dicke Frauen, die gern auch mal auf diesem Wege Werbung für ihr "OnlyFans-Account" machen. Von mir aus soll selbstverständlich jede, die das will, ins Pornogeschäft einsteigen. Entschuldigt, wenn ich trotzdem nur noch kotzen könnte, wenn mir noch einmal irgendwer weismachen will, dass es ein Fortschritt ist, wenn dicke Frauen in der Pornographie, bei Modelwettbewerben und Misswahlen endlich genauso intensiv zur Objektifizierung von Frauen beitragen "dürfen" wie normattraktive. Wenn ihr mich fragt, ist "Body Positivity", wenn das Konzept überhaupt je etwas wert war, inzwischen totgetrampelt worden. 

Göttin, ich habe das alles so satt. Ach ja, und dann war da auch noch das...

Die wirklich allerletzte Presseschau: The Curvy Magazine

Ich habe eine Ausgabe des Curvy Magazines erworben (die Ausgabe für Sept, Okt, Nov. 2020). Bekanntlich habe ich für Frauenzeitschriften nicht viel übrig. Und ja, ich glaube, dass die Möglichkeit, schöne Kleider zu tragen, nicht den Mittelpunkt fettaktivistischer Arbeit ausmachen kann. Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass weite Teile des Publikums das anders sehen, bzw. dass schöne Kleider in großen Größen und dicke Models in Magazinen ihnen reichen würden, weil ihr Ärger über die eigene Diskriminierung sie schlicht noch immer nicht weiter trägt. 

Nun ja, auf jeden Fall ist das Modemagazin für dicke Frauen vollgestopft mit Fat Shaming. Quelle surprise, I know. Die Brigitte könnte hier regelrecht noch etwas lernen. Zwischen den Seiten tut sich auch in diesem Fall wieder genau die Hölle auf, in die alle Beteiligten immer geraten, wenn dicke Frauen, die die Ambivalenz dem eigenen Fett gegenüber niemals überwunden haben (siehe Barbara Schöneberger), einfach so tun als ob, weil sie glauben, dass es sich vermarkten lässt. Was dann oft nicht einmal der Fall ist. 

Auf Seite 11 beginnt Susanne Ackstaller ihren Kommentar "Dick sein als Chance" mit der Überlegung, dass sie "die Vorteile eines dünneren Ü50-Ichs durchaus (sieht)!" Auf ihrem Instagram-Account gab es übrigens zu den Festtagen im letzten Jahr auch eine gute Portion Selbstherabsetzung: "Platze gerade aus meiner Jeans, weiß jetzt, warum es "Plätzchen" heißt."

Etwas weiter im Magazin schickt sich dann die dänische Comedienne Sofie Hagen an, noch etwas mehr am eigenen Klischee-Gefängnis zu zimmern: Fett ist "powerful, schön, weich, belastbar, einfach herrlich". Und ich so: Was, wenn Fett nicht belastbar ist, bzw. die Person, zu der es gehört? Dass Fett nicht einfach sein kann, dass es immerzu noch zusätzlich etwas sein muss, das es rechtfertigt oder aufwertet, macht mich inzwischen so sauer.

Im Vogue-Interview behauptet die Gründerin des Curvy Magazins, Carola Niemann, man müsse "ab Größe 42 genauer, liebevoller mit einem Körper umgehen", denn ab da sind alle Körper "plötzlich unterschiedlich" und das macht die Herstellung von Kleidung über 42 angeblich so kniffelig. Sie hat das Magazin gegründet, um Frauen Vorbilder zu liefern, "die auch nicht perfekt sind, aber toll aussehen..." Auch nicht perfekt. Sie verspritzt weiterhin nichts weiter als Gift. Und bemerkt absolut nichts. 

Damit also keine ihrer Leserinnen jemals auf die Idee kommt, nicht ganz schön scheiße und obendrein nicht zu dumm zu sein, sich morgens etwas anzuziehen, kommt dann ab Seite 70 ihrer Publikation die große "Beratung": "Welches Business-Outfit passt zu deinem Körpertyp". Und ich traute meinen verdammten Augen mal wieder nicht.

Oben schmal, unten breiter: "Locker sitzende Hosen aus weich fließenden Materialien (...) umspielen die Hüften und Oberschenkel und gleichen so deine Proportionen (...) aus. Eine Bluse (...) mit V-Ausschnitt sowie Stiefeletten mit Absatz strecken zusätzlich."

Schmale Taille: "Es gilt, deine Körpermitte zu betonen."

Rundliche Körpermitte: "In dem locker sitzenden Jumpsuit ist alles gut verpackt und durch den lässigen Schnitt trägt auch nichts auf. Mit einem weiten Mantel kannst du deine Körpermitte umspielen."

Oben breiter, unten schmal: "Deine Beine können sich sehen lassen. (...) Obenrum auf Schnickschnack verzichten. (...) der Ausschnitt streckt und lässt deinen Oberkörper schmaler wirken."

Schwer zu glauben, wenn frau nicht dabei war, aber das Motto auf dem Cover lautet tatsächlich "Respekt!". Wie jede Frauenzeitschrift ist auch diese nichts als ein Cocktail aus beschränkten, toxischen Kleinmädchenträumen, fahrlässiger Feigheit und skrupelloser Selbsterhöhung. 

Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Schon gar keine Vorbilder.

Fortsetzung folgt.


*Achtung: Schwarzer Humor. 
Ich bin so kurz davor, auf einen Turm zu steigen und ein paar Leuten wehzutun!
Suzanne Sugarbaker ist eine Hauptfigur in einer meiner Lieblingssitcoms. In "Designing Women" parodierte Delta Burke eine ebenso exzentrische wie reaktionäre Südstaatlerin. "Designing Women" war in den 80ern und frühen 90ern zusammen mit dem anderen berühmten Frauen-Ensemble seiner Zeit, "Golden Girls", bekannt und beliebt dafür, die Plattform, die das Fernsehen bot, auch zum Kampf gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus zu nutzen. 

Das Zitat bezieht sich auf einen Massenmord im Jahre 1966, als der Ex-Marine Charles Whitman bis unter die Zähne bewaffnet auf den Turm des Hauptgebäudes der Universität von Texas in Austin stieg, von dort aus wahllos in die Menge schoss und 18 Menschen ermordete. Designing Women thematisierte auch das noch immer hochaktuelle Thema Waffenkontrolle mit Suzanne als komplett verantwortungsloser Inhaberin einer Schusswaffe.


NH

Sonntag, 20. Dezember 2020

FROHE FEIERTAGE!


Fuck Minimalism! : )

Ja, nun haben wir fast fertig. Zwei Arbeitstage noch (weitgehend inhäusig und online), und dann lasse ich alle Griffel fallen bis Januar. Wie jedes Jahr ist schon alles eingekauft und besorgt - bis auf zwei frische Salatgurken für den Kartoffelsalat. Diesmal gibt es natürlich am 23.12.20 keinen traditionellen Ausflug in die Stadt, um komplett entspannt und vorbereitet allen anderen Einkäufer*innen beim Herumhetzen zuzusehen und durch die erleuchteten Straßen zu schlendern, um dann am Ende im selben Restaurant wie in jedem Jahr in einer fast verlassenen Nebenstraße zu Abend zu essen. Heuer fahren wir im Auto einmal um die Alster und hoffen, dass unser Vorweihnachtsstammlokal noch Take-out anbietet. Trotzdem kann ich es kaum erwarten.

Die versprochene Schneckenpost...
ist verschickt und, wie ihr mir mitgeteilt habt, bei einigen von euch auch (schon) angekommen. Und wenn ich sage "schon", dann meine ich "glücklicherweise" und "überhaupt". Ich hatte mit den Karten nämlich nicht viel Glück. Es gab so viele Pannen und Verzögerungen mit der Weihnachtspost (dank des Unternehmens Post) in diesem Jahr, dass ich diesmal mit großer Sicherheit sagen kann, dass es nun wirklich das letzte Mal war, dass ich welche versende. Ich hoffe sehr, dass alle, die eine Karte wollten, sie auch erhalten haben/werden. Sehr optimistisch, dass gar nichts verloren gegangen ist, bin ich jedoch nicht. Wer leer ausgeht, kann dann gerne sogleich eine Osterkarte beantragen. Erstens habe ich davon noch welche in meiner Sammlung und die Zeit für deren Lieferung dürfte vermutlich gerade noch ausreichen...grrr. Vielen herzlichen Dank für die Karten, die ich zurückerhalten habe - das war nicht erwartet, aber gefreut hat es mich natürlich sehr.

Pläne für 2021 zu machen, scheint angesichts der noch immer ungewissen Situation nicht ganz leicht, trotzdem kann ich ja gar nicht anders: Ein neuer Anlauf für ein No-buy-year wäre schön, nachdem ich mit dem Konzept ja vormals ziemlich schnell baden gegangen bin. Noch mehr Dinge aus dem Haus zu befördern, bleibt auch ein erklärtes Ziel. Allerdings werde ich den Heimtrainer aus der Garage wieder ins Haus befördern - mal sehen, was das so gibt. Meine Liste ist, wie üblich, endlos. Endlos sind danach dann auch oft die Enttäuschung und die Unzufriedenheit. Aber wie gesagt - ich kann nicht anders. Ich muss einen Plan und eine Liste machen. : )

HAPPY EVERYTHING 
und erholt euch alle so gut wie möglich. Wir sehen uns hoffentlich im nächsten Jahr wieder am Strand. Also...in 11 Tagen.

NH