"Aber unser Heim ist nichts anderes als eine Spielstube gewesen."
Henrik Ibsen (Nora oder Ein Puppenheim)
"Nach Hause telefonieren." E.T.
Ich würde in der letzten Zeit wieder nachts oft gern jemanden anrufen. Ich wüsste aber noch immer nicht, wo ich anrufen soll. So hilfreich die Telefonseelsorge vor einem Jahr noch war, so wenig kann sie jetzt für mich tun. Der Vibe ist nicht mehr danach. Dank unseres Clubs, Zeit, Sertralin und ein paar kurzen Monaten der Ablenkung durch einen Beziehungsversuch, der sich vom wundersamen Höhen- schneller in einen Sturzflug verwandelte, als ich mit den Augen rollen konnte, bin ich nicht mehr zutiefst verzweifelt - sondern nur so verzweifelt, wie sonst ohnehin auch. Das Leben ist sinnlos, und das ist ein ewiges Ärgernis für mich. Seit meiner Kindheit weiß ich es und seitdem knabbere ich daran, dass offenbar niemand um mich herum das auch so sieht.
Seit meiner Kindheit versuche ich auch, endlich nach Hause zu kommen. Ich berichtete und berichtete und berichtete. Und seit ich dieses Blog vor über einem Jahrzehnt zur Anti-Diät-Zone umgebaut habe, erzähle ich hier von der scheinbar aussichtslosen Suche, die nach der fürchterlichen Unterbrechung durch den Tod meiner Mutter einfach mit unverminderter Sehnsucht und Orientierungslosigkeit weiterging. Das weiß ich, weil ich vor ein paar Tagen in meinen alten Blogposts gebrowst habe. So, wie beim Blick in alte Tagebücher, steht das ewig trübe, sumpfige Ungemach im Grunde unveränderlich Jahr für Jahr und ich finde den Stöpsel nicht, um die Soße abzulassen und auf den Grund zu blicken. Das Blog und die Tagebücher beweisen, dass ich für immer auf der Stelle zu trete, aber mich zumindest für immer an eben dieser Stelle über Wasser halte - verbissen trotz schwindender Hoffnung.
Fast tut es mir leid, meine Leser*innen beständig mit den selben Nörgeleien vollgetextet zu haben. Das Ausmaß war mir gar nicht so bewusst. In den letzten zehn Jahren hat sich nichts verändert. Obwohl ich täglich daran arbeite. Eigentlich ist das eher zum Lachen. Nichts ändert sich jemals wirklich.
Wo wäre zuhause?
Es ist in meinem Fall und meiner Vorstellung in der Tat ein physischer Ort. Mit freistehenden Wänden und genug Abstand zwischen mir und den Nachbar*innen. Mit einem Zaun. So hoch wie möglich. Mit Sicherheit und Frieden und Ruhe. Ich liebe Häuser. Ich liebe Puppenhäuser, Ich liebe bekanntlich Bilderbücher mit Mäusewohnungen in Baumstämmen und chaotischen Hexenhäusern. Ich liebe es, durch die Gegend zu fahren oder zu laufen und Häuser anzusehen. Ich kann mir stundenlang Häuser ansehen und im Geiste automatisch Kurzgeschichten über ihre Bewohner*innen aufploppen lassen.
Meine Kindheit hat maßgeblich in einem Haus mit Garten stattgefunden. Aber das Haus hat das alles, Ruhe Frieden und Sicherheit, trotzdem nie hergegeben. Eine Kindheit mit meinen Eltern war eine psychisch höchst unsichere Sache. Ausbrüche, Unberechenbarkeit, Ungerechtigkeiten, physische Bedrohung, die sich nicht wirklich manifestierte, aber sich zu regelmäßigem Terror verstetigte, Alkoholsucht, Depression, Desinteresse und gleichzeitige symbiotische Vereinnahmung standen immer ausgeprägten Privilegien, Toleranz, Werten, Freiheit, Bücherwänden und Humor gegenüber. Meine Eltern waren beides: Monster und irgendwie auch toll. Das geht. Und das ist besser, als vieles Andere, was auch möglich ist. Aber sie haben mich zurückgelassen mit der Suche nach dem Zuhause, das nicht zutiefst ambivalent ist. Wie bei der Katze mit Hut, würde ich das Haus meiner Kindheit gern "glücklichwohnen" dürfen. Aber natürlich hatten es meine Eltern nur gemietet. Ich weiß, da sind viele von uns auf der Suche nach dem seelischen Heimweg. Es ist mir, wie bei allem, klar, dass keine Erfahrung, die wir im Leben machen, einzigartig ist.
Die Vorstellung, dass das Zuhause kein Ort, sondern ein Mensch sein könnte, hat sich im letzten Jahrzehnt immer weiter zerfasert. Menschen kommen in meiner Idee von einem sicheren Zuhause nur noch am Rande vor. Vor gut einem Jahr dachte ich, ich sterbe an dem Kummer des Verlassenwerdens. Der war auch deshalb so groß, weil ich selbstverständlich ebenfalls in der Beziehung auf ein Zuhause hingearbeitet hatte. So wie mein ganzes Leben lang. Und diese Arbeit hatte ich in eben jener Phase meines Lebens eng an die Gegenwart meines Ex-Partners geknüpft. Aus heutiger Sicht war das womöglich blöd. Aber ich mag es doch nicht so recht als blöd bezeichnen. Es war damals folgerichtig, sich mit meinem ehemaligen Partner auf der Reise zusammenzutun, weil das Versprechen so leuchtend und groß war und die Reise allein so aussichtslos und beschwerlich. Aber mein Reisebegleiter war schnell überfordert und hatte die Überforderung dann bekanntlich nach sechseinhalb Jahren satt.
Am Anfang unserer Beziehung haben wir uns mit großer Freude von Makler*innen Häuser weit auf dem Land zeigen lassen. Ich dachte, wir hätten beide vor, eins zu kaufen und war bereit, im Wendland auf 200 renovierungsbedürftigen Quadratmetern im Team mit ihm ganz neu anzufangen. Ob er je den selben Plan hatte, wird ewig ein Mysterium bleiben. Jedenfalls zerschellte das Vorhaben lange vor unserer Trennung an Sprachlosigkeit und seinen weltlichen Schwierigkeiten.
Dafür hat mir der Ex zu einem unserer Weihnachtsfeste tatsächlich ein Haus gebaut, s.o.. Das Puppenheim blieb allerdings immer ein etwas wackeliger Rohbau, an dem frau sich leicht einen Splitter einfangen konnte. Sein Bau wurde auf experimenteller Ebene als Vorschlag begonnen und danach niemals weiterverfolg. Und damit war es als Symbol für unsere Pläne hochkonsequent. In meiner Wohnung verbreitete es als grimmiger Fremdkörper zuletzt nur noch den traurigen Dunst des erneuten Scheiterns. Und so habe ich mich vor ein paar Wochen davon befreit.
Mein neuester Vorstoß, nach Hause zu gelangen, hängt derzeit vom Wohnungsverkauf ab. Ich brauche das Geld aus dem Wohnungsverkauf, um allein (nicht ganz so weit) auf das Land zu ziehen. Meine Wohnung will aber seit Monaten niemand kaufen. Wenn ich an Zeichen glauben würde, müsste ich mich wohl langsam dafür entscheiden, doch in dieser Wohnung auszuharren. Es bleibt dabei: Es ist nie etwas einfach.
Ach, und noch ein paar Durchsagen:
Der Club der dicken Damen trifft sich weiterhin regelmäßig. Unser Motto ist noch immer: Und Wie geht es dir so? Das nächste Treffen ist am Sonntag, dem 04.08.2024 um 17.30 Uhr über Skype. Jede*r kann sich anmelden unter office(at)nicola-hinz.com.
Noch gebe ich ja trotz allem nicht so recht auf, meinen Menschen zu finden. Wenn jemand mich heiraten (oder mit mir die NordArt in Büdelsdorf besuchen will) - mein Profilname bei Finya lautet übrigens Katzundbuch.
Sollte außerdem eine*r auf der Suche nach einer Eigentumswohnung (im Auto 30 Minuten vom Stadtzentrum Hamburgs entfernt und direkt am Sachsenwald liegend) sein - ich habe da zufällig eine zu verkaufen. Spread the word.
Und schließlich - wenn ihr ihn noch nicht kennt: HeyWolfie ist ein sehr sympathischer und sehr gründlicher antifaschistischer Kommentar-Channel für Gesellschaftliches, Politik und Medien bei YouTube, der es dringend verdient zu wachsen. Es war mir irgendwie ein Bedürfnis, ihn hier weiterzuempfehlen. :)
NH
Einfach nur ❤️da ähnlich you know.
AntwortenLöschenach, liebe Nicola, was für ein anrührender Text. Ich habe lange überlegt, was ich dir schreiben kann. Du erwähnst, dass du Sertralin nimmst, ein Anti-Depressivum. Ich vermute, dass du psychische Tiefen kennst, die ich mir nicht mal im Ansatz vorstellen kann. Da will ich nicht mit Küchentisch-Psychologie kommen.
AntwortenLöschenDein Leben kennt nur Verzweiflung und keinen Sinn? wie traurig! Ich vermute, du hast schon Therapien versucht. Gab es da keinen einzigen Ansatz, der dir geholfen hat? Kein gutes Zeugnis für die Psychotherapie.
In einem möchte ich dir widersprechen: das Leben ist nicht völlig sinnlos. Wir hocken alle auf einem Planeten, der mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit durchs All rast. Alleine das ist ja schon eine skurrile Situation. Ich denke, der Sinn des Lebens besteht darin, uns bei dieser Reise bestmöglich beizustehen und uns bei den Absurditäten des Alltags zu unterstützen. Humor hilft. Und ein gnädiger Blick hilft - auf sich und auf andere. Give yourself grace!
Ich wünsche dir so von Herzen alles Gute!
Liebe Grüße, deine Suse