Donnerstag, 18. April 2013

Jetzt ruf schon an.

Bitte.


NH

Knall auf Fall

 
Nachdem ich vor zwei Monaten nun Golda Poretzky’s Body Positive Dating Master Class für runde Frauen absolviert und mir vorgenommen hatte, doch ein zweites Mal einen Kopfsprung ins kalte Wasser des Internet-Datings zu machen, ging dann alles erstaunlich schnell.

Wohlgemerkt: Springen, aber mit dem Kopf zuerst eintauchen – diesmal hatte ich vor, mit einem echten Plan an den Start zu gehen. Es gab also im Voraus ein paar Dinge zu bedenken:

1. Was will ich?

Ich sage jetzt einfach, wie es ist: Ich wollte zunächst einmal Sex, ohne die Sorge, wie mein Körper dabei wohl aussieht. Ich wollte Sex ohne Körperscham. Das hatte ich als schlanke Frau nicht wirklich und als dicke erst recht nie. In meinem Leben hatte ich für eine Anzahl von Jahren keinen und für eine weitere Anzahl so gut wie keinen Sex – AUS SCHAM. Wie bereits an anderer Stelle angerissen, halte ich Sex mit offenen Fettliebhabern für eine großartige Chance für dicke Frauen, genau das zu bekommen, und ich hatte mich nun nach zugegebenermaßen kurzer aber heftiger innerer Debatte doch entschlossen, diese zu ergreifen. Zweitens hätte ich gar nichts gegen eine Partnerschaft. Und ich hatte so die Vorstellung, man könnte zwei Fliegen mit einer Klappe…aber da war er halt, der Haken.

2. Was will ich nicht?

Möglichst wenig Anfragen von Schmierlappen und Dumpfbacken sowie BWL Studenten, die „reifen“ Frauen gern die Füße massieren. Das war das oberste Ziel. Denn obwohl man nichts, was bei einer ersten Kontaktaufnahme in einem solchen Forum  geäußert wird, persönlich nehmen darf,  piekst unpassende Anmache  trotzdem immer ein wenig und kann einem irgendwie doch den Abend versauen. Hinzu kommt, dass dumpf nicht unbedingt böse ist, und unter höflichen Menschen vielleicht trotz allem eine Absage verdient – dazu hatte ich diesmal weder Zeit noch Lust. Um Riff-Raff also gleich abzuschrecken, waren die Fotos ohne Grinsen („Warum schaust du denn so böse?“) und die Profiltexte in der Regel entsprechend streng  (jaja, mit positivem Unterton) formuliert  und vollgestopft mit Anforderungen an einen idealen Partner. Einige Besucher schafften es kaum, bis zum Ende meiner Ausführungen und konnten hinterher trotzdem nicht die Klappe halten: „der Text ist aber schwer bin nicht sicher op ich dass alles Kapiert habe.“ …Jaaa, ich weiß, wo war er bloß, der Knopf für die Falltür?
Ehrlichkeit in Bezug auf meinen Körperumfang und gegebenenfalls eine Klausel, die im Profiltext noch einmal extra auf diesen Umstand hinwies, waren natürlich obligatorisch.
3. Egoistisch und effizient sein
An nette, aber unpassende Anfragen verschickte ich Standard-Absagen. Den Rest des Ausschusses versuchte ich geflissentlich zu ignorieren. Das gelang nicht immer. Ich habe ja dieses bestialische Wesen in mir, diese Mischung aus einem Hulk und Fräulein Rottenmeier, und wenn die Impertinenz mir zu sehr entgegenspritzt, dann bricht es halt mitunter aus mir heraus, wie ein mutierter Alligator durch den New Yorker Asphalt…; ) Trotzdem – no men were harmed in the making of this post. ; )
4. Weite Streuung

Ich ging in der Tat weit, um mich anzupreisen: rubensfan.de, secret.de, neu.de, finya.de, elitepartner.de

Also, die gute Nachricht zuerst:
Sexpartner zu finden, ist für dicke Frauen im Internet ganz leicht. Und das Angebot ist nicht schäbig: Fettliebhaber sind überall, und nicht selten sind sie besonders groß, hübsch, breitschultrig und überdurchschnittlich gebildet. Obendrein muss frau sie eigentlich nicht suchen, denn sie finden einen schon, besonders wenn man sich deutlich als BBW (Big Beautiful Woman) ausweißt. Eine Bekannte sagte, wahlweise könne man gut das Wort „Rubens“ im Profilnamen verwenden. Ich kann mir jedoch nicht helfen - wenn diese peinliche, muffige Bezeichnung fällt, wünsche ich mir automatisch noch immer, in einer Size Zero zu versinken.

Um Sex mit jemandem zu haben, sollte man ihn sexy finden. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Noch besser wird’s natürlich, wenn man den anderen ehrlich mag. Und man kann wohl sagen, dass meine Planung zunächst durchaus zu den erhofften Ergebnissen führte – in den letzten sechs Wochen hatte ich zwölf Verabredungen mit neun Männern, die allesamt über solide Kenntnisse der deutschen Orthografie, eine schicke Hülle, Humor und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sowie eine Vorliebe für runde Frauenkörper verfügen. Alle bis auf einen hatten mich zuerst kontaktiert. Neun mag viel klingen, heißt aber nicht, dass ich nicht jeden von ihnen äußerst sorgfältig ausgesucht hätte. Ich wollte schließlich Hauptgewinne, denn ich hatte fest vor, aus diesem Versuchsaufbau auf jeden Fall mit gestärktem Selbstwertgefühl hervorgehen. Und vier von ihnen waren auch welche (Hauptgewinne) – drei zumindest im Bett. ; ) Und ich danke ihnen aus vollstem Herzen. Tatsächlich haben sie mich mit ihrem freundlichen Blick auf und ihrer Freude an meinen Körper so viel weitergebracht auf meinem Weg der dicken Selbstakzeptanz, dass ich am liebsten eine Party für sie schmeißen würde. Zu dumm, dass ich zumindest von einem nicht einmal eine Telefonnummer hätte, um ihn einzuladen.
Es ist also möglich, in relativ kurzer Zeit relativ viele Männer abzuarbeiten und abzuwickeln, ohne dabei groß in emotionale Verwicklungen zu geraten. Das war mir neu. Dass offenbar keine der Begegnungen ein echtes Potential für Dauer hatte, war auch in Ordnung. Man kann nicht immer alles gleich haben, dachte ich mir. Doch dann ging das Experiment jäh zu Ende.
Das Fett ist nicht das Problem
Denn dann habe ich mich verknallt. So richtig und in voller Fahrt. Zum ersten Mal seit Jahren. Wir saßen am Küchentisch, und ich stand neben mir, starr vor Schreck. Ein Wunder, dass ich nicht im Laufe des Abends noch angefangen habe, zu stottern und nervöse Ticks zu entwickeln. Es war schrecklich. Und dann wollte er mich nicht mehr. Nicht wegen meines Körpers, sondern verständlicherweise wegen meiner Verstocktheit. Die mochte er so wenig, dass er sich in den folgenden Tagen nicht einmal mehr für den wie sauer Bier angebotenen Sex erwärmen konnte (und da muss man sich meiner Erfahrung nach schon als besonders fieses Schrapnell in das Bewusstsein des anderen gebohrt haben, wenn der andere männlich ist). Es war eine Variante, die mir bis dato nicht untergekommen und deren Möglichkeit mir auch nie in den Sinn gekommen wäre: Dass mein dicker Körper beliebter sein könnte als der Rest. Es war eine fürchterliche Lektion, aber offenbar auch eine notwendige Erfahrung, Abweisung nicht aufs Fett schieben zu können, sondern zu realisieren, dass man es allein mit purer Persönlichkeit (oder vielmehr mit einem Mangel an Ebensolcher) komplett verbockt hat, als es einem wirklich, wirklich wichtig gewesen wäre. Es ist halt die Wahrheit: Du bist immer dann am besten, wenn’s dir eigentlich egal ist. Was total unfair und sinnlos ist. Und das Fett ist nicht das Problem. Womöglich stimmt, was Kate Harding ihren Leserinnen zuruft: Was man dick nicht auf die Reihe kriegt, würde man dünn auch nicht besser machen. Und fürs Seelenheil hätte es nun nicht einmal einen Zweck, alten Mustern entsprechend den Plan zu fassen, dünn und schön zu werden, nur um es ihm zu zeigen, denn etwas Dünnes würde er ja vermutlich gar nicht so dringend gezeigt bekommen wollen.


NH