Samstag, 4. Juli 2015

Follow me around 28: Graue Vorzeit



Wenn ich als Kind mal wieder mit aufgeschlagenen Knien am Garten der Nachbarin vorbei humpelte, einer echten Landpartie in Kittelschürze und grundsätzlich einer Plastikschüssel mit selbstgezogenem Gemüse im Arm, sagte sie immer: "Bis du heiratest, ist alles wieder gut." Das kann also noch alles etwas dauern.

Ich habe endlich Abzüge von alten Negativen machen lassen, die ich beim Äufräumen gefunden habe. Ich wusste, dass ich auf den Bildern bin, aber als ich sie dann in den Händen hielt, war ich mal wieder komplett erstaunt und verwirrt. Zunächst. Und dann war ich wieder verdammt wütend.

Die Bilder zeigen mich, so um die elf Jahre alt, auf einer im Garten improvisierten Wasserrutsche. Ich war immer groß und weit entwickelt für mein Alter. Andere Kinder holten mich erst ein paar Jahre später in der Pubertät so richtig ein. In den Köpfen meiner Eltern, meiner Umwelt und somit auch in meiner eigenen Gedankenwelt galt ich seit meinem dritten Lebensjahr als dick und damit für alle Beteiligten als dringend korrekturbedürftig.

Was ich heute auf den Bildern sehe, ist ein schöner, starker Körper mit langen Beinen, rundem Po und viel Spannung. Ich hätte eine Frau mit einem schönen, starken Körper und einem runden Po werden können, die sich gern bewegt, niemals hungert und keinen Anlass sieht, sich zu verstecken. Hätten sie mich einfach in Ruhe gelassen. Hätten sie mich nicht belogen und betrogen und gequält mit ihrem krankhaften Bestehen auf vermeintliche, körperliche "Normalität".

Obwohl ich bereits als Kleinkind Diäten gemacht habe, sieht es so aus, als ob ich mit elf durchaus noch eine Chance gehabt hätte, halbwegs unbeschadet aus der Sache rauszukommen. Wenn der Krieg gegen meinen Körper ab da aufgehört hätte. Hat er aber bekanntlich nicht. Und so wurde ich stattdessen nach jeder Diät immer runder, unsicherer und unglücklicher. Und übrigens auch unbeweglicher, denn wenn einem immer unterstellt wird, man sei unsportlich und faul (weil ja dick), dann fördert das nicht die Freude an Bewegung. Zwang und Vorwürfe machen traurig und verbreiten Stress. Nichts weiter.

Klar, ich wäre vermutlich nicht auf den Weg der Fettakzeptanz und des Fettaktivismus gelangt, aber was wäre mir alles erspart geblieben? Wie viel Selbsthass? Wie viel Scham? Wie viele Schwindelanfälle vor Hunger? Wie viele verpasste Chancen, weil ich mich und mein Fett so oft versteckt habe, und darum so selten zur rechten Zeit am rechten Ort war? Wie anders wäre mein Leben wohl verlaufen? Ich kann in letzter Zeit nicht mehr so recht aufhören, mir diese Frage zu stellen. Ich habe die Bitterkeit und schiere Empörung darüber schon öfter beschrieben. Sie wird aber mit der Zeit nicht kleiner, sondern nimmt zu. Ich frage mich nun, ob es je gut wird. Und wenn doch, dann wann endlich?



Räumungsverkauf



Ich hatte etwas Zeit auf dem Weg zum nächsten Termin, war gerade in der Gegend und dachte, "Ach, gehst du mal wieder zu Hagedorn". Davor hatte ich den Buchladen jahrelang nicht besucht, weil ich nicht mehr in der Nähe wohne. Wie sich herausstellte, kam ich gerade noch rechtzeitig, bevor der Buchladen meiner Kindheit und Schulzeit nach 40 Jahren geschlossen hat. Aus welchem Grund weiß ich nicht. Ich war so erschüttert, dass ich vergessen habe, zu fragen.

Stunden habe ich als Kind in der Bücherecke verbracht und mein Taschengeld dort für das ausgegeben, was ich mehr liebte als alles andere - Bücher. Weite Teile meiner Bilderbuchsammlung stammen von da. Ich war sechs, als ich mir dort selbst das erste "richtige Buch" gekauft habe (soll heißen ohne größere Buchstaben oder Handschrift für Leseanfänger). Aber nun ist Schluss. Wieder so ein Stück persönliche Geschichte weg. Und es wird einem ein wenig mulmig. Ist es wirklich schon so spät?

Mein erstes vom Taschengeld in der Bücherecke selbstgekauftes Buch - ich bin sicher, die Katze auf dem
Cover hat den Ausschlag gegeben. ; ) 
Noch eins der ersten "echten" Bücher, die ich mir selbst gekauft habe - da gab es offenbar  auch schon
immer eine Vorliebe für "Horror".
Der letzte Einkauf in der Bücherecke - trotzdem lauter Kinderbücher.

Die Suppe auslöffeln

Wie berichtet, bin ich nun wirklich beim "Meal Prepping", also beim strategischen Vorkochen angekommen. Die Küche wird so  nur einmal pro Woche chaotisch, wenn ich einen großen Pott vegane Gemüsesuppe koche, die für eine Woche reicht.

Was ich noch gelernt habe: Vegane Sour Cream und Vegannaise sind ok - tatsächlich besser, als ich gehofft hätte. Sojasahne und -milch gehen so.Veganer Käseersatz funktioniert für mich absolut nicht. Ich kann mich weder an den Geruch noch an die Konsistenz gewöhnen. Das bedeutet, ich müsste in Zukunft ohne Käse leben. Mist...


Männliche Anerkennung

Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, aber nun hatte auch ich in letzter Zeit Maskulisten-Besuch. Erst wenn die sich so richtig aufregen, weiß frau schließlich, sie ist auf dem richtigen Weg. Talk of male validation, huh? Wer wissen will, wie bescheuert die mich so finden und einen starken Magen hat - bitteschön.

Ich will nicht sagen, dass frau hier irgendwann über fast jede Art männlicher Aufmerksamkeit froh ist, aber seien wir ehrlich - der einzige "Sex on the Beach", den ich dieser Tage kriege, ist der von Penny.

My head is a jungle

Und ins Kino ist dann ob meines abwegigen Geschmackes wie bereits prognostiziert auch wieder keiner mitgekommen. Ich brauche jemanden, wie den Ewald meiner Nachbarin. Einen, der sich aus purer Liebe opfert. Denn ein Opfer wäre es wahrhaftig gewesen. Jurassic World hat wenig mehr zu bieten, als der Trailer bereits zeigt. Von der lächerlichen Continuity, die die Hauptdarstellerin immer wieder erst mit und dann nach dem nächsten Schnitt ohne hochhackige Schuhe auf der selben Hetzjagd durch den Dschungel rennen ließ, will ich gar nicht erst reden. Obwohl mich bei einer so teuren und massigen Produktion solche Basisfehler schon irgendwie ganz nervös und fassungslos machen. Aber ich ertrage auch keine schlechten, sinnlosen Geschichten mit unschlüssigen Übergängen mehr. Und was ich auch nicht ertrage, ist der ständige Hollywood-Backlash. Wir haben 2015, und in einem hochglänzenden Spielberg- Film für Kinder (wenn er am Ende auch haarsträubend brutal, komplett humorlos, langatmig und nervig ist) gibt es ganze vier weibliche Sprechrollen, von denen nur eine eine Hauptrolle (die Tante der zwei männlichen Kinder) ist, in einem wahren Heer von männlichen Darstellern. Am Ende hing ich nur noch gähnend im Sessel, nachdem mir das Popcorn ausgegangen war, und war schon fast zu schwach, um mich darüber zu ärgern, dass der Film auch noch Dicke basht. Weinerlicher Loser-Sicherheitsdienst-Mitarbeiter und Bösewicht - beide sind dicke Männer.

Komisch, dass mich ausgerechnet da dann die Sinnlosigkeit unserer Existenz überhaupt überfiel. Das tut sie immer wieder mal. Ich habe schon als Kind manchmal in den Himmel gesehen und kleine Panikattacken bekommen, weil mir siedend heiß klar wurde, dass ich nie wissen werde, was dahinter ist. Ich bin aus dem kalten Kino in die stickige Nacht gestolpert, und wusste nicht wohin mit mir.

Am Ende war es im Film übrigens der Mosasaurier, der alle gerettet hat. Mir gegenüber im Regal steht ein Mosasaurier-Zahn, den mir meine Mutter mal geschenkt hat, weil ich ja die Wassersaurier schon  immer am liebsten gemocht habe.

Vor ein paar Tagen habe ich von einer Übung gehört, die Menschen, die zu viel Kram horten, dabei helfen soll, zu bestimmen, welche von den Dingen, die sie besitzen ihnen wirklich am wichtigsten sind. Und ich habe sie auch gleich ausprobiert. Man soll sich vorstellen, das Haus brennt und man hat nur zwei Minuten, um ein paar Sachen zu retten. Für mich war die Sache klar: 1. Kater, 2. Transportkorb für Kater (der ist, das habe ich durch die Übung gelernt, im Notfall nicht gut genug erreichbar gewesen), 3. Handtasche und Telefon, 4. Jacke und Schuhe. Wenn ich dann noch Zeit hätte: Fotoalben, ein paar Bücher, ein Bild von der Wand. Wenn noch mehr Zeit wäre: eine ganz bestimmte Vase und vielleicht den Schmuck meiner Mutter. PENG. Plötzlich war es in meiner Vorstellung ganz leicht, auch den ganzen großen Rest meines Hausstandes zurückzulassen, den ich nach meinen vielen Aufräumaktionen noch besitze. Das Gefühl, dass ich mich immer leichter von Dingen trennen kann, macht mich sehr froh. Und erleichtert.


NH

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