Sonntag, 28. Dezember 2014

The Shit List

Now, is there anything else 

                                                   I can get you? 

     A killer blow to the face? 

                                                                                                                                                                       (Miranda Hart)                        

Jetzt wo Weihnachten und das ganze Besinnlichkeitsgedusel hinter uns liegen, kann ich's ja sagen: Ich halte die Vorstellung, Verzeihen sei der Schlüssel zum Seelenfrieden für ausgemachten Quatsch. Weil geplantes und isoliertes Verzeihen um des Verzeihens willen ohnehin nicht klappt. So wie Selbstliebe nicht einfach herbeigeredet oder -gewünscht werden kann. Denn davor schaltet sich das antagonistische Prinzip ein - und die Chancen stehen gut, dass man auf einen anderen niemals sauerer sein wird, als zu dem Zeitpunkt, zu dem man versucht, sich einzureden, man sei es nicht mehr.  So wie man niemals dringender Schokolade will, als zum Beginn einer Diät.

Ich stehe ja auf Rache.

Die meiste Zeit meines Lebens habe ich auf dem Land in Schleswig Holstein gelebt – an zwei verschiedenen Enden des selben Dorfes zu unterschiedlichen Zeiten. Zweimal wurden Katzen von mir dort von Jugendlichen eingefangen, gequält und beinahe getötet. Auch an beiden Enden, aber von Mitgliedern der selben Familie. Das kann auf dem Dorf ja leicht mal vorkommen. Einmal war es ein männlicher Teenager (Kater Anton kam mit zertrümmertem Kiefer und abgeschnittenen Krallen zurück nach Haus), viele Jahre später drei Schwestern in einer ähnlichen Altersklasse. Sie und ihre Freunde hatten bei einer Party offenbar versucht, Kasimir aufzuspießen, hatten aber letztendlich nur die Hautschichten am Rücken durchstochen. Auch er überlebte schwer verletzt. Und ja, ich denke manchmal, womöglich säße ich heute im Gefängnis, hätte ich nicht eine Mutter gehabt, die mich nach dem zweiten Vorfall zurückgehalten hat. Vielleicht aber auch nicht. Womöglich verfüge ich trotz all meiner lodernden Wut über eine im Notfall doch noch halbwegs funktionierende Schwelle, wenn es um Gewalt geht und leide nicht unter der gleichen kriminellen Entgrenztheit, wie die von einer Lehrerin in einem ökologischen Holzhaus großgezogene Brut aus der Hölle. Sonst hätte ich womöglich doch noch Gas gegeben, und wäre ihnen in die Kniekehlen gefahren, als sie, ein paar Tage nachdem sie meinen Kater fast umgebracht hatten, provokativ die Straße blockierten und langsam und ganz nah vor meiner Stoßstange hergeschlenderten. Sie fühlten sich sicher. Zu recht. Ich bin nun einmal für andere nicht lebensgefährlich. Was mich noch immer im Rückblick verblüfft, ist, wie sie eigentlich dazu kamen, anzunehmen, dass es ganz genau so sein würde. Wirklich wissen konnten sie doch eigentlich nicht, ob sie es am Ende nicht womöglich doch mit Ihresgleichen zu tun hatten - mit einer Psychopathin, die kurz den Rückwärtsgang einlegt, Anlauf nimmt und sie ins Jenseits oder zumindest für ziemlich lange Zeit ins Krankenhaus befördert. Weil sie schlicht denkt, sie darf das. Vielleicht waren sie einfach zu dumm, um Angst um ihre Unversehrtheit zu haben. Oder sie hatten einfach nicht besonders viel zu verlieren. Ich nehme an, es dürfte eine großzügige Mischung aus beidem gewesen sein.

Ich vergesse fast nie - über viele Dinge, die mir im Leben passiert sind, war ich bisher für immer wütend und empört und fassungslos. Aber nach dem Entrümpeln meiner Umgebung geht es nun in der Tat an das Entrümpeln im Innern. Und da türmt sich weiß Göttin der Unrat. Die Shit List an sich ist schon mal eine hübsche Übung, sich von negativen Gefühlen gegenüber Menschen und den Erfahrungen, die man mit ihnen gemacht hat, zu lösen. Man schreibt einfach alle auf - alle, alle, alle die man gern mit einem Mähdrescher überrollen würde. All jene, denen man wünscht, dass sie am nächsten Bissen, den sich runterschlucken, ersticken werden. Alle, denen man nicht eine Träne nachweinen würde, wenn sie im Schlund eines durch den Asphalt hervorbrechenden Monsterkrokodils verschwinden würden. Alle, denen man ihre höchstpersönliche Lawine oder Flutwelle herbeizaubern würde, wenn man es könnte. Wer besonders gründlich sein will, schreibt auch noch den Grund für die Wut oder Verachtung auf.

Meine Liste umfasst rund 80 Personen, Gruppen und Organisationen. Darunter findet sich z.B. jeder Vermieter, den ich in Deuschland je hatte. Oder der Hausmeister, der aus dem Fenster des Treppenhauses gegenüber spannte. Meine Schwester, die das Grab unseres Vaters aufgelöst hat, ohne Bescheid zu sagen. Ziemlich viele Ärzte und Ärztinnen diverser Krankenhäuser, die an der Behandlung meiner Mutter beteiligt waren. Meine ehemalige Bank. Alle, die mich jemals wegen meines Gewichtes herabgesetzt oder beleidigt haben. Freundinnen meiner Mutter, die sie nicht ein einziges Mal besucht haben, nachdem sie krank wurde. Die Jäger, die Molly erschossen haben. Eine ganz bestimmte Gynäkologin. Polizisten. Mitarbeiter von Stromversorgern. Versicherungsvertreter. Bauunternehmer. Und natürlich die bereits erwähnte abscheuliche Kinderschar aus der Nachbarschaft. UND SO WEITER. Ja, es ist eine sehr, sehr, sehr lange Liste. Aber wenn man schon einmal dabei ist, aufzuräumen, sind auch keine Grenzen gesetzt. Es ist egal, wie groß oder klein die Verletzung - die, an die man sich erinnert, haben Spuren hinterlassen, für die sie jetzt endlich bezahlen werden.

Natürlich symbolisch.

Denn im zweiten Teil jagt man sie dann allesamt in die Luft! Dazu bietet Silvester einen pragmatischen Rahmen, sowie einen perfekten Anlass. Erstens: Wenn es ohnehin überall knallt, fällt dieser Teil der persönlichen Reinigungsaktion nicht groß auf.  Wenn man nämlich so viel Rache zu üben hat, wie ich, wird die Sprengung ein wenig länger dauern. Zweitens: Man startet idealerweise um einige Tonnen Groll erleichtert und erfrischt ins neue Jahr.

Meine Shit List habe ich entsprechend auf schmalen Etiketten verfasst. Jedes Etikett kriegt sodann seinen eigenen Böller. Und ich kann es kaum erwarten, ein Streichholz dranzuhalten. ; )

Die Beschriftung der Etiketten ist mit Absicht unleserlich, aber ich denke, der Versuchsaufbau ist klar. ; )
Die Vorbereitungen erfolgten zunächst unter den wachsamen Augen eines Sprengstoffexperten,...
...dem das Ganze am Ende aber doch ohnehin total am A..., also am haarigen Luxuspo vorbeiging.

Mögen wir uns 2015 möglichst immer gleich, geistesgegenwärtiger und wirksamer wehren, damit die Listen gar nicht erst so lang werden.

EIN MUTIGES NEUES JAHR!


PS: Der Soundtrack zur Übung

NH

Freitag, 26. Dezember 2014

Outside

Sollte man einen ganzen Blog-Post darüber verfassen, dass man sich mit 43 noch immer oft so fühlt, wie das Vorschul-Ich, das meistens allein für sich spielte? Oder wie die Fünftklässlerin, die immer übrig blieb, wenn Mitschüler sich ein Team zum Völkerball auswählen sollten? Oder die 13-Jährige, die in der Klasse bei den Jungen saß, weil es bei den Mädchen für sie keinen Platz mehr gab? Oder die Nicola, die mit 16 auf dem Schulhof allein herumstand oder saß, weil sie nirgendwo dazu gehörte? Und sollte man wirklich darüber schreiben, dass man sich selten so einsam gefühlt hat, wie in den letzten Wochen und sich ein wenig fürchtet, dass sich das in diesem Leben einfach nicht mehr ändern wird?

„High-school doesn’t last forever.”* Oder doch?

Ich bin in der Schule und auch danach selten wegen meines Körpers direkt angegriffen oder gehänselt worden. Auch deshalb nicht, weil der dickgeglaubte Körper in bestimmten Phasen ja gar nicht so erheblich gegen gängige Normen verstieß. Aber durch das von der Welt quasi von Anfang an eingepflanzte „Bewusstsein“ in einem „anderen“ (im Zweifel minderwertigen) Körper zu existieren, hat mich mit Sicherheit einerseits verunsichert, eingeschüchtert und gleichzeitig ein Selbstbild zementiert, das schlicht und ergreifend auch „anders“ ist. Der Grad der Selbstliebe schwankte Zeit meines Lebens heftig und war oft im Keller. Und wenn man sich häufig wünscht, unsichtbar zu sein – wer weiß, am Ende klappt das doch mit der Tarnkappe. Und dann ist es am Ende schwer, sie wieder abzusetzen. Davon kann ich bekanntlich ein Lied singen. ; )

So passte ich selten ins Bild. Oder war schlicht nicht drin. Und fühlte mich meistens wie im falschen Film. Das war übrigens auch als Austauschschülerin in Laconia, New Hampshire nicht anders. Irgendwann im Verlauf meiner Teenagerzeit sagte mir eine Mitschülerin kopfschüttelnd, dass ich „echt beliebt“ sein könnte, würde ich es „nur wollen“. Und ein paarmal standen wahrhaftig gleich mehrere der „populären“ Jungs ernsthaft auf mich – das wäre unter Umständen mein Schlüssel gewesen, endlich dazu zu gehören, aber im Ergreifen von Chancen, die auf der Validierung durch männliches Interesse basieren, war ich immer schon denkbar schlecht. Und schlicht nicht interessiert.

Wollte ich also gar nicht mitspielen?

Ich war vermutlich nicht nur schüchtern und zurückhaltend. Ich war auch (immer schon) biestig. Hat ja keinen Sinn, so zu tun, als würde es nicht stimmen. Ich bin überempfindlich, ich kann das Denken und Hinterfragen nicht lassen, ich sehe und höre ständig zu viel. Ich habe Meinungen und ein Gebirge von Prinzipien (das zumindest verdanke ich teilweise meinen Eltern). Ich neige schon immer zu Sarkasmus/Zynismus. Vermutlich bin ich oft überkritisch. Und ja: Ich kann verdammt hochnäsig sein und bin leicht gelangweilt und genervt. Ich bin meistens höflich, aber nicht immer nett. Es fällt mir schwer, Begeisterung zu spielen, also tue ich es in der Regel auch nicht. Wenn ich welche äußere, ist sie daher allerdings meistens echt. Egozentrisch bin ich selbstverständlich auch. Ich habe nicht immerzu darunter gelitten, allein zu spielen. Ich habe es auch oft bevorzugt. Und ich kann mir heute noch immer anfangs ganz schlecht Namen merken. Dafür vergesse ich sie oft rasend schnell wieder, nachdem ich sie mal gelernt habe. Beim Verfassen meiner Shit List habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass ich die Namen der letzten schiefgegangenen Liebhaber der letzten Monate schon gar nicht mehr weiß. Dafür vergesse ich die Geschichten von Menschen nicht, selbst dann nicht, wenn es mir eigentlich viel lieber wäre. Natürlich spüren andere die Distanziertheit, die nur bedingt frei gewählt ist. Sie macht die spontane Interaktion mit mir offenbar mitunter schwierig und vielleicht ja auch unattraktiv – im wahren, sowie im virtuellen Leben. Allein die Zahl der Kommentare auf diesem Blog in Relation zu den Besuchern der Seite ist ein klarer Hinweis auf diesen Umstand. ; ) Nun gibt es aber natürlich genug Menschen, die egoistisch und schwierig sind,  und trotzdem immer genug andere finden, die das bereitwillig aushalten, zurückstecken und stützen. Und im Zweifel auch noch beim Umzug Möbel schleppen. Wie machen die das bloß?

Help wanted

Ein grandioser alter Herr namens Mr. Piette, der sich als Rentner der Förderung der Völkerverständigung verschrieben hatte und vor 26 Jahren für mich und andere Austauschschüler in der Gegend Ansprechpartner war, sagte mir mit sorgenvoller Miene etwas, das ich auch nie vergessen habe: „Du hast einen sehr strengen Ehrenkodex. Du machst es Menschen schwer, etwas für dich zu tun.“

 „Du willst ja immer keine Hilfe“, hab ich im Leben auch oft zu hören bekommen. Tue ich doch! Ich würde schon Hilfe wollen. Aber halt nicht unbedingt bei Dingen, die ich selber ganz gut kann oder schon weiß. Wozu soll das gut sein? Natürlich ist das nun aber auch genau die Haltung, die einen gerade bei Männerbekanntschaften immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Ich kann es nur immer wieder sagen – ich würde jederzeit und liebend gern den ganzen schwierigen Kram in starke Hände legen. Nur war der schwierige Kram den meisten, die in letzter Zeit vorbeigekommen sind, auch…, nun ja, zu schwer. In Ihrem Satire-Programm „Männer brauchen Grenzen“ zitiert Tina Teubner Adorno: „Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“ Das wäre natürlich auch was: Einer, der einfach da ist.

Warum diese Betrachtungen überhaupt? Hab‘ ich doch gesagt: Weil ich mich verdammt allein fühle. So sehr, wie sonst nie. Wahrscheinlich war ich genau genommen auch noch nie so allein wie heute. Eine gute Hand voll Freundinnen ist mir im fast abgelaufenen Jahr abhanden gekommen. Und viel mehr hatte ich nicht. In einigen Fällen habe ich das Ende bewusst selbst herbeigeführt – durch ein Abstellen der Höflichkeit und eine klare Abgrenzung meinerseits. War ich halt einfach mal so, wie ich wirklich bin. Das hat so manche Verbindung nicht ausgehalten. Bei anderen musste man halt erkennen, dass sie von Konkurrenz geprägt und damit ohnehin toxisch waren. Wieder andere sind halt einfach zu Staub zerfallen. Ich bin dankbar für die, die noch da sind. Und ich freue mich, dass ich auch neue Bekannte im Cyberspace gefunden habe. Aber ich bräuchte noch viel mehr Menschen. Ich bräuchte mehr Plätze, an die ich gehöre. Also, wie finde ich jetzt, im fortgeschrittenen Alter von 43 endlich meine Leute? Das wäre also noch ein Ziel fürs kommende Jahr.

NH


*Durchhalteparole für Schüler, die in der High School unter der Popularitätshackordnung oder gar Mobbing leiden.

Samstag, 6. Dezember 2014

Follow me around 12: Geisterstunde

Im Zuge des Aussortierens und Aufräumens stieß ich dann noch auf diese Notiz, die ich am 12.08.2014 um ca. ein Uhr nachts aufgeregt auf einen Block gekritzelt habe:

"3x! Plötzlicher Schatten bewegt sich am Bücheregal vorbei. So weit oben wirft die Katze keinen Schatten. Eine Motte im Licht wäre ein hektischer Schatten. Das hier war ein gleitender, runder Schatten! Was war das?"

Ich weiß, dass der Vorbesitzer meiner Wohnung ein freundlicher, gebildeter und engagierter alter Herr mit Geschmack (Danke noch einmal für Parkett und Fliesen) war, der Nachbarn half und Sachen für die Eigentümergemeinschaft in die Hand nahm. Außerdem verbrachte er den Winter offenbar regelmäßig im Süden, und fror grundsätzlich nicht gern. Seine Sauna musste allerdings bei mir einer Abstellkammer weichen. Ich weiß auch, dass er offenbar im Flur der Wohnung verstorben ist. Das hat mir nie große Sorgen gemacht, denn wenn tote Menschen eine Energie hinterlassen, dann war seine immer freundlich-neutral.

Netz und doppelter Boden

Ich erinnere mich allerdings auch, dass ich in der Nacht damals überall in der Wohnung die Lichter angelassen habe. Nichts würde mich mehr erfreuen, als der Beweis, dass es Geister gibt. Außer vielleicht die Entdeckung eines Plesiosauriers im nahe gelegenen Tonteich. (Zur Erinnerung: I WANT TO believe. Allein mir fehlt der Glaube.) Aber natürlich gruselt mich die Vorstellung auch. 

So wie es mich in den letzten Tagen vor der Stille gefürchtet habe, die jedesmal eintrat, wenn es zufällig kein Geplapper von YouTube/einer DVD gab. Manchmal ist es noch gruseliger, von allen guten Geistern verlassen zu sein, als Schatten durch den Flur wandern zu sehen. Und ein wenig vor mich hingeweint habe ich zuletzt auch. Aus Einsamkeit und wohl wissend/begreifend, dass es niemanden gibt, der so richtig für mich zuständig ist bzw. es sein will. 

Solange man auf den eigenen zwei Beinen unablässig aufgeregt in der Welt herumläuft, weil man es kann, merkt man es nicht. Wenn man dann aber plötzlich länger als die eine geplante Nacht im Krankenhaus bleiben muss, und niemanden hat, der sich um den Kater kümmert, dann erinnert man sich, dass man im Guten wie im Schlechten eine One-Woman-Show ist. (Der Göttin sei Dank für die Damen von Kittys Haustierservice, dem A-Team für Katzennotfälle, die Corbinian dann ganz schnell und ganz großartig versorgt haben.) 

Überhaupt war es eine bescheuerte und ausgesprochen uninformierte Idee, den Nabelbruch ausgerechnet jetzt richten und mir ein Netz in den Bauch einsetzen zu lassen. Das ist keine kleine Sache, von der man sich mal schnell übers Wochenende erholt! Es ist eine höllisch schmerzhafte Angelegenheit, mit 8 Einstichstellen rund um den Bauch, in deren Nachspiel so mancher offenbar für bis zu vier Wochen krank geschrieben wird. Der Herr Professor und ich hatten denn auch während der abschließenden Ultraschalluntersuchung ein mittelschweres verbales Gerangel, bei dem er behauptete, all das hätte er mir vorher auch haarklein erklärt. Hatte er natürlich nicht. Nie im Leben hätte ich mit den aktuellen Stapeln auf meinem Schreibtisch im Hinterkopf einer Prozedur zugestimmt, die mich unter Umständen für einen Monat außer Gefecht hätte setzen können. Und wenn er auch nur noch eine einzige fettphobische Spitze mehr in meine Richtung geschickt hätte ("da ist erst mal die ganze Speckschicht, und da sind die Muskeln, aber da ist natürlich nicht viel zu sehen") wär er jetzt vielleicht auch krank geschrieben.

Nein, ich bin nicht froh. Auch weil die Schmerz-Situation sich seit einigen Tagen nicht mehr so richtig zu entwickeln scheint, bzw. weil es so viele Rückschläge gibt. Und ich kann mir nicht helfen - ich habe Angst vor dem Fremdkörper und davor, als chronische Schmerzpatientin zu enden. 

Eine Krankenschwester erklärte mir, dass man im Verlauf der Operation ja "aufgepumpt" wird, und dass das Gas regelmäßig viel Kummer bereitet, bis es sich endlich wieder aus dem Körper verabschiedet hat. Das kann offenbar dauern. Bis dahin wabert es hin und her und drückt. Ich bin also möglicherweise voll mit heißer, verkanteter Luft, die nicht die Kurve kriegt. Wer hätte das gedacht...ist ja fast wie in meinem Kopf. ; )

Die Küche

Wie sich beim Ausräumen des Kühlschrankes ebenfalls herausstellte, besitze ich noch drei Liter Buttermilch mit Melonengeschmack. Irgendwann am Jahresanfang 2014 gekauft, aber Milch dieser Art hält ja heutzutage länger als man selbst. Und verdammt - die werde ich auch noch austrinken, ob es aus kohlenhydrattechnischen Gründen gestattet ist, oder nicht. 

Mit dem Anbrennen läuft es ein wenig besser, seit ich mich daran gewöhnt habe, einen Timer zu stellen. Und ja - es gibt oft pochierten Lachs mit Salatgurke. Da kann ohnehin nicht so viel schief gehen. 

Nachdem ich nun mein äußerst erfolgreiches Programm, nur noch intuitiv und ohne ständige Nahrungspolizei im Kopf zu essen, wieder abbrechen musste, um meinen Zuckerwert in den Griff zu bekommen, ist mir das Essen in der Folge fast ein wenig vergangen. Mit dem Ergebnis, dass ich in absehbarer Zeit mal wieder ein UHU (unter einhundert kg) sein werde. Freude kommt da keine auf. Ich meine es so, wie ich es sage: Ich hätte lieber weiter angstfrei gegessen und mich weiterhin mit mit meinem Fett bekannt gemacht und angefreundet.

Das ist die Frage

Der Fragebogen am Jahresende - er ist mittlerweile Tradition, seit ich ihn für den Rückblick 2011 von Shushan übernommen und seitdem immer mal wieder ein wenig verändert habe. Im letzten Jahr, sah die Sache noch so aus.

1. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie war Dein Jahr? 5 (Das ist um 2 Punkte schlechter als 2013 und ist einem ganzen Strauß an Widrigkeiten geschuldet.) 

2. Zugenommen oder abgenommen? Abgenommen (ca. 14 kg).

3. Haare länger oder kürzer? Länger. Ich mach damit ja jetzt auch einfach nichts mehr, bzw. komme nicht einmal dazu, einen Gedanken an meine Haare zu verschwenden. Es gibt Tage, da renne ich aus dem Haus, ohne auch nur einen Blick in den Spiegel geworfen zu haben. Manchmal bin ich dann abends bei der Gesichtswäsche erstaunt, was ich da finde und frage mich, wie lange das da wohl schon klebt oder wächst. ; )

4. Mehr Kohle oder weniger? Am Ende wohl doch mehr.

5. Besseren Job oder schlechteren? Gleich.

6. Was war der schlechteste Film, den du 2014 gesehen hast? Wrong Turn 5. Die Tatsache, dass das Final Girl hier ausgehebelt wird und nicht mehr siegreich überlebt, wie es die Tradition eigentlich verlangt, fand ich erschreckend und perfide. Es ist ein fürchterlicher Film, bei dem einem der Spaß am Horror wirklich vergeht. 

7. Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was? Nichts, nichts, nichts. ; ).

8. Mehr bewegt oder weniger? Weniger. Mehr Zeit auf dem Bürostuhl. Seeehr viel weniger Sex.

9. Die gefährlichste Unternehmung: Es gab keine. Das müsste sich im kommenden Jahr eigentlich wieder ändern.

10. Die teuerste Anschaffung: Es gab keine herausstechend teuren Anschaffungen mehr. Sollte ja ohnehin eher alles weg als neu hinzu. Die Licht-Enthaarungsmaschine vom letzten Jahr habe ich übrigens noch immer nicht in Betrieb genommen.

11. Das beste Essen: Garnelen. Mal wieder. Diesmal beim Chinesen um die Ecke. Dort war ich seit Jahren nicht, aber die Garnelen süß-sauer sind dort seit meiner Kindheit noch immer die besten, die ich kenne.

12. Das schönste Geschenk: Eine Reise nach Wien. : )

14. Die meiste Zeit verbracht wo? Vermutlich wieder am Schreibtisch. Oder im Auto.

15. Die größte Überraschung: Eine organisierte Wohnung, in der fast alles einen festen Platz hat, den man leicht erreichen kann, macht das Leben sehr viel besser, als ich es tatsächlich für möglich gehalten hätte. Es ist also nicht nur das Aussortieren. Es zählen auch das Sortieren und Anordnen der Dinge, die bleiben.

16. Die besten Investitionen: Eine gelbe Vase. Und eine Hotelbuchung.




17. Die wichtigste Erkenntnis: "Für alles einen Platz, und alles an seinem Platz" funktioniert. 

18. Was machst du zu Weihnachten? Ich schnipple die Zutaten für den Kartoffelsalat klein und schaue mir dabei Astrid Lindgrens "Michel" an. Wie jedes Jahr. Und ich werde schlafen, schlafen, schlafen.

19. Was wünschst du dir für das kommende Jahr? Liebe. Liebe. Liebe. Und noch viel mehr Geld. ; )

20. Und was jetzt? Jetzt versuche ich endlich mal wieder, ein Manuskript zu verkaufen. Außerdem habe ich ja schon so lange vor, versuchsweise einmal zu vloggen...

NH

Freitag, 5. Dezember 2014

Follow me around 11: Unboxing

Im Zuge meines Organisierungs- und Aussortierungs-/Trennungsprojekts habe ich nun die Kiste geöffnet, in der ich die übrig gebliebenen Kosmetika meiner Mutter bis heute aufgehoben habe. Nein, gefilmt habe ich das "Unboxing" nicht, obwohl es ja angedacht war. Mir ist bewusst, dass das Aufbewahren von Hustenbonbons und benutzter Seife einen morbiden Hauch mit sich trägt. Aber es war meine Art, zu trauern. Bis jetzt, denn heute ist es Zeit für die meisten der Gegenstände zu gehen. Weil ich bekanntlich so viel Platz brauche, wie ich mir nur erkämpfen kann - gedanklich und natürlich räumlich. Dass hier eine ganz klare Verbindung besteht, war mir ja schon immer klar. Aber erst jetzt lichtet es sich um mich herum so deutlich, dass ich den Effekt anhaltender Ordnung und Klarheit der Dinge zum ersten Mal so richtig zu spüren beginne. Und dabei bin ich noch lange nicht fertig damit, meine Vergangenheit zu bändigen und zusätzlich die täglichen Material- und Informationsschlachten zu koordinieren. Ich kann es gar nicht erwarten, zu erfahren, wie viel leichter das Leben dann wohl erst sein wird.

Was nun die Kosmetik-Box meiner Mutter angeht, so treffen keine der folgenden Kriterien, die einem eigentlich dabei helfen sollen, zu entscheiden, ob man etwas wegschmeißt oder nicht, auf ihren Inhalt zu: 1. Benutzt du es? 2. Brauchst du es? 3. Liebst du es? Ich benutze und liebe nichts aus der Box. (vielleicht mit Ausnahme des Lippenstiftes und des Lavendelwassers). Trotzdem habe ich nicht alles weggeworfen.Vielleicht könnte man am ehesten sagen, ich brauche den kleinen Rest einfach wirklich noch, um mich weiter zu verabschieden. Wie gesagt, ich bin ja noch längst nicht fertig...

Ist noch geblieben: die letzte Flasche des Eau de Toilettes. Meine Mutter war wie ich - 
sie wechselte selten im Leben den Duft.
Die Puderdose aus der Handtasche.Estee Lauder und nachfüllbar.
Uralter Lippenstift - und wenn ich "uralt" sage, dann  meine ich ca. aus den 60er Jahren. Von Revlon. Auch nachfüllbar. Ein Beweis, dass das Festhalten von Gegenständen in der Familie liegt.
Eine Cremedose von Avon - vermutlich auch aus den 60ern. Ich habe als Kind damit gespielt. Früher war mal eine Parfum-Creme drin - mit dem Namen "RAPTURE".
Lavendelwasser - ein Erbstück von meiner Großmutter. Ich habe mich nicht getraut, es zu öffnen.
Nagelschere - noch ein Erbstück von der Mutter meiner Mutter, war aber durchaus noch lange in Gebrauch in unserem Haushalt.
Lippenstifte - mit charakteristischen Abnutzungsformen.
Meine Mutter hatte (fast) immer rote Fußnägel.
Und ja - ihre Loyalität Dingen gegenüber war mitunter fast unendlich. Diese Klammern kamen in den letzten Jahren jeden Morgen beim Föhnen zum Einsatz.
Der Kamm.
Die letzte Dose Nivea.

Schlussendlich: Die kleine Box bleibt. Alles, was in der großen ist, geht.












NH

© Candybeach.com 2014

Sonntag, 16. November 2014

Follow me around 10: Verschlüsselt


Das hier wird am Ende womöglich ein echter Tagebucheintrag. 

Vor Kurzem hat mir jemand gesagt, dass ich der Typ Frau bin, der doch garantiert ein Tagebuch führt. Ich habe vergessen zu fragen, was das wohl für ein Frauentyp ist, aber recht hatte derjenige zufällig trotzdem.

Das ist natürlich nicht wirklich ein Geheimnis - schließlich hat dieses Blog mal als "Diät-Tagebuch" begonnen. Überhaupt war ich immer sehr gründlich in der Archivierung meiner persönlichen Geschichte und Befindlichkeiten. Und das seit 1984. Da war ich zwölf, schwer verliebt in John Taylor von Duran Duran und wurde am 31.Oktober Vegetarierin (das sollte für die nächsten 12 Jahre so bleiben). Ich machte Diät, hatte oft Kopfweh und Zukunftsängste und arbeitete unablässig daran, ein besseres Ich zu werden. Auch dazu dienten die Aufzeichnungen - zur ständigen Selbstüberprüfung. Außerdem sprach ich mit meinem Tagebuch in der ersten Person. Es war ein "Du".

Im Laufe der Jahre kamen zum Haupttagebuch dann sogar noch andere Bände hinzu, um bestimmte Unterkategorien abzudecken - Ernährungstagebücher, Bücher mit Tageszielen und Tagesbewertungen und vor zwei Jahren ein Online-Dating-Tagebuch, das mittlerweile, wie bereits berichtet, schon wieder im Ruhestand und halbleer ist. Außerdem habe ich seit 2000 ein "Freubuch", gebunden in rosa Wildseide, in dem nicht der Alltag sondern nur herausragend gute und glückbringende Ereignisse festgehalten werden sollten. Bisher enthält das Buch zwanzig Einträge, davon sind sieben aus dem Jahr 2013.

Inzwischen fülle ich mein vierzigstes Tagebuch. Allerdings nicht mehr sehr regelmäßig. Der letzte Eintrag ist vom 16. Juni. Das Bedürfnis der ständigen Selbstbespiegelung sinkt offenbar, obwohl es sicher noch immer ziemlich ausgeprägt ist.

Es gab Zeiten, in denen habe ich buchstäblich um mein Leben geschrieben. Um eine minimale innere Ordnung zu erhalten und sich tatsächlich an irgendetwas festzuhalten - und wenn es ein Füller war. Heute rettet mich das Schreiben nicht mehr so zuverlässig. Manchmal strengt es mich regelrecht an, einen Stift zu halten, dann wieder macht mir die Alltagsanalyse eher Angst oder Kopfzerbrechen, als dass sie mich beruhigt.

Tagebuchseite - Mittneunziger

Liebes Tagebuch,

ich wünsche mir, dass mir etwas einfach Wunderbares passiert. Etwas Kühnes, Großes und Wildes. Wie ein freundliches Gewitter. Etwas, das ich selbst nicht ausdenken könnte und dann kaum glauben kann. Und am besten gleich.

Gute Nacht
Nicki

Freubuch in Pink zwischen Tagebuch Nr. 1 (grün) und Nr. 40.

NH

Dienstag, 4. November 2014

Das Leben der A/anderen

Anton als Kätzchen im Hopfen, 1984.

Im dem Prozess, mich von Dingen in meinem Haushalt zu trennen, um mehr Luft und Leichtigkeit und Organisation zu ermöglichen, habe ich natürlich auch Schätze gefunden - Bilder über Bilder aus meinem Leben. Und dem Leben meiner Familie vor mir. Naturgemäß sind meine Eltern bevor sie meine Eltern wurden, Fremde. Die Tatsache, dass sie auch vor mir existiert haben, ist irgendwie immer ein wenig überraschend. Außerdem hatte mein Vater, wie wohl noch die meisten Väter von Kindern meiner Generation ohnehin ein geheimes Leben, weit weg von Frau und Kind. Von meinen Großeltern habe ich sogar niemanden kennengelernt. Viele der Bilder hatte ich zum ersten Mal in der Hand und vor Augen.

Aber auch bei der Durchsicht der Kisten mit aktuelleren Fotos habe ich mich oft gefragt: Wessen Leben ist das eigentlich? Die Bilder erzählen eine Geschichte über mich und meine Eltern, an die ich mich so kaum erinnere. Sie zeigen das Leben einer Anderen. Ein Leben, das sehr viel friedlicher wirkt, als es war. Oder scheinen die Ambivalenzen durch? Das ganze komplexe, oft selbstgemachte Unglück? Die störrische Exzentrik, die ich heute mehr zu schätzen weiß und vermutlich in weiten Teilen gar geerbt habe, aber die Kindern das Aufwachsen wahrhaftig keinesfalls erleichtert?

Ich habe mich ein wenig als Kuratorin betätigt, und dabei ist eine Art Familienalbum mit doppeltem Boden entstanden. Aber es ist auch eine Art Abschluss. So etwas wie "coming to terms". Nun kenne ich zumindest jede Fotografie, die in meiner Wohnung wohnt. Und ja...schon immer so viel Gelb...

NH
Die Mutter meiner Mutter. Ich habe meinen zweiten Vornamen von ihr: Elisabeth.
Garten.
Ich in gelber Wanne.
Ich in gelber Latzhose, ca. 11 Jahre
Mein Vater und ich - irgendwo in Italien.
Mein Vater und ich - beide überrascht voneinander.
Mein Vater als junger Reporter - und fremde Kulturen.
Mein Vater in der berliner Unterwelt, ca. 50er Jahre.
Mein Vater und Helmut Kohl - bizarre Überschneidung.
Sport war nie so sein Ding.
Mein Vater und ein Affe.
Hochzeitsbild, 1971
Ich mit ca. 3 Jahren und auf einer Reise.
Ich.
Gelbes Handtuch auf Sylt.
Ich im Schnee. Und in Gelb. Ca. 4 Jahre alt.
Elisabeths Beine.
Meine Mutter als Mittdreißigerin.
Meine Mutter geht in die Luft. Als Mittfünfzigerin.
Meine Mutter vorne rechts. Ja, sie liebte Schulausflüge ganz genauso sehr wie ich später.
Meine Mutter, Sylt, ca. Anfang zwanzig.
Meine Mutter und ich - Herbstspaziergang.
Meine Mutter als Mittsechzigerin.
Mein Vater mit seinem Vater.
Meine Eltern, Portugal, 1980.
Die Mutter meines Vaters mit Katze. Von ihr habe ich meinen dritten Vornamen: Meta.
Harry am Rednerpult.
Pietzke auf gelbem Kissen.
Ich mit südlichem Streuner, 1980.
Pünktchen.
Pünktchen und Anton. Die Kissenbezüge habe ich noch.
Ursula am Strand.
Winter in der Feldmark hinterm Haus.


© Nicola Hinz 2014