Montag, 16. September 2013

Zimmer 8309 - revisited

 
Die erste Lektion nach der Sommerpause war, wie angekündigt, sich wieder anzuziehen, nachdem sich auszuziehen offenbar keine allzu große Herausforderung mehr darstellte. Und zwar sich so anzuziehen, dass man trotzdem genau erkennen kann, was für eine Fülle darunter ist.

Fatshion ist ein großartiges Konzept. Und ein riesiger Anspruch an ihre Akteurinnen. Dicke Körper im Alltag durch Kleidung noch auffälliger zu machen und sich als dicke Person so bewusst herzuzeigen, um die Sehgewohnheiten und Beurteilungsmechanismen einer in weiten Teilen fettphobischen Umwelt herauszufordern, ist logisch, bestimmt wirksam und kann hochkreativer Aktivismus sein. Shapewear hingegen wäre feige. Aber das bin ich auch. Feige und unsicher. Und meine VBO (Visible Belly Outline) ist noch immer nicht wirklich meine Freundin. Genauso wenig wie meine nackten Knie. Bei beiden bin ich immer wieder erstaunt und tatsächlich ein wenig verstört, wenn ich sie wirklich genau betrachte und mir dann vorstelle, mit ihnen als körperpolitische Eine-Frau-Demonstration auf die Straße zu marschieren - und wie sie dabei munter vorneweg laufen, ohne zumindest brav in Form gepresst worden zu sein. Es hilft nichts - ich muss es mir eingestehen: gefühlsmäßig bin ich beim Gang zur Arbeit noch immer eine Baucheinzieherin.

Dabei ist der sich abzeichnende Bauch ein Symbol der Fettakzeptanzbewegung, auf dessen Bedeutung ich abermals durch das Blog der fabelhaften Rachele* aufmerksam gemacht wurde. In ihrer Schilderung, wie sie lernte, ihre VBO schön zu finden, beschreibt sie eine ähnliche Reihenfolge - auch sie hat zuerst mit ihrem nackten Bauch Frieden geschlossen. Sie berichtet außerdem, dass es für ihre spezifische Bauchform mittlerweile einen eigentlich herabsetzenden Begriff gibt, den sie aber für sich erobert und angenommen hat: gunt. Ihr Bauch (gut) hängt ein wenig, so dass er ihre Vagina (cunt) verdeckt. Das tut mein Bauch nicht, aber ich habe einen ziemlich fleischigen Venushügel (pussy pouch), der hervorsteht und sich in engen Kleidern natürlich abzeichnet. Ich sage "natürlich", als hätte ich mit meinem Pussy Pouch gerechnet. Als hätte ich ihn in mein neues Bekleidungskonzept fest eingeplant. Hatte ich aber nicht. Ich wusste, dass er da ist. Ich hatte nur nicht verinnerlicht, dass er immer da ist. Es ist eine Sache, der Welt endlich wieder seinen Busen entgegenzustrecken - mit dem Unterleib, egal wie gern man ihn auch hat, bedarf das Ganze scheinbar doch noch ein wenig mehr Überlegung.

Zurück zum Bauch: Meiner ist dick (klar!) und dazu weiß, gestreift, weich, ein wenig klumpig und birnenförmig. Er besteht aus einer einzigen kugeligen Masse - will sagen, er hat keine Ringe. Dafür hat er eine Art Saum, der wie ein breites Lächeln von der einen Hüfte zur anderen verläuft und mündet in eine leichte Fettschürze, die auf meinem Pussy Pouch aufliegt, wenn ich mich bücke oder sitze. Mein Bauchnabel befindet sich in der Mitte, aber seine Mundwinkel zeigen nach unten, wenn ich stehe. Ich mag meinen Bauch. Wirklich. Unter Stoff jedoch sieht man nur noch so etwas wie wogende Unregelmäßigkeit. Der Bauch verliert sozusagen an Persönlichkeit und Profil, wenn er in (enganliegende) Kleidung verpackt wird. Was für ein Dilemma... ; )

Aber ich werde es vermutlich lösen. Irgendwie. Und plane nunmehr eine Reihe von guten, alten OOTDs (Outfit of the Day), die ja das Kerngeschäft fast jedes Modeblogs sind, sich aber in diesem Falle auch als Übung in Selbstbehauptung und Selbstakzeptanz eignen dürften. Von Disziplin ganz zu schweigen.

Der Versuchsaufbau ist wie folgt: Die Kleidung darf nicht verhüllen, sondern muss hervorheben. Röcke sind besser als Hosen (weil ich seit Jahren keine Röcke getragen habe, der Beine wegen). Farben sind besser als Schwarz. Genau genommen wären allerdings Outfits am besten, die auch an einer schlanken Person auffallen würden - nicht unbedingt durch Geschmacklosigkeit, aber durch Kühnheit oder Originalität...oder so. Kurz: Ich sollte mich vermutlich flugs auf die Suche nach meiner verschütteten inneren Carrie Bradshaw begeben.

Und das Ganze muss dann natürlich nach oder vor dem Foto auf die Straße befördert werden. Und damit meine ich zumindest die Straßen der Stadt Hamburg und keinen Gang bis zum Gartenzaun. Puh...wünscht mir Glück.


*Rachele scheint leider zumindest vorübergehend ihre Aktivitäten als Bloggerin eingestellt zu haben - zum Glück ist sie aber noch recht aktiv bei Tumblr.


NH



 



© Nicola Hinz 2013

7 Kommentare:

  1. Ich wünschte, ich könnte so offensiv mit meinem Körper umgehen, vielleicht irgendwann, ich arbeite ja daran.

    Aber die Schuhe, so toll sie auch aussehen, ne da würd ich umkippen :D

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  2. Ich wünschte ja auch, ich könnte alltags so offensiv sein sein ; ) - es klappt ja bis jetzt halt auch nicht so richtig. Aber: Schritt für Schritt...

    Liebe Grüße
    Nicola

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  3. Liebe Nicola,

    spannend und intensiv, deine Entwicklung mit zu verfolgen ! Ich werd auch dauernd auf mich selbst zurückgeworfen beim Lesen.

    Vielen Dank dafür!

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  4. Hallo Andrea,

    herzlichen Dank für deine Nachricht - das ermuntert, das hier fortzuführen!

    Liebe Grüße
    Nicola

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  5. Hi Nicola!

    Danke für deinen Blogeintrag. Wir "kennen" uns übrigens, ich bin Julia von Kirschblütenprinzessin. Ich habe einen neuen Blog erstellt, weil ich ein halbes Jahr lang so beschäftigt war, dass ich nicht wirklich zu etwas kam und der Blog über meinen echten Namen lief und da hat man dann so viele Bilder gefunden. Das wollte ich nicht, dass die mit meinem echten Namen in Verbindung stehen. Jedenfalls heiße ich jetzt einfach Sophie (ist mein Zweitname) und meinen Blog woltle ich ursprünglich auch Flyosophie nennen, nur hab ich mir da ein bisschen reinreden lassen und jetzt gemerkt, dass nicht so gut war. So gefällts mir besser. Ich wollte übrigens noch deinen kritischen Artikel beherzigen, den du - ich glaube im März, ohjee - geschrieben hattest. Das hab ich nicht vergessen! =D Jedenfalls wird mein Blog weiterhin etwas mit Mode zu tun haben und da ich vieles posten werde, das mir gefällt vielleicht ein bisschen kitschig bleiben, aber so bin ich eben. Jedoch möchte ich kritischer sein, und versuche vieles zu hinterfragen und vielleicht werde ich noch zu anderen Blogthemen inspiriert. Meine Intention ist, zu zeigen, dass "girly" nicht gleich "oberflächlich" und "naiv" bedeuten muss. Mal sehen, was daraus wird. ;)
    Danke übrigens für deine Denkanstöße in allen Dingen. Ich finde es auch überaus mutig, wie du mit deinem Körper umgehst. Bzw. du versuchst ja noch, dich so zu akzeptieren, wie du bist. Und das ist das beste was man machen kann. Ich fühle mich auch oft zu fett, in der Pupertät habe ich sogar im Sommer bei 30 Grad ein Jäckchen getragen, weil ich meine Arme zu fett fand. Obwohl ich nie übergewichtig war, aber dachte ich müsste ein Hungerhaken sein, der ich wiederum auch noch nie war. Naja, deshalb, denke ich, würde so eine Anti-Dürr-Bewegung viele wachrütteln. Ich glaube nämlich, in puncto Figur haben viele ihre Meinung aufgrund einer Gehirnwäsche.

    Liebe Grüße, Sophie (alias Julia)

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  6. Hallo Nicola,

    tolles Outfit! Ich finde es ganz furchtbar, wenn dicke Menschen versuchen, sich mit hässlichen Schlabberklamotten unsichtbar zu machen. Und mit eingezogenen Schultern unglücklich durch die Gegend schlurfen. Alte Shirts und schlecht sitzende Hosen wirken immer so, als wäre man sich selbst es nicht wert, sich schön zu machen und gut zu fühlen. An dünnen Menschen fällt es nicht so auf, aber auch da finde ich es schade. Was ich persönlich wichtig finde, bei jeder Figur, ist gut sitzende Wäsche. Ich mag bei niemandem sehen, wo der zu kleine BH einschneidet und wie der Po den Slip frisst. Beth Ditto macht das toll. Und selbst ich mit meinem Minibusen finde, dass unter manchem Pullover ein BH besser aussieht, einfach, weil die Klamotte dann richtig sitzt. Meistens bin ich aber froh, wenn ich keinen anhaben muss und das Shirt auch so passt. Oder ist das schon wieder zu konformistisch gedacht? Sollte es egal sein, ob was hängt oder hüpft???

    LG
    Liz

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  7. @Liz

    Vielen Dank! : ) Wahrscheinlich sollte es wirklich egal sein, ob's hängt oder hüpft, aber da kann ich bisher auch nur ganz schwer über meinen Schatten springen...und sogar die Schlabberphase habe ich noch nicht ganz überwunden. Aber ich arbeite dran.

    Liebe Grüße
    Nicola

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