Mittwoch, 17. Juli 2013

Denn Muscheln haben keine Augen...*



 
Haben sie natürlich doch. Ziemlich viele hat so eine Kammmuschel sogar am Mantelrand. Damit erkennt sie beim Schwimmen nicht nur hell und dunkel, sondern offenbar noch mehr. Ich persönlich wünschte ja, ich hätte wenigstens so viel Klarheit über mein Leben, wie eine Kammmuschel.

Denn ich renne ja immer offenen Auges hinein. Und ich laufe pausenlos blind drauflos. Oder mir beschlägt die Sonnenbrille, hinter der ich mich verstecken wollte. Dann nehme ich sie womöglich ab und lasse mich blenden.

Esse est percipi**(?)

Wenn ein Baum im Wald umfiele, und weder Mensch noch Eichhörnchen anwesend wären, um es zu hören, würde der Baum dann ein Geräusch machen? Gute alte Frage, nächste Frage: Und gibt es den Baum überhaupt, wenn ihn niemand, aber auch wirklich niemand wahrnimmt? Und wenn ich allein zu Haus vorm Bücherregal stehe und mich am Hintern kratze, existiere ich dann nur teilweise, weil ich mich selbst ja auch niemals ganz wahrnehmen kann? Dann kommt vielleicht der Kater herein, und schwupp - existiert auch wieder das, was er so zusätzlich sieht, hört und riecht?

Das, was andere Menschen von mir mitbekommen, sind selbstverständlich auch immer nur Eindrücke durchs Schlüsselloch. Trotzdem bauen sie damit ihre eigenen Geschichten. So wie wir das alle tun. Und wenn ich nicht aufpasse, erfinde ich Geschichten, die sie über mich erfunden haben könnten. Wie viel haben sie gesehen? Und was haben sie daraus gemacht? Ein paar wahre Prämissen ergeben bekanntlich noch lange keine wahre Schlussfolgerung: (a) Nicola ist eine schlechte Tänzerin. (b) Alle Tänzerinnen sind Menschen. (c) Also ist Nicola ist ein schlechter Mensch.

Erfolgreiche Selbstakzeptanz macht es jedoch notwendig, sich gedanklich von dieser fremden sowie der eigenen sorgenvollen Geschichtsschreibung zu lösen. Was kümmern mich die Bücher in den Köpfen anderer? Ich werde sterben und habe keine Zeit für peinliches Berührtsein. Ich habe begonnen, wieder Eiswaffeln auf öffentlichen Straßen vor mir herzutragen. Und das ist nur der Anfang. ; )

Was bin ich?

Ein ungelobtes Kind. Eine dicke Dame. Ein verhuschtes Mauerblümchen. Eine Zicke erster Güte. Eine Perfektionistin, die ständig scheitert. Eine hilfsbereite Nachbarin... Und weiß der Geier, was noch alles. Auf jeden Fall sind es mir eindeutig zu viele. Alles viel zu voll hier. Kriegt man schon wieder keinen Parkplatz.

Wie wäre es wohl, wenn man in jeder Situation mit mehr Selbstverständlichkeit man selbst bleiben und seinen Kopf behalten könnte? Und nicht dauernd die Maske wechseln müsste, weil man sich selbst obendrein so viele Rollen ins eigene Drehbuch schreibt? Hatte ich bereits erwähnt, dass ich im Zuge persönlicher, dicker Neuerfindung gern ein solider umrissenes Selbstbild erreichen würde? Wenn ich an mich und mein Leben denke, wünsche ich mir einen unverstellten Ausblick auf das, womit ich arbeiten kann und weniger Fransen am Rand. Wenn ich in Spiegel gucke, will ich mich nicht immer wieder fragen müssen, wen ich wohl heute vor mir habe, und warum die sich jetzt schon wieder so oder so verhält. Meiner Erfahrung nach passiert die Verfransung mit steigendem Bedürfnis, sich den angenommenen Erwartungen anderer in bestimmten Situationen anzupassen. Und nicht die eigenen Regeln aufzustellen. Kurzum: Ich würde endlich gern mehr in meiner runden Mitte ruhen, und sie besser verteidigen - und das eben nicht nur im Hinblick auf Fett.

Die Tatsache, dass Muscheln über Augen im weitesten Sinne verfügen, macht sie übrigens zu tödlichen Fallen. Wenn sich die Lichtverhältnisse stark verändern, schließt sich eine Riesenmuschel zum Schutz vor Angreifern – und das mit ziemlicher Kraft. Der Legende nach soll dieses schon so manchem Perlentaucher zum Verhängnis geworden sein, weil sie seine Hand nicht mehr los ließ… Eigentlich natürlich eine prima Vagina Dentata - ich frage mich, ob es wohl Horrorfilme mit Muscheln in der Hauptrolle gibt…

 
*...verschwurbelte Sätze, hm?! Fang du mir an zu bloggen...

**George Berkeley (To be is to be perceived)

NH

1 Kommentar:

  1. Na, dann will ich das ungelobte Kind mal kräftig loben. Das ist ein ganz phantastischer Artikel, geistreich, humorvoll, gut eben. Eine dicke Dame? Na, Gott sei Dank! Von diesen halb verhungerten Knochenhaufen gibt es mehr als genug. Ein verhuschtes Mauerblümchen? Huschen ist ein sehr elegante Bewegungsform. Und Mauerblümchen besagt ja schon per definitionem, dass Sie in der Blüte stehen. Eine Zicke erster Güte? Da ist das Lob ja schon in der "ersten Güte" enthalten, also allerhöchste Qualität. Übrigens, wer ständig scheitert, beweist doch, dass er nicht unterzukriegen ist. Weil er/sie es immer wieder neu probiert. Perfekt! Perfektionistin eben. Eine hilfsbereite Nachbarin? Da geht einem doch das Herz auf!

    Gut, das Parkplatzproblem und dieses ewige Überfülltsein. Aber das kenne ich als Eigner "dissoziativer Störungen". Machen Sie das Beste draus. Auf diese Weise haben Sie immer einen interessanten Gesprächspartner.

    Weiter so!

    Liebe Grüße vom (dicken) Drachen

    P.S.: Ich muss voller Scham und Freude eingestehen, dass meine erste Assoziation beim Betrachten des Bildes ebenfalls die Vagina dentata war.

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