Sollte man einen ganzen Blog-Post darüber verfassen, dass man
sich mit 43 noch immer oft so fühlt, wie das Vorschul-Ich, das meistens allein
für sich spielte? Oder wie die Fünftklässlerin, die immer übrig blieb, wenn
Mitschüler sich ein Team zum Völkerball auswählen sollten? Oder die 13-Jährige, die in der Klasse bei den Jungen saß, weil es bei den Mädchen für sie keinen Platz mehr
gab? Oder die Nicola, die mit 16 auf dem Schulhof allein herumstand oder saß,
weil sie nirgendwo dazu gehörte? Und sollte man wirklich darüber schreiben, dass man
sich selten so einsam gefühlt hat, wie in den letzten Wochen und sich ein wenig
fürchtet, dass sich das in diesem Leben einfach nicht mehr ändern wird?
„High-school doesn’t last forever.”* Oder
doch?
Ich bin in der Schule und auch danach selten wegen meines
Körpers direkt angegriffen oder gehänselt worden. Auch deshalb nicht, weil der
dickgeglaubte Körper in bestimmten Phasen ja gar nicht so erheblich gegen
gängige Normen verstieß. Aber durch das von der Welt quasi von Anfang an
eingepflanzte „Bewusstsein“ in einem „anderen“ (im Zweifel minderwertigen)
Körper zu existieren, hat mich mit Sicherheit einerseits verunsichert,
eingeschüchtert und gleichzeitig ein Selbstbild zementiert, das schlicht und
ergreifend auch „anders“ ist. Der Grad der Selbstliebe schwankte Zeit meines
Lebens heftig und war oft im Keller. Und wenn man sich häufig wünscht, unsichtbar
zu sein – wer weiß, am Ende klappt das doch mit der Tarnkappe. Und dann ist es
am Ende schwer, sie wieder abzusetzen. Davon kann ich bekanntlich ein Lied singen. ; )
So passte ich selten ins Bild. Oder war schlicht nicht drin. Und fühlte mich meistens wie im falschen Film. Das war übrigens auch als
Austauschschülerin in Laconia, New Hampshire nicht anders. Irgendwann im
Verlauf meiner Teenagerzeit sagte mir eine Mitschülerin kopfschüttelnd, dass
ich „echt beliebt“ sein könnte, würde ich es „nur wollen“. Und ein paarmal
standen wahrhaftig gleich mehrere der „populären“ Jungs ernsthaft auf mich –
das wäre unter Umständen mein Schlüssel gewesen, endlich dazu zu gehören, aber
im Ergreifen von Chancen, die auf der Validierung durch männliches Interesse
basieren, war ich immer schon denkbar schlecht. Und schlicht nicht
interessiert.
Wollte ich also gar
nicht mitspielen?
Ich war vermutlich nicht nur
schüchtern und zurückhaltend. Ich war auch (immer schon) biestig. Hat ja keinen
Sinn, so zu tun, als würde es nicht stimmen. Ich bin überempfindlich, ich kann
das Denken und Hinterfragen nicht lassen, ich sehe und höre ständig zu viel. Ich habe Meinungen und ein Gebirge von Prinzipien (das zumindest verdanke ich teilweise
meinen Eltern). Ich neige schon immer zu Sarkasmus/Zynismus. Vermutlich bin ich
oft überkritisch. Und ja: Ich kann verdammt hochnäsig sein und bin leicht
gelangweilt und genervt. Ich bin meistens höflich, aber nicht immer nett. Es
fällt mir schwer, Begeisterung zu spielen, also tue ich es in der Regel auch nicht.
Wenn ich welche äußere, ist sie daher allerdings meistens echt. Egozentrisch
bin ich selbstverständlich auch. Ich habe nicht immerzu darunter gelitten,
allein zu spielen. Ich habe es auch oft bevorzugt. Und ich kann mir heute noch
immer anfangs ganz schlecht Namen merken. Dafür vergesse ich sie oft rasend schnell
wieder, nachdem ich sie mal gelernt habe. Beim Verfassen meiner Shit List habe
ich mit Erstaunen festgestellt, dass ich die Namen der letzten schiefgegangenen
Liebhaber der letzten Monate schon gar nicht mehr weiß. Dafür vergesse ich die
Geschichten von Menschen nicht, selbst dann nicht, wenn es mir eigentlich viel lieber
wäre. Natürlich spüren andere die Distanziertheit, die nur bedingt frei gewählt
ist. Sie macht die spontane Interaktion mit mir offenbar mitunter schwierig und vielleicht ja
auch unattraktiv – im wahren, sowie im virtuellen Leben. Allein die Zahl der
Kommentare auf diesem Blog in Relation zu den Besuchern der Seite ist ein
klarer Hinweis auf diesen Umstand. ; ) Nun gibt es aber natürlich genug
Menschen, die egoistisch und schwierig sind,
und trotzdem immer genug andere finden, die das bereitwillig aushalten,
zurückstecken und stützen. Und im Zweifel auch noch beim Umzug Möbel schleppen.
Wie machen die das bloß?
Help wanted
Ein grandioser alter Herr namens Mr. Piette, der sich als
Rentner der Förderung der Völkerverständigung verschrieben hatte und vor 26 Jahren für mich
und andere Austauschschüler in der Gegend Ansprechpartner war, sagte mir mit
sorgenvoller Miene etwas, das ich auch nie vergessen habe: „Du hast einen sehr
strengen Ehrenkodex. Du machst es Menschen schwer, etwas für dich zu tun.“
„Du willst ja immer
keine Hilfe“, hab ich im Leben auch oft zu hören bekommen. Tue ich doch! Ich
würde schon Hilfe wollen. Aber halt nicht unbedingt bei Dingen, die ich selber ganz
gut kann oder schon weiß. Wozu soll das gut sein? Natürlich ist das nun aber auch genau die
Haltung, die einen gerade bei Männerbekanntschaften immer wieder in
Schwierigkeiten bringt. Ich kann es nur immer wieder sagen – ich würde
jederzeit und liebend gern den ganzen schwierigen Kram in starke Hände legen. Nur war der schwierige
Kram den meisten, die in letzter Zeit vorbeigekommen sind, auch…, nun ja, zu
schwer. In Ihrem Satire-Programm „Männer brauchen Grenzen“ zitiert Tina Teubner Adorno: „Geliebt
wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“
Das wäre natürlich auch was: Einer, der einfach da ist.
Warum diese Betrachtungen überhaupt? Hab‘ ich doch gesagt: Weil
ich mich verdammt allein fühle. So sehr, wie sonst nie. Wahrscheinlich war ich genau genommen auch noch nie so allein wie heute. Eine gute Hand voll Freundinnen
ist mir im fast abgelaufenen Jahr abhanden gekommen. Und viel mehr hatte ich nicht. In
einigen Fällen habe ich das Ende bewusst selbst herbeigeführt – durch ein Abstellen der Höflichkeit und eine klare Abgrenzung meinerseits. War ich halt einfach mal so,
wie ich wirklich bin. Das hat so manche Verbindung nicht ausgehalten. Bei
anderen musste man halt erkennen, dass sie von Konkurrenz geprägt und damit
ohnehin toxisch waren. Wieder andere sind halt einfach zu Staub zerfallen. Ich
bin dankbar für die, die noch da sind. Und ich freue mich, dass ich auch neue
Bekannte im Cyberspace gefunden habe. Aber ich bräuchte noch viel mehr Menschen.
Ich bräuchte mehr Plätze, an die ich gehöre. Also, wie finde ich jetzt, im
fortgeschrittenen Alter von 43 endlich meine Leute? Das wäre also noch ein
Ziel fürs kommende Jahr.
NH
*Durchhalteparole
für Schüler, die in der High School unter der Popularitätshackordnung oder gar
Mobbing leiden.