"Being fat has been a gift -
and it has been worth it."
Meghan Tonjes
Die Sängerin und Fettaktivistin Meghan Tonjes hat ein Video veröffentlicht, in dem sie darlegt, dass sie ihren Lebens(ver)lauf, der durch ihr Fett entscheidend geprägt wurde, heute als stimmig und gar als Geschenk begreift. Das Dicksein als grundlegendes Hindernis hat sie im Leben zu Höchstleistungen angespornt, denn sie wollte die Peiniger ihrer Kindheit nicht gewinnen lassen. Sie hat sich sozusagen dadurch "gerächt", dass sie heute trotz aller Widrigkeiten ein "schönes" Leben hat. Obendrein ist sie dankbar dafür, dass die negativen Erfahrungen, die sie gemacht hat (und sie zählt all das Ungemacch auch auf), sie heute in die Lage versetzen, anderen Dicken zu helfen und um gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen. Sie sagt, all die Mühen und Traurigkeit waren es am Ende doch wert. Und sie würde sich immer wieder für ihr dickes Leben entscheiden - genau so, wie es eben war.
Würde ich noch einmal genau das gleiche dicke Leben wählen, wenn ich wählen sollte/könnte?
VERDAMMT, NEIN! Ich bin doch nicht verrückt! Die romantische Idee vom besseren Ich, das aus dem Leiden hervorgeht - zur Hölle damit! Was einen nicht umbringt, macht einen vielleicht stärker. Fröhlicher, zumindest meiner Erfahrung nach, eher nicht. Wieso um alles in der Welt sollte sich irgendwer wünschen, noch einmal zur Außenseiterin zu werden und das durch die gesamte Schulzeit hindurch aushalten zu müssen? Warum sollte ich mich abermals selbst hassen und vor der Welt verstecken wollen? Warum sollte ich mich dafür entscheiden, vor der schier unlösbaren Aufgabe zu stehen, mich noch einmal mit einem Selbstbewusstsein, das die meiste Zeit meines Lebens im Keller war, beruflich irgendwie zu etablieren? Warum sollte ich mir freiwillig erhebliche Einschränkungen bei der Partnersuche einhandeln? Oder Angst davor, zum Arzt zu gehen? Peinlichkeit? Groll? Probleme beim Kleiderkauf? Befürchtungen, nicht in den Kinosessel zu passen? Abfällige Blicke? Als Neutrum wahrgenommen, oder gleich ganz von der Welt ignoriert zu werden? Nein, tut mir leid: Wenn ich wählen könnte, käme ich beim zweiten Durchgang dünn auf die Welt. Körbchengöße und Gesicht dürften so bleiben, aber insgesamt wäre ich außerdem sehr viel lieber etwas dümmer und dafür besser gelaunt.
Nur damit das auch gleich klar ist: All das oben Gesagte heißt übrigens nicht, dass Dünnsein auch heute noch auf meiner Wunschliste stünde, käme eine gute Fee vorbei.
Ich verstehe und teile Meghan Tonjes' Überzeugungen - und jemand muss die Arbeit einer Fettaktivistin tun, wenn sich irgendetwas ändern soll. Sie hat diese Arbeit und die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat, als etwas empfunden, das sie ausreichend entschädigt hat für Anfeindungen, Enttäuschungen, Hindernisse und Lebensversäumnisse. Aber nicht jeder ist so stark wie sie. Ich bin es sicher nicht. Und Menschen sollten sich meiner Auffassung nach grundsätzlich nicht mit Demütigung und Diskriminierung herumschlagen müssen, egal wie sehr das die Persönlichkeit bildet und den Boden bereitet, auf dem eine womöglich zur Überfliegerin werden kann.
Im Prinzip sind diese Überlegungen natürlich ohnehin komplett müßig. Niemand wird fragen, ob wir das Ganze noch einmal machen wollen und wie. Die Dinge sind wie sie sind. Genau genommen ist das natürlich auch immer das Tragische an Lebensläufen, die sinnloser Herabsetzung, Diffamierung und Selbstverachtung zum Opfer fallen. Das hier ist keine Generalprobe.
Und um noch einmal selbst darauf zu kommen, welche Bedeutung Fettakzeptanz für mich hat (und gesellschaftlicher Aktivismus an sich): Es geht aus meiner Sicht durchaus vorrangig darum, zukünftige (dicke) Lebensläufe zu retten. Inwieweit man sich selber retten kann, wenn das eigene Leben schon halb rum ist, bleibt, zumindest in meinem Fall, weiterhin abzuwarten.
NH