...ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert.
Neunzehn VOGUE Chefredakteurinnen (die in der deutschen VOGUE ja
noch immer „Chefredakteure“ sind) haben im Rahmen ihrer neu gegründeten und
äußerst originell betitelten Health
Initiative in ihren Juni-Ausgaben eine Selbstverpflichtungserklärung
veröffentlicht. Diese umfasst sechs Punkte und befasst sich in der Hauptsache NICHT
mit dem, was die welt- und internetweit offenbar gängigste Lesart impliziert, nämlich dass VOGUE sich von der Darstellung übermäßig magerer Models verabschieden wird, um in
Zukunft ein gesundes Körperbild zu transportieren. Diese Interpretation ist
ganz offensichtlich das Resultat kollektiven Wunschdenkens, denn davon
steht in dem Textchen so gut wie nichts.
Abgesehen davon, wie schlecht und ungenau die deutsche
Übersetzung ist, und dadurch (mit Absicht?) NOCH sinn-kärger und weniger
überzeugend, lässt sich im Prinzip die folgende Hauptsorge der Verfasserinnen
herausfiltern: Models sollten nicht jünger sein als 16 Jahre. Dass sie ab
sofort ein gewisses Gewicht nicht unterschreiten dürfen, steht hingegen
nirgends. Überraschend? Nein. Wovon träumt ihr denn des nachts? ; )
Bereits die deutsche Einleitung zur Erklärung verblüfft mit
einem Ablenkungsmanöver, das ebenso abenteuerlich wie ärgerlich ist: „Ist ein
dünner oder dicker Körper an sich noch kein Zeichen für mangelnde Gesundheit,
so stellen Magersucht, Bulimie und Fettleibigkeit ernstzunehmende, ja
lebensbedrohliche Krankheiten dar.“ Zunächst
einmal lohnt sich hier vielleicht der
Hinweis, dass „Fettleibigkeit“, anders als Magersucht und Bulimie, keine
Krankheit ist, sondern vielmehr eine
Zustandsbeschreibung. Darüber hinaus dürfte jedem klar sein, dass VOGUE zu
keinem Zeitpunkt ernsthaft in dem Verdacht gestanden haben kann, Fettleibigkeit zu glorifizieren und damit Millionen
von Frauen mit jedem neuen Heft weiter in
diese zu treiben.* Der Hinweis auf „Fettleibigkeit“ dient hier zu Verwässerung
dessen, was trotzdem für jeden klar und sichtbar Sache ist: Das durch VOGUE bisher
kolportierte, unrealistische und DÜNNE Schönheitsideal trägt dazu bei, dass Frauen
sich in ihren echten Körpern unwohl und in der Mehrzahl zu dick fühlen. Was in
der Tat zu Essstörungen führen kann. Aber VOGUE möchte weiter magere Körper
zeigen, weil die nicht unbedingt
ungesund sind und möchte lieber keine allzu dicken Körper zeigen, weil Fettleibigkeit
ungesund sein kann. Das ist der Stoff aus dem der Erhalt des Status Quo ist.
Die halbherzigen, vagen Programmpunkte der Health Initiative geben ohnedies nicht
viel Anlass zur Hoffnung auf substantielle Veränderungen. Zwar haben der Anna,
der Alexandra, der Christiane und all die anderen Jungs sich Grundsätze an die
Beine gebunden, bei deren Unterzeichnung ihre Händchen möglichweise gezittert
haben mögen, die aber weiter von echten Vorstößen entfernt sind, als Madonna
vom Oscar für die beste Hauptdarstellerin.
Also:
1. VOGUE will in Zukunft nicht „wissentlich“ mit Models
arbeiten, die unter 16 oder essgestört sind. Man will stattdessen Models
auswählen, die „gesund erscheinen“. Als naive Leserin hätte man vielleicht vermutet,
dass es sich hier um Selbstverständlichkeiten handelt. Obendrein stört man sich womöglich auch noch
an der Schwammigkeit von „wissentlich“ und „gesund erscheinen“, aber es sind
nicht ethische Bedenken und spießige
Erbsenzählerei, die einen auf einen VOGUE –Chefredakteurinnensessel befördern,
daaaling.
2. Agenturen werden aufgerufen, das Alter von Models zu
überprüfen. Damit die nicht etwa zu jung sind. Denn das ist ja bekanntlich das allerallerallergrößte
Problem, das die Modeindustrie hat. Um diesem Übel nun gleich entschlossen etwas
entgegenzusetzen, ziert das deutsche Cover im Juni auch keine dicke, sondern
eine echt alte Frau: Carolyn Murphy (38).
3. Im Rahmen eines Mentoren- Programmes sollen ältere,
erfahrene Models jüngere beraten und
unterstützen. Mit der Council of Fashion Designers of America Health Initiative
als Vorbild, soll Gesundheitsaufklärung betrieben werden. Und wieder: Kein Wort
über Essstörungen oder die Gefahren von radikalen Diäten und Untergewicht. Über
die vermittelten Inhalte und die im Zuge des Mentorings bereitgestellten
Informationen kann man nur spekulieren. Was für Tipps wird eine junge Frau
einer noch jüngeren geben können, wenn ihre eigene Karriere typischerweise erst begann, nachdem sie selbst, in der Regel auf Anordnung ihrer Agentur, erst einmal
ordentlich abspecken musste? Obwohl sie bereits schlank und noch gesund war?
4. Models sollen hinter den Kulissen (Fashionshows,
Fotostudio) etwas Gesundes zu essen kriegen (das steht im deutschen Programm
übrigens schon gar nicht mehr drin), sollen ein bisschen Privatsphäre haben und
außerdem nicht zu lange arbeiten müssen – was immer das nun wieder bedeuten
mag. Aber vielleicht steht man einen längeren Arbeitstag mit etwas mehr im
Magen als Zigarettenrauch und Eiswasser ja auch besser durch.
5. Designer sollen ermutigt werden, die Mustergrößen nicht
ganz so klein zu machen, denn sonst ist die Redaktion ja praktisch gezwungen, magere
Models zu buchen. Jahaa…und wir dachten immer, der Teufel, also die Anna, sagt den Designern, wo es lang
geht. Stellt sich doch nun heraus, sie muss das nehmen, was sie kriegt.
6. „We will
be ambassadors for the message of healthy body image.“ Das glauben wir dann, wenn unter dem Foto
eines Models in Größe 40 nicht mehr der erklärende Hinweis “Plus-size” steht.
Wird die Health
Initiative etwas Positives für die Akzeptanz von Dicken bewirken? Vermutlich
nicht. Ist sie eine Alibireaktion auf wachsenden öffentlichen Druck mit der
Absicht, „noch Schlimmeres“ zu verhindern (z.B. die weitergehende
Verabschiedung bindender gesetzlicher Vorgaben – zuletzt hat Israel im März ein
Gesetz erlassen, dass vorschreibt, dass ein Model mit einem BMI unter 18,5 nicht
für Werbeaufnahmen gebucht werden kann, wenn die Kampagne in Israel gezeigt
werden soll)? Vielleicht. Oder geht es hier um Publicity? Das sowieso.
P.S.: Wie es sich mit den Models in der in der VOGUE
geschalteten Werbung verhält, und ob hier die oben genannten Grundsätze auch
greifen sollen, wäre eine Frage wert.
Fast ahnt man allerdings die Antwort.
*Wenn man mal von der Gewichtszunahme durch den Jojo-Effekt
nach Diäten absieht.
NH