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Freitag, 6. Dezember 2019

Adventsblog 4: Ich komme nicht ins Fernsehen


Weil ich zu dünn bin. Ungelogen. In der Redaktion, die verantwortlich zeichnet für "Dickes Deutschland - Unser Leben mit Übergewicht" (ein Sendeformat für RTL2), hatte man offenbar meinen BMI ausgerechnet, und um eine geeignete Kandidatin für die sogenannte "Sozialreportage" zu sein, hätte er bei 50 liegen müssen. War aber nur 39.

Ich hatte mithin nicht darum gebeten, überhaupt in die Auswahl zu kommen. Bevor ich eine Anfrage von der Redaktion bekam, hatte ich noch nie etwas von der Sendung gehört. Die Mail versprach: "Kein Drehbuch, kein Scripting - nur die wahre Geschichte." Und ich dachte, ihr habt doch schon wieder nicht die leiseste Vorstellung, mit wem ihr es zu tun bekämt, wenn ihr euch wirklich dafür entscheiden würdet, mit mir zusammenzuarbeiten. Denn das ist in der Regel so: Die meisten, die eine Kooperation vorschlagen, haben vorher sehr wahrscheinlich nicht viel mehr von mir gelesen und gesehen als den Titel des Blogs. Da steht etwas von "dicker Dame". Auf dem Foto daneben ist eine dicke Frau - das muss reichen. Die Dicke schreibt mit uns bestimmt gern ein Buch über "Gewichtsmanagement" oder rezensiert garantiert gern mein Buch über Esssucht. Und bestimmt lässt sie sich gern dabei filmen, wie sie sich morgens halbnackt aus dem Bett rollt, mitten in der Fußgängerzone in Mieder und BH für Fotos posiert oder sich ein Magenband einsetzen lässt. Oft sind Anfragende beleidigt, wenn ich Ihnen erkläre, dass sie sich vertan haben. Überrascht sind sie immer.

Im Falle von "Dickes Deutschland" rief ich allerdings zurück und sagte, ich würde mitmachen - unter der Voraussetzung, dass ich im Blog ganz genau über die Dreharbeiten berichten könne. Angeblich hätte ich das gedurft. Auch als ich anklingen ließ, dass ich gern dabei wäre, weil ihrem ausbeuterischen und voyeuristischen Format etwas Fettaktivismus und Medienkritik durchaus gut zu Gesicht stünden, war die Unterhaltung keinesfalls schlagartig beendet. Vielmehr folgte noch das lange Abarbeiten eines Fragebogens. Gehen Sie gern schwimmen?  Eher selten. Gehen Sie tanzen? Nie. Haben Sie gesundheitliche Probleme? Nein. Würde Ihr Partner mitmachen? Eher friert die Hölle ein. Was essen Sie gern? Gemüse. Würden Sie eine Magen-OP für sich in Betracht ziehen? Nein. Erstaunt war ich über die Frage, ob ich finanzielle Probleme hätte...dick und arm? Ernsthaft? Ist das wirklich noch immer die Erwartung der Zielgruppe?

Na schön, im Rückblick lässt sich leicht erkennen, dass mein Plan der halboffenen Unterwanderung nicht erst an meinem BMI scheiterte. So offen und menschenfreundlich-progressiv die nette Frau aus der Redaktion vielleicht auch sein wollte (sie war neu in dem Team und fürchterlich nett sind die Anfang immer alle) - natürlich war ich für ihre Zwecke kein Material für störungsfreie Drehtage. Vielleicht lag es aber auch schlicht daran, dass ich mich im Bewerbungsvideo, das ich dann doch zusätzlich noch einreichen sollte, nicht mehr an den Titel der Serie erinnern konnte...wer weiß. ; )

NH


Sonntag, 9. August 2015

Noch eine Runde BODY SHAMING BULLSHIT BINGO!

Irgendwie lustlos vor mich hindümpelnd bin ich beim Surfen auf YouTube auf Fernsehsendungen zum Thema Diäten gestoßen, was natürlich nicht sehr schwer ist. Weil ich ja keinen Fernseher habe, und mir damit in den letzten Jahren so ziemlich alles entgangen ist, was in dem Kasten passiert, wurde ich plötzlich wach und hellhörig, als mir das systematische, unbelehrbare und perfide Body Shaming zu Augen und vor allem zu Ohren kam, dass da offenbar in sogenannten Reportagen und Dokumentationen stattfindet.


Also habe ich einfach mal gesammelt - despektierliche, herabsetzende Textfragmente nur aus den Off-Kommentaren (das, was die gezeigten Personen gesagt haben, habe ich gleich gar nicht berücksichtigt, denn das hätte jeden Rahmen deutlich gesprengt).

Ich habe mir jeweils nur die ersten zehn Minuten (!) von drei Programmen zum Thema Diät angesehen, wobei die Erwartung gewesen wäre, dass das "Niveau" der Quellen von eins (Pro 7) über zwei (SAT 1) bis drei (ZDF) steigt. Es hat sich herausgestellt, dass das nur bedingt so ist. Beim Thema Körperfett schenken sich die Kanäle und Formate im Bullshit Bingo und beim Body Shaming nicht wirklich viel.

Alle Ausschnitte waren schon ein paar Jahre alt - ich bin nicht sehr optimistisch, dass es im Fernsehen inzwischen anders aussieht.

1. Pro 7 - U20 - "Deutsche übergewichtige Teenies" 

Massives Übergewicht, schämt sich, Frustfressen, gute Vorsätze mal wieder über Bord, verputzt munter fettige Pizza, Molly-Maße, angewidert, unförmiger Körper, überall quellen dicke Fettringe hervor, Gewabbel, Kalorienbomben, Walross in Baumwolle, quetscht sich in das Oberteil, jeder Versuch endet im Desaster, strapaziert die Nähte, Fresslust im Bauch, Frust in Fett ertränken, Fressattacke, das schlechte Gewissen, Abspeckkur, kann ihren Schweinehund nicht überlisten, faul vor dem Computer geflätzt.

2. SAT 1 - Akte 07 - "Schlank im Schlaf"

Schämt sich, Überwindung, Problemzone, leidet an Übergewicht, isst angeblich wenig, unkontrollierte Heißhungerattacken, auch wenn sie es nur ungern zugeben, literweise Limonade, noch dicker, wieder Hoffnung, schlank werden und dann endlich ganz normal leben.

3. ZDF Info - "Fett weg!"

Stark übergewichtig (94kg, Anm. d. Dicken Dame), großes Problem, deutlich zu dick, hoffen auf ein Wunder, durch starkes Übergewicht entstehen jährlich Kosten in Höhe von, Fettleibigkeit, ein gesellschaftliches Problem, wird dick und dicker, deutlich zu viel, was er da so in sich reinstopft, schiebt seinen gewaltigen Bauch stolz vor sich her, viel zu reichlich, gewaltiges Übergewicht, Ehefrau nicht gerade begeistert, ebenfalls ein Schwergewicht.

Und dann stand ich doch gestern vor dem Süßigkeitenregal und stellte fest: Sogar Schokolade betreibt heutzutage Body Shaming bzw. moralisiert!

Wie sagte Peter Lustig immer: "Ihr könntet also genauso gut schon mal abschalten."

NH

Freitag, 21. März 2014

Breitbild


Vor einiger Zeit vermachte mir Frau E. aus B. eine DVD mit dem Hinweis, dass sie selbst den Film noch nicht gesehen hätte, aber an meiner Meinung interessiert sei. ; ) Es handelte sich um "Die Friseuse" (2009) von Doris Dörrie. Die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden (was es alles gibt), hält ihn für "wertvoll". Ich halte ihn für stellenweise amüsant und streckenweise originell, und vielleicht würde er mir besser gefallen, wenn die Heldin nicht dick wäre. Denn worüber ich mich von der ersten Sekunde an ärgerte, war der absurde Fatsuit, den die Hauptdarstellerin tragen musste, um überhaupt eine dicke Frau darstellen zu können. Kathi König, die Protagonistin,  hat also zwei abwegige Rettungsringe über die Hüften geschnallt und sieht aus, als ob all ihr Fett in den Hintern gerutscht ist. Zu Musik wie aus der Augsburger Puppenkiste stapft sie auf ihren ECHTEN Stockbeinchen in ihre Wohnung im Plattenbau und beschmiert sich nach einem Streit mit ihrer heranwachsenden Tochter ein Butterbrot fingerdick mit Leberwurst - in Nahaufnahme.

Der Film ist bunt und Kathi ist laut und ruppig-fidel. Allerdings unterliegt der Geschichte und Darstellung eine im Verlauf immer bleischwerer werdende Tragik, von der ich nicht glaube, dass sie so beabsichtigt war, wie ich sie wahrgenommen habe. Und diese Tragik speist sich aus dem Dicksein. Eigentlich passiert der Michelin-Kathi, die zu Anfang des Filmes verkündet "Freundlichkeit und gute Laune, det ist det halbe Leben für dick", nur Scheiße. Sie ist geschieden und arbeitslos. Sie ist ihrer Tochter peinlich. Sie bekommt keine Stelle als Friseurin weil sie "nicht ästhetisch" ist. Sie bleibt in Stühlen hängen und muss sich morgens an einem Seil aus dem Bett ziehen. Der Traum vom eigenen Salon platzt und am Ende stellt sich noch heraus, dass sie Multiple Sklerose hat. Zwischendrin macht sie noch Bekanntschaft mit einer Gruppe vietnamesischer Flüchtlinge und hat eine Affaire mit dem Mann, den sie bei sich vorübergehend aufgenommen hat. Das ist der originelle Teil. Und das nackte dicke Körperdouble, das man immer wieder präsentiert bekommt, ist wirklich schön anzusehen. Aber Leider: Da gibt es mal einen Film mit einer dicken Heldin, und dann erfüllt diese alle Klischees. Wer wissen will, was Doris Dörrie über Dicke denkt, kann es hier erfahren. Was sie denkt, ist entweder nicht sehr nett, oder vielleicht auch nur naiv. Oder doch beides. Obwohl sie das sicher weit von sich weisen würde.

Es gibt nun einmal nicht viele dicke Frauen auf Bildschirm und Leinwand. Schon gar nicht in deutschen Produktionen - wenn man mal von so Flops wie "Es kommt noch dicker" mit Wolke Hegenbarth absieht. Die trug natürlich auch einen Fatsuit. Aber sie war zumindest nicht so nassforsch und anstrengend, wie Dörries falsche Dicke. Unter denen, die es gibt, ist Melissa McCarthy ("Mike and Molly") im Augenblick eine meiner Lieblingsdarstellerinnen. Meine Empfehlung wäre "The Heat" - da spielt sie eine raubeinige Polizistin an der Seite von Sandra Bullock. Auch Gabourey Sidibe ist in "Precious" eine Offenbarung, ebenso wie America Ferrera in "Echte Frauen haben Kurven". Das war, bevor sie zu "Ugly Betty" wurde. Ich sehe ja auch wirklich gern Brooke Elliott als hochintelligente Anwältin in "Drop Dead Diva". Hier läuft die Serie auf Sixx, aber ich sehe ja immer lieber das Original. Mittlerweile hat auch Kathy Bates ihre eigene Anwaltskanzelei ("Harry's Law", SAT 1). Kirstie Alleys satirische, trockene Aufarbeitung der eigenen Situation als "Fat Actress" (2005) in Hollywood hat es zwar nicht bis zu einer zweiten Staffel geschafft, aber ich finde, es ist trotzdem das Beste, was ich von ihr gesehen habe. Ich persönlich bin kein so großer Fan von Rebel Wilson und Nikki Blonsky ("Hairspray") - aber auch sie sind mehr oder weniger erfolgreiche dicke Frauen in Hollywood.

Das englische Fernsehen hat ja auch schon lange eine ganze Anzahl von interessanten dicken/nicht herkömmlich schlanken Frauen in Hauptrollen zu bieten. Dawn Frenchs "The Vicar of Dibley" kann ich fast auswendig. Außerdem gibt es da Jo Brand ("Getting On"), Katy Brand, Catherine Tate ("Wild West"), Miranda Hart ("Miranda") und Sharon Rooney ("My Mad Fat Diary"). Alle einen Blick wert - insbesondere, wenn man Wert darauf legt, auch mal Frauen in Hauptrollen zu sehen, mit dessen Körperlichkeit man sich so richtig identifizieren kann. Und natürlich auch sonst.

NH
 

Samstag, 25. Januar 2014

Ein weites Feld

Angeblich war sie da - die Gerichtsvollzieherin. Das jedenfalls hat sie mir geschrieben. Aber ich leider nicht. Schade, denn ich hätte sie so gern beglückwünscht zu ihrer Berufswahl, die sie in meinem Fall zur Komplizin bei der Entrechtung von Bürgern zugunsten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks macht. Und quasi zur Eintreiberin einer Zwangsverdummungsgebühr.

Ich sehe nie öffentlich-rechtliches Fernsehen. Ich sehe im Prinzip überhaupt kein Fernsehen (und höre auch kein Radio) - und das aus dem selben Grund, aus dem ich so gut wie keine Frauenzeitschriften mehr lesen kann. Wenn ich es in letzter Zeit doch mal versucht habe, bin ich innerhalb weniger Minuten haarscharf am Herzkasper vorbeigeschrabbelt, weil ich mich so VERDAMMT aufgeregt habe. Ich schreie Fernseher an. Und ich bewerfe sie auch. Ich kann nicht anders.

Und ich kann die Haushaltsabgabe auch in Zukunft unmöglich regelmäßig oder gar pünktlich bezahlen, weil meine Hände schon bei dem Gedanken an das Ausfüllen der Überweisung beginnen zu zittern. Es ist eine Tortur, die ich mir nur so selten wie möglich antun kann. Wenn der öffentliche Rundfunk übrigens von niemandem für ein paar Monate mehr Geld bekommen würde, wäre das ganze Problem natürlich ohnehin schnell erledigt. Aber obwohl sich sehr viele Leute ärgern, empört sind, sich entmündigt fühlen, zahlen sie die Rundfunkgebühren trotzdem - und zwar aus dem selben Grund, aus dem Schutzgeld bezahlt wird. Sie wollen bitte ihre Ruhe haben. Im Vollstreckungsersuchen des Norddeuten Rundfunks an das für meinen Wohnort zuständige Amt steht übrigens der bemerkenswerte Satz: "Zur Pfändung von Sozialleistungen liegen uns keine Erkenntnisse vor, die der Billigkeit der Maßnahme widersprechen." Nicht wirklich überraschend, wenn man bedenkt, dass auch blinde und taube Menschen seit Beginn des letzten Jahres Rundfunkgebühren zahlen. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes und in jeder Hinsicht a-soziales System. Wer das nicht glaubt, kann Berichten zufolge offenbar so ziemlich jeden fragen, der jemals Gast in einer von Markus Lanz geleiteten Gesprächsrunde und gleichzeitig nicht der Meinung des Moderators war. Oder Cher.

Häh?!

Ja, das Gezeter geht weiter. Was soll ich denn bitte machen, wenn ich in einer Publikation, die ich ansonsten auch geflissentlich meide, im Kundenmagazin meiner Krankenkasse, der DAK, in der Rubrik "Gesundheit und Beruf" plötzlich eine große 81 sehe und darunter folgendes Sätzchen: "...Prozent aller Magen-OPs für Übergewichtige erfolgten im ersten Halbjahr 2013 bei Frauen." Ich starrte auf die 81. Ich drehte sie auf den Kopf. Ich wusste, hier war was im Busch. Und dann schrieb ich, glaube ich, die erste Leserinnen-Mail meines Lebens:

Sehr geehrte Frau Wehrmann,

auf Seite 4 der aktuellen Ausgabe von fit! versorgen Sie uns mit der
schlaglichtartigen Information, dass "81 Prozent aller Magen-OPs für
Übergewichtige im ersten Halbjahr 2013 bei Frauen erfolgt sind".

Ich würde mich hierzu über die Beantwortung einiger ergänzender Fragen
freuen:

1. Um welche Art von Magenoperationen handelt es sich, bzw. welche Art von
Operationen an Mägen werden hier einbezogen? Was ist die Gesamtzahl der
gemeinten Operationen?

2. Handelt es sich hier um alle Magenoperationen in Deutschland? Oder
weltweit? Oder an Patientinnen der DAK?

3. Was war Ihre Annahme, inwiefern Ihre Leser von dieser isolierten,
verknappten Information über Magenoperationen profitieren?

Vielen Dank im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Nicola Hinz


Meine Antwort bekam ich einige Tage später von einer sehr freundlichen Frau Lüning. Sie teilte mir mit, dass (wie natürlich von mir vermutet) "Eingriffe mit Magenband und Magenballon sowie Magenverkleinerungen" gemeint seien, und dass davon im fraglichen Zeitraum 331 an DAK-Patienten vorgenommen worden waren. Hinsichtlich der Aussagekraft der Zahl schrieb Frau Lüning: "Wir fanden den Geschlechterunterschied auffällig und interessant, haben aber keine bestimmten Erwartungen an unsere Leser damit verbunden. Ich persönlich vermute, dass sich in dieser Zahl auch ausdrückt, dass Frauen nach wie vor unter größerem Druck stehen, was ihr Äußeres angeht, wobei schlanker mit attraktiver gleichgesetzt wird. (Anm. d. dicken Dame: BINGO!) Genauso könnte man aber sagen, dass Frauen besorgter um ihre Gesundheit sind und weniger Bedenken haben als Männer, zum Arzt zu gehen und sich helfen zu lassen." (Anm. d. dicken Dame: Das musste sie jetzt irgendwie noch anfügen, sonst wäre die 81 ja auf gar keinen Fall mehr neutral.) Außerdem verwies sie mich auf eben jene Pressemitteilung der DAK, aus der die oben genannte 81 stammt.

Natürlich ist das fit! Magazin meiner Krankenkasse voll mit mehr oder weniger unterschwelligen Angriffen auf Versicherte (Kunden), deren BMI nicht im vermeintlichen Idealbereich liegt. Und natürlich diente auch die 81 zu nichts Anderem, als eine flächendeckende, milde Anklage- und Ermahnungsatmosphäre aufrechtzuerhalten. Fette, faule Loser wie ich werden nicht eine Sekunde vom Haken gelassen. Wenn man das Magazin wirklich von vorn bis hinten durchblättert (und das ist auch eine Quälerei, der ich mich so bald nicht noch einmal aussetze), dann findet man auf 58 schmalbrüstigen Seiten stattliche neun inhaltliche sowie rhetorische Hinweise auf das Übel Übergewicht. Und dabei sind all die Ernährungs- und Bewegungstipps, in deren Einleitung zufällig keine "kneifende Hose" erwähnt wird, nicht mitgezählt.

Auf Seite 19 brüstet sich die DAK dann damit, dass sie noch immer mollige Kinder und Jugendliche in Adipositas-Kliniken und damit ganz selbstverständlich in die lebenslange Jojo-Falle schickt. Der schnieke Dr. Dankhoff, Leiter der entsprechenden "DAK-Fachklinik" (Haus Quickborn auf Sylt) ist übrigens jüngst für sein wissenschaftliches Wirken ausgezeichnet worden - und zwar von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter, also von Mitgliedern aus seiner eigenen Industrie. Das ist ungefähr so, als ob man ein Gremium aus Drogendealern über ihre Lieblingsware abstimmen lässt, und dann verkündet, der Stoff sei gut für alle, weil ja immerhin preisgekrönt.

Sie begreifen es einfach nicht. Sie lernen nichts. Sie verschicken Hefte voller Diät- und Fitnessstress und geben gleichzeitig die erstaunlichsten Tipps zum Stressabbau: Unternehmen Sie Dinge, die Ihnen guttun! (...) Oder entspannen Sie sich in der Sauna." Danke, Frank Meiners! Der Mann ist übrigens Diplom-Psychologe. Wenn man dann aus der Sauna herauskommt, sollte man sich dieser Tage allerdings wirklich den eindringlichen Rat des Diplom-Sportlehrers Uwe Dresel zu Herzen nehmen: "Gegen Eiszapfenfinger oder -zehen helfen eine doppelte Lage Handschuhe oder Socken." (DAK-Gesundheit fit! 1-2014, S. 50) Jahaa - das sind Experten! Und dafür, dass sie ihre Weisheiten unters Volk bringen, liebe Kinder, STERBEN BÄUME!

Ein wenig erstaunt hat mich dann aber doch die oben bereits erwähnte Pressemitteilung. Denn offenbar gilt selbst für die DAK der Schlachtruf "Schlank um jeden Preis" dann doch nicht mehr so uneingeschränkt, wenn es plötzlich wirklich um Preisschilder geht. Denn nicht nur die Zahl der bariatrischen (adipositaschirurgischen) Eingriffe nimmt zu - vor allem steigen die Preise pro Eingriff, weil die Operationen offenbar zunehmend größer, komplexer und schwerwiegender werden. 2,5 Millionen Euro haben die 331 Behandlungen im ersten Halbjahr 2013 gekostet. Die DAK, frau höre und staune, beginnt nun plötzlich, sich nicht nur Sorgen um ihr Geld, sondern angeblich auch um die Patienten zu machen, die das Risiko solcher Operationen auf sich nehmen sollen/wollen, und möchte fortan einer weiteren Ausweitung der Adipositaschirurgie entgegenwirken. Mithilfe von Ernährungsberatern (Anm. d. dicken Dame: Schnappatmung), Ärzten und Psychologen. Nun, mit dem Preisträger Dankhoff im Team dürfte das doch wohl kein Problem sein...

Was ich aus der selben Pressemitteilung übrigens auch erfuhr, ist die überraschende Tatsache, dass ich eine Kandidatin wäre, die sich locker und mit guten Chancen um einen Magenballon bewerben könnte. "XXL-Patienten" brauchen einen BMI über 40 und müssen mindestens seit 5 Jahren "XXL" sein. Außerdem muss man nachweisen, dass Diäten versagt haben. ; ) Wer es am Rücken oder Diabetes hat, braucht übrigens nur einen BMI von 35. Diese Informationen wirkten bei mir wie früher ein plötzlicher Blick auf das eigene, vorbeieilende Spiegelbild im Schaufensterglas - frau wusste irgendwie gar nicht, wie dick sie ist und erstarrte innerlich für einen Moment. Morbid adipös. Und reif für den OP.

Paracetamol gibt's ja nur noch in 20er-Packungen, damit man sich nicht aus Versehen vergiftet.

Ob ich wohl ein Magenband bekäme? Würde man an einer (soweit ich weiß) gesunden aber runden Frau eine derart schwerwiegende Operation durchführen - getrieben von gesellschaftlichem Fetthass, der natürlich mit dem Selbsthass vieler Patientinnen übereinstimmen dürfte? Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrzahl dieser Operationen an Frauen (81 Prozent) im Grunde Schönheitsoperationen sind. Und ich hätte jetzt nicht übel Lust, ein solches Genehmigungverfahren tatsächlich TESTWEISE einmal zu betreiben...

Was denn jetzt noch?

Na, also bitte. Ich fang doch erst an. Ich habe mir nämlich nach sehr langer Zeit auch mal wieder einen Stern gekauft, um alles über das Diät-Duell zwischen der Frau Prochnow und dem Herrn Timmins zu erfahren. Beide sind Mitarbeiter des Sterns, beide haben abgespeckt und sind jetzt besser drauf. Offenbar haben noch zwei andere Kollegen am "Duell" teilgenommen. Die waren also zu viert, wodurch es strengenommen gar kein Duell gewesen ist, aber ich halte ja schon die Klappe. Der Herr Timmins hat das "Duell" übrigens für sich entschieden, aber "gewonnen haben alle vier" (Stern, 16.1.2014, S.69). Das ist ja ohnehin klar. Jeder, der Gewicht verliert, gewinnt. Das ist schließlich ein Naturgesetz.
 
Die Frau Prochnow ist sich, wie ja so viele ihrer dicken Schwestern, zudem sicher, dass in ihr "eine schlanke Frau steckt". Kein Wunder also, dass sie offenbar vor nicht allzu langer Zeit noch für zwei gegessen haben muss - warum wird man sonst so unförmig?............ Selbsthass sorgt für Auflage. Das wissen wir alle, denn viele von uns haben schließlich jahrzehntelang Zeitschriften mit dem Wort "Diät" auf dem Cover gekauft.Und Selbsthass ist bekanntlich heilbar. Durch Diäten eben. Wer weniger wiegt, kann immerhin weniger an sich hassen. Und was die Experten der DAK können, kann der des Sterns (Jens Reimer, Psychiater an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf) natürlich schon lange: "Zum Fernsehabend kann man sich jetzt eine Birne und ein paar Nüsse bereitlegen. Oder Ersatzrituale finden, die auch glücklich machen: Sport, Freunde treffen, raus in die Natur gehen." (Stern, 16.1.2014, S. 76) (Anm. d. dicken Dame: Aber heute Abend bitte nicht ohne doppelte Socken.) Wenn einen solcher Rat  nicht in die Arme eines Adipositas-Chirurgen treibt, dann weiß ich nicht was.
 
Wer genau hinsieht und womöglich auch noch darauf besteht, es hier und da genau zu nehmen, der ist nirgendwo sicher. Nicht einmal beim Einkaufsbummel durch einen Katalog für große Größen. Da wollte ich die Strickjacke doch gerade auf die Bestelliste setzen, als sich nervigerweise doch noch die Produktbeschreibung dazwischenschob: "...kaschiert in schlankem Schwarz raffiniert etwas mehr Figur..." (Emilia Lay, Kollektion Frühjahr/Sommer 2014, S. 13) Wie bitte kann man eigentlich mehr Figur haben als eine Figur?! Und wenn man noch immer findet, dass die eigenen Kundinnen sich eigentlich verhängen sollten, wieso vertickt man dann nicht einfach ehrlicherweise in Zukunft XXL-Burkas?! Na schön, 99,95 gespart.
 
Nicht lustig.
 
Vor ein paar Tagen schrieb mir ein Herr bei finya.de, dass die "starke Schulter", nach der ich suchen würde "ja eine wirklich sehr starke Schulter" sein müsste. Ich gehe davon aus, dass er lustig sein wollte. Und vielleicht nur ein ganz bisschen unhöflich.Vermutlich dachte er, er könnte mit so lustigen Witzen bei einer lustigen Dicken sogar landen. Ich persönlich glaube ja, dass man selbst von der ungefähren Gehirnkapazität eines Mannes recht gut auf die Stärke seiner Schultern schließen kann. Und übrigens auch auf seine Penislänge. Das fand er nicht lustig.
 
Die offizielle Bezeichnung für einen großen Körperumfang ist bei Finya.de übrigens "durchaus beachtlich"...
 
The Shit List
 
UND DANN ist ja meine Frauenärztin vor ein paar Monaten in den Ruhestand gegangen. Das wäre nicht so schlimm gewesen, denn die Praxis war eine Gemeinschaftspraxis, und ihre Kollegin hat mich übernommen. Auch sie ist eine "fettakzeptierende" Ärztin. Das heißt, dass in dieser Praxis Gewicht bisher kein echtes Thema war, bzw. nicht zum Vorwurf gemacht und womöglich gegen die Patientinnen verwendet wurde. Und die meisten von uns dürften wissen, wie schwierig so etwas mitunter zu finden ist. Aber seit Jahresbeginn hat eine ehemalige Nachbarin von mir den Platz meiner ehemaligen Frauenärztin übernommen  - und ich muss mir nun doch eine neue Praxis suchen, weil diese nur über meine Leiche erfahren wird, was in meinem Uterus vorgeht. Ich will auch ihre verdammte Unterschrift nicht auf meinen Rezepten. Sollte jemand von euch eine gute Frauenärztin in und um Hamburg empfehlen können, bitte ich um sachdienliche Hinweise: office(at)nicola-hinz.com
 
Ja, die Nachbarn. Und die Provinz. Genau genommen hat uns das Landleben nicht wirklich gut getan. Insbesondere meiner Mutter nicht, aus der einfach keine Landfrau und Kirchenchorsängerin zu machen war, egal mit wie viel vordergründigem Elan sie ihr eigenes Gemüse zog und Blumen arrangierte. Die Welt im Dorf der "Zugezogenen" war ihr immer viel zu eng, trotz des weiten Blickes über die Felder, die mich als Kind geprägt und auch heute noch meine weiten Felder sind. Das Drehbuch meines Aufwachsens und Lebens in der Gegend war randvoll mit Charaktären, die ihre eigene Existenz nie hinterfragten, aber ohne Not und mit entnervender Selbstverständlichkeit in die anderer eingriffen.

Ich arbeite nun schon seit einiger Zeit an einem Projekt/einer kleinen Performance, das die befriedigende und abschließende Bewältigung alten und neueren Grolls zum Gegenstand hat. Teil dieses Vorhabens ist die Shit List. Sie ist ziemlich lang, es war unerwartet anstrengend, sie zu erstellen, und sie umfasst neben ehemaligen Nachbarn z.B. auch alle, die mir je das Gefühl gegeben haben, einen falschen Körper zu haben. (Zumindest alle, an die ich mich noch erinnern kann.) Sie wird das Thema eines weiteren Posts sein. Und jetzt steht auch noch der Norddeutsche Rundfunk drauf.

NH






© Nicola Hinz 2014

 

Sonntag, 20. Januar 2013

Fuck Diets!


Ich wusste ja gar nicht, dass die Brigitte im letzten Jahr schon wieder aufgehört hat, mit "echten Frauen" statt mit Models zu arbeiten. Und das nach einer Testphase von nur - wie lange war das - 2 Jahre(n), die offenbar erheblich danebengegangen sein muss. Der Grund dafür wurde übrigens den Leserinnen in die Schuhe geschoben, denn die wollten angeblich gar keine "echten Frauen" mehr sehen. Was vielleicht auch damit zu tun haben könnte, dass die "echten Frauen" in der Brigitte so ziemlich allesamt jünger, dünner und glatter, als die echten Leserinnen waren - also im Prinzip unentdeckte Models. Das heißt, die Optik blieb weitgehend gleich, nur der Druck auf die Leserin stieg, weil die jetzt gefühlt nicht einmal mehr mit der normalen Frau von der Straße konkurrieren konnte. Von der man dann ja obendrein auch noch lesen musste, dass sie in Kopenhagen Architektur studiert und leidenschaftliche Snowboarderin ist. Oder so ähnlich. Kurzum, jung, schön, erfolgreich UND "echt" - ich kann mir gut vorstellen, dass das ein wenig zu viel für das gebeutelte Publikum war. Aber das ist natürlich nicht die Schuld des Publikums. Da haben sich unfähige Redakteurinnen einfach nicht von ihren Vorstellungen lösen können, was ansehnlich ist. Und hatten zu wenig Schneid, um - Achtung! - ECHTE Veränderungen vorzunehmen.

Aber wie gesagt, davon hätte ich gar nichts mitbekommen, hätte ich neulich am Kiosk nicht die zweite Ausgabe dieses Jahres erworben, um mir "Die neue Brigitte Diät" (die ja noch nie wirklich neu war) anzusehen. Das tue ich halt immer. Feindbeobachtung sozusagen. Oder doch eher eine rituelle Rückkehr an den Tatort. Es ist die Brigitte-Diät, der ich einen großen Teil der Kilos verdanke, die ich heute mit mir herumschleppe, denn sie war unter den Diäten, mit denen als Kind meine Jojo-Karriere begann. Die Brigitte-Diät auf dem Papier und die im Kopf meiner Mutter haben maßgeblich dazu beigetragen, mich zu einer "echten", dicken Frau zu machen, die Jahrzehnte später noch immer mit den Folgen für ihren Körper und ihr Selbstbild kämpft. Wie so viele andere auch.

Und ohnehin: Das Problem der blanken Ungleicheit, das wir als Gesellschaft weiterhin haben, dürfte kaum plastischer darzulegen sein, als durch die Sätze, mit denen die Chefredakteurinnen (von denen eine männlich ist) ihr Editorial zur Diät-Ausgabe einleiten. Brigitte Huber sagt: "Frauen verheimlichen, vertuschen und unterschlagen. Zumindest, wenn es um sensible Daten geht, wie die Zahl der Kalorien, die sie zu sich nehmen." Stephan Schäfer sagt: "Meine schönste Diät habe ich mit 16 gemacht. Wir waren sechs Jungs, wild und entschlossen, Südfrankreich zu erobern. Leider hatten wir für die gesamten Sommerferien nur 250 Mark pro Mann. (...) Baguette, ein bisschen Käse, Fisch aus Dosen; der Rest versank in französischem Landwein." Sie fühlt sich schuldig und muss vertuschen, damit ihr die große Universumskalorienpolizei mit dem langen, weißen Bart nicht auf die Schliche kommt. Er hat offensichtlich noch nie in seinem Leben eine Diät gemacht. Und wird es auch nicht tun. Fat is a feminist issue?* Heute mehr denn je. Wenn ich mich dafür entscheide, Frauen auch nach fast sechzigjährigem Bestehen meiner Zeitschrift weiterhin mental und körperlich zu schwächen, indem ich sie anhalte, ihre Nahrung zu reglementieren, kann ein Bericht über Hillary Clinton ganz hinten im Blatt das jetzt ein für allemal auch nicht mehr rausreißen. Das hatte meine Mutter offenbar auch instinktiv begriffen, als sie ihr Abo mit Anfang 60 dann endlich kündigte.

Fuck it!

Und wie hört man nun endlich auf, Diät zu machen und permanent Diät zu denken? Das ist noch immer die alte neue Frage, um die sich hier im Prinzip alles dreht. Wie entreißt man jetzt wirklich und ernsthaft seinen Körper, seinen Alltag und seine Lebensfreude den Klauen eines seit Ewigkeiten verinnerlichten Kontrollprogramms?

John C. Parkins (Autor von "Fuck it!") Antwort ist ebenso einfach wie eindeutig: "Sagen Sie Fuck It zur "richtigen" Ernährung." Solange es kein "essensfreies" Essen gibt, wird es immer Ernährungsexperten geben, die an der Ernährung anderer Leute etwas zu nörgeln haben. Parkin rät, man solle seine Essgewohnheiten einfach so annehmen, wie sie sind. Wer irgendwann frei sein will vom Diätwahn, muss diesen Schritt machen. Die Angst, dass man immer weiter zunehmen könnte, wenn man die ständige Selbstkontrolle aufgibt, ist seiner Erfahrung nach unbegründet - im Gegenteil: er hält es für wahrscheinlich, dass man sogar Gewicht verliert, denn sobald man essen darf was und wann man will, will man vermutlich vieles gar nicht mehr so dringend essen. Das ist plausibel, denn dass restriktiver Umgang mit Nahrung zwangsläufig zu einer Obsession mit Nahrungsmitteln führt, ist schon lange erwiesen**, entspricht außerdem natürlich unseren persönlichen Erfahrungen und lässt sich in den Medien eindrucksvoll im Hinblick auf eine quasi gesamtgesellschaftliche Essstörung nachvollziehen: Nicht abreißende Berichterstattung über Diäten und vermeintlich gesunde Ernährung einerseits, Kochsendungen mit komplexen, hochkalorischen Kreationen im Minutentakt andererseits. Auch der Arzt Gunter Frank beschreibt in "Lizenz zum Essen" das Phänomen, dessen möglichen Eintritt Parke vorhersagt. Patienten verloren leicht an Gewicht, nachdem sie sich endlich entschieden hatten, keine Kalorien mehr zu zählen. Bei mir hält eine Tafel Schokolade übrigens auch entscheidend länger, seit ich mich mit der Möglichkeit beschäftige, einfach so zu bleiben, wie ich bin. Neulich habe ich hinten im Schrank sogar eine gefunden, die ich total vergessen hatte - das wäre früher nie passiert. ; ) Trotzdem darf man natürlich das Ende der Diäten nicht als neuen Diätplan begreifen - dass man sich damit ins eigene Knie schießt, dürfte auf der Hand liegen. Solche Erwartungen werden sich nicht erfüllen, sondern einen bei der Rückkehr zu einem nicht schuldbeladenen Essverhalten nur blockieren.

Parkins Strategie mag radikal erscheinen, deckt sich aber auch mit den Empfehlungen und Beobachtungen der Fettaktivistinnen Kate Harding und Marianne Kirby. Diese legen in ihrem Buch "Lessons from the Fat-O-Sphere" dar, dass die Angst, sich ins Koma zu futtern, wenn man sich plötzlich alles gestattet, jeder realistischen Grundlage entbehrt. Klar, wer gerade eine Diät hinter sich hat, wird wieder zunehmen. Das hätte man mit riesiger  Wahrscheinlichkeit jedoch ohnehin. Aber anders als von der Brigitte et al. immer suggeriert, sind die allermeisten von uns eben keine mehr schlecht als recht getarnten Fressmaschinen, die ohne Reglementierung im Transformermodus den Planeten schmatzend ratzekahl machen würden. Vielleicht stopft man sich anfangs ein paarmal mit vorher "Verbotenem" voll, weil es halt jetzt erlaubt ist, aber, so Harding/Kirby, diese Phase wird für gewöhnlich nicht lange dauern. Irgendwann will der Körper automatisch zu einer abwechslungsreichen Ernährung zurück, die mengenmäßig den momentanen Bedürfnissen entspricht, und er wird einem dieses auch wahrnehmbar mitteilen. An dem Punkt wird es dann wichtig, genau hinzuhören und "hinzufühlen", um folgende Fragen genau zu beantworten: Bin ich jetzt hungrig? Und was will ich jetzt essen? Für Harding/Kirby ist intuitives Essen die einzige Chance auf eine Flucht aus der grimmigen Welt der Diäten in ein diätfreies Leben und zu einer selbstbestimmten Ernährung - etwas, was viele von uns eigentlich gar nicht (mehr) kennen.

  • Grundvoraussetzung hierfür ist, dass man akzeptiert, dass Diäten schlicht nicht funktionieren. Dabei kann eine gesunde Portion Wut helfen.
  • Außerdem ist es von entscheidender Bedeutung, damit aufzuhören, Nahrungsmittel in gute und schlechte einzuteilen.
  • Wie Parkin raten die beiden, sämtliche Diät- und Ernährungsratgeber in den Müll zu werfen. Und ab da sollte man sich strikt an den Harding-Kirby Lifetime Diet Plan halten:
"Eat what you're hungry for, when you're hungry for it, and stop when you're full. Period."
(Iss wonach dir ist, dann, wenn dir danach ist und höre auf, wenn du satt bist. Punkt.)

Das ist nun eines meiner großen Ziele für das kommende Jahr - ich werde versuchen, hier weiter an mir zu arbeiten und besser darin zu werden, ohne Schuldgefühle das zu essen, was ich will. Meinen Plan einer kompletten Umstellung auf eine vegane Ernährung werde ich allerdings vorerst drangeben. Ich werde weiterhin vegetarisch leben und vielleicht versuchen, den Anteil tierischer Produkte nach und nach zu reduzieren. Ich hatte ja auch noch immer vor, mein Körpergewicht gezielt noch etwas zu verringern. Wegen der Knie und so. Aber ich werde ab jetzt keine Diät mehr machen. Und ich werde auch nicht "meine Ernährung umstellen". Wenn ich dann also einfach so bleibe, wie ich jetzt bin: FUCK IT! ; )

P.S.: Dann kann höchstens die Ausräumaktion im Kleiderschrank weitergehen - diesmal dann bis Größe 46 (einschließlich).

*Susie Orbach
** siehe z.B. Minnesota Starvation Experiment


NH

Sonntag, 7. Oktober 2012

Die Septemberausgabe


Es war Juni, als die "Health Initiative" der VOGUE Chefredakteurinnen weltweit vorgestellt wurde. Zugegeben - es war mir immer unklar, WER im Zuge der schwammigen Aktion WIE gesünder werden sollte, aber die in den Medien gängige Lesart war, dass VOGUE sich in Zukunft bemühen würde, ein realistischeres und damit gesünderes Körperbild zu transportieren. Sprich, so ziemlich alle dachten, die Tatsache, dass die Redaktionen in Zukunft nicht mehr WISSENTLICH mit essgestörten Models arbeiten wollten, würde automatisch dazu führen, dass die abgebildeten Frauen/Mädchen fortan auch mehr auf den Rippen haben. Von mir hätten gleich alle erfahren können, dass das nichts wird. Aber mich hat mal wieder keiner gefragt.

Die "September Issue" ist anzeigentechnisch die wichtigste und damit auch die dickste Ausgabe des Jahres. Insbesondere in den USA hat sie Kultstatus und hat in diesem Jahr gut 900 Seiten. Und ich dachte mir, es ist nun auch an der Zeit, in den Magazinen selbst nach den Zeichen positiver Veränderungen als Resultat der "Health Initiative" Ausschau zu halten, und diese dann zu dokumentieren.......tja...

Ich bin VOGUE-Leserin seit ich 16 bin, und natürlich weiß ich heute, dass das höchstwahrscheinlich ein nicht zu vernachlässigender Teil meines Problems ist. Das Schönheitsideal der VOGUE war immer unrealistischer, gnadenloser und DÜNNER, als das aller anderen Frauenmagazine. Und daran, so scheint es beim Durchblättern der deutschen, französischen und US-amerikanischen Septemberausgabe, wird sich auch nichts ändern. Zwei "dicke" Frauen (deren Kleidergröße vermutlich größer als 44 ist) habe ich auf den insgesamt 1675 Seiten gefunden. Die eine war Queen Latifah (US), die andere Toni Morrison (Frankreich).

Im April hatte ich mich bereits gefragt, ob wir nicht alle ein bisschen "Pro ana" sind, ob unsere Gesellschaft im Hinblick auf Körpergewicht und gängige Schönheitsideale, sowie den Zwang, diesen zu entsprechen, sich nicht im Grunde verhält, wie eine eingeschworene Gruppe essgestörter Teenager, die sich unablässig gegenseitig darin bestärken, noch härter an sich zu arbeiten, um eines Tages wahrhaft perfekt (dünn) zu werden. Eines der Argumente war, dass "Thinspos" (Sammlungen von Darstellungen sehr dünner Frauen, die zur Motivation dienen, stark zu bleiben und nicht zu essen), die einen wesentlichen Teil der Pro-Ana-Kultur darstellen, im Prinzip in jedem Modeblatt zu finden sind. Wir alle werden täglich mit "Thinspos" motiviert, ja nicht so zu bleiben, wie wir sind.

Health Initiative hin oder her - als Thinspo dient jede VOGUE noch immer hervorragend. Untergewichtige Mädchen so weit das Auge reicht. Ich hatte ja bei meiner letzten Thinspo mit aus Frauenzeitschriften entnommenen Abbildungen (der Schwerpunkt liegt wie vormals auf besonders dünnen Beinen und hervorstehenden Schlüsselbeinen, sowie bemerkenswert schmalen Taillen) schon ein wenig "subversives Fett" eingebaut. Was die VOGUE nicht kann, kann ich schon lange, und so habe ich diesmal bei meiner speziellen "September Issue Thinspiration" noch ein paar mehr dicke Damen eingeschleust.

Wer nun gezielt nach ihnen Ausschau hält, und ganz im Geiste der Sesamstraße herausfindet, welches Ding anders ist, als die anderen, kann etwas gewinnen. Ich weiß noch nicht was, weil ich das mit dem Preis eben erst beschlossen habe, aber es wird etwas Schönes geben (Buch oder DVD).Wer mitmachen will, muss mir nur bis einschließlich Freitag die richtige Zahl der Bilder mit vergleichsweise runden Frauen in der Thinspo mailen* und kommt wieder in den Verlosungshut. Ich melde mich dann bei den GewinnerInnen, um die Adresse zu erfahren.

*office(at)nicola-hinz.com

NH
 

Mittwoch, 8. August 2012

Am Beckenrand


Abseits der Frage, von was ich mich auf Grundsicherungsniveau ernähren soll, stellt sich in den letzten Tagen immer mehr und dringlicher eine ganz andere. Zwar habe ich inzwischen  schon irgendwie begriffen, dass ich ab jetzt  keine Diät mehr machen und nicht mehr dünn werden werde (und das ist etwas, womit sich mein Umfeld tatsächlich noch immer schwer tut), aber wie ich von „erst leben wenn dünn“ zu „leben jetzt gleich“ komme, ist mir noch nicht ganz klar. Hinzu kommt, dass die Entschlossenheit, aus dem Diät-Karussell auszusteigen, nicht automatisch auch noch dazu ausreicht, einen ins Abenteuerland zu tragen.

Was macht man nach vierzig Jahren mit einem aufgeschobenen Leben? Und wie hört man auf, aufzuschieben?

Was erlebt ein Dicker in vierzig Jahren medialer, gesellschaftlicher und gar politischer Diffamierung? Er paddelt täglich durch Fluten von Bildern, die untergewichtige, vorgetäuschte und unerreichbare Schönheit zur Bürgerinnenpflicht machen. Er lebt damit, den Beweis seines vermeintlichen Versagens Tag ein Tag aus weithin sichtbar durch die Welt zu schleppen – und mit der daraus resultierenden Scham. Er lebt damit, unzulänglich, minderwertig und lächerlich zu sein. Und an allem, was ihm aufgrund seines Körperumfanges widerfährt,  ist er selbst schuld. Alles, was die Hexenjagd auf Dicke ausmacht, unterscheidet sich in nichts von der Diskriminierung und Diffamierung anderer Minderheiten. Der Nutzen ist immer gesellschaftliche Abgrenzung und Selbsterhöhung.

Das ist es, was sie (Medien, Diätindustrie und Politik) tun: Sie stehlen und zerstören Leben. Sie verändern Lebensläufe, indem sie eine gesellschaftliche Realität formen, in der Toleranz im Hinblick auf Körperumfang nur schwer eingefordert werden kann und in der gleichzeitig das Selbstbewusstsein und die Kraft von betroffenen Individuen, sich dennoch im Leben zu behaupten, verstümmelt werden. Ein Mensch, der durch Selbstzweifel und fest eingepflanzte Selbstverachtung nur schlecht gewappnet ist, trifft auf eine Welt, die ihn mehrheitlich sofort als „falsch“ erkennt und entsprechend reagiert. Selbst wenn man, wie ich, eher selten ganz direkte und offene Angriffe erlebt hat, ist eine quasi atmosphärisch erzeugte „Grundentmutigung“  ganz klar ein bestimmendes  Thema. Man zieht sich zurück. Man neigt dazu, sich zu ducken und zu verstecken und hofft inständig, eines Tages „normal“ zu werden. Das „normale“ und damit gute Leben kann erst dann beginnen, wenn der Körper gebändigt und halbwegs gesellschaftsfähig ist. Jahre gehen ins Land, und man verbringt sie weitgehend damit, auf den berühmten „Klick“ zu warten. 
 
Es ist schwer, auch im Kopf keine Diät mehr zu machen. Es ist schwer, nicht mehr abzuwarten. Es ist als ob man ewig in die Sonne gestarrt hat, und nun hofft, dass die grünen Punkte vor den Augen endlich aufhören zu tanzen.

Die Verunsicherung, in einem prekären, weil immer mal wieder übergewichtigen Körper zu leben, hat in meinem Leben bisher ALLES geprägt und beschnitten: berufliche Ambitionen und Erfolge, soziale und romantische Beziehungen, sowie alles andere, was das Leben fröhlich und spannend machen könnte.

Die Liste der Dinge, die ich zu einem bestimmt Zeitpunkt unterlassen und mir nicht gestattet habe, weil ich glaubte, dafür zu dick zu sein, ist endlos (und das Folgende ist nur eine kleine Auswahl):

-  schwimmen gehen
- tanzen gehen
- auf eine Party gehen
- Geisterbahn fahren
- eine Rede halten
- eine Einladung zum Essen annehmen
- Sex
- Gesangsstunden nehmen
- Theater spielen
- Fliegen
- zum Arzt gehen
- am Strand spazieren gehen
- zum Frisör gehen
- für einen Auftrag bewerben
- zu einer Vernissage gehen
- berufliche Kontakte pflegen
- ein Fernsehinterview geben

Die Erkenntnis, dass man all das ab jetzt doch dick tun muss, weil es dünn nicht mehr geben wird und man sonst den Rest seines Lebens schlicht und ergreifend verpasst, sorgt bei mir neben großem Erstaunen in den letzten Tagen auch für  eine Heidenangst. Allerdings ist sie auch der Sprung von einem sinkenden Dampfer ins Rettungsboot – man hat auf jeden Fall bessere Chancen, doch noch ans Ufer zu kommen, als wenn man geblieben wäre.

Es ist eine beliebte Theorie unter Therapeuten, dass ein runder Körper als Schutzwall gegen persönliche Ansprüche dient, die zu erfüllen man entweder nicht in der Lage oder eigentlich gar nicht bereit ist. Das Fett ist dieser Interpretation nach Alibi und Wächter zugleich und bewahrt uns vor dem Stress, den es bedeuten würde, sich z.B. tatsächlich in einer Produktion von Agatha Christies Mausefalle im Gemeindezentrum auf die Bühne zu stellen. Es ist nicht die Gesellschaft mit ihren Normen, die einen  sabotiert, sondern der eigene Körper, der sich so  Anforderungen und Herausforderungen entziehen will. Und schwupp - ist man abermals selbst für den ganzen Mist verantwortlich. Ich bin keine Anhängerin dieses Erklärungsversuches mehr, weil der unterstellte Mechanismus natürlich nur funktioniert, solange man sich auf die Außenwelt und ihre offensichtliche Missbilligung des dicken Körpers verlassen kann. In einer Welt, in der Dicke keinen besonderen Mut dazu bräuchten, im Mittelpunkt zu stehen, wäre es ganz offenkundig eine völlig sinnlose Strategie. Was war also zuerst da? Das Fett, oder das angeknackste Selbstbewusstsein? Fett ist nur Fett. Bis man ein Drama daraus macht. Ich war nur ein großes, molliges Kindergartenkind. Bis man mir sagte, dass ich ein dickes, fettes Sorgenkind sei.

Gegen Entmutigung hilft nur konsequente Ermutigung, und ich persönlich finde ja, dass auch Wut dabei  sehr hilfreich ist. Zumindest am Anfang. Wut auf die vertane Zeit. Wut auf alle, die einen entmutigt haben – und es weiterhin versuchen werden. Sie sollten sich besser warm anziehen. Freude hilft natürlich auch. Freude, dass es vielleicht noch nicht zu spät ist. Freude, dass das Leben endlich wirklich anfängt.

Und ich gehe dann jetzt erst mal schwimmen. Wer schwimmt, sinkt ebenfalls nicht. 

Montag, 25. Juni 2012

Food for thought: Lesley Kinzels "Two Whole Cakes"


Ich mag ja dünne Bücher. Denn ich habe wenig Zeit. Das Risiko ist natürlich, dass in einem dünnen Heftchen auch nicht viel steht. Oder aber die Autorin kommt schnell auf den Punkt und schafft es, eine komplexe Thematik auf angemessene Weise auf eingeschränktem Raum zu behandeln. Darum war Lesley Kinzels kurzer Abriss über Selbstakzeptanz und das Ende vom Kampf um den perfekten (dünnen) Körper eine Entdeckung für mich. Lesley Kinzel ist Fett-Aktivistin – und Amerikanerin. Wenn man das Stichwort „Fettakzeptanz“ bei Google eingibt, bekommt man ein mageres Ergebnis von 188 Seiten, bei „Fettaktivismus“ sind es sage und schreibe sieben (!) Ergebnisse. In Deutschland dürften Flashmobs dicker WutbürgerInnen in naher Zukunft nicht zu erwarten sein – eine kulturelle und politische Thematisierung der Stigmatisierung und Diskriminierung Dicker ist hierzulande bislang kein besonders schillerndes Thema. Das heißt nicht, dass Dicke hier die Nase nicht auch voll hätten. Sie suchen sich Unterstützung in Internet-Foren und Selbsthilfegruppen und begreifen langsam, dass sie nicht nur nicht allein, sondern richtig VIELE sind. Wie sollte es auch anders sein? Wenn ÜBER 50% der Deutschen zu dick sind (Fragen hierzu bitte an das Bundesgesundheitsministerium), was ist dann eigentlich wirklich „normal“? 

In den USA ist die Bewegung weiter. Sie ist natürlich größer – und noch dazu empfindlicher als ein Hornissennest. Als die Marie-Claire-Kolumnistin Maura Kelly einen Blog-Beitrag darüber verfasste, dass es ekelhaft ist, im Fernsehen dicken Schauspielern beim Knutschen zusehen zu müssen, bekam das Magazin 28.000 Zuschriften. Leserinnen drohten massenweise, ihre Abos zu kündigen und tausende, unter ihnen Sharon Osborne, forderten quer durchs Internet einen Boykott der Zeitschrift, bis Maura Kelly gefeuert würde. Wurde sie nicht. Jedenfalls nicht gleich. Lesley Kinzel war dann diejenige, die von Marie Claire damit beauftragt wurde, die passende Antwort auf den Schwachsinns-Artikel der eigenen Mitarbeiterin zu verfassen – um die Gemüter zu beruhigen und um größeren Schaden abzuwenden. Kinzel war Mitbegründerin des Blogs „Fatshonista“ und ist eine Internet-Berühmtheit auf dem Gebiet Fettakzeptanz.

 

„Your body is not a tragedy.“


„Two Whole Cakes“ ist eine Mischung aus Autobiographie und Analyse – und liefert auf wenigen Seiten einen ganzen Fundus an Ideen, wie Selbstakzeptanz entwickelt und erreicht werden kann: Unser Körper ist „keine Tragödie“, aber dass wir das Gefühl haben, uns jeden Tag für ihn entschuldigen müssen, ist eine. Mode ist politisch und sich mit Kleidern sichtbar statt unsichtbar zu machen ist einen Form von Aktivismus. Feminine Stereotype verletzen alle – auch die, die ihnen entsprechen. Wessen Problem ist es eigentlich, wenn die Gesellschaft Angst vor meinem Körper hat? Und sie HAT ANGST. Kinzel beschreibt auf Seite 75, wie sie als Kind von ihrem langen dünnen Schatten fasziniert war und Sommerabende damit verbrachte, mit ihm zu tanzen, weil er so war, wie sie sich eine wundervolle, schlanke Zukunft vorstellte. Ich hatte tatsächlich die gleichen Schattenerlebnisse als Kind. Ich hatte sie vergessen, und die Erinnerung hat mich sehr berührt. Aber das beweist auch nur wieder, wie ähnlich unsere Geschichten mitunter sind.

Es gibt leider nicht viele substantielle Veröffentlichungen zum Thema Fettakzeptanz auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Selbst wenn auf Diät-Ratgebern heute „Diät nein danke“ steht – das ist um Himmels Willen nicht ernst gemeint! Sabine Asgodoms „Das Leben ist zu kurz für Knäckebrot“ ist vielleicht gut gemeint, dann aber so trutig, wie der Titel – und letztendlich auch noch inkonsequent. Susanne Fröhlich schreibt in „Und ewig grüßt das Moppel-Ich“ einen Brief an Kohlenhydrate, die sie jetzt wieder essen darf…nun, vielleicht kommt die Revolution ja in Gang, wenn sie endlich was Anständiges im Magen hat. Bei mir steht jetzt Friedrich Schorbs „Dick, doof und arm“ oben auf der Leseliste; Udo Pollmer und Gunter Frank habe ich bereits abgearbeitet. 

Ich war so fröhlich, Kinzels Buch als coole und relevante „Starthilfe“ auf den Weg in die dicke Selbstakzeptanz gefunden zu haben, dass ich gleich noch zwei Exemplare erworben habe, um sie zu verschenken. 

Wenn ihr eines haben wollt, sendet mir einfach eine kurze E- Mail an office@nicola-hinz.com bis Freitag (29.06.12). Ich packe alle Namen in einen Hut und ziehe zwei. Ich melde mich dann bei euch, und ihr könnt mir die Adresse geben, an die das Buch gehen soll.

NH

Donnerstag, 31. Mai 2012

Die Straße zur Hölle...

...ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert.

Neunzehn VOGUE Chefredakteurinnen (die in der deutschen VOGUE ja noch immer „Chefredakteure“ sind) haben im Rahmen ihrer neu gegründeten und äußerst originell betitelten Health Initiative in ihren Juni-Ausgaben eine Selbstverpflichtungserklärung veröffentlicht. Diese umfasst sechs Punkte und befasst sich in der Hauptsache NICHT mit dem, was die welt- und internetweit offenbar gängigste Lesart impliziert, nämlich dass VOGUE sich von der Darstellung übermäßig magerer Models verabschieden wird, um in Zukunft ein gesundes Körperbild zu transportieren. Diese Interpretation ist ganz offensichtlich das Resultat kollektiven Wunschdenkens, denn davon steht in dem Textchen so gut wie nichts.

Abgesehen davon, wie schlecht und ungenau die deutsche Übersetzung ist, und dadurch (mit Absicht?) NOCH sinn-kärger und weniger überzeugend, lässt sich im Prinzip die folgende Hauptsorge der Verfasserinnen herausfiltern: Models sollten nicht jünger sein als 16 Jahre. Dass sie ab sofort ein gewisses Gewicht nicht unterschreiten dürfen, steht hingegen nirgends. Überraschend? Nein. Wovon träumt ihr denn des nachts? ; )

Bereits die deutsche Einleitung zur Erklärung verblüfft mit einem Ablenkungsmanöver, das ebenso abenteuerlich wie ärgerlich ist: „Ist ein dünner oder dicker Körper an sich noch kein Zeichen für mangelnde Gesundheit, so stellen Magersucht, Bulimie und Fettleibigkeit ernstzunehmende, ja lebensbedrohliche Krankheiten dar.“  Zunächst einmal  lohnt sich hier vielleicht der Hinweis, dass „Fettleibigkeit“, anders als Magersucht und Bulimie, keine Krankheit ist, sondern vielmehr  eine Zustandsbeschreibung. Darüber hinaus dürfte jedem klar sein, dass VOGUE zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in dem Verdacht gestanden haben kann,  Fettleibigkeit zu glorifizieren und damit Millionen von Frauen mit jedem neuen Heft  weiter in diese zu treiben.* Der Hinweis auf „Fettleibigkeit“ dient hier zu Verwässerung dessen, was trotzdem für jeden klar und sichtbar Sache ist: Das durch VOGUE bisher kolportierte, unrealistische und DÜNNE Schönheitsideal trägt dazu bei, dass Frauen sich in ihren echten Körpern unwohl und in der Mehrzahl zu dick fühlen. Was in der Tat zu Essstörungen führen kann. Aber VOGUE möchte weiter magere Körper zeigen, weil  die nicht unbedingt ungesund sind und möchte lieber keine allzu dicken Körper zeigen, weil Fettleibigkeit ungesund sein kann. Das ist der Stoff aus dem der Erhalt des Status Quo ist.

Die halbherzigen, vagen Programmpunkte der Health Initiative geben ohnedies nicht viel Anlass zur Hoffnung auf substantielle Veränderungen. Zwar haben der Anna, der Alexandra, der Christiane und all die anderen Jungs sich Grundsätze an die Beine gebunden, bei deren Unterzeichnung ihre Händchen möglichweise gezittert haben mögen, die aber weiter von echten Vorstößen entfernt sind, als Madonna vom Oscar für die beste Hauptdarstellerin.

Also:

1. VOGUE will in Zukunft nicht „wissentlich“ mit Models arbeiten, die unter 16 oder essgestört sind. Man will stattdessen Models auswählen, die „gesund erscheinen“. Als naive Leserin hätte man vielleicht vermutet, dass es sich hier um Selbstverständlichkeiten handelt.  Obendrein stört man sich womöglich auch noch an der Schwammigkeit von „wissentlich“ und „gesund erscheinen“, aber es sind nicht ethische Bedenken und  spießige Erbsenzählerei, die einen auf einen VOGUE –Chefredakteurinnensessel befördern, daaaling.

2. Agenturen werden aufgerufen, das Alter von Models zu überprüfen. Damit die nicht etwa zu jung sind. Denn das ist ja bekanntlich das allerallerallergrößte Problem, das die Modeindustrie hat. Um diesem Übel nun gleich entschlossen etwas entgegenzusetzen, ziert das deutsche Cover im Juni auch keine dicke, sondern eine echt alte Frau: Carolyn Murphy (38).

3. Im Rahmen eines Mentoren- Programmes sollen ältere, erfahrene Models  jüngere beraten und unterstützen. Mit der Council of Fashion Designers of America Health Initiative als Vorbild, soll Gesundheitsaufklärung betrieben werden. Und wieder: Kein Wort über Essstörungen oder die Gefahren von radikalen Diäten und Untergewicht. Über die vermittelten Inhalte und die im Zuge des Mentorings bereitgestellten Informationen kann man nur spekulieren. Was für Tipps wird eine junge Frau einer noch jüngeren geben können, wenn ihre eigene Karriere typischerweise  erst begann, nachdem sie selbst, in der Regel  auf Anordnung ihrer Agentur, erst einmal ordentlich abspecken musste? Obwohl sie bereits schlank und noch gesund war?

4. Models sollen hinter den Kulissen (Fashionshows, Fotostudio) etwas Gesundes zu essen kriegen (das steht im deutschen Programm übrigens schon gar nicht mehr drin), sollen ein bisschen Privatsphäre haben und außerdem nicht zu lange arbeiten müssen – was immer das nun wieder bedeuten mag. Aber vielleicht steht man einen längeren Arbeitstag mit etwas mehr im Magen als Zigarettenrauch und Eiswasser ja auch besser durch.

5. Designer sollen ermutigt werden, die Mustergrößen nicht ganz so klein zu machen, denn sonst ist die Redaktion ja praktisch gezwungen, magere Models zu buchen. Jahaa…und wir dachten immer, der Teufel,  also die Anna, sagt den Designern, wo es lang geht. Stellt sich doch nun heraus, sie muss das nehmen, was sie kriegt.

6. „We will be ambassadors for the message of healthy body image.“  Das glauben wir dann, wenn unter dem Foto eines Models in Größe 40 nicht mehr der erklärende Hinweis “Plus-size” steht.

Wird die Health Initiative etwas Positives für die Akzeptanz von Dicken bewirken? Vermutlich nicht. Ist sie eine Alibireaktion auf wachsenden öffentlichen Druck mit der Absicht, „noch Schlimmeres“ zu verhindern (z.B. die weitergehende Verabschiedung bindender gesetzlicher Vorgaben – zuletzt hat Israel im März ein Gesetz erlassen, dass vorschreibt, dass ein Model mit einem BMI unter 18,5 nicht für Werbeaufnahmen gebucht werden kann, wenn die Kampagne in Israel gezeigt werden soll)? Vielleicht. Oder geht es hier um Publicity? Das sowieso.

P.S.: Wie es sich mit den Models in der in der VOGUE geschalteten Werbung verhält, und ob hier die oben genannten Grundsätze auch greifen sollen, wäre eine Frage wert. Fast ahnt man allerdings die Antwort.


*Wenn man mal von der Gewichtszunahme durch den Jojo-Effekt nach Diäten absieht.

NH