Die letzte Woche fing schon schlecht an, als sie eigentlich noch gar nicht angefangen hatte. Ich wurde am Samstagabend auf einer eigentlich sehr schönen Party an einem Tisch platziert, an dem u.a. bereits ein Steuerberater/Lokalpolitiker und seine dicke Frau saßen. Sie war mit echtem und falschem Glitzerkram geschmückt, wie ein Weihnachtsbaum und brachte die passende sprudelige Stimmung gleich mit. Erst dachte ich nur, sie wäre halt eine von diesen, wie ich finde, unangenehmen Dicken, die mit überzogen fröhlicher Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitude die Tatsache ausgleichen wollen, dass sie, so wie ich, zu einer als minderwertig empfundenen Bevölkerungsschicht gehören. Später stellte ich fest, dass sie auch ausgesprochen unhöflich war, denn sie setzte sich nach dem Essen zwischen mich und meine Nachbarin und blockte mich aus der Unterhaltung, indem sie mir ihren Rücken zudrehte.
Wahrscheinlich hatte sie es mir übel genommen, dass ich ihren Mann dabei erwischt hatte, ein nicht besonders heller Schwätzer zu sein. Wir konnten vom Tisch aus den Michel (St. Michaelis, Hamburg) sehen. Meine Nachbarin sagte: "Oh, der Michel!" Er erklärte ihr im Brustton der Überzeugung, das sei nicht der Michel. Mein Google sagte, dass er schlicht Unrecht hatte. Und das sagte ich ihm dann. Der Mann belehrte halt mal wieder besonders gern Frauen. Nacheinander meine Nachbarin, dann mich und schließlich sogar seine eigene Frau. Dummerweise lag er mit so ziemlich allem falsch. Heutzutage ist das ja im Zweifel besonders schnell und leicht nachzuweisen. Was manche Ehefrauen so aushalten...aber vermutlich sieht sie nichts bzw. alles ganz anders. Sie nannte ihn stolz "großer Bär". Ein Bild vom "kleinen Bären" (das Kind heißt tatsächlich "Urs") hatte sie mir bereits Sekunden nachdem ich mich an den Tisch gesetzt hatte, unter die Nase gehalten.
Was bedeutet diese Episode nun eigentlich? Ich kann öfter mal gar nicht so gut mit anderen Dicken. Das hat mich immer ein wenig frustriert, wenn das passiert ist. Aber warum eigentlich? Schließlich sind wir nicht automatisch im selben Club. Und Dicke sind nicht automatisch bessere Menschen. Das denkt man nur immer, wegen ihrer persönlichen Diskriminierungsgeschichte, die sie schließlich, wie wir alle, irgendwie schon haben müssen. Aber nicht jede(r) kommt am Ende des Spülganges mit der gleichen Gemütsverfassung und Weltsicht wieder heraus. Und Solidarität ist im Alltag und auch sonst ja ohnehin immer so eine Sache. So wie Angela Merkel keine Verpflichtung hat, Politik für Frauen zu machen, und darüber hinaus nun auch über das mühsam erstrittene Recht verfügt, ganz genauso reaktionär und machthungrig zu agieren, wie jeder reaktionäre und machthungrige Mann, haben Dicke natürlich keine Verpflichtung, ausgerechnet zu mir nett zu sein.Und sind sie halt oft auch nicht.
Konkurrenz unter Dicken?
Ich bin bereits in all diesen Kategorien gescheitert: mit der besten dicken Freundin, diversen Stammtischen für dicke Frauen, auf dicken Tanzparties, sowie in Internetforen für Dicke. Es macht mich als Feministin nicht froh, von Bissigkeit und Konkurrenzgebaren unter Frauen zu sprechen, weil es mir viel lieber wäre, das bliebe in meiner Welt nur ein abgedroschenes Klischee, aber oft waren es wohl wirklich solche Schwingungen, die mich dazu gebracht haben, mich von entsprechenden Zusammenschlüssen wieder zu trennen. "Wenn du immer und überall fast ausschließlich auf dicke verbissene Konkurrentinnen statt Schwestern triffst, bist am Ende womöglich doch du selbst die, die immer automatisch konkurriert", schallt es aus naseweiser Quelle über die Straße. Wer weiß...
Was ich weiß (und vermutlich auch hinreichend mitgeteilt habe) ist, dass meine Wut stetig auf jene wächst, die sich anpassen, den Kopf einziehen, insgeheim noch immer auf dünne Zeiten hoffen, und den Kampf für die eigene gesellschaftliche Akzeptanz und gegen die eigene Diskriminierung im günstigen Falle anderen überlassen. Im schlechteren stemmen sie sich noch gegen derartige Bemühungen. Dicke Anti-Dicke sind mir genauso ein Rätsel, wie Antifeministinnen. Auf beide bin ich mitunter so sauer, dass ich gelegentlich mit dem Gedanken spiele, doch noch eine Karriere als Autorin seifiger, antiemanzipatorischer Frauenromane zu starten, in denen dicke, tramplige Heldinnen regelmäßig schön und schlank werden, bevor sie endlich doch noch ihr Glück finden.
Meine Therapeutin hat mich letzte Woche Donnerstag in einer Gruppensituation beobachtet (therapeutische Kochgruppe in ihrer Praxis) und mir danach am Dienstag mitgeteilt, ich hätte so viel unnahbarer gewirkt, als im normalen Gespräch und damit womöglich die anderen Gruppenmitglieder verunsichert. Das fand ich bemerkenswert, denn ich hatte mich einfach nur zurückgehalten, um explizit niemanden zu verschrecken. Mir ist bewusst, dass ich leicht zu viel werden kann, wenn ich meine Ansichten, Überlegungen, meinen Humor und meine Abneigungen zu deutlich austeile. Darum nehme ich mich im direkten Zusammentreffen mit anderen oft zurück. Offenbar mit dem Ergebnis, dass man mich dann leicht für unzugänglich hält. Schöner Mist.
"Zu viel" zu sein, ist eine Erfahrung, die ich mehr als hundertmal gemacht habe. Und das eben nicht nur, was meinen Körper angeht. Ich bin im persönlichen Umgang oft bemüht, Menschen nicht zu überfordern, weil es nicht meiner Erfahrung entspricht, dass ich besonders gemocht werde, wenn ich da den Rahmen sprenge.
Während kapriziöses Drama beispielsweise geradezu ein Lebens- und Erfolgsrezept vieler Frauen im Umgang mit Männern zu sein scheint und sie offenbar niedlich, geheimnisvoll und schutzwürdig erscheinen lässt, hat bei mir "Kompliziertheit" eigentlich immer nur dazu geführt, dass sich andere abwenden. Mich hebt keiner fasziniert vom Boden auf, streicht mir über den Kopf und hält mein emotionales und geistiges Übermaß für eine Aufforderung, sich zu Rettungsaktionen aufzuschwingen. Warum eigentlich nicht, wollte ich von meiner Therapeutin wissen. Das ist sowas von unfair. Wusste sie aber auch nicht.
Das Ende vom Lied
Als Beispiel für oben beschriebenes Dilemma endete in dieser Woche die spaßhafte Androhung durch mich, persönlich ein Geburtagsständchen vorzutragen, unbegreiflicherweise in einem weiteren zwischenmenschlichen Bruch. Wahrscheinlich hätte ein Video von mir mit Sprühsahne auf dem Busen (wie im letzten Jahr) mehr Anklang gefunden, aber dazu hatte ich keine Lust. Wahrscheinlich hätte ich mich wieder komplett zurück halten sollen - ich weiß schließlich, dass Geburtstage eine kniffelige und empfindliche Angelegenheit sein können. Aber es war mir ein Bedürfnis, mich einfach zu melden. Genau genommen war es mir ein Bedürfnis, vom Empfänger mal wieder wahrgenommen zu werden. Aber er hat mich scheinbar abermals nicht gesehen. Und nach zwei Jahren, in denen ich mich in dieser Verbindung oft wie der letzte Dreck gefühlt und mich trotzdem weiter bemüht habe, weil sie mir so furchtbar wichtig war/ist, habe ich dann so deutlich gesagt, was ich denke, dass von nun an zumindest ich selbst nicht mehr in der Position bin, hier, wie vielleicht vormals noch möglich, eine Rückabwicklung vorzunehmen. Und da ich wirklich nicht damit rechne, dass mir derjenige plötzlich vom Boden aufhilft, weil er mich so niedlich findet - one down, no one to go.*
Nachtwanderung
Sonntagnacht wanderte ich allein durch den Ort. Zwei junge Menschen kamen mir im Dunkeln auf dem Bürgersteig mit einem Hund entgegen. Die Frau lief auf meiner Seite direkt auf mich zu. Es bestanden zwei Möglichkeiten: Entweder sie weicht hinter oder vor ihren Begleiter aus, oder sie rennt direkt in mich rein. Und das hat sie dann auch getan. Offenen Auges. Weil sie bis zum letzten Moment hinter ihren stylischen Brillengläsern geglaubt hat, dass die dicke Alte schon einen Schritt zur Seite und auf die Straße machen wird, wenn sie in Paarformation auf mich zurauscht...
...War dann regelrecht ein wenig schmerzhaft, der Zusammenstoß. Und von ihrer Seite erstaunlicherweise komplett stumm. Während ich die Augen rollte und seufzte "Unfassbar!", begannen die beiden erst einige Meter die Straße hinauf damit, sich wieder murmelnd zu unterhalten.
Und nun ist schon wieder Freitag.
*Noch einer erledigt, keiner mehr da.
NH