Nachdem ich vor zwei Monaten nun Golda Poretzky’s Body Positive Dating Master Class für runde Frauen absolviert und mir vorgenommen hatte, doch ein zweites
Mal einen Kopfsprung ins kalte Wasser des Internet-Datings zu machen, ging dann
alles erstaunlich schnell.
Wohlgemerkt: Springen, aber mit dem Kopf zuerst eintauchen –
diesmal hatte ich vor, mit einem echten Plan an den Start zu gehen. Es gab also
im Voraus ein paar Dinge zu bedenken:
1. Was will ich?
Ich sage jetzt
einfach, wie es ist: Ich wollte zunächst einmal Sex, ohne die Sorge, wie mein
Körper dabei wohl aussieht. Ich wollte Sex ohne Körperscham. Das hatte ich als
schlanke Frau nicht wirklich und als dicke erst recht nie. In meinem Leben
hatte ich für eine Anzahl von Jahren keinen und für eine weitere Anzahl so gut
wie keinen Sex – AUS SCHAM. Wie bereits an anderer Stelle angerissen, halte ich
Sex mit offenen Fettliebhabern für eine großartige Chance für dicke Frauen, genau das
zu bekommen, und ich hatte mich nun nach zugegebenermaßen kurzer aber heftiger
innerer Debatte doch entschlossen, diese zu ergreifen. Zweitens hätte
ich gar nichts gegen eine Partnerschaft. Und ich hatte so die Vorstellung, man
könnte zwei Fliegen mit einer Klappe…aber da war er halt, der Haken.
2. Was will ich nicht?
Möglichst wenig Anfragen von Schmierlappen und Dumpfbacken
sowie BWL Studenten, die „reifen“ Frauen gern die Füße massieren. Das war das
oberste Ziel. Denn obwohl man nichts, was bei einer ersten Kontaktaufnahme in
einem solchen Forum geäußert wird,
persönlich nehmen darf, piekst unpassende
Anmache trotzdem immer ein wenig und
kann einem irgendwie doch den Abend versauen. Hinzu kommt, dass dumpf nicht unbedingt
böse ist, und unter höflichen Menschen vielleicht trotz allem eine Absage
verdient – dazu hatte ich diesmal weder Zeit noch Lust. Um Riff-Raff also gleich abzuschrecken, waren die Fotos ohne
Grinsen („Warum schaust du denn so böse?“) und die Profiltexte in der Regel entsprechend
streng (jaja, mit positivem Unterton)
formuliert und vollgestopft mit
Anforderungen an einen idealen Partner. Einige Besucher schafften es kaum, bis zum Ende meiner Ausführungen und
konnten hinterher trotzdem nicht die Klappe halten: „der Text ist aber schwer bin
nicht sicher op ich dass alles Kapiert habe.“ …Jaaa, ich weiß, wo war er bloß,
der Knopf für die Falltür?
Ehrlichkeit in Bezug auf meinen Körperumfang und gegebenenfalls
eine Klausel, die im Profiltext noch einmal extra auf diesen Umstand hinwies, waren
natürlich obligatorisch.
3. Egoistisch und effizient sein
An nette, aber unpassende Anfragen verschickte ich Standard-Absagen.
Den Rest des Ausschusses versuchte ich geflissentlich zu ignorieren. Das gelang nicht immer.
Ich habe ja dieses bestialische Wesen in mir, diese Mischung aus einem Hulk und Fräulein
Rottenmeier, und wenn die Impertinenz mir zu sehr entgegenspritzt, dann bricht
es halt mitunter aus mir heraus, wie ein mutierter Alligator durch den New
Yorker Asphalt…; ) Trotzdem – no men were harmed in the making of this post. ;
)
4. Weite Streuung
Ich ging in der Tat weit, um mich anzupreisen: rubensfan.de, secret.de, neu.de, finya.de,
elitepartner.de
Also, die gute Nachricht zuerst:
Sexpartner zu finden, ist für dicke Frauen im Internet ganz
leicht. Und das Angebot ist nicht schäbig: Fettliebhaber sind überall, und
nicht selten sind sie besonders groß, hübsch, breitschultrig und
überdurchschnittlich gebildet. Obendrein muss frau sie eigentlich nicht suchen,
denn sie finden einen schon, besonders wenn man sich deutlich als BBW (Big
Beautiful Woman) ausweißt. Eine Bekannte sagte, wahlweise könne man gut das
Wort „Rubens“ im Profilnamen verwenden. Ich kann mir jedoch nicht helfen - wenn
diese peinliche, muffige Bezeichnung fällt, wünsche ich mir automatisch noch
immer, in einer Size Zero zu versinken.
Um Sex mit jemandem zu haben, sollte man ihn sexy finden.
Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Noch besser wird’s natürlich, wenn man den
anderen ehrlich mag. Und man kann wohl sagen, dass meine Planung zunächst durchaus
zu den erhofften Ergebnissen führte – in den letzten sechs Wochen hatte ich
zwölf Verabredungen mit neun Männern, die allesamt über solide Kenntnisse der
deutschen Orthografie, eine schicke Hülle, Humor und ein ausgeprägtes
Selbstbewusstsein, sowie eine Vorliebe für runde Frauenkörper verfügen. Alle
bis auf einen hatten mich zuerst kontaktiert. Neun mag viel klingen, heißt aber
nicht, dass ich nicht jeden von ihnen äußerst sorgfältig ausgesucht hätte. Ich
wollte schließlich Hauptgewinne, denn ich hatte fest vor, aus diesem Versuchsaufbau
auf jeden Fall mit gestärktem Selbstwertgefühl hervorgehen. Und vier von ihnen
waren auch welche (Hauptgewinne) – drei zumindest im Bett. ; ) Und ich danke
ihnen aus vollstem Herzen. Tatsächlich haben sie mich mit ihrem freundlichen Blick
auf und ihrer Freude an meinen Körper so viel weitergebracht auf meinem Weg der
dicken Selbstakzeptanz, dass ich am liebsten eine Party für sie schmeißen
würde. Zu dumm, dass ich zumindest von einem nicht einmal eine Telefonnummer
hätte, um ihn einzuladen.
Es ist also möglich, in relativ kurzer Zeit relativ viele
Männer abzuarbeiten und abzuwickeln, ohne dabei groß in emotionale Verwicklungen
zu geraten. Das war mir neu. Dass offenbar keine der Begegnungen ein echtes Potential für Dauer hatte, war auch
in Ordnung. Man kann nicht immer alles gleich haben, dachte ich mir. Doch dann ging das Experiment jäh zu Ende.
Das Fett ist nicht das Problem
Denn dann habe
ich mich verknallt. So richtig und in voller Fahrt. Zum ersten Mal seit Jahren.
Wir saßen am Küchentisch, und ich stand neben mir, starr vor Schreck. Ein
Wunder, dass ich nicht im Laufe des Abends noch angefangen habe, zu stottern
und nervöse Ticks zu entwickeln. Es war schrecklich. Und dann wollte er mich
nicht mehr. Nicht wegen meines Körpers, sondern verständlicherweise wegen meiner
Verstocktheit. Die mochte er so wenig, dass er sich in den folgenden Tagen nicht
einmal mehr für den wie sauer Bier angebotenen Sex erwärmen konnte (und da muss
man sich meiner Erfahrung nach schon als besonders fieses Schrapnell in das
Bewusstsein des anderen gebohrt haben, wenn der andere männlich ist). Es war
eine Variante, die mir bis dato nicht untergekommen und deren Möglichkeit mir
auch nie in den Sinn gekommen wäre: Dass mein dicker Körper beliebter sein
könnte als der Rest. Es war eine fürchterliche Lektion, aber offenbar auch eine
notwendige Erfahrung, Abweisung nicht aufs Fett schieben zu können, sondern zu
realisieren, dass man es allein mit purer Persönlichkeit (oder vielmehr mit
einem Mangel an Ebensolcher) komplett verbockt hat, als es einem wirklich,
wirklich wichtig gewesen wäre. Es ist halt die Wahrheit: Du bist immer dann am
besten, wenn’s dir eigentlich egal ist. Was total unfair und sinnlos ist. Und
das Fett ist nicht das Problem. Womöglich stimmt, was Kate Harding ihren Leserinnen
zuruft: Was man dick nicht auf die Reihe kriegt, würde man dünn auch nicht
besser machen. Und fürs Seelenheil hätte es nun nicht einmal einen Zweck, alten
Mustern entsprechend den Plan zu fassen, dünn und schön zu werden, nur um es ihm
zu zeigen, denn etwas Dünnes würde er ja vermutlich gar nicht so dringend gezeigt bekommen
wollen.
NH